Mittwoch, 11. April 2007
Big in Japan (2)
Auf der Suche nach den Glücksutensilien mache ich mich morgens auf den Weg zum Tempel. Am Bahnhof wartet die erste Hürde in Form des Fahrkartenautomaten. Ich weiß, ich muss zur Station Asakusa und auf dem Weg in der U-Bahn zweimal umsteigen, was mir angesichts der japanischen Beschriftung des Bahnnetzes jedoch wenig nützt. Der Automat zeigt verschiedene Fahrpreise in arabischen Lettern an und die Regel lautet: wenn du den korrekten Fahrpreis nicht kennst, löse das billigste Ticket. Nachzahlungen sind an der nächsten Station kein Problem. Nachdem ich also das billigste Ticket erworben habe, will ich die Schranke am Eingang passieren, doch weiß ich nicht, in welchen Schlitz ich es stecken soll, zumal in englischsprachigen Nahverkehrsbroschüren eindrücklich vor dem Verlust der Fahrkarte gewarnt wird. Wenn ich sie also in irgendeine Öffnung stecke und sie nicht mehr herauskommt, habe ich verloren. Keiner der Beamten am Nachzahlschalter spricht englisch, doch ist einer so freundlich, seine Glasbehausung zu verlassen, um das Ticket der doofen Touristin in die richtige Öffnung einzuführen. Während ich auf den Zug warte, zähle ich die Stationen bis zum ersten Wechsel. Es sind genau 11. Meistens steht der Name der jeweiligen Station auch auf englisch ausgeschrieben, doch sicher ist sicher.

Als ich mich im Zug setzen will, stoße ich mit dem Kopf an die herabhängenden Haltegriffe. Auf dem Hinflug meinte mein ca. 1.60 großer Kollege, er sei gerne in Japan, weil er sich da endlich mal richtig groß fühlen könne. Ich bin überrascht, wie leer der Zug ist, kennt man doch die Berichte von Bahnbeamten, die Menschentrauben zusammenquetschen, damit sich die Türen schließen können. Auf der Fahrt sehe ich einen Park mit blühenden Kirschbäumen. Selbst die Japanerin, die mir gegenüber sitzt, dreht sich um, um den Anblick zu bestaunen. In zartem rosa und weiß heben sich die Blüten gegen die triste Industrielandschaft ab. In einem Seminar sagte einst die Dozentin, wolle man sich dieser fremdartigen Kultur mit all ihren Diskrepanzen zur Neuzeit nähern, so könne man dies am Besten über die Ästhetik. So langsam begreife ich, was sie damit meinte. Kirschbäume - auch blühende - habe ich in meinem Leben viele gesehen, doch niemals in solcher Fragilität. Hier werden sie liebevoll gestutzt, getrimmt und in Form gebracht, wie man es mit allen Pflanzen macht. Man erinnere sich nur an die aufwendige Bonsaipflege und die Kunst des Ikebana.

Je näher ich meiner endgültigen Destination komme, umso bunter mischen sich ausländische Fahrgäste mit Einheimischen. Viele japanische Frauen tragen Kimonos. Es ist Samstag und die Straßen jetzt schon ziemlich voll. Japanische Trachten wie Dirndl zur Oktoberfestzeit soweit das Auge reicht. Um zum Tempel zu gelangen muss man sich durch eine enge Gasse zwängen, die von Ramschläden und Imbißbuden gesäumt wird. Selbst auf der linken Seite komme ich nur schleichend voran. Schließlich erreiche ich das Ende der Budengasse. In einem großen Trog qualmen bündelweise Räucherstäbchen. Die Menschen drumherum fächeln sich den Rauch zu oder schöpfen ihn wie Wasser mit den hohlen Händen über ihre Köpfe. Rechts und links kleine Holzkästen, aus denen sie Omikujis ziehen. Die Trommeln, in denen sich Stäbe mit den entsprechenden Nummern befinden werden pausenlos geschüttelt. Da ich wohl hier niemanden ausfindig machen werde, der mir mein Omikuji übersetzen könnte, verzichte ich lieber. Wer will schon ein schlechtes Orakel aus Nichtwissen ständig mit sich führen.

Das Omamori hingegen muss ich unbedingt haben, es soll ja ein Mitbringsel zum Geburtstag werden. Rechts und links vom Eingang werden sie jeweils verkauft. Ich weiß von der Kollegin, dass jedes Omamori eine spezielle Bedeutung hat. Als ich den Verkäufer frage, ob er englisch spricht, winkt der ganz hektisch ab. Er hat durch meine Frage ein wenig von seinem Gesicht verloren. Mit dem restlichen Teil lacht er und hofft wohl, dass ich möglichst schnell das Weite suche. Zweiter Versuch am Stand gegenüber. Ich spreche einen Umstehenden an, ob er mir die Bedeutung der ausgestellten Omamoris übersetzen könne. Kann er, wenn auch in sehr gebrochenem und schwer verständlichen Englisch. Ich traue mich nicht nachzuhaken, sondern ergehe mich stattdessen in eifrigem Kopfnicken und vielen Ahs und Ohs. Soviel ich verstanden habe, gibt es welche für langes Leben und Gesundheit, sicheres Autofahren, Abwenden von Unglück und schließlich eines für Reichtum. Es könnte allerdings auch für eine große Familie gewesen sein. Die Gestik ließ mehr Interpretationsspielraum als jegliche Gebärden meiner Gehörlosen Gäste und dieses Amulett ist somit aus dem Rennen. Langes Leben und Gesundheit ist zu teuer, deswegen entscheide ich mich für Abwenden von Unglück. Ist ja auch was.

Auf dem Rückweg streife ich versehentlich eine Person, die völlig regungslos zwischen dem Getümmel steht und die ich zunächst für eine Schaufensterpuppe hielt. Es ist ein Mönch, der um Almosen bittet. Auch vor den Stufen zum Ueno-Park steht einer. Diesmal bin ich allerdings aufmerksamer. Ich weiß nicht, ob es sich schickt, ihn zu fotografieren. Heimlich zücke ich das Handy von der Seite. Auch im Ueno-Park sind unglaublich viele Menschen. Man lagert auf großen Planen, vor denen die Schuhe feinsäuberlich abgestellt wurden. Gras hat hier keine Chance zu wachsen. Am Eingang ein Straßenmusikant, der sich anhört, als hätten es die Indiogruppen aus der Stuttgarter Fußgängerzone inzwischen bis Japan geschafft. Von irgendwo dröhnen Popsongs über Lautsprecher, die gelegentlich von offiziellen Durchsagen übertönt werden. Keinerlei Idylle, hier ist es mir zu laut und zu voll. Außerdem bin ich hundemüde. Der Rückweg ist ein Kinderspiel. Ich bin jetzt Tokyo-Underground-Experte. Bevor ich am späten Nachmittag selig in mein Bett sinke, platziere ich das Omamori auf dem Nachttisch und halte den Kaeru ein wenig in der Hand. So schnell kann mir kein Unglück mehr passieren. Zumindest möchte ich daran ganz fest glauben.

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