Mittwoch, 20. Januar 2010
Another Brick in the Wall


Dieses Schild steht vor einem Zaun. Der geneigte Beobachter fragt sich natürlich, wie man ein ordentliches Graffiti auf einen Maschendrahtzaun sprüht. Dafür haben die Chinesen gegenüber des Schildes extra eine Mauer errichtet. Oder so.

Und was für eine Mauer! Wer einmal dort gewesen ist, wird bei Erwähnung des einstigen Pendants in Berlin nur noch müde lächeln können. Allerdings hatten die Chinesen beim Bau offenbar ein Problem, nämlich einen Haufen Berge. Statt diese Mauer nun um selbige herumzuführen, baute man, was wie die Skizze eines leicht angetrunkenen, selbsternannten Bauzeichners anmutet, dem man einen Bleistift in die Hand drückte und der nun auf einer Landkarte sowas wie Verbindungslinien einzeichnen sollte. Ungeachtet aller Steigungswinkel wurde diese Mauern dann erbarmungslos über die Bergkämme gezogen. Gelegentlich helfen Treppen beim Anstieg, doch die meiste Zeit läuft man über glatten Stein. Im Sommer jedenfalls.

Im Winter rutscht man mehr. Die Chinesen mögen das Schießpulver erfunden haben, das Prinzip Streugut scheint ihnen jedoch heute noch fremd zu sein. Gelegentlich bin ich mir nicht sicher, ob es am Bodenbelag liegt oder daran, dass chinesische Spucke und Rotz bei den ungewöhnlich niedrigen Außentemperaturen am Grund vereist. Selbst mit gebirgstauglichen Schuhe ist ein Spaziergang auf der Mauer die reinste Tortur. Während ich die japanische Reisegruppe beobachte, wie sie sich händchenhaltend hintereinander über die Eisfläche quälen, fällt mir wieder der Witz vom Ötzi ein. Kennen Sie den?

Man rätselte lange, welche Nationalität der Ötzi hatte. Zunächst glaubte man, er käme aus Italien, doch dann fand man Geldmünzen in seiner Nähe, dann dachte man, er wäre Schweizer, denn wer könnte schon so langsam sein, dass er selbst von einem Gletscher eingeholt würde. Schließlich war man sich ziemlich sicher, dass es ein Preiss' gewesen sein muss. Wer sonst geht schon mit Klapperl (neudeutsch: Sandalen) ins Gebirge?

Muss ich mehr zum japanisch gewählten Schuhwerk sagen? Schön, dass sie dennoch ihre gute Laune bewahren. Sobald sich nämlich einer ungewollt auf den Hosenboden setzt, wird frenetisch gelacht. Der eisige Winter erhöht eindeutig den Spaßfaktor der Reisegruppe, während meiner gegen Null strebt. Da ich die Tour aus dem Bereitschaftsdienst gewonnen habe, war ich auf einen derart langen Aufenthalt nicht vorbereitet. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich trotz Pullover, Anorak, Mütze und Stiefel jemals vergleichbar gefroren hätte. Die extreme Kälte mochte mir meine Laune vermiesen, hielt mich jedoch nicht vom Besuch der Sehenswürdigkeiten Pekings ab. So fror ich auf der Mauer, fluchte in der verbotenen Stadt und sah das olympische Stadion aus dem Taxi, während meine Finger langsam auftauten. Die Pediküre habe ich mir dieses Mal gespart, da ich meine Zehen erst im Hotelzimmer wieder einzeln spürte. Immerhin waren es noch fünf an jedem Fuß, was während des Außenaufenthalts nicht eindeutig zu erkennen war. Reinhold Messner hätte seine wahre Freude gehabt.

Dass dieses Kälteerlebnis nicht ohne Folgen bleiben würde, war mir irgendwie klar. Inzwischen bin ich nach wortlosen Tagen wieder bei Stimme. Nur husten ging die ganze Zeit ziemlich lautstark. Gelohnt hat es sich dennoch, denn beim nächsten Mal kann ich sagen: been there done that.

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