Donnerstag, 20. August 2020
Everything Counts in Large Amounts
Bei meinem heutigen Ausflug an den Starnberger See konnte ich wunderbare Sozialstudien betreiben, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Nicht am See selbst, denn dort beobachtete ich vor allem die Segler und Ruderer oder starrte einfach auf's Wasser. Dafür war die Heimreise mit der S-Bahn umso ergiebiger.

Die elektronische Anzeige kündigt die Bahn zurück in die Stadt mit wechselnden Abfahrtszeiten an. Als sie auf dem gegenüberliegenden Gleis eintrifft, stellt sich auch die Gleisangabe als irrtümlich heraus. Innerlich gebe ich sie bereits verloren, denn um sie zu erreichen, muss ich durch die Unterführung auf die andere Seite, setze mich aber dennoch mit vielen anderen Wartenden in Richtung Treppenabgang in Bewegung. Die Menschenmenge begegnet beim nächsten Treppenaufgang den Angekommenen, die Treppe bietet zu wenig Raum für gleichzeitigen Auf- und Abstieg. In beide Richtungen wird geschnaubt, gedrängelt und geschwitzt, denn die Temperaturen liegen im Aussenbereich um 30°. Oben laufe ich noch ein Stück nach vorne. Vermutlich steigen alle bei der ersten erreichbaren Türe ein. Ich befinde mich zunächst in einem fast vollständig leeren Abteil, bis sich nach wenigen Minuten drei ältere Damen im geschätzten Alter um 75 in der Sitzgruppe neben meiner niederlassen. Nach und nach stoßen eine Ausflugsgruppe und weitere Einzelpersonen hinzu.

Gerti, die vermutlich älteste der Damenrunde, beschwert sich bei den Freundinnen über die Gleisänderung. Man hätte schließlich mehr als 10 Minuten auf dem falschen Bahnsteig gewartet und hätte da ja schon in Ruhe das Gleis wechseln können, hätte man's halt gewusst. Aber nein - und da pflichten ihr die Freundinnen eifrig bei - da müsse man sich auf den letzten Drücker abhetzen und zudem so ohne Information, das sei wirklich nicht die feine Art. Nun sei man aber froh, es rechtzeitig geschafft zu haben. Auch hier wieder eifriges Nicken der Begleiterinnen. Mir fällt auf, dass ich diese Stimmen bereits am falschen Bahnsteig sich über fehlenden Schatten beschweren gehört habe. Und obwohl ich nach vorne in die Sonne auswich, während die Drei im Schatten am Treppenabgang warteten, kann ich meinem Schicksal nicht entgehen.

Nach der zweiten Station hält der Zug unvermutet auf freier Strecke. Ein paar Minuten passiert nichts, dann fällt Gerti ein, dass sie genau diese Situation vor Kurzem schon einmal erlebte. Keine Information hätt's gegeben, nichts. Noch beraten die Damen, ob es schlimmer sei, in einem Tunnel zu stehen oder auf freier Strecke. Nach weiteren fünf Minuten hat es auch jetzt noch keine Durchsage gegeben und die Damen werden unruhig. Ob Gerti wohl Recht behält und der Zug diesmal auch eine halbe Stunde ohne Erklärung auf der Stelle bleibt? Es werden Handys gezückt. Die Verspätungsapp hat Gerti nicht drauf, denn die braucht so viel Platz. Karla hat mehr Speicher, kann aber keine Verspätung ablesen. Da schallt die Stimme des Zugführers in tiefem bayrisch und auch sonst schwer verständlich durch das Abteil. "Mndammherrrrrn wenganaratchnschnStrrrrrunghamapfrrrrammmpstzt... wanniwoaswaslosis."

Gerti ist indigniert, weil die Damen nichts verstehen, obwohl sie selbst sowohl Landessprache als auch Dialekt beherrschen. Ich überlege kurz ob ich übersetze, verwerfe den Gedanken dann aber kurzerhand, da ich nicht in's Gespräch eingebunden werden möchte. Überhaupt möchte ich nur sitzen und beobachten, was mit den Leuten um mich und mit mir geschieht. Die Bahn steht nun schon seit 20 Minuten mit ungewisser Weiterfahrt. Während ich durch die Reflexion der Plastikabsperrung die Insassen hinter mir registriere, bemerke ich einen kurzen Anflug von Panik in mir aufsteigen. Ein geschlossener Raum ohne Möglichkeit zur Flucht, dazu steigende Temperaturen, lassen auch andere Reisende nicht gleichgültig. Einer hat sein Shirt ausgezogen, ein anderer eine Flasche Bier geöffnet. Die ersten Masken werden kurz gelüftet. Ich bleibe stoisch, während Gertis Damen überlegen, wie man Kontakt zum Zugführer aufnehmen könne. Da sei doch immer so ein Knopf am Ausgang mit einem Mikrofon. Die Türen werden jetzt genau inspiziert. Der Knopf ist aber nur zum Öffnen da. Dieses Risiko will man letztlich doch nicht eingehen. Stattdessen wird weiter über die Bahn im Allgemeinen und den Zugführer im Besonderen larmentiert.

