Freitag, 10. April 2020
Tageblog 10.4.2020 - Musik-Gedenken
Zum heutigen Karfreitag passt eine meiner Lieblingsaufnahmen aus Bachs Matthäuspassion, gesungen von Julia Hamari. Karl Richter dirigierte das Münchner Bachorchester und Otto Büchner spielt Violine. Die letzteren beiden sind bereits verstorben, wie auch sonst viele große Künstler aus dieser Zeit.



Es gibt eine Dokumentation über Karl Richter aus dem Jahre 2005 "Karl Richter in München - Zeitzeugen erinnern sich (1951-1981)", die in Teilen auf YT zu sehen ist. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich alt werde, denn mit dem Älterwerden entsteht automatisch auch eine gewisse Nostalgie um die Vergangenheit. Jedenfalls waren die damaligen Aufführungen von einer solchen Kraft, die ich heute kaum noch erlebe. Ja, gelegentlich gibt es diese denkwürdigen Momente noch. Eine Aufführung der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle mit dem Sacre von Strawinsky, ein Instrumentalsolist hier oder da, insgesamt sind die Aufnahmen aber sehr spährlich gesät. Vielleicht liegt es an der allgemeinen Spezialisierung. Während jungen Musikern früher noch Rundumwissen beigebracht wurde, zählen heute nur noch die absolvierten Übungsstunden am Instrument. Das sind keine guten Voraussetzungen für intelligente Darbietungen klassischer Musik. Natürlich ändert sich der Hörgeschmack mit den Jahren, doch die alte, notierte Musik sollte doch zumindest werkgetreu wiedergegeben werden. Wenn Beethoven irgendwo ein bestimmtes Zeichen schrieb, wird das von verantwortungsvollen Interpreten auch hörbar gemacht. Die anderen spielen halt so, dass ihre Darbietung beim Publikum einen Eindruck hinterlässt.

Würden wir Kompositionen mit Bildern vergleichen, sähen wir den Unterschied zwischen einer Kopie und dem Original deutlicher. So aber gewöhnt sich das Ohr an den Mist, der halt in Dauerschleife läuft und hält es für das Werk des Komponisten, wo in Wirklichkeit nicht Beethoven, sondern Lang Lang oder Levitt abgebildet ist. Ich möchte die Errungenschaften der Künstler damit nicht schmälern, sondern einzig an die Konsumierenden appellieren, etwas genauer hinzusehen, und natürlich an das Verantwortungsbewusstsein der Musikschaffenden. Denn wie soll ein Laie zwischen Kunst und Kitsch unterscheiden können, wenn er den Maßstab, das Original nicht gesehen hat?

Sagen wir mal so: wenn ich mir eine Aufnahme von einem Interpreten anhöre, der den Markt jedes Jahr mit zig Produktionen überschwemmt oder einer recht selbstdarstellerisch agiert, liegt die Folgerung sehr nahe, dass es sich hierbei nicht gerade um authentische Aufnahmen handelt. Karajan war übrigens auch so einer, während sich beispielsweise Celibidache sehr kritisch zur Tonaufnahme verhielt. Wirklich hören kann man es durch Interpretationsvergleiche desselben Stückes. Manchmal findet da ein Stück einfach den Zugang zum Herzen und berührt etwas, das im Innersten mitschwingt. So eine Aufnahme ist oben zu hören. So denke ich an die vielen Künstler der aussterbenden Generation, die meine Hörästhetik prägten und bin dankbar und gleichzeitig wehmütig. So viele Namen, die bereits verstorben sind und solche, die aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr spielen. Manchmal lohnt es sich, nach diesen Kleinoden zu suchen.

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Danke
für den Link zur Mathäuspassion. Die ist heute abend dran.
H. versteht nicht viel von Musiktheorie, aber der obige Text spricht ihm aus der Seele.
H. hat auch in diesen Tagen viele alte alte Aufnahmen gesehen und gehört und schwelgt in Celibidacheaufführungen, Guldainterpretationen uvm. Ach ja, Jaqueline du Pré auch, eine in jungen Jahren viel zu früh Verstorbene.
Und wenn es nichts anderes gibt, dann gibt es noch den Griff zum Plattenschrank, Hermann Prey und Fischer-Dieskau und ganz viele Orchesteraufnahmen aus den 60ern bis 80ern: Erbe der Schwiegermutter.
Das was in diesen Wochen überall gepriesen und gelobt wird, meidet er meist. Selbstdarsteller zum großen Teil halt.
Frohe Ostern!

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