Donnerstag, 18. Juli 2019
Colors II
Fortsetzung von hier

Gerade bin ich ein bisschen stolz auf mich. Mein Tagewerk ist getan. Dabei hatte ich ein bisschen Angst vorher, konnte mir nicht vorstellen, ob es gut aussehen wird, ob die teure Farbe reicht, ob es an den schwierigen Rändern dilettantisch wirkt. Die Angst eines Malenden vor einer weißen Leinwand. Der Trick ist, einfach einen dicken Farbklecks mitten auf die weiße Fläche zu klatschen, dann gibt es kein Zurück. Natürlich ist die Vorarbeit nicht zu unterschätzen - sauberes Abkleben der Übergänge, Vorbereitung von gutem Werkzeug, dann etwas Fingerspitzengefühl und - ganz wichtig - alte Kleidung. Denn man kann gar nicht so sehr aufpassen, wie Farbsprengsel auf nicht dafür vorgesehenen Stellen landet. Die unter der Fußsohle sind die heimtückischsten, die sieht man erst im Nachhinein auf dem Parkett zur Küche oder dem Bad, alle anderen später beim Duschen. Oder die nächste Verabredung macht darauf aufmerksam. Alte Kleidung, die ich für solche Zwecke gerne gesondert aufbewahre, sollte noch passen, was nach Jahren des Genusses nicht immer vorausgesetzt werden kann. Immerhin eine weitere Gelegenheit zum Aussortieren.

Dann geht endlich die eigentliche Arbeit los, das Streichen. Im Grunde ist es ein schönes Gefühl, wie die Walze Farbe auf den Grund drückt und sich mit den vorgepinselten Seitenrändern verbindet. So eine Malerwalze schluckt ganz schön Farbe weg, weshalb sie für kleinere Flächen ruhig eine mittlere bis kleine Größe haben darf. Manche Nischen habe ich komplett mit dem Pinsel eingefärbt. Sogar mein dünner 10er Borstenpinsel aus Schulzeiten kam bei diffizilen Rändern zum Einsatz. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:


Jetzt ist der dunkle Flur ein wenig dunkler. Macht aber nix, weil mich das Licht abends immer so geschockt hat. Jahrelang eingeübte Bewegungsmuster lassen mich den Weg auch blind finden. Es sei denn... ja, manchmal da liegt ein geöffneter Koffer zwischen Wohnungstüre und Durchgang. Da bin ich schon mal beim Klingeln des Paketdienstes reingetreten und gestolpert, konnte aber im Fall noch nach der Sprechanlage greifen und den Lieferanten mit lautem Schmerzschrei davon überzeugen, dass doch jemand zuhause ist. Das Paket wurde jedenfalls geliefert, unterschrieben habe ich unter dem mitleidsvollen Blick des jungen Mannes. Könnte aber auch daran gelegen haben, dass ich in der Eile vergessen hatte, eine Hose anzuziehen. Im neuen Licht wird das nicht mehr sonderlich auffallen.

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"die Angst eines Malenden vor der weißen Leinwand"? Ich glaube, das ist eher Respekt. Aber wenn man dann schon häufiger die Erfahrung gemacht hat, dass man die Sache so oder so in den Griff kriegt, wird man recht bald sehr mutig. Eine Wand versauen ist ja doch unvergleichlich fataler, lässt sich schwerer ausmerzen. Leinwände gibts ja mittlerweile in jedem Baumarkt. Und wenn man eine sehr große angeht, so im Sonderanfertigungsformat hat man ja meistens schon einen ganz groben Plan oder Impuls, wohin die Reise gehen könnte. Die blauen Wände da oben wirken sehr satt und deckend gemalert, so soll es sein.

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Angst vor dem Anfang
Das habe ich mal irgendwo gelesen. Jetzt wo Du es sagst, kann das natürlich aus einer Zeit stammen, in der Leinwandherstellung mit großem Aufwand verbunden war. Manchmal bekommt man aber auch Angst vor der eigenen Courage.
Meine Farbe ist so deckend, ich denke da hat weiß in Folge keine große Chance. Aber ich will auch nicht ausziehen, hab's mir lange genug überlegt.

