Montag, 9. April 2007
Big in Japan (1)
Ich kann mich erinnern, als Kind sonntags mit Begeisterung die Sendung für Gehörlose Sehen statt hören verfolgt zu haben. Die ein oder andere Gebärde habe ich imitiert, nur um danach in schallendes Gelächter auszubrechen. Die Geste für Staatsflagge, oder das, was ich dafür hielt, ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben.

Eine Gruppe Gehörloser macht sich diesmal mit uns auf den Weg nach Tokyo (passt wie Faust auf Auge, nachdem ich die Tage davor endlich Babel gesehen habe). Ich briefe meine Crew dementsprechend. Es nütze nichts, mit den Betroffenen lauter zu sprechen - ein Impuls, dem so mancher instinktiv nachgibt - im Service Zettel und Stift bereitzuhalten und sich im Falle einer Evakuierung im Besonderen auf diese Menschen einzustellen. Über die Kollegin, die nebenbei Dolmetscherin für Gebärdensprache ist und heute zufällig mit uns arbeitet bin ich besonders froh, doch die Gehörlosen sind allesamt japanischer Nationalität. Sie klärt uns auf, dass die Gebärden nicht international verständlich sind, sondern wie andere Sprachen aus dem kulturellen Hintergrund entstanden. Im Service lerne ich die Gebärden für Wasser, für Huhn und für Rindfleisch. Nehmen wir ersteres Beispiel, so ist die Gebärde für Wasser bei uns eine Geste, als ob man sich mit der Hand das Gesicht wäscht. Im japanischen wird Wasser mit beiden Händen dargestellt. Eine hält eine imaginäre Schüssel, während die andere daraus dem Gesicht Wasser zufächelt. Vom deutschen Huhn wird mit den Fingern nur der Schnabel dargestellt, während im Japanischen das Merkmal des Kammes mit der Handkante an der Stirn symbolisiert wird, ähnlich dem Taucherzeichen für Hai.

Schließlich lerne ich noch, dass das, was ich jahrzehntelang als Übersetzung für Staatsflagge hielt, in Wirklichkeit das Zeichen für keine Ahnung ist. Man sollte nicht alles glauben, was man im Fernsehen sieht. Dann konzentriere ich mich darauf, meine japanischen Kolleginnen über diverse Gebräuche auszufragen. Ich suche ein kleines Geburtstagsgeschenk, einen Glücksbringer oder ähnliches und einen Kaeru, nur wo bekomme ich sowas? Man versichert mir, ich würde beim Tempel fündig.

Es gibt zwei Sorten von Glücksbringern: Omamori und Omikuji. Ein Omamori ist ein Bild oder ein Spruch, der als Anhänger verpackt immer bei sich zu tragen sei. Man dürfe es niemals öffnen, da das Glück sonst verloren ginge, während man das Omikuji - ein richtungsweisender Spruch - liest und danach - je nachdem ob es positiv oder negativ ausfällt - entweder bei sich trägt oder an eine Stange, einen Ast o.ä. nahe dem Tempel knotet. Ich foppe die Kolleginnen ein wenig, indem ich frage, ob sie ihr Omamori tatsächlich niemals gelesen hätten und woher sie wüssten, dass da wirklich etwas drin steckt. Sie versichern mir, Japaner seien nicht neugierig und man müsse unter allen Umständen an das im Tempel erworbene Glück glauben.

Im Japanischen hat Kaeru zwei Bedeutungen (gelernt bei Isabo). Einmal ist es der Frosch und zum anderen wiederkehren. Man steckt den kleinen Frosch in die Tasche oder die Geldbörse, damit das Geld oder verliehene Dinge wieder zurückkommen. Auf dem Rückflug faltet die Kollegin als Dekoration für mich einen Vogel - sie hat die Kunst des Origami von ihrer Großmutter gelernt - und schreibt meine Glückwünsche, die ich nächste Woche zusammen mit den Glücksbringern übergebe, in japanischen Schriftzeichen auf ein Stück Papier. Ich bin immer wieder überwältigt von der japanischen Freundlichkeit. Möglicherweise ist es auch nur ein alter Spruch, an den ich auf der Straße erinnert wurde. Eine Passantin trug ihn als Aufdruck auf ihrem T-Shirt: God helps those who help themselves. Auf diese Weise hat sie sich absolute Narrenfreiheit bei ihrer Vorgesetzten erworben, obgleich sie mir durch ihre Arbeit keinerlei Grund zur Klage lieferte. Das Glück steckt eben in den kleinen Dingen.

japanische Glücksbringer

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