Schnell sind sich Gertis Damenkränzchen und andere Reisende einig, dass die Entschuldigungen der Bahn generell geheuchelt seien. Man könne sich ja nicht mal irgendwo beschweren, das bringe ja nichts, denn wenn es was brächte, hätten es die vielen von Verspätung betroffenen Pendler schon getan. Zwischenzeitlich werden vorbeifahrende Züge kommentiert und Vorschläge unterbreitet, den Zug wenigstens bis zur nächsten Station fahren zu lassen. Eine andere Problemlösung kommt vom Viererabteil hinter Gertis. Man könne ja das Gleis wechseln. Wohlgemerkt weiß keiner, ob die Störung die Strecke oder den Zug betrifft, als Gerti einfällt, dass der Zug ja bereits vom falschen Gleis abgefahren sei. Sie ist sich jetzt ziemlich sicher, der Defekt am Zug war schon vorher bekannt gewesen, man habe ihn zum Test aber trotzdem fahren lassen und nun stünde er eben auf dem nicht benötigten Gleis. Dieses Wissen bekräftigt sie noch mehrere Male, während hinter uns die ersten unverschämt Rufe laut werden. Man ist sich einig, dass der Zugführer, der kurz vorher in einer weiteren Ansage seine Bemühung um Problembehebung kundtat, und die Bahn uns absichtlich in diese unsägliche Situation gebracht haben. Nur die Ausflugsgruppe, der Biertrinker und ich bleiben stoisch. So entstehen Verschwörungstheorien, denke ich und der Biertrinker schüttelt ein wenig den Kopf.

Der Rest ist schnell erzählt. Der Zug setzt sich nach etwa einer Stunde in Bewegung und alle steigen einigermaßen wohlbehalten an der nächsten Station aus. Auch Gerti, die zuvor ankündigte, im Abteil gleich zu kollabieren, damit endlich etwas geschehe und nun Kopfschmerzen beklagt. Nach der letzten Ansage des Zugführers mit Aufforderung an alle, den Zug bitte zu verlassen, beschweren sich die Damen noch lautstark über seine fehlende Entschuldigung (Anm.d.R.: eine geheuchelte). Als dieser den Zug zur Kontrolle abläuft, schauen ihm alle stumm mahnend hinterher. Mein Fazit des Tages lautet: Du kannst es den Leuten einfach nicht recht machen. Und ich frage mich wieder, ob sich je einer mal in die andere Seite von Dienstleistung versetzt. Gerti tut es jedenfalls nicht.

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Sonntag, 9. August 2020
Picture Perfect
Einstweilen bin ich ein bisschen mehr auf Instagram unterwegs. Dort schaue ich mir Bilder von Landschaften und Orten an, wo ich gerade nicht sein darf, nach denen ich aber Sehnsucht habe. Zwischendurch stoße ich auf anderes, wie beispielsweise eine Tierfotografin, die die ersten Schritte eines Elefantenkalbs in Zimbabwe festhielt. Die Bilder und das kleine Video der ersten Gehversuche sind sehenswert. IG

Es ist heiß in Südfrankreich. Eine Freundin berichtete vom Aufenthalt dort. Man könne sich tagsüber nur im Haus aufhalten. Zum Glück hat fast jedes Heim zur Erfrischung einen Pool. Die Fotos von der Gegend lassen sich aber auch drinnen betrachten und wecken schöne Erinnerungen an diverse Besuche. (Die Bilder auf Instagram sind leider oft sehr gefiltert und unecht, für einen Sehnsuchtsanstoß reichen sie aber allemal).

Über das Hotel Bristol in Paris und seine Geschichte gibt es noch ein paar Wochen einen Film auf Arte zu sehen. Mir fällt auf, dass ich selbst bei deutschen Kommentaren die Untertitel lese. Im Französischen helfen sie zumindest, nicht zu viel vom Inhalt zu verpassen.

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Mittwoch, 5. August 2020
Stir it up
Bei Joel gefunden: Ein Langzeitxperiment über Geldzahlungen an afrikanische Arme. Das Projekt ist interessant, gestutzt habe ich jedoch beim vorletzten Absatz, in dem die Wirkung von Geld auf Depression erwähnt wird:

"So habe er in einem anderen Experiment Wege zur Linderung der Depression unter Dorfbewohnern in Kenia erforscht: Eine Gruppe erhielt ein Jahr lang Psychotherapie. Eine Kontrollgruppe bekam stattdessen Geld. Am Ende hatten die Empfänger weniger Depressionen – ein Ergebnis, mit dem er absolut nicht gerechnet hatte. Macht also Geld doch glücklich?"

Geld ermöglicht halt Dinge, die zu Selbstwirksamkeit verhelfen. Und Selbstwirksamkeit wiederum kann die Ausprägung von Depression moderieren - so wird eher ein Schuh draus.

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Pinguine sind Jäger. In Gefangenschaft brauchen sie - wie viele Lebewesen - Abwechslung und Anregungen. Das kann auch eine Seifenblasenmaschine sein.



Vergessen Sie bei zukünftigen Hamsterkäufen also nicht die Seifenblasen.

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Wussten Sie, dass man für die Einreise in fremde Länder zig Angaben machen muss - eigene Daten, Aufenthaltsadressen und -telefonnummern, Angaben über besuchte Länder der vergangenen Wochen und weiteres - man für die Einreise nach Deutschland aber nur einen Informationszettel des Bundesgesundheitsministeriums in die Hand gedrückt bekommt, der auf die Pflicht der Quarantäne im Falle einer Erkrankung hinweist? Ab Samstag wird das wohl etwas anders.

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How the Pandemic Defeated America
Langer aber interessanter Artikel über Pandemie, Politik und Anderes.

"The hardest-hit buildings were those that had been jammed with people for decades: prisons. Between harsher punishments doled out in the War on Drugs and a tough-on-crime mindset that prizes retribution over rehabilitation, America’s incarcerated population has swelled sevenfold since the 1970s, to about 2.3 million. The U.S. imprisons five to 18 times more people per capita than other Western democracies. Many American prisons are packed beyond capacity, making social distancing impossible. Soap is often scarce. Inevitably, the coronavirus ran amok."

Zufällig weiß ich von einer Strafanstaltangestellten in naher Verwandtschaft, dass die hierzulande schon bei geringstem Verdacht auf Kontakt mit Infizierten sofort unter Quarantäne gestellt wurden.

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