Montag, 20. April 2020
Tageblog 20.4.2020 - In meinem Körper wohnen
Da ist eine Sache, über die ich schon ein paar Tage schreiben will und es dann immer wieder verwerfe, weil es trivial klingt, weil es Jammern auf hohem Niveau ist, weil ich es nicht so ganz zu fassen kriege. Wenn ich Empfindungen oder Ahnungen in Sätze packe, bin ich die Gedanken erst mal los oder habe eine solide Basis, um weiter darauf rumzudenken und Schlüsse zu ziehen. Das funktioniert auch im Gespräch, bei dem sich Gedanken entwickeln, doch braucht das einen guten Zuhörer, damit er/sie mich daran erinnert, was ich zuvor von mir gegeben habe.

In meiner Welt spielt Bewegung eine große Rolle. Nicht nur, um mich meiner überschüssigen Energie zu entledigen, sondern vor allem, um dabei meinen Körper zu spüren. Natürlich kann auch im Ruhezustand gespürt werden - der Stoff auf der Haut, ein Windhauch, die Berührung des Bodens oder einer Auflagefläche, Wärme oder Kälte und vor allem Schmerzen. Wenn ich allerdings meine Muskulatur aktiviere, die Arme hebe, die Beine anspanne, die Zehen strecke, den Rumpf drehe oder den Kopf kippe, gewinnt der Körper eine Relation zum Raum, die sich in zeitlich schnellerer Abfolge ändert als im Ruhen. Aus diesem Gefühl ziehe ich etwas Befriedigendes. Andere offenbar auch, denn sonst hätten sie keine Freude am Tanzen, Hüpfen oder Gleiten, wie es bei Rollfortbewegung der Fall ist. Ja noch mehr, ich empfinde ein regelrechtes Bedürfnis nach schnellen Abfolgen von Positionsveränderung, die allerdings abwechslungsreich sein sollten. Laufen und Schwimmen haben ihre Berechtigung, so sehr wie Tanzen hat mich eine sich wiederholende Bewegungsabfolge zu ihrem Selbstzweck aber nie gereizt. Wenn die Bewegung allerdings einem übergeordneten Zweck dient, wenn dabei eine Choreographie, ein Spiel oder ein Klang entsteht, dann wird die Bewegung zur Erfüllung meines Bedürfnisses. Radfahren ist dabei eine Ausnahme, da die Bewegung sich rhythmisch wiederholt, ich aber währenddessen andere Eindrücke sammle (Ortsveränderung, Wind, visuelle Reize).

Mein Körper war verletzungsbedingt bewegungseingeschränkt, was muskuläre Veränderungen zur Folge hatte. Weniger Leistungsfähigkeit, weniger Beweglichkeit und einhergehend auch Gewichtszunahme - zugegeben kommt das natürlich auch vom Frustessen. Die Schuhe habe ich immer mit durchgestreckten Beinen zugebunden, diverse Sitzpositionen auf dem Boden, die für andere schon sehr herausfordernd waren, bezeichnete ich als bequem. Das kommt alles wieder, habe ich mich getröstet. Aber was wenn nicht? Auch mein Älterwerden verändert den Körper nicht unwesentlich. Dabei spielt es in meiner Wahrnehmung keine Rolle, ob ich mehr Falten oder Dellen sehe und auf welcher Höhe sich Hintern und Brüste befinden. Wenn ich allerdings mehrfach am Tag Hitze- gefolgt von Kältewellen erlebe, wenn Mund, Augen und Haut extrem trocken und die Kilos bei bestimmten Bewegungen im Weg sind, dann ist das schon beeinträchtigend. Mein Körper fühlt sich einfach nicht mehr wie mein Körper an.

