Mittwoch, 3. August 2022
Fog


Auf den letzten Drücker, nämlich am vorletzten Ausstellungstag, war ich endlich in der spektakulären Installation von Fujiko Nakaya im Haus der Kunst. Richtig, ich war drin. Der Besuchende sieht die nämlich nicht nur, sie ist auch spür- und riechbar. Wenn in den großen Raum vom Wasserbeckenrand aus Düsen der Nebel sprüht, versinken alle Personen darin. Das trübe blaugrünliche Oberlicht trägt zum Stimmungsbild bei und lässt alles noch ein wenig unwirklicher erscheinen. Als ich vom Nebel umhüllt war, konnte ich ihn nicht nur aussen an meinem Körper spüren, ich spürte ihn beim Einatmen auch in mich dringen. Noch nie war ich so sehr Teil einer Kunstinstallation wie bei dieser. Während Kunstschaffende dies immer wieder bewirken wollen, wenn sie mit sich unter Betrachtung verändernden Kunstwerken darauf hinweisen, so bleibt dieser gewünschte Effekt meist auf der intellektuellen Ebene stecken.

Im Vorfeld stand die Kleiderfrage und jene, ob ein Regencape notwendig sei. Schließlich fiel die Entscheidung auf Latex. Es verträgt Nässe und fungiert als Bindeglied zwischen Körper und Kunstwerk. So sind wir ein bisschen zum Kunstwerk im Kunstwerk geworden. Dass wir damit nicht vom eigentlichen Fokus ablenken würden, stellten wir sicher, indem wir alltagstaugliche Formen wählten. Allerdings waren wir im Nebel letztlich sowieso unsichtbar.









Es wurden zudem Bilder, Projektionen und Filme über frühere Installationen der Künstlerin gezeigt. Auch hier integrierten wir uns sozusagen in's Werk.





Für mich war das eine aufregende Aktion, denn obwohl heutzutage viel mehr Aussergewöhnliches im öffentlichen Raum toleriert wird, waren wir natürlich Blickfang. Das begann schon auf dem Weg durch den Englischen Garten zum Haus der Kunst. Passanten schauten kurz, dann weg, nach Passieren drehten sie sich um, Gruppen verstummen, begannen dann hinter unserem Rücken aufgeregt zu tuscheln, Handys wurden gezückt, angebliche Selfies kopfüber geschossen. Niemand fragte oder sprach uns an. Ich beschreibe hier meine Beobachtung völlig wertfrei. Natürlich waren die Leute verwundert, natürlich genossen wir die verhohlene Aufmerksamkeit, doch vermisste ich die Offenheit des jungen Mannes mit mutmaßlichem Down-Syndrom, der uns von oben bis unten musterte und dann breit anlachte. Wir lachten erleichtert zurück.
An der Nordseite des Hauses gingen wir die Treppe hoch auf die Terrasse der Goldenen Bar. Von dort gelangte man zur Ostseite und damit zur Ausseninstallation. Auch hier schienen die Leute bemüht wegzusehen, ihre Blicke waren aber im Rücken zu spüren. An der geöffneten Flügeltüre der Ostseite kam uns eine Aufsichtsperson entgegen, die ich fragte, ob wir hier die Ausstellung betreten dürften. Er lächelte und meinte nach kurzem Blick auf die Eintrittskarten, es sei offensichtlich, dass wir uns explizit für diese Ausstellung zurechtgemacht hätten.

Ich begreife Kunst als das Mittel zur Verbindung zwischen Menschen. Der Kunstschaffende drückt in seinem Medium das aus, was im Gespräch schwer begreifbar zu machen ist. Im Rahmen einer Kunstausstellung sind die Menschen offener für die Auseinandersetzung mit Andersartigkeit. Ich hätte mir gewünscht, mit denen in Kontakt zu treten, die sich hinter unserem Rücken über unser Auftreten äusserten - verbal oder nonverbal. Wie aber kann überhaupt ein Miteinander entstehen, wenn wir uns nicht einmal mehr in die Augen schauen?

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