Mittwoch, 29. Juni 2022
I will survive
Kaum ist die letzte Katastrophe abgeklungen, folgt die nächste auf dem Fuße. Ich meine, so ein Kofferverlust ist nicht wirklich katastrophal, wenn man mal bedenkt, dass ich mich in sommerlichen 24° mit Meeresbrise befinde. Ganz anders verhält es sich mit Frau Herzbruch. Die hat die Katastrophen ja quasi für sich gebucht - wir erinnern uns an den unfreiwilligen Einliegerpool mit Einlage nach Starkregen im Keller oder den Cluburlaub auf Kos, den sie als traumatisierendes Beispiel zu jeder Gelegenheit als Vergleich zitiert. Mit Trauma hatte ich heute ebenfalls zu kämpfen, dazu aber später.

Erst mal soll es darum gehen, dass ich immer noch weiß, wie ich das System für mich arbeiten lassen kann (work the syxtem), weil ich halt auch im Job Teil desselbigen bin. Und wenn Frau Herzbruch Cranberrysaft für ihre Blasenentzündung braucht, dann organisiere ich Cranberrysaft beim EInkaufsleiter des Clubs kurz vor halb zwölf abends. Zunächst sah das aber gar nicht gut aus, denn die kleine Yasemine-Isabellina schüttelte heftig ihren zu hoch gesteckten blonden Pferdeschwanz hin und her als ich danach fragte. Ihre Aufgabe - so OTon - sei es auch nicht, für uns einkaufen zui gehen, wobei ich mit solchen Statements sehr vorsichtig wäre, hätte ich Tomatensaft als Cranberry auszugeben versucht. Frau Herzbruch wollte beschwichtigen, da sei ich ja quasi berufsbedingt vorbelastet und würde den Unterschied durch überdurchschnittlich häufige Berührungspunkte sofort erkennen und Yasemine-Isabellina mit fehlender Erfahrung und Ferienjob als Kinderbetreuerin im Club sei da in Customer Relationship nicht so dolle geübt. Ich wiederum war der Meinung, da müsse Jasemine-Isabellina eben auf die harte Tour lernen, ließ mir Namen und Durchwahl der Clubchefin geben, vereinbarte einen Gesprächstermin an der Rezeption, mit dem zufälligen, dortigen Treffens mit dem Einkaufschef, der sein Handy zückte, den Küchenchef mit Beschaffung beauftragte - vorausgesetzt sowas sei überhaupt auf der Insel zu bekommen - und dem Ergebnis von persönlich in's Zimmer gelieferten zwei Litern Cranberrysaft für Frau Herzbruch. Kurzum, wir konnten schlimmere Folgen der Blasenentzündung abwenden.