Dieses Fremdheitsgefühl begleitet mich nun schon seit fast einem Jahr. Ich kann nicht abschätzen, ob sich dieser Zustand durch mentale Adaptierung positiv beeinflussen ließe, weil ich noch zu sehr an einem Vorher-Nachher Status festhalte. Das Streben nach Bekanntem, das als Normalität definiert wird, dürften die Meisten gerade in der jetzigen Zeit erleben. Noch üblicher ist es bei Hochleistenden, die ein Ideal anstreben, das über ihre definierte Normalität hinausgeht. Wenn mein Körper im sportlichen oder künstlerischen Bereich Höchstleistungen vollbracht hat, ist es sehr schwer, sich an weniger zu gewöhnen. Und wo wir schon bei Gefühlen sind: die Hormone spielen im Gefühlshaushalt natürlich keine unwesentliche Rolle. Dass die gerade in mir drin Samba tanzen, ist auch nicht überraschend (Sie kennen noch diesen uralten Schlager von Tony Holiday?)

Mal abgesehen von den verletzungsbedingten Einschränkungen bedeutet Älterwerden schlichtweg Leistungsreduzierung. Die Frage, die sich mir stellt, ist, ob ich mich anpassen kann, mich irgendwann wieder wie ich selbst fühlen werde und wie ich das anstelle. Das wär' mir echt wichtig, weil anders mag ich nicht.

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Du schreibst, dass du zu sehr an einem Vorher-Nachher-Status festhältst. Das ist wohl auch ein bißchen viel an körperlicher Zumutung in den letzten Monaten, ja Jahren gewesen und vermutlich schwierig auseinanderzudividieren, welcher Teil des Zumutungspäckchens die Gelenksache und OP und Rekonvaleszenz ausmacht und welcher Teil die von dir erwähnten, beobachteten Symptome des Prozesses des Älterwerdens sind. Zum ersten Teil kann dir nur Mut machen, wer eine vergleichbare Operation hinter sich hat, und länger als du darauf zurückblickt.

Zum zweiten Teil des Zumutungspäckchen können dir Frauen Mut machen (oder nehmen, je nach dem), die in einem ähnlichen Lebensalter sind oder älter und mit vergleichbaren körperlichen Veränderungen umgehen müssen oder mussten. Sich mit jemandem aufzuhalten, dem es denkbar schlecht damit geht, ist natürlich irgendwie im Sinne "geteiltes Leid ist halbes Leid" solidarisch aber auch deprimierend. Ich kann dir z. B. aus meiner Erfahrung (und das ist kein Ratschlag oder irgendein übergriffiger Klugschiss) erzählen, dass ich in deinem Alter etwa (also vor drei, vier Jahren) lernte, dass die aufsteigende Hitze nichts mit dem Hochsommer draußen zu tun hat. Hitzewallungen tun ja nicht weh, man ist nur mitunter unpassend angezogen, jetzt, im vierten Jahr seit der ersten, ist es bei mir (einfach so, ohne Hormone oder andere Medikamente) so eingespielt und so viel schwächer geworden, dass es mich überhaupt nicht mehr beschäftigt, ich bin eher überrascht, wenn es mir wiedereinmal auffällig widerfährt. Dass mit den Wechseljahren und dem Ende des Monatszyklusses keine Einbuße der Libido stattfindet (nicht im geringsten), ist eine befreiende Beobachtung. Die Sprungkraft in den Gelenken wird lahmer, das merke ich, ich komme nicht mehr so schnell aus der Hocke hoch. Aber ansonsten wunderbare Vitalität, ich fühle mich meistens nicht älter oder gebrechlicher als vor zehn oder zwanzig Jahren. Will sagen: es gibt im Leben einfach Wellen, Phasen, in denen man auch über längeren Zeitraum physisch am Boden ist. Es ist nicht automatisch gleichzusetzen mit einem irreversiblen Alterungsprozess.

Zum Beispiel dachte ich (Thema Libido), zwischen meinem 45. und 50. Lebensjahr, dass ich erotisch verkümmert bin, altersbedingt, dabei war ich nur schwer traumatisiert, was im 50. Jahr geheilt wurde. Ich war unfassbar erleichtert zu realisieren, dass sexuelles Erleben nicht vom physischen Alter sondern der seelischen Verfassung abhängt.