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Man muss starken kreativen Impulsen immer folgen, man würde es sonst bedauern. Ist man partiell gescheitert, dann doch niemals ganz und hat etwas dazu gelernt. Nicht so schlimm wie die Angst des Torwarts vorm Elfmeter. Niemals.

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P.S. hab mich gestern 'vermalt', heute der Versuch, den Irrtum zu transformieren. Bedeutet nicht, den Prozess umzukehren und aufwändig die Farbe zu entfernen, sondern mit dem Fehler zu arbeiten, irgendwas damit machen, damit die unpassenden Farbelemente passend erscheinen. Partiell abkratzen, was anderes drüber. Mal sehen! Immer spannend.

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Wie leben
Das erinnert mich an manche Fehler in der Vergangenheit. Was draus machen, abkratzen, drübermalen, Pläne ändern.

Die Elfmeterangst kennt jeder, der abliefern muss, wenn's drauf ankommt. Kenne ich von früher. Aber Scheitern ist ja menschlich.

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Haben Orchestermusiker genauso Lampenfieber wie Solisten?

Freundin heute im messenger: "Manchmal wird durch eine Unzufriedenheit und die damit verbundene Korrektur ja etwas Spannenderes kreiert." Auf jeden Fall hat man in diesem Fall einen großen Ehrgeiz und Fokus auf das Gelingen des nächsten Anlaufs. Bei Scheitern in Beziehungen bin ich geneigt etwas Außerordentliches als Ausgleich zu erschaffen. Besondere Erlebnisse oder Transformation der Enttäuschung in kraftvolle Werke. Vitalität fokussieren. In solchen Phasen bin ich zu den Navajo gereist und nach Island und habe aus Scheiße Gold gemacht.

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Aber sicher doch. Orchestermusiker sind nämlich - abgesehen von den Tuttistreichern - alle Solisten. Man hört jede kleinste Unstimmigkeit und kann sie sofort lokalisiseren, In der Probezeit kostet sowas die Position, für die man schon im Vorfeld (Einladung zum Vorspiel, Probespiel, Auswahl etc.) so hart gekämpft hat. Deswegen sind Betablocker und andere Medikamente so stark vertreten. Ich habe nie welche genommen und mich stattdessen intensiv mit den körperlichen wie seelischen Folgen von Streß auseinandergesetzt. Geholfen hat's nicht so viel, denn das vegetative Nervensystem kann man bekanntermaßen nur gering beeinflussen. Die seelischen Schäden bleiben... es gibt da eine Serie Mozart in the jungle, die kann ich aber nicht wirklich gucken, weil ich das meiste selbst erlebt habe und es auch nach so vielen Jahren noch lebendig wird.

Die Transformation der Enttäuschung sehe ich in ganz vielen Kunstwerken. Andererseits kann sie sich auch zerstörerisch auswirken (van Gogh, Schubert, und wie sie alle heißen). Ich habe dafür ein anonymes Blog, das ich in letzter Zeit wieder befülle. Gold kann man es bei mir nicht nennen aber ein bisschen Dampf ablassen und transformieren tue ich dort schon.

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Dass jeder seine Virtuosität mit hoher Disziplin unter Beweis stellen muss, ist mir begreiflich. So richtig begriffen habe ich das, als ich die Live-Übertragung von Simon Rattles Abschiedskonzert in der Berliner Philharmonie im Kino verfolgte (hab keine Karten mehr dafür bekommen, trotz aller Mühen). Die Sechste von Gustav, so schön, so vollendet. Die Kameraführung war grandios, immer wieder die einzelnen Orchestermusiker in Großaufnahme, die Konzentration, die Mimik, so beeindruckend.

Was ich aber schon gedacht hätte, ist, dass bei Aufführungen wo jetzt nicht gerade eine Kamera dabei ist, ein bißchen weniger Druck bei jemandem ist, der mitten zwischen den Kollegen sitzt, ohne optisch herausgehoben und damit explizit angeschaut zu werden. Auch wenn die Kollegen einem die eigene Leistung nicht abnehmen können und man nicht schludern darf, wird man immerhin nicht permanent vom Publikum fokussiert. Der bei Mahlers Sechster den großen, einmaligen Donnerschlag macht, ist bestimmt super aufgeregt.

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