Nun weiß die mir geneigte Leserschaft, dass ich einst als Tauchlehrerin in heimischen Gewässern aktiv war. Als Frau Herzbruch mit Nachwuchs beschloss, den Atlantik von unten zu erkunden, war ich von dieser Möglichkeit für mich nicht besonders angetan. Was ich hier nie erwähnte, war der Grund, weshalb ich damals sehr abrupt nicht nur die Karriere als Tauchlehrerin beendete, sondern vor allem selbst nicht mehr tauchen wollte: ich hatte einen Unfall. Von diesem Unfall war ich traumatisiert. Bearbeitet habe ich das Trauma nie wirklich, war nur mal danach mit viel Überwindung unter Wasser, doch das Vertrauen blieb aus. Ich wechselte das Hobby und verkaufte meine Ausrüstung bis auf ein paar Einzelstücke, die seitdem im Keller darben. Gestern beobachtete ich die Verantwortliche, wie sie mit den völlig unerfahrenen Frischlingen eine erste Lektion im Pool absolvierte und fand, dass sich Frau Herzbruch mit Nachwuchs dieser Obhut nur unter einem aufmerksamen zusätzlichen Augenpaar - nämlich meinem - ausliefern sollte. So kam es, dass ich mich heute Morgen ohne Frau Herzbruch - da betthütend - dafür aber mit freudig aufgeregtem Nachwuchs nach einer nur dreistündig schlafend verbrachten Nacht auf der Tauchbasis einfand. Was dann passierte, möchte ich aus Gründen nicht en détail hier beschreiben, es war allerdings sehr unangenehm. Kurz gesagt stieg ich völlig retraumatisiert aus dem Wasser, legte meine Ausrüstung ordnungsgemäß ab, wechselte in trockene Kleidung und konzentrierte mich die folgenden dreissig Minuten sehr angestrengt darauf, meine Atmung von Hyperventilation auf normal und damit zeitgleich meinen erhöhten Puls zu regulieren - Tüte war keine zur Hand, ich kann aber ganz gut den Kopf zwischen meine Knie stecken. Im Anschluss weinte ich die nächsten 15 Minuten unkontrolliert, während alle anderen aus dem Wasser kamen, ihre Ausrüstung ablegten und einzeln fragten, ob mit mir alles okay sei. Diese Frage kann ich auch heute Abend noch nicht mit völliger Sicherheit positiv beantworten, ich habe aber vorsofglich schon ein paar Gläser Wein intus und werde mir gleich den dritten Cocktail bestellen. Denn im Club herrscht ausgelasse Stimmung und Ona braucht ab morgen Anschluss an Gleichaltrige. Da sollte ich als seine zweite lesbische Mutter - ja, dieses Spiel haben wir uns ausgedacht und es macht ihm Spaß, das vorzugeben - nicht durch irrationales Verhalten bei den beobachtenden Erziehungsberechtigten Zweifel am Kontakt aufkommen lassen. Das bin ich ihm schuldig.

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Das ist alles sehr spannend, vielen Dank. Und schade, dass mit der Retraumatisierung, klingt überhaupt nicht lustig und war es sicher auch nicht.

(Aber um den Alkohol beneide ich dich.)

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Herr Rau, wir trinken hier für Dich mit. Werd' Du nur schnell gesund.

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Oy. Das liest sich wirklich schlimm.
Wünsche jederzeit eine Hand breit Alkohol unter der Traumatisierung.

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Alkohol hilft gegen alles. Nur nicht gegen Migräne. Heute also großes Leiden. Morgen ist wieder alles gut. Muss ja.

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Beim Tauchen sollen alle wieder hochkommen, aber doch nicht alles! Ich hoffe, Nerven und Gerüst haben sich einigermaßen beruhigen und beduseln lassen. Jetzt aber mal Entspannung!

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Es ging so. Fühlte mich wie die Frikadelle nach dem Fleischwolf. Heute Migräne. Aber wir haben noch zwei volle Tage, in die ich alle Hoffnung lege.

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oh hier wird verreist....! Mir völlig entgangen, habe nicht damit gerechnet, dass die unterstellte nun wieder längere Pause nach der Coronasache, eine nur kurze sein könnte. Das mit dem verlorenen Gepäck ist natürlich ein schlimmes First World Problem, so wie Plisseefalten, ich finde aber trotzdem beides auch sehr schlimm. Drücke mich mit diesem Kommentar übrigens gerade vorm verhassten Packen, ist nur für drei Tage, aber man braucht ja immer ALLES!!!

Eventuell hab ich es überlesen - wundere mich gerade, falls das der erste Gepäckverlust in einem stattlichen Reise-Berufsleben ist.

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Ist es, liebe Gaga, ist es!
Viel Vergnügen.

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Ach, Du auch? Du bist sehr mutig.
Wir sollten mal reden.
Ich kann zwar wieder schwimmen, aber nicht im Meer und nur über Wasser, also oben auf.
Alles Gute.

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Leider. Aber natürlich sollten wir mal reden. Auch gerne über Erfreulicheres. Ich schicke Dir gleich mal 'ne Nachricht.

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