Wenn deine Beine wieder beweglicher sind, dann kann sich auch alles andere gut regenerieren und einspielen. Man muss sich im Kopf wirklich freimachen von dieser Sache mit dem Altern. Das soll dir Hoffnung geben.

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Frei im Kopf
Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort, Gaga. Da ist sicherlich viel Tröstliches dabei. Nur...
es geht mir irgendwie um was anderes: das Empfinden, dass der Körper nicht (mehr) so funktioniert, wie ich ihn ansteuere und mir das ein Fremdheitsgefühl vermittelt. Ich weiß nicht, wie ich's anders beschreiben soll. Es gibt sicherlich viele, die vergleichbare Erfahrungen gesammelt haben. Da sind aber auch viele dabei mit weniger gut ausgeprägtem Körpergefühl und andere, die sich nie so differenziert bewegt haben.

Alles andere ist sicher Kopfsache.

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Von wegen, schöner Verfall! Den fremdgewordenen Körper neu kennenlernen, seine Routinen und Signale neu deuten, ist sicher anstrengend und von Ohnmachtsgefühlen begleitet. Man muß sich erst wieder anfreunden, und das fällt einem im Alter ja oft auch nicht mehr so leicht. Immer weitermachen aber, jeder Schritt zählt!

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So ähnlich hätte ich diesen Beitrag auch schreiben können, es sind die gleichen Fragen, die mich umtreiben: Wird das wieder, und wenn nicht, wie gehe ich damit um? Mir ist natürlich klar, dass ich wahrscheinlich nicht mehr zurück auf das Fitnesslevel komme, mit dem ich Alpenpässe und meine erste Eroica bewältigt habe, aber jetzt am Wochenende hat sich das Radfahren seit Urzeiten mal wieder angefühlt wie Radfahren und nicht wie eine mühselige Reha-Übung auf dem Ergometer. Da geht also vielleicht doch noch was, wenn man es nur oft genug probiert.

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Liebe A.,
der Text hat sehr berührt, und H. kann ganz wenig dazu sagen.
Er hatte einen körperlichen Einbruch im Alter von 45, als ihm, viele Jahre eine Volleyballmannschaft trainierend, beide Innenbänder der Knie rissen. Er hat es irgendwie wegstecken können und statt R`n`R dann Boogie getanzt.
Es war aber, und erst jetzt ist es klar, eine Sache des Kopfes. H. hat sich brutally selbst gecoacht, bis er es geglaubt hat; die Anfasserin hat dabei geholfen.
Und zu den schwierigen Jahren, in denen Du Dich befindest, kann er auch wenig sagen, außer, dass es ihn auch gebeutelt hat mit Hitzewallungen. Männer lassen das ja nicht zu und reden vor allem untereinander nicht darüber.
Es wird werden, es ist jetzt halt eine Scheißzeit, in persönlicher und gesellschaftlicher Hinsicht.
Viel Kraft und Lebenslust! Genieße die kleinen Dinge, z.B. den Josephsplatzmarkt morgen. Oder ein Treffen auf Abstand, irgendwo, gerne auch in Untermenzing.

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Ich werde in diesem Jahr 56 und habe seit einigen Jahren einige Wehwehchen. Besonders unangenehm und kaum zu beheben sind die Schlafprobleme, ich wache ständig wieder auf, manchmal stündlich, und habe immer den Eindruck, nicht genug zu schlafen. Den Zahn haben mir aber Schlafforscher gezogen, die darauf hinweisen, dass jeder Mensch mehrmals aufwacht, sich aber oft nicht daran erinnern kann und es nicht schlimm ist, aufzuwachen.

Schwitzattacken habe ich auch ab und an, aber das ist nicht so schlimm, da die nach wenigen Augenblicken wieder nachlassen. Was mich wirklich nervt, sind die dünner werdenden Haare und die trockene Haut. Also dann doch die Optik :-).
Ich habe mal Östrogene versucht, aber fand die Nebenwirkungen nicht so berauschend, weshalb ich das wieder gelassen habe. Nun wird also gecremt und geföhnt und gut ist es.

