Freitag, 1. April 2022
Ennobled
Am Wochenendabend sind die Lockerungen der Coronamaßnahmen in der Stadt deutlich zu spüren. Viele Gruppen junger Menschen zieht es zum Feiern nach draussen oder in die Clubs. So genau weiß ich nicht um ihr Ziel, vermutete aber die jungen Männer in der Straßenbahn wollten zu einer stadtbekannten Partylocation. Sie fielen mir bereits an der Haltestelle auf. Vier Jugendliche, die sich laut unterhielten und abwechselnd große Schlücke aus einer Whiskeyflasche tranken. Einer beschrieb dann deutlich hörbar die Wirkung dieses Getränks als zunächst nicht spürbar, dann aber plötzlich reinhauend, was er persönlich sehr an Whiskey schätze.

Ich war irritiert bis angewidert mit deutlichem Fluchtreflex als die vier mit mir in die Trambahn stiegen und sich nur unweit auf die Plätze über den Gang verteilten. Einer zog sein Handy aus der Tasche. Es setzte ein deutlich hörbarer Beat ein, auf den ein anderer zu rappen begann. Es wurde abwechselnd vorgetragen, teils improvisiert, teils aus dem Handy abgelesen. Alle trugen übrigens sehr vorbildlich dabei ihre Masken. Ich lauschte fasziniert, denn diese Lyrik so zu improvisieren, ist hohe Kunst. Irgendwann schauten sie auf, ob sie wohl die genannte Haltestelle, die auch meine war, bereits verpasst hätten. Statt auf die Anzeige zu schauen, stellte einer im Handyfahrplan fest, dass die erwartete Ankunftszeit noch ein paar Minuten entfernt sei und alle wandten sich wieder ihrer Beschäftigung zu.

Als ich mich zum Aussteigen bereit machte, sah ich bei den Vieren kein Anzeichen von Vorbereitung. Im Gegenteil, sie waren völlig in ihre Rapperei vertieft. Da spürte ich ein bisschen Mutti in mir und rief ihnen zu: "Jungs, ihr müsst aussteigen, hier ist Lokschuppen!" Sie sprangen auf, verließen schnell hintereinander die Tram und bedankten sich draussen bei mir. Ich erklärte, ich hätte zugehört und wollte wissen, ob sie das alles improvisiert hätten. Einer bejahte meine Frage und alle bedankten sich wieder artig für mein Lob. Schließlich meinte einer, er fände es echt groß, dass ich sie auf die Haltestelle aufmerksam gemacht hätte und ein anderer sagte sowas wie "Voll die Ehrenfrau!"
Und so kam es, dass ich an einem Wochenende von vier Jugendlichen von Mutti zur Ehrenfrau erhoben und geadelt wurde.

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