Samstag, 20. April 2013
A Rumor in St. Petersburg
Vor ein paar Tagen war ich wieder einmal in St. Petersburg. Dort habe ich Kontakt zu einer Dame, die sich für Obdachlose und Arme engagiert. Ich sammle Kleider - eigene, von Freunden und Familie - und bringe ihr die gut erhaltenen Sachen, die sie dann an Bedürftige verteilt. Mit den Kleiderspenden hierzulande ist das ja so eine Sache. Wie aus vielen Quellen bereits bekannt, werden die Sachen mit großem Profit von kleinen Unternehmen verkauft - auch die sog. Spenden an das Rote Kreuz. Einige wenige verdienen sich daran eine goldene Nase und die örtliche Textilindustrie geht kaputt (alles in Reportagen auf der Tube nachzusehen).

Weil ich schon so vieles gebracht habe, möchte sie mir im Gegenzug auch immer etwas Gutes tun. Nun sind russische Pralinen meine Sache nicht. Die bestehen meistens aus Trockenfrüchten oder Nüssen in Billigschokomantel. Die selbstgemachte Marmelade dagegen habe ich gerne angenommen, die selbstgesammelten Pilze dagegen mit vorgeschobener Unverträglichkeit zurückgelassen. Dieses Mal fragte sie im Vorfeld, ob ich etwas ansehen wolle, sie hätte ein Auto zur Verfügung. Nun kommen wir nach Mitternacht dort an und reisen am Nachmittag bereits wieder ab. Ausserdem lassen mich die zwei Stunden Zeitverschiebung nur schwer aus dem Bett kommen. Doch für ein wenig Touristenprogramm bin ich bereit, nach nur 5 Stunden Schlaf aus den Laken zu kriechen.

Eine schöne Kirche wollte ich sehen. Die wichtigen hatte ich bereits bei einem längeren Aufenthalt besichtigt, ebenso die Eremitage, in der das auffallendste die unglaublich geschmacklos gewählten Wandfarben und Bilderrahmen sind. Man stelle sich ein zart pastellfarbenes Gemälde von Monet in einem breiten dunklen Eichenrahmen an einer knallroten Wand hängend vor. Dafür kann sich jeder Besucher den Gemälden und Skulpturen bis auf wenige Zentimeter nähern ohne eine Alarmanlage oder böse Ermahnungen von strickenden Aufseherinnen auszulösen. Bei dieser geringen Entfernung gelingt es durchaus, den unpassenden Rahmen auszublenden.

Irina fuhr mit mir zu dieser kleinen Kirche, in der gerade ein russisch othodoxer Gottesdienst stattfand. Beim Eintritt hörte ich die Stimmen des wunderbaren Chores, der ganz ohne Begleitinstrumente sang. Später sollte noch ein Frauensolo dazu erklingen. Auch die Geistlichen sangen ganz vorzüglich. Müssen sie können, meinte meine Begleiterin. Nun, prinzipiell lernen auch unsere Pfarrer das Singen in ihrer Ausbildung, was aber noch lange nicht bedeutet, dass sie es auch können.

In einer Ecke der Kathedrale fand die Beichte statt. Man stelle sich einen Geistlichen vor, der lässig an einem Pult gelehnt steht. Auf dem Pult liegt eine heilige Schrift. Vor diesem Pult bildet sich eine lange Schlange an Beichtwilligen. Jeder tritt einzeln nach vorne und beginnt das Gespräch mit dem Geistlichen. Aus meiner Perspektive sah es aus, als würdeleidenschaftlich über die begangenen Sünden debattiert werden, ungefähr so:

Geistlicher: Okay Igor Wassiliew Wasiliewsky, was liegt an?
Igor: Also mir ist da letzte Woche so eine Sache passiert. Die Schwiegermutter wollte uns besuchen und ich habe gesagt, ich sei verhindert und das Auto wäre zudem kaputt und ich könne sie nicht abholen.
G: Du hast also gelogen.
I: Na, gelogen vielleicht nicht. Nur ein bisschen geflunkert.
G: Wo ist da der Unterschied?
I: Hey, Du weisst doch wie Schwiegermütter so sein können, da musste ich mich quasi verteidigen. Ausserdem habe ich so Schlimmeres vermieden.
G: Gut, einigen wir uns auf eine Notlüge.
I: Ja, so könnte man das bezeichnen.
G: Dann betest Du jetzt drei Vaterunser und versprichst, die Schwiegermutter nächste Woche einzuladen.
I: Boah, ist das nicht ein wenig zu hart? Ich dachte eher an drei Vaterunser und eine Spende für die Kirche....
etc

Keine Ahnung, was wirklich geredet wurde, jedenfalls wurde auf beiden Seiten viel gestikuliert, bis man schließlich zu einer Einigung fand. Ausserdem fiel mir auf, dass es in der Kirche keine Bänke oder Stühle gibt. Die Betenden knieten auf dem Steinboden. Wer nicht knien konnte, berührte kurz mit der Hand den Boden, das gilt scheinbar auch. Am Eingang und vor den Seitenaltaren stehen Heiligenbilder hinter Glas. Jeder Gläubige küsst diese Bilder beim Eintreten. Gelegentlich kommt eine Kirchenpflegerin mit Ajaxflasche und Lappen vorbei, um die Bilder zu säubern. Man kann also entweder die Herpesviren vom Vorgänger oder fiesen Spiritusgeschmack erwischen. Ich weiß nicht, was besser ist.

Anschließend fuhren wir zum Promifriedhof, wo ich die Gräber von Tschaikowsky, Dostojewsky, Glinka, Petipa und ein paar mehr besichtigen konnte. Weil die Begleiterin mich als Landsmännin ausgab, zahlten wir weniger Eintritt. Nächstes Mal gehe ich dafür auch zur Beichte. Versprochen.

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