Freitag, 3. Dezember 2021
Directions
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzähen, behauptet Matthias Claudius. Im 18.Jh kann ich mir das gut vorstellen. Aber der Satz gilt bis heute. Vor nicht allzu langer Zeit war ich mit Frau Herzbruch in Italien. Vorwegschicken möchte ich, dass keine von uns der Landessprache mächtig ist. Während ich über einen guten bis sehr guten Orientierungssinn verfüge, kann Frau Herzbruch sehr gut mit elektronischen Orientierungshilfen umgehen.

Am Ende eines gemütlichen Bootsausfluges befinden wir uns in La Spezia. Einen Rückfahrschein mit der Bahn haben wir in der Tasche. Einziges Manko ist, dass sich der Bahnhof offensichtlich nicht in der Nähe des Hafens befindet. Daran hat im Vorfeld keine von uns gedacht. Folglich besitzen wir auch keine Orientierungshilfen. Wir beschließen, ein Stück Richtung Innenstadt zu gehen und sehen uns an einer größeren Straße die Busverbindungen an, in der Hoffnung, dass uns einer davon zum Bahnhof fährt. Gelaufen bin zumindest ich an diesem Tag reichlich. Jetzt muss man bei Buslinien aber vor allem wissen, wie die Endstationen heißen. Mit dem mickrigen Aushang an einer Haltestelle stoßen wir schnell an die Grenzen. Also gehe ich fünf vor Ladenschluss in einen benachbarten Schuhladen. Die Verkäuferin ist sehr nett und hilfsbereit, weiß aber auch nicht, welchen Bus wir nehmen müssen. Der Ladeninhaber schließt darauf kurzerhand sein Geschäft und folgt der Verkäuferin zur Haltestelle, um den Aushang zu studieren. Beide beraten sich auf italienisch, was viel Gestik impliziert. Sie deuten in diverse Richtungen, schließlich sagt die Verkäuferin, wir sollen eine bestimmte Linie fahren, dann irgendwo umsteigen und dann nochmal zwei Stationen oder so. Ich hoffe insgeheim, dass Frau Herzbruch im Gegensatz zu mir alles aufgenommen und memoriert hat. Nach weiterer Beratung stellt sich heraus, dass wir den Bahnhof viel schneller und unkomplizierter zu Fuß erreichen können. Wir machen uns also auf den Weg. Tatsächlich ist unser Ziel ganz einfach zu finden. Was bleibt, ist Dankbarkeit und Staunen über die unglaubliche Hilfsbereitschaft der Einheimischen.

Vom Dienst kommend, trage ich Uniform, weshalb ich oft angesprochen werde. Deshalb fahre ich in öffentlichen Verkehrsmitteln ausschließlich mit Kopfhörern, um dem vorwegzugreifen. In letzter Zeit häufen sich jedoch die Ausfälle oder Ausnahmesituationen bei meinen Fahrten. So auch vor zwei Tagen. Stellwerksstörung, weshalb die S-Bahn nicht zum Hauptbahnhof, sondern nur die U-Bahn usw. Mir ist's bis auf das erhöhte Fahrgastaufkommen egal, weil ich sowieso umsteigen muss. Am U-Bahngleis fällt mir eine junge Frau auf, die die Anzeige mit einem Zettel in ihrer Hand abgleicht. Ich trete an die Türe und rufe laut: "Zum Hauptbahnhof?" Sie kommt näher, zeigt auf die Schrift auf ihrem Zettel. Da steht HBF, und ich erkläre, dass das eine Abkürzung für Central Station sei und wir direkt dorthin fahren. Sie bedankt sich, setzt sich mit ihrem Koffer in einen anderen Vierersitz und beginnt ein Telefonat auf italienisch. Da muss ich schmunzeln, weil mich die Situation an unsere Suche in La Spezia erinnert. An meiner Haltestelle deute ich ihr mit den Fingern die Anzahl der verbleibenden Stationen bis zum Hauptbahnhof, sie bedankt sich wieder und ich steige aus. Zack Karmakonto ausgeglichen und für die positive Wahrnehmung der Deutschen im Ausland gesorgt. Danach bin ich erschöpft und muss sofort schlafen. Fast wie damals in La Spezia.

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