Beweglichkeit: ich habe beidseitig Kniearthrose und kann dazu nicht so viel sagen, weil meine Knie ohnehin oft weh tun. Vermutlich habe ich durch die Schonhaltung den Rücken masakriert, denn ich habe hier auch oft Schmerzen. Ich habe mich dran gewöhnt, nicht mehr alles tun zu können. Ich werde alt und älter und damit habe ich eine Entschuldigung (kann man auch mal nehmen, wenn man mal keine Lust hat).

Ich wünsche Ihnen Zuversicht und Ausdauer. Wechseljahre dauern ein wenig. Man hat viel Zeit, sich daran zu gewöhnen - oder abzufinden.

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@Liebe Kommentierende
Ich bin gerührt ob Ihrer Anteilnahme. Danke für die aufmunternden Worte.

@Mark793

In der Reha und danach habe ich immer mal an Dich gedacht. Ich weiß, dass Dein Päckchen um einiges schwerer zu tragen ist. Dass Du trotzdem so neutral kommentierst, zeigt wahre Größe. Deine Fortschritte sind phänomenal und es ist dennoch nicht leicht, sich mit denen auseinanderzusetzen, die Dir vielleicht sagen, so eine Eroica oder andere Touren müssten doch nicht sein und man könne froh... usw. It simply sucks! Das muss man auch erst mal verstehen lernen. In diesem Sinne: machen wir halt weiter. Auf zu neuen Grenzen!

@Hauptschulblues

Das brutale Selbstcoaching mache ich auch, nur nicht so brutal. Ich habe gelernt, dass Einbrüche sein dürfen. Traurigkeit über Verlust - auch der eigenen Leistungsfähigkeit - ist wichtig und gehört zu den Trauerphasen. Du hast das sicher nicht gemeint, doch bin ich sehr vorsichtig geworden, was positives Denken anbelangt, wenn drunter anderes schwelt. Letztlich zählt nur eines: wieder aufstehen, weitermachen.

@Kid37

Genau. Ein Schritt vor den anderen.

@Sista

Die Wechseljahre gehören halt dazu. Muss man sich aber auch erst mal dran gewöhnen. Ich find's ja immer sehr befremdlich, wenn sich Frauen für ihre Hitzewallungen entschuldigen. Es ist ihnen offenbar peinlich. Da frage ich mich immer, ob man sich auch für Erkältungen oder Schwangerschaften entschuldigen sollte. Schlafprobleme begleiten mich schon sehr lange, an die habe ich mich gewöhnt und genieße es sogar, dass ich nicht viel Schlaf brauche.

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Ich bin dieses Jahr 60 geworden und denke oft an den Satz meines früheren Chefs: wenn man mit über 40 morgens aufwacht und Nichts tut weh, ist man tot.
Als ich in den 40ern war, lief ich dreimal die Woche morgens vor der Arbeit 10km, machte Radtouren, ging tanzen und all das.
Heute liege ich manche Stunde nachts wach und denke über die diversen „Wehwehchen“ nach. selbe Gedanken, wie Sie hier auch schon geäußert haben, angereichert immer wieder mit: ist das jetzt Ernst?
Das Seltsamste ist, dass sich Gegenmaßnahmen und Abfinden mit der körperlichen Veränderung insgeamt eher die Waage halten. Ich mache jeden Morgen Gymnastik und es wird doch nicht wirklich besser. Aber auch nur ganz langsam schlimmer.
Es tröstet mich, Ihre Geständnisse hier zu lesen. Gern falle ich da mal mit ein.

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Schön, wenn mein Text etwas Tröstliches hat. Dann warte ich mal ab. Kann sowieso nichts anderes tun.

Ich frage mich ja immer, ob diese Gewöhnung einfach ein Anpassen der Definition von Normal ist. Vielleicht habe ich auch schon vergessen, wie sich das vorher-normal anfühlt und ich gehe bereits von einem etwas-über-nachher-normal aus.

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