Dienstag, 26. Mai 2020
Tageblog 26.5.20 - Morgens
Weil ich festgestellt habe, dass ich nicht mehr gut zu Fuß bin, drehe ich seit ein paar Wochen morgens eine StundeRunde. Dabei fällt mir in letzter Zeit immer wieder das satte Grün auf, das mich so froh macht.



Auf der Hälfte des Weges belohnt der Blick über die Stadt. Man sieht deutlich mit Brillenunterstützung die Frauentürme rechts, sowie das Riesenrad im Osten der Stadt. Wenn es klar ist, kommen am Horizont die Berge zum Vorschein. Heute aber ist kein Migränefönwind.



Ich variiere meinen Weg immer ein wenig und entdecke so manche Kuriosität. Heute war es ein dicker Bruder, der mich aus dem Schaufenster grüßte.



Seit einem halben Jahr fuhr ich ausschließlich Rad, weil das Laufen so schwer fiel. Fast kommt es mir vor, als seien die Beine dadurch eingerostet. Davor bin ich immer sehr gerne gelaufen, oft stundenlang, Gedanken nachhängend, kontemplativ, die gleichmäßige Bewegung nur an Straßenrändern angehalten. Auf dem Rad braucht es sehr viel mehr Aufmerksamkeit für die Umgebung, für andere Verkehrsteilnehmer oder Passanten. Das riss mich immer aus der Kontinuität, weshalb ich vorwiegend sehr früh morgens durch die Stadt fuhr. Als noch vor wenigen Wochen alles zum Erliegen kam, war auch um sieben Uhr auf den Straßen die Welt noch in Ordnung. Jetzt hat sich schon vieles wieder geändert - maßgeblich der Rückstau vom mittleren Ring.


Bild vom April, noch ohne Stau

Wenn ich heimkomme, nutze ich die Energie für ein wenig Gymnastik aus dem Internet mit so lustigen Namen wie killer abs oder upper body power workout. Yoga und ich konnten leider keine Freundinnen werden aber der Cirque du soleil - vor allem die Luftakrobatin Elisabeth - hat es mir angetan. Natürlich glaube ich, dass ich mit ein paar wenigen Übungsstunden, schätzungsweise also in einer Woche, so muskulös aussehen werde wie sie, die ihre Tage an einem Seil hängend verbringt und nebenbei noch Trainings im Kollegium abhält. Ich muss nur jeden Tag 10 Minuten investieren. Bis jetzt lässt der sichtbare Erfolg noch auf sich warten, zumindest kann ich mich aber so fühlen als ob. Und das ist bekanntlich die Hauptsache. Na, kleiner Killer-Workout-Wettbewerb gefällig? Irgendwann kriege ich dann vielleicht auch wieder die richtigen Liegestützen und Klimmzüge hin, für die ich derzeit bestimmt nur zu schwer bin.

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Dienstag, 19. Mai 2020
Tageblog 19.5.20 - von früher nach heute
Die Sonne hat den Sommer mitgebracht. Noch sind die Temperaturen erträglich. Das Grün der Bäume macht mich glücklich, genauso wie die Blumen, die jetzt überall - auch in meinem Zimmer - blühen.



In diesem Licht wirkt alles nur noch halb so schlimm. Überhaupt habe ich mich langsam durch die Unerträglichkeit mittels Akzeptanz an's Ufer der Gelassenheit gerettet. Mir kommen immer wieder die fünf Trauerphasen in den Sinn. Trauer über etwas Verlorenes - egal ob Mensch oder Situation - die den Weg vom Leugnen, dem Zorn, der Verhandlung, durch die Depression und schließlich zur Akzeptanz findet. Meistens ist der Weg nicht geradlinig, oft führt er rückwärts oder seitlich, eine Abkürzung gibt es allerdings nicht.

Damals, als alles noch offen schien und ich jung, als ich aufstrebende Instrumentalkünstlerin mit großer Existenzangst im Nacken war, da gab es nur wenig altersgemäße Unbeschwertheit, obwohl die Situation nicht unbedingt schwierig war. Zu viele wenn und aber Gedanken, zu viel Nachdenken über Vergangenheit und Zukunft trübten meine Tage ein. Über allem lag ein verdunkelnder Schleier, den ich nicht zu fassen bekam, um ihn zu zerreissen. Ich wusste zu wenig über das Leben, während ich bereits zu vieles darüber ungewollt erfahren hatte. Diese Schwere durchzog nicht nur mein ganzes Dasein, sondern auch mein Wirken. Das Risiko loszulassen war zu groß als es einfach auszuprobieren. So klammerte ich mich an Menschen, Ereignisse und leere Hoffnung; und auch die Töne, die ich erzeugte waren so eng wie der Griff um meinen Hals, durch den sie sich hindurchquälten. Jeder Luftzug ein Kampf gegen das Gewicht auf meinem Brustkorb. Das Risiko aufzugeben, schien erst im Vergleich zum Verlorenen marginal. Wie wenig wusste ich, dass erst das Aufgeben und Loslassen zu der gewünschten Befreiung führte.

Rückwirkend lässt sich Vieles konstruieren aber eben nur linear, weil der Kopf es nicht anders gewohnt ist. Deshalb wehre ich mich gegen das fatalistische 'es hat so kommen müssen' Gewäsch. Wer weiß schon mit Sicherheit, wie die Dinge durch eine andere Abzweigung gekommen wäre. Ganze Drehbücher basieren auf derlei Gedankenspielerei. Das ist es nicht, was ich meine, wenn ich heute erkenne, um wie viel leichter ich atme, weil ich meinen Weg gegangen bin. Meine Töne klingen heute offener, voller und weniger gequält. Der Drang nach Dichte, das Streben nach Perfektion ist dem Zulassen von
Leichtheit und Fehlerhaftigkeit gewichen. Die Notwendigkeit des Messens an anderen statt an mir selbst und die Gnadenlosigkeit meines Urteils wurden durch Güte ersetzt. Heute kann ich nicht nur meine Fehlbarkeit, sondern auch die der anderen akzeptieren. Dazwischen liegt ein langer Weg, ein Trauerprozess, der in einem Stück eingefangen ist, das ich lange nicht hörte oder spielte. Es ist der Klagegesang aus der Welt der Mythen über den Tod von Linos. Jener maß sich in der Schönheit seines Gesangs mit Apollo und wurde von ihm getötet. Das moderne Stück mit dem Titel Chant de Linos war das Paradestück meiner künstlerischen Abschlussprüfung - sozusagen meine Promotion. Ich liebte es, weil Jolivet - der Komponist - damit alle Arten von Trauer darstellt und ich mich darin wiederfand.

Heute entdeckte ich es in der Einspielung eines damaligen Kommilitonen auf YT. Das Stück ist für ungeübte Ohren nicht besonders eingänglich, der Kommilitone aber inzwischen in Musikerkreisen weltberühmt. Und ich hätte zwar die ein oder andere Passage anders gespielt, kann seine Leistung aber neidlos würdigen. Das war nicht immer so.

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Mittwoch, 6. Mai 2020
Tageblog 6.5.2020 - volle Kraft zurück
Wenn der Tag mit frühem Aufstehen, sich zum Sport fertig machen, Tasse Tee und dann wieder in's Bett gehen beginnt, dann weiß ich auch nicht. Nicht nur die ganze Energie, auch die Freude, die Hoffnung, der Mut, der Tatendrang, alles weg. Meine Vermutung verstärkt sich, dass es noch sehr lange so gehen wird - mindestens bis nach der Rente. Meine selbstgelegten Termine und Aufgaben dünnen langsam aus. Der Rehasport hat mich bislang noch ganz gut bei der Stange gehalten, denn der bedeutet frühes Aufstehen, dann strammes Radeln zum Rehazentrum, dort anderthalb Stunden Übungen inklusive Balance und Dehnen, danach zwanzig Minuten Heimradeln. Der Rest des Tages hielt ein Gefühl von etwas getan zu haben an, obwohl danach nicht mehr viel passierte. Jetzt habe ich nur noch drei Termine bis das bewilligte Kontingent erschöpft ist. Gerade fühle ich mich aber alles andere als diszipliniert und habe große Mühe, mich im heimischen Rahmen bei der Stange zu halten.

Noch nie sehnte ich mich so sehr nach externen Aufgaben wie derzeit. Ich vermisse meinen Job, unterwegs sein, in fremde Kulturen eintauchen, der Austausch mit KollegInnen und Passagieren, die Unregelmäßigkeit, Tag- und Nachtgleiche - also der verwirrte Zustand im Körper, wenn ich ihm durch Tätigkeit oder Sonnenlicht Tag vorgaukle, innerlich aber alle Uhren auf Nacht stehen. Ich vermisse auch anderes, beispielsweise echte Begegnungen mit Menschen, Begegnungen, die nicht nur die Oberfläche ankratzen, sondern ein Austausch mit Einblick in die nicht so schönen Ecken drunter. Doch hier beobachte ich einen seltsamen Widerspruch. Je mehr ich Begegnungen vermisse, umso stärker ziehe ich mich zurück.

Meinen Alltag zu beschreiben braucht nur wenige Worte: ausgedünnt, langsam und zurückgezogen. Ich beobachte, wie mich Menschen schnell aggressiv werden lassen, wie ich sie vermeide, indem ich nur sehr früh einkaufen gehe oder draussen Sport treibe. Es gibt Freunde, die ich kontaktieren könnte. Gleichzeitig fällt es mir immer schwerer, dies in die Tat umzusetzen. Und dann ist da die Erinnerung an eine sehr dunkle und schwierige Zeit, die Panik in mir hochsteigen lässt. Ich erahne dieses Gespenst vor der Türe, das sich durch den offenen Spalt drängt. Das Dumme daran ist, die Türe befindet sich in mir zwischen Bewusstsein und Unterbewusstem. Sie steht vor allem im Schlaf und frühmorgens schon mal weit offen. Am Tag sperre ich sie ab und schaue nur durch das Guckloch wenn es wieder mal klingelt. Was soll ich also den Menschen erzählen, wenn sie mich fragen. Von Geistern, die hinter verschlossener Türe ihr Unwesen treiben? Nein, mir geht es natürlich gut, ich habe ja alles, was ich brauche. Nur einen Tagesablauf, den habe ich nicht - eher einen Zeittotlauf.

Der Widerspruch beginnt seltsamerweise bei den schönen Erlebnissen. Gestern beispielsweise habe ich mit einer Freundin, die professionelle Pianistin ist, eine weit zurückliegende Erinnerung aufgefrischt. Wir spielten die Prokoffiew Sonate, erst mal nur zum Antesten und sehen, woran jeder für sich noch arbeiten muss. Nach zwei, drei Wochen regelmäßigem Üben war das Gefühl des Fliegens beim Spielen wieder da, gleichzeitig aber auch die Angst vor dem Absturz. Ich war nie der intrinsische Typ, hatte zwar Spaß am Musizieren, das ziellose Üben alleine erzeugte aber in mir keine Freude. So ist das mit vielen schönen Erlebnissen, bei denen mir hinterher das Fehlen so viel schmerzlicher bewusst wird, als es mir vorher ist.

Ein schönes Erlebnis ist nur so schön, weil es nicht ständig da ist, sagte meine Oma mal zu mir. Darüber musste ich nachdenken und begriff, wie Süchte entstehen. Meine Mutter hingegen war Meisterin im Vermeiden, denn wer sich freut, kann auch enttäuscht werden. Ich fand das keine akzeptable Lösung. Etwas zwischen überhaupt nicht zulassen und ständig suchen musste doch möglich sein. In der Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen stieß ich auf einen Ansatz, der aus dem Buddhistischen stammt. Man lässt die Gefühle zu, vermeidet nichts - auch nicht durch Ablenkung - und beobachtet sie, ohne sich zu sehr daran aufzuarbeiten. Der Vergleich von Gefühlen mit Wolken und Wetter gefiel mir. Wir können nur an unserer Einstellung dazu etwas ändern, was aber den Wolken und dem Wetter ziemlich egal ist. Also habe ich mir die richtige Kleidung für meine Seele besorgt, um bei Regen nicht allzu nass zu werden. Schutzkleidung. Da fängt der Vergleich zwischen Einstellung und Kleidung an zu schwächeln, denn irgendwann ist auch die beste Regenjacke durch.

Dieses lähmende Gefühl geht inzwischen bis auf die Knochen, schwer aushaltbar und nicht zu verändern. Jetzt hilft auch kein gelegentliches Telefonat oder andere Ablenkung mehr. Es ist einfach da, färbt auf alles ab was ich mache und scheint so endlos wie für ein Kind die Zeit bis zu den nächsten Ferien. Gespräche verpuffen, die Sehnsucht bleibt, wird groß, übermächtig. Manchmal weine ich, manchmal schließe ich die Augen und stelle mir eine Begebenheit vor, in der ich mich sicher und geborgen fühle. Das funktioniert ganz gut. Dann schlafe ich ein. Wenn ich wach werde, ist entweder der Tag noch nicht vorbei oder hat noch nicht begonnen. In diesen Momenten bezweifle ich, dass es jemals anders sein wird. Im Grunde war es immer so, nur habe ich mich besser ablenken können. So verbringe ich ganze Tage ungeduscht, zwischen Küche und Bett. Irgendwann werde ich zu essen aufhören - einkaufen, anrichten, alles zu viel Umstand.

Vor zwei Wochen begannen ein Internetfreund und ich eine Übung. Jeder schreibt morgens drei vorherrschende Gefühle auf, unkommentiert und ohne Beurteilung. Ich hoffte auf eine Regelmäßigkeit, an der ich mich festhalten kann. Manchmal bin ich überrascht von einem positiven Gefühl, bezweifle aber sofort seine Nachhaltigkeit. So entdeckte ich, dass Gefühle im Grunde nicht so vielfältig sind, wie immer angenommen. Nur die Interpretation ist es. Der Körper schüttet Adrenalin in gewissen Dosen aus und wir empfinden dabei ein Unwohlsein, mal stärker, mal schwächer. Der Kopf findet dafür in der Erinnerung sofort eine Ähnlichkeit und attribuiert. Eigentlich bin ich also gar nicht hoffnungsvoll oder verzweifelt, sondern nur mal mehr und mal weniger auf der Flucht. Kürzlich las ich von einem vierten Zustand neben Fight, Flight und Freeze. Er heißt Fawn, übersetzt bedeutet das sowas wie herumschwänzeln oder hofieren, auch katzbuckeln. Ich finde mich dabei wieder, meine dunklen Gedanken zu hofieren, damit sie mich nicht wie ein Raubtier attackieren. Auch ein Ablenkungsmanöver, genau wie zu arbeiten oder telefonieren oder essen oder schlafen oder alles andere, das im Grunde nur vergehende Zeit erträglich werden lassen soll.

Irgendwo habe ich diesen Titel gelesen: Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss. Damals befürchtete ich, die Aussage träfe zu. Heute empfinde ich es als anstrengend, den Fluss am Laufen zu halten, denn ohne mein Zutun bewegt sich die Kloake nicht. Das gilt nicht nur für derzeitige Krisenzeiten, in denen alle glauben, wenn nur wieder alles zur früheren Betriebsamkeit zurückfände, würde es ihnen besser gehen. Ich befürchte heute, das ist anhaltend allgemeingültig. Und so erschrecke ich vor jedem Anflug von Traurigkeit oder Überforderung, denn das könnte bedeuten, ich werde wieder auf Null zurückkatapultiert an einen Punkt, als alles noch viel aussichtsloser war. Lösung habe ich dafür auch keine. Eines ist jedoch sicher: morgen gehe ich nochmal zum Rehasport, ganz früh, ganz aufgedreht, und danach genieße ich die Genugtuung, wenigstens ein bisschen was geleistet zu haben.

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Donnerstag, 30. April 2020
Tageblog 30.4.20 - Blumenkonglomerat
Heute unter der Rubrik erste Male einen Blumenstrauß zusammengestellt. Oder wie nennt man die Kombination diverser Blüten- und Grünstengel? Ikebana ist es nicht, denn das erfordert sehr viel Geschick und vor allem Kontemplation. Was ich gemacht habe, war alles andere als kontemplativ oder geschickt. Anlass hierzu war ein Notfall der besonderen Art. Und weil außergewöhnliche Umstände auch außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, ging ich kurzerhand Blumen besorgen. Wie schwer kann es schon sein, einen Strauß selbst zu fertigen? Die Antwort kann ich hier schon mal verraten: der Schwierigkeitsgrad hängt maßgeblich von der Anspruchshaltung der Erstellenden in Bezug auf das Ergebnis ab. Im Klartext heißt das schwer - oder zumindest schwieriger als vermutet.

Man braucht ein paar verschiedenfarbige Blumen, etwas Füllmaterial und ein bisschen grün für den Rand, das die Blüten stützt, zudem ein gutes Augenmaß, Geschmack und ein Gefühl für Pflanzen. Die Blumen waren schnell besorgt, ebenso das Füllmaterial. Geschmack und Augenmaß traue ich mir zu, nur das Gefühl für Pflanzen scheint ein bisschen zu fehlen. Kennen Sie das, wenn man etwas auf eine ähnliche Länge kürzt und während des Prozesses merkt, man hat zu viel abgeschnitten? Bei Blumen bestimmen Blattansätze und Verästelung die Länge. Die Blätter machen das Wasser faulig, folglich reißt man sie entweder ab oder kürzt den Stil darüber. Ich habe mich nach eingehender Betrachtung für die Variante 'wie die Natur sie hat wachsen lassen' entschieden, denn alles andere war mir zu riskant.

Bei Floristikangestellten sieht das Binden eines Straußes sehr leicht aus. Eine Hand hält die Stengel, während neue Stiele von allen Seiten ergänzt werden. Danach wird unten auf gleiche Länge gekürzt. So hatte ich einen wilden Ballen in der Hand, die Blüten nach allen Seiten geneigt und das Grün kreuz und quer. Obwohl ich gelb und rot abwechselnd ergänzte, schienen sich gleiche Farben nach dem Ablegen eigenwillig anzunähern. Mit einem Seufzen band ich die Stiele zusammen, denn die Empfängerin würde sicher selbst für das Arrangement sorgen wollen. Spätestens wenn die Tulpen nachwachsen, sind die anderen Blüten zu kurz, weshalb ich nur die Tulpen kürzte. Das Ergebnis sehen Sie hier
(und nein, ich möchte keine Krautkommentare hören!)



Das Gefühl hinterher hat was von selbstgetöpfert - man fertigt was an, das nicht richtig toll gelingt aber andere trotzdem mit dem Ergebnis beglückt. Auch in der Produktion wenig Kontemplation und mehr Konglomerat. Andererseits ist das wilde Ding vergänglich. Falls Sie also demnächst etwas selbst fertigen und es nicht gut gelingt, machen Sie den Banksy bevor es andere tun. Oder schenken Sie Pralinen. Pralinen gehen immer, und die verschwinden ganz schnell von alleine (vermutlich Verdampfung).

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Montag, 20. April 2020
Tageblog 20.4.2020 - In meinem Körper wohnen
Da ist eine Sache, über die ich schon ein paar Tage schreiben will und es dann immer wieder verwerfe, weil es trivial klingt, weil es Jammern auf hohem Niveau ist, weil ich es nicht so ganz zu fassen kriege. Wenn ich Empfindungen oder Ahnungen in Sätze packe, bin ich die Gedanken erst mal los oder habe eine solide Basis, um weiter darauf rumzudenken und Schlüsse zu ziehen. Das funktioniert auch im Gespräch, bei dem sich Gedanken entwickeln, doch braucht das einen guten Zuhörer, damit er/sie mich daran erinnert, was ich zuvor von mir gegeben habe.

In meiner Welt spielt Bewegung eine große Rolle. Nicht nur, um mich meiner überschüssigen Energie zu entledigen, sondern vor allem, um dabei meinen Körper zu spüren. Natürlich kann auch im Ruhezustand gespürt werden - der Stoff auf der Haut, ein Windhauch, die Berührung des Bodens oder einer Auflagefläche, Wärme oder Kälte und vor allem Schmerzen. Wenn ich allerdings meine Muskulatur aktiviere, die Arme hebe, die Beine anspanne, die Zehen strecke, den Rumpf drehe oder den Kopf kippe, gewinnt der Körper eine Relation zum Raum, die sich in zeitlich schnellerer Abfolge ändert als im Ruhen. Aus diesem Gefühl ziehe ich etwas Befriedigendes. Andere offenbar auch, denn sonst hätten sie keine Freude am Tanzen, Hüpfen oder Gleiten, wie es bei Rollfortbewegung der Fall ist. Ja noch mehr, ich empfinde ein regelrechtes Bedürfnis nach schnellen Abfolgen von Positionsveränderung, die allerdings abwechslungsreich sein sollten. Laufen und Schwimmen haben ihre Berechtigung, so sehr wie Tanzen hat mich eine sich wiederholende Bewegungsabfolge zu ihrem Selbstzweck aber nie gereizt. Wenn die Bewegung allerdings einem übergeordneten Zweck dient, wenn dabei eine Choreographie, ein Spiel oder ein Klang entsteht, dann wird die Bewegung zur Erfüllung meines Bedürfnisses. Radfahren ist dabei eine Ausnahme, da die Bewegung sich rhythmisch wiederholt, ich aber währenddessen andere Eindrücke sammle (Ortsveränderung, Wind, visuelle Reize).

Mein Körper war verletzungsbedingt bewegungseingeschränkt, was muskuläre Veränderungen zur Folge hatte. Weniger Leistungsfähigkeit, weniger Beweglichkeit und einhergehend auch Gewichtszunahme - zugegeben kommt das natürlich auch vom Frustessen. Die Schuhe habe ich immer mit durchgestreckten Beinen zugebunden, diverse Sitzpositionen auf dem Boden, die für andere schon sehr herausfordernd waren, bezeichnete ich als bequem. Das kommt alles wieder, habe ich mich getröstet. Aber was wenn nicht? Auch mein Älterwerden verändert den Körper nicht unwesentlich. Dabei spielt es in meiner Wahrnehmung keine Rolle, ob ich mehr Falten oder Dellen sehe und auf welcher Höhe sich Hintern und Brüste befinden. Wenn ich allerdings mehrfach am Tag Hitze- gefolgt von Kältewellen erlebe, wenn Mund, Augen und Haut extrem trocken und die Kilos bei bestimmten Bewegungen im Weg sind, dann ist das schon beeinträchtigend. Mein Körper fühlt sich einfach nicht mehr wie mein Körper an.

Dieses Fremdheitsgefühl begleitet mich nun schon seit fast einem Jahr. Ich kann nicht abschätzen, ob sich dieser Zustand durch mentale Adaptierung positiv beeinflussen ließe, weil ich noch zu sehr an einem Vorher-Nachher Status festhalte. Das Streben nach Bekanntem, das als Normalität definiert wird, dürften die Meisten gerade in der jetzigen Zeit erleben. Noch üblicher ist es bei Hochleistenden, die ein Ideal anstreben, das über ihre definierte Normalität hinausgeht. Wenn mein Körper im sportlichen oder künstlerischen Bereich Höchstleistungen vollbracht hat, ist es sehr schwer, sich an weniger zu gewöhnen. Und wo wir schon bei Gefühlen sind: die Hormone spielen im Gefühlshaushalt natürlich keine unwesentliche Rolle. Dass die gerade in mir drin Samba tanzen, ist auch nicht überraschend (Sie kennen noch diesen uralten Schlager von Tony Holiday?)

Mal abgesehen von den verletzungsbedingten Einschränkungen bedeutet Älterwerden schlichtweg Leistungsreduzierung. Die Frage, die sich mir stellt, ist, ob ich mich anpassen kann, mich irgendwann wieder wie ich selbst fühlen werde und wie ich das anstelle. Das wär' mir echt wichtig, weil anders mag ich nicht.

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Freitag, 17. April 2020
Tageblog 17.4.2020 - Work of Art
Everyday is like a blank canvas...

Der heutige Tag wird von mir zur Abwechslung mal von hinten aufgerollt. Am Abend musste ich raus, weil ich fast den ganzen Tag im Liegen verbrachte - der Rücken halt. Auf meinem kleinen Spaziergang kam ich an einer Aussengalerie vorbei.



Sowas hatte ich zum ersten Mal in Sankt Petersburg an den Häuserwänden gesehen, die zur Eremitage führten.
Große Gemälde in schweren Rahmen hingen da entlang des Kanals. Damals wunderte ich mich, heute fand ich die Idee nett, weil sie von einem Künstler stammen, der sein Atelier im Hinterhof hat und auf dem Autodach ebenfalls ein großes Werbebild spazierenfährt.
Bei meiner Heimkehr fischte ich eine Postkarte mit einem Original aus dem Briefkasten.


Wenn wir uns wiedersehen, haben wir prickelnde Getränke vor uns stehen steht am Ende der Botschaft auf der Rückseite.

Erst dachte ich, das sei ein Weinglas, ein sogenannter Römer mit einem grünen Stiel, zumal die gedichtete Zeile darunter ebenfalls auf ein Getränk hinzuweisen schien. Doch dann fiel mir auf, dass es sich um einen Baum handeln muss. Kürzlich hatte die Künstlerin ihr Interesse für Bäume in der bildenden Kunst geäussert. Jedenfalls besitze ich jetzt eine echte Nielsen und freue mich über den Postkartengruß.

Ansonsten war der Tag sehr zäh. Ich mache mir viel Gedanken um dies und jenes. Eine große Rolle spielt darin neben körperlichen Beobachtungen mein Gefühlshaushalt. Der scheint etwas aus dem Lot zu sein oder besser gesagt im Minus. Dazu aber ein andermal mehr. Durch die Rückensituation waren alle Sport- und Bewegungspläne erst einmal gestrichen. Ich tat mich schwer mit dem Binden der Schuhe und Haltungsänderungen. Auch der Tennisball, auf dem ich mich am Boden herumrollte, brachte keine Besserung. Während ich gestern noch Muskelkater vermutete, wird die Wahrscheinlichkeit eines Hexenschusses immer größer. Ist ja nicht so, als sei ich seit langer Zeit von Schmerzen verschont gewesen. Zumindest das Körperteil ist ein anderes. Die Verspannung im Rücken ist durch die Beinsache auch schon lange latent da, den letzten Kick hat er durch die gestrige Umzugshilfe bekommen.

Und weil wir schon bei Schlimmem angelangt sind, hier ein schöner Satz von Frau Novemberregen, die auf Twitter jeden Tag fragt, was alle gemacht haben und ein bisschen Sorge wegen schlimmer Antworten hatte:...und dass es immer besser ist, das Schlimme zu benennen, als es nur zu erahnen.
In diesem Sinne lege ich mich jetzt wieder hin und hoffe auf Besserung.

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Donnerstag, 16. April 2020
Tageblog 16.4.2020 - Blue

Erinnern Sie sich noch an diesen Film von Luc Besson aus dem Jahre 1988? Ich war mindestens fünf Mal über mehrere Jahre verteilt im Kino, um ihn zu sehen. Natürlich immer in Begleitung des aktuell Angebeteten. Damals war es der schönste, atmosphärischste und lustigste Film, den ich mir in meinem hormonell durchtränkten Kopf vorstellen konnte. Nüchtern betrachtet ist die Geschichte romantisierter und frauenverachtender Kitsch. Trotzdem finde ich den Film heute wegen seiner Bilder und der Musik immer noch schön. Fasziniert hat mich vor allem die zugrundeliegende Biographie des Freitauchers Jacques Mayol, die mit sehr viel künstlerischer Freiheit und auch Unwahrheiten dargestellt wurde. Jetzt fand ich einen Film auf Arte, der dem Leben des echten Jacques nachgeht. Grosse Empfehlung meinerseits für Jacques Mayol, Dolphin Man
(Edit: ich sehe gerade, dass der Film nicht mehr in der Mediathek zur Verfügung steht. Hmpf. Hier also ein kurzer Trailer)

Sehr interessant fand ich vor allem, dass die Freitaucherei - Apnoetauchen - auf die japanische Tradition der Ama-Taucherinnen zurückgeht. Im Artikel heißt es: "Historically, women were considered fit to be ama because their higher fat content would help them endure the near-freezing temperatures of seawater that they had to dive in." Und diese Aussage freut mich besonders, wo sonst - und vor allem früher - doch oft die Männer als den Frauen körperlich überlegen bezeichnet wurden. Kommt eben immer auf den Kontext an.

Jedenfalls war dieser Jacques Mayol einerseits eine faszinierende, andererseits eine tragische Gestalt. Seine große Errungenschaft waren die Tieftauchrekorde, die man nicht für menschlich möglich hielt. Getrieben durch die Sehnsucht, sich mit dem Element zu verbinden und überzeugt, den Meeressäugern ähnlich zu sein, basierte sein ganzes Leben auf der Verwirklichung seines Traumes: sich einmal für lange Zeit wie ein Delphin im Wasser zu bewegen. In dieser Manier setzte er auch seinem Leben ein Ende, in den Tiefen des Meeres verschwindend. Die Tragik war die eines Getriebenen, der Frau und Kinder zurückließ, dann die Liebe seines Lebens sterbend im Arm haltend und fortan sein restliches Leben die innere Einsamkeit nie überwindend.

Ich mag ja Menschen, die ihre Träume mit Begeisterung und Leidenschaft verfolgen, die keine Grenzen akzeptieren und sie dadurch verschieben. Und ich mag das Meer. Als ich noch tauchte, habe ich diesen unglaublich niedrigen Ruhepuls und die meditative Stille in der Tiefe sehr genossen, wie in einem alten Beitrag beschrieben. Was mir inzwischen fremd anmutet, ist diese Besessenheit, mit der Leben und Gesundheit für einen übergeordneten Zweck riskiert wird. Ich kenne dieses Gefühl, alles auf eine Karte zu setzen, koste es was es wolle. Möglicherweise bin ich aber jetzt zu alt oder psychisch zu heil, um noch einmal so erleben zu wollen.

***

Ansonsten sind die Tage zäh. Ich muss mich seit kurzem innerlich sehr aufraffen, um nicht in dieses Blue Hole zu versinken. Zu viele Gedanken kreisen da in meinem Kopf. Das Gefühl der Nutzlosigkeit bringt mich dazu, auf Seiten für ehrenamtliche Tätigkeiten zu stöbern und mir neue Beschäftigungen auszudenken. Heute half ich bei einem Umzug im Haus. Kisten kann man auch mit Abstand schleppen. Dafür schmerzt jetzt der untere Rücken. Vermutlich brauchte ich einen triftigen Grund, um morgen einfach liegenzubleiben.

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Freitag, 10. April 2020
Tageblog 10.4.2020 - Musik-Gedenken
Zum heutigen Karfreitag passt eine meiner Lieblingsaufnahmen aus Bachs Matthäuspassion, gesungen von Julia Hamari. Karl Richter dirigierte das Münchner Bachorchester und Otto Büchner spielt Violine. Die letzteren beiden sind bereits verstorben, wie auch sonst viele große Künstler aus dieser Zeit.



Es gibt eine Dokumentation über Karl Richter aus dem Jahre 2005 "Karl Richter in München - Zeitzeugen erinnern sich (1951-1981)", die in Teilen auf YT zu sehen ist. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich alt werde, denn mit dem Älterwerden entsteht automatisch auch eine gewisse Nostalgie um die Vergangenheit. Jedenfalls waren die damaligen Aufführungen von einer solchen Kraft, die ich heute kaum noch erlebe. Ja, gelegentlich gibt es diese denkwürdigen Momente noch. Eine Aufführung der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle mit dem Sacre von Strawinsky, ein Instrumentalsolist hier oder da, insgesamt sind die Aufnahmen aber sehr spährlich gesät. Vielleicht liegt es an der allgemeinen Spezialisierung. Während jungen Musikern früher noch Rundumwissen beigebracht wurde, zählen heute nur noch die absolvierten Übungsstunden am Instrument. Das sind keine guten Voraussetzungen für intelligente Darbietungen klassischer Musik. Natürlich ändert sich der Hörgeschmack mit den Jahren, doch die alte, notierte Musik sollte doch zumindest werkgetreu wiedergegeben werden. Wenn Beethoven irgendwo ein bestimmtes Zeichen schrieb, wird das von verantwortungsvollen Interpreten auch hörbar gemacht. Die anderen spielen halt so, dass ihre Darbietung beim Publikum einen Eindruck hinterlässt.

Würden wir Kompositionen mit Bildern vergleichen, sähen wir den Unterschied zwischen einer Kopie und dem Original deutlicher. So aber gewöhnt sich das Ohr an den Mist, der halt in Dauerschleife läuft und hält es für das Werk des Komponisten, wo in Wirklichkeit nicht Beethoven, sondern Lang Lang oder Levitt abgebildet ist. Ich möchte die Errungenschaften der Künstler damit nicht schmälern, sondern einzig an die Konsumierenden appellieren, etwas genauer hinzusehen, und natürlich an das Verantwortungsbewusstsein der Musikschaffenden. Denn wie soll ein Laie zwischen Kunst und Kitsch unterscheiden können, wenn er den Maßstab, das Original nicht gesehen hat?

Sagen wir mal so: wenn ich mir eine Aufnahme von einem Interpreten anhöre, der den Markt jedes Jahr mit zig Produktionen überschwemmt oder einer recht selbstdarstellerisch agiert, liegt die Folgerung sehr nahe, dass es sich hierbei nicht gerade um authentische Aufnahmen handelt. Karajan war übrigens auch so einer, während sich beispielsweise Celibidache sehr kritisch zur Tonaufnahme verhielt. Wirklich hören kann man es durch Interpretationsvergleiche desselben Stückes. Manchmal findet da ein Stück einfach den Zugang zum Herzen und berührt etwas, das im Innersten mitschwingt. So eine Aufnahme ist oben zu hören. So denke ich an die vielen Künstler der aussterbenden Generation, die meine Hörästhetik prägten und bin dankbar und gleichzeitig wehmütig. So viele Namen, die bereits verstorben sind und solche, die aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr spielen. Manchmal lohnt es sich, nach diesen Kleinoden zu suchen.

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Freitag, 3. April 2020
Tageblog 3.4.2020 - Coronicles
Eine Frau steht am Supermarkt an der Kasse. Sie lässt das Wechselgeld fallen, sucht, hebt es auf. Ich deute auf ein 5 cent Stück, das noch am Boden liegt und sage, da liegt noch was. Sie guckt, sagt, das gehöre nicht ihr und geht. Der Sicherheitsmann hebt es auf und reicht es der Kassiererin.
Ein Mann steht sehr breit im Gang vor dem Fleischkühlregal. Ein anderer genauso breit vor den Backwaren. Ich warte geduldig, bis sie ihre Auswahl getroffen haben und passiere anschließend. Als ich die Breze herausfische, stößt der Arm einer Frau an meinen. Sie wolle ja nur kurz und macht unbeirrt weiter. Ich bin irritiert. An der Kasse achtet man dennoch auf den größtmöglichen Abstand.

Ich beobachte Menschen, die auf die Straße spucken. Das habe ich bisher nur in China gesehen. Dort schnäuzt man nicht, sondern zieht den Rotz nach innen oder entledigt sich in die andere Richtung. Das ist dort einfach so. Bei uns ist das wohl jetzt auch so.
Es sitzen jetzt viel mehr Menschen mit Masken in der U-Bahn. Manche ziehen sich einfach den Schal bis über die Nase, andere halten sich Tücher vor den Mund. Auch das kenne ich vorwiegend aus Asien. Die ohne Mundschutz sind dort Touristen. Hierzulande sind die Informationen, was Mundschutz angeht, widersprüchlich. Auf Parkbänken werden Alleinsitzende nur geduldet, wenn sie sich kurz ausruhen oder von Polizeipatrouillen nach längerem Verweilen aufgescheucht. Ein Mann isst seine Breze vor der Bäckerei in der Sonne stehend. Zwei Frauen halten hinter dem Zebrastreifen ein Abstandsschwätzchen. Mir fällt die fehlende Normalität auf.

Ich bin keine groß Spazierengehende. Draussen bewege ich mich vorwiegend mit dem Rad zu sportlichen Zwecken. Eine innere Anspannung aufgrund der derzeitigen Situation kann ich dennoch nicht leugnen. Wenn ich rausgehe, muss ich mich jedes Mal auf die Umstände feinjustieren. Es ist mir nicht mehr bewusst, dass ich anderen Menschen nicht nahe kommen sollte. Vielleicht handelt es sich hier um einen Verdrängungsmechanismus, vielleicht ist es aber auch nur die einsetzende Gewöhnung. Noch vermisse ich nichts in meinem Alltag. Gearbeitet habe ich schon so lange nicht mehr, dass mir auch das nicht fehlt. Irgendwann habe ich mich daran erinnert, dass ich nun das dritte Mal im Abstand von 6, 7 Jahren krankheitsbedingt für ein paar Monate freigestellt war. Das sind die Monate, in denen ich plötzlich wieder schlafe und auch sonst eine unbekannte Regelmäßigkeit in mein Leben einkehrt. Danach bin ich immer mit viel Dankbarkeit in den Arbeitsalltag zurückgekehrt. Dankbarkeit für die Sorglosigkeit, mit der ich aus- und wieder einsteigen konnte.

Es ist in diesen Tagen nicht alles leicht. Mich plagt eine Sache, die mich schon sehr lange begleitet. Es sind die Auswirkungen einer psychischen Störung, die für viele nicht nachvollziehbar ist. Während nämlich in der Öffentlichkeit langsam eine Sensibilisierung für Depressionen und Angststörungen stattfindet, sind andere Bezeichnungen nur für die geläufig, die damit direkt konfrontiert werden. Ich habe oft gehört, dass sich eine Diagnose auf Betroffene positiv auswirke. Sie sind erleichtert, können ihr Verhalten endlich einordnen und möglicherweise auch etwas dagegen tun. Ich empfinde das anders, fühle mich gebrandmarkt und zu unrecht verurteilt. Es erinnert mich an die Zeit meines Wechsels vom Musikerdasein zum Fliegen. Meine Antwort auf die Frage von Neubekanntschaften, was ich mache, löste in mir immer großes Unbehagen aus. In meinem Kopf argumentierte ich schon gegen Klischees und Vorurteile, noch bevor die Bezeichnung ausgesprochen und ich damit im Denken meines Gegenübers attribuiert war.

Zum Glück gibt es Menschen, mit denen ich darüber sprechen kann - genauer gesagt gibt es einen Menschen, mit dem ich bisher gesprochen habe. Das genügt aber, um mich in der Verwirrung zu sortieren und neu auszurichten. Ich stecke nicht völlig hilflos mittendrin, sondern gehe schon so lange mit den Auswirkungen um, dass ich Handlungsstrategien entwickelt habe. Trotzdem trifft mich die Wucht der Emotionen genauso heftig wie immer. Da gibt es keine andere Strategie als Aushalten, Durchhalten und Abwarten.



Ich kenne den Urheber des Bildes nicht, wünsche mir aber Bären, die nicht nach einer halben Stunde gehen oder nicht erreichbar sind, wenn es ganz schlimm ist. Natürlich muss da nicht immer ein Bär sein, denn Ziel der Übung ist es, alleine aushalten zu können. Die Idee von Bären, denen der Hase keine Angst macht, ist trotzdem schön. Wünsche sind der Antrieb, der uns weitergehen lässt.

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Dienstag, 31. März 2020
Tageblog 30.3.2020 - WTF
Die Briten wieder. Beste passiv-aggressive Maßnahme im Sinne des Ausgangsverbotes:



Und das war dann das einzig Witzige heute. Weil die Seele sich gerade verdunkelt hat. Weil da ganz viel heute aufgebrochen ist. Weil das sehr unerwartet kam. Weil das nichts mit der aktuellen Situation draussen und alles in mir drin zu tun hat (mehr als andeuten geht nicht). Jedenfalls reichte es, um die Aussenwelt komplett auszublocken. Also Vorhänge zu, Handy aus und die Bettdecke über den Kopf. Morgen geht es sicherlich wieder. Anders. Manchmal wünschte ich, es gäbe diesen Knopf, mit dem man punktuelles Vergessen aktiviert. Vielleicht mit einem begleitenden Blockflötenglissando à la Raumschiff Enterprise.

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