Dienstag, 8. August 2006
Xpress yourself
Gestern mal bei einer Profistunde zugeguckt. Man braucht schließlich Ziele im Leben. Hinter Glaswänden wirbeln die Elfchen Grazien umher. Unschwer erkennbar die fundierte Balletttechnik. Doch etwas fehlt. Kaum eine geht wirklich in ihren Bewegungen auf, kaum eine drückt das aus, was ich unter Leidenschaft verstehe. Verhaltenes Technikturnen. In meinem Kopf formt sich langsam eine Frage: ist der Spruch mit dem Sex - ihr wisst schon welchen ich meine - am Ende doch mehr als ein dummdreist männliches Totschlagargument? Heute also Dr. Sommer-Konglomerat.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, steht am Anfang die Frage, was guten Sex ausmacht. Eine Definition kann hierfür immer nur subjektiver Natur sein. In meinen Augen sollte Sex ein Wechselspiel aus An- und Entspannung, aus Passivität und Aktivität, aus Hingeben und Fordern sein. Jeder sehnt sich nach Nähe, nach dem Augenblick der Selbstvergessenheit und Extase. Nur wenige sind allerdings dazu in der Lage. Die meisten scheitern an ihren eigenen inneren Grenzen, die sie täglich mit Glaubenssätzen [ich bin hässlich, ich bin nichts wert, ich muss Leistung erbringen, ich muss Abstand wahren, darf mich nicht emotional drauf einlassen] manifestieren. Die Fähigkeit der Selbstvergessenheit ist im Laufe der Zeit verlorengegangen. Man ißt ein schmackhaftes Gericht, betrachtet ein Bild oder sitzt beim Sonnenuntergang und denkt oh wie schön! Noch bevor dieser Satz ausgesprochen ist, hat er uns vom eigentlichen Erleben getrennt. Er poppt einfach im Hirnscreen auf. Dagegen ist schwer etwas auszurichten. Damit hat der Kopf uns klargemacht, dass wir uns ausserhalb des Erlebten befinden, denn sobald ich über etwas nachdenke, befinde ich mich als Betrachtender daneben. Wer einmal Kinder völlig selbstvergessen hat spielen sehen, weiß was ihm in der sogenannten Sozialisation verlorenging.

Grenzen setzen auch schlechte Erfahrungen. Der Kopf speichert alles Erlebte und sortiert es in Schubladen mit der Aufschrift gut, schlecht, schmerzhaft, gefährlich, peinlich, traurig, schön etc. Die Erfahrungsschablone wird auf jedes Ereignis angelegt wie auf biometrische Passfotos. Was nicht passt, wird passend gemacht und so mögen Ereignisse, die ursprünglich nur entfernt miteinander zu tun haben, plötzlich auf dem gleichen Haufen liegen. Nicht dass ich mich gegen die Schablonen ausspreche; es geht vielmehr darum zu entscheiden, wann ich sie anlege und wann nicht. Hier ist die Fähigkeit zu vertrauen gefragt. Meine Güte, heute aber vom Hundertsten ins Tausendste. Vertrauen hat nämlich nichts mit Kontrolle zu tun, auch wenn beide gerne in einem Atemzug genannt werden. Wenn ich beweisen kann, muss ich nicht glauben und wenn ich vertraue, entsage ich der Kontrolle. So einfach ist das. Ich vertraue darauf, dass eben jener Moment nicht genauso schmerzhaft wie ein vergangener sein wird, selbst wenn es dafür Anzeichen gibt. Überhaupt kann ein Moment nicht schmerzhaft sein, sondern nur das, was mein Kopf daraus macht (wohlgemerkt sprechen wir vom seelischen Erleben). Es sind die Konsequenzen, die gefürchtet werden und als Argument für Zurückhaltung dienen. Wer sich aus Angst vor Verletzung zurückhält, wird nie im vollen Umfang erleben und genießen können.

Auch wenn Sex im Kopf stattfindet, hat er bekanntlich mit dem Körper zu tun. Er ist das Instrument. Die Meisterschaft bedeutet, sein Instrument so zu beherrschen, dass kein Gedanke daran verschwendet werden muss. Wenn ich eine Treppe hinuntergehe und mir gleichzeitig überlege, was meine Beine da tun, werde ich stolpern oder zumindest zögern. Wahrscheinlich dreht sich heutzutage alles nur um Sex, weil wir noch so viel üben müssen. Und das Abgetrenntsein des Einzelnen bringt merkwürdige Blüten hervor. Sex aus zweiter Hand. Eigenes Erleben wird ersetzt durch Beobachtung. Ist auch viel ungefährlicher, als sich auf eine andere Person unmittelbar einzulassen. Selbstbefriedigung ist Sex mit dem Menschen, den ich am meisten liebe sagte Woody Allen mal so oder ähnlich. Nichts dagegen einzuwenden, solange das nicht zur Ausrede für mangelnde Risikobereitschaft wird. Substitute gibt es eine ganze Menge. Das große Auto, Haus oder Yacht, Essen oder gerade nicht essen, die meisterliche Beherrschung einer Fertigkeit und andere Auswüchse menschlicher Natur sind bekannte Kompensationsmöglichkeiten. Und immer geht es dabei um Anerkennung und Akzeptanz durch andere, die man sich selbst zu geben nicht in der Lage ist und vor deren Verweigerung durch das Gegenüber man Angst hat.

Dabei wäre alles so einfach. Gib 100% und du bekommst 100% zurück. Wer allerdings eine Rechnung macht, damit er selbst nicht zu kurz kommt oder gar zu seinem Vorteil ausfüllt, wird am Ende auf Null kommen. Der hat noch viel zu lernen. Ich wundere mich immer mal über eine Anmerkung, die ich von Gelegenheitsliebhabern schon oft hörte: und was ist mit dir? Was soll mit mir sein? Nur weil ich nicht in höchsten Tönen jauchzte, muss es noch lange nicht bedeuten, dass ich nicht genossen habe. Wