Montag, 13. August 2007
Waiting is the hardest part
Normalerweise weigere ich mich, vor acht das Reich der Träume zu verlassen, es sei denn, man bietet mir als Gegenleistung Geld. Für den Routinecheck beim Fliegerarzt bekomme ich keines, muss aber trotzdem hin. Heute Morgen also um kurz vor sechs aus dem Bett gefallen, schnell in frische - vor allem tageslichttaugliche - Unterwäsche geschlüpft und ab zum Einsatzzentrum. Hilft ja nix, die lassen mich sonst nicht mehr in die Luft.

Erst mal fülle ich eine Menge Zettel mit einer Menge Fragen zu meinem Werdegang, Vorerkrankungen und sonstigen Auffälligkeiten aus. Da die Sprechstundenhilfe droht, ich müsse jedes 'ja' begründen, schreibe ich sicherheitshalber überall ein 'nein', außer beim Abschnitt mit den Drogen. Hier schreibe ich wahrheitsgemäß 'Zigaretten', bis ich zwei Zeilen weiter unten explizit nach meinen Rauchgewohnheiten gefragt werde. Ich streiche also die Zigaretten unter 'Drogen' wieder raus, sonst glaubt noch einer, ich würde die intravenös konsumieren. Die Fragen sind beantwortet, meine Zeit aber noch nicht um. Ich warte. Aus Langeweile blättere ich in meinem Impfbuch und stelle fest, dass die nächste Tetanus in drei Jahren fällig wird. Ich ahne, dass mir diese Tatsache bis in drei Jahren entfallen ist und bettle die Sprechstundenhilfe um eine vorzeitige Impfung an. Die hat's jedoch auf mein Blut abgesehen. Arzthelferinnen wollen auch immer nur das eine.

Nach der Blutentnahme bekomme ich einen schicken Plastikbecher für die Urinprobe und ein verschließbares Röhrchen für festere Bestandteile. Eigentlich will ich mir damit noch etwas Zeit lassen, doch die freundliche Dame beharrt auf sofortige Abgabe der flüssigen Variante. Na schön, kann sie haben. "Bitte NUR den Mittelstrahl" höre ich in meinem inneren Ohr. Als ich vor drei Jahren zuletzt bei der Untersuchung war, wurde ich unfreiwillig Zeuge eines Dramas, das sich zwischen Labor und Herrentoilette abspielte. Ein Pilot, dem das Wort 'Mittelstrahl' nicht so geläufig war, wurde insgesamt viermal resolut und unter lautstarken Instruktionen auf den Weg zur Toilette geschickt. Immer schön an den wartenden Kollegen vorbei. Als er das vierte Mal die Türe der Toilette hinter sich schloß, sah er ziemlich ausgemergelt aus. In der Hand trug er zitternd die letzten Tröpfchen des goldenen Gutes zum Labor. Bei den Worten der Laborantin "bissl wenig aber wird schon gehen" und unter dem Applaus der Wartenden huschte ein erleichtertes Lächeln über sein Gesicht.

Die diversen Untersuchungen sind schnell vorbei. Der schwerste Teil steht mir allerdings noch bevor. Ich soll dieses verschlossene Röhrchen mit dem entsprechenden Inhalt füllen. Weil die Untersuchung innerhalb von drei Tagen erfolgen muss, ich jedoch nicht extra für eine Stuhlprobe den weiten Weg nochmals zurücklegen will, entscheide ich mich zu warten. Meistens hilft morgens ein Kaffee und eine Zigarette, um den Vorgang zu beschleunigen. In der Kantine sitzen einige Kollegen, die natürlich alle fragen, was ich hier in zivil mache. "Ich mache gleich eine Stuhlprobe", antworte ich wahrheitsgemäß. Schnell sind die Kollegen mit praktischen Tipps bei der Hand. Von Sauerkraut über Buttermilch bis hin zu Glaubersalz wird alles debattiert. Ich winke dankend ab, dauert zu lange, ist zu aufwendig oder leicht übertrieben. Beim dritten Kaffee haben die Gesprächsthemen gewechselt. In meinem Bauch tut sich immer noch nichts. Ab und zu stößt ein neuer Kollege zur Gruppe, selbstverständlich fragend, was ich hier treibe. Und dann geschieht plötzlich in zweifacher Form etwas, auf das ich lange gewartet habe. Nur, wie alles im Leben, kommt's halt nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte.

Es gibt da nämlich einen Kollegen, nach dem ich schon seit einiger Zeit Ausschau halte, sobald ich das Einsatzzentrum betrete. Unser gemeinsamer Flug ist schon ein paar Monate her. Meine Telefonnummer hat er ganz sicher verloren, denn er rief nie an. Aus sicherer Quelle erfuhr ich, dass er weder schwul noch liiert sei, letzteres aber gerne wäre. Böse Zungen könnten jetzt behaupten, er sei entweder inkompatibel oder schlichtweg nicht an mir interessiert. In meinem Alter kann man sich jedoch so eine Einstellung nicht mehr leisten. Außerdem war ich schon immer hartnäckig. Getroffen habe ich ihn allerdings seitdem nicht mehr. Bis gerade eben jedenfalls, denn plötzlich steht er mir den Rücken zugewandt am Nebentisch. In meinem Kopf beginnt es zu rattern. Soll ich ihn ansprechen? Was soll ich denn sagen? Oh Gott, mir ist warm. Mist, die Bluse ist schon naß unter den Armen. Und zum Schminken hat's heute Morgen auch nicht mehr gereicht. Meine Güte, der große Pickel am Kinn und die Tränensäcke, so kann ich ihm unmöglich unter die Augen treten. Und wenn er mich fragt, was ich hier mache? Ich kann wohl kaum antworten, dass ich 'endlich mal wieder so richtig scheissen möchte'. Ganz schlecht, wenn einer ein Zitat nicht als solches erkennt und dann auch noch so eines. Außerdem ist er sowieso sicher in Eile. Am Besten ganz unauffällig verhalten. Der sieht mich bestimmt nicht. Oder doch lieber ansprechen? Hab schließlich lange genug gewartet... Und noch bevor ich irgendetwas beschließe, beginnt es, durch den Adrenalinstoß ganz natürlich angetrieben, in meinem Bauch ebenfalls zu rattern. "Hallo! Was machst Du denn hier?" höre ich ihn noch rufen, bevor ich wie von der Tarantel gestochen zur Türe hinauslaufe.

"Scheiß auf den Typ!" murmle ich leise, als ich das Röhrchen mitsamt Inhalt beim Labor abgebe. Wenn das mal kein Wink des Schicksals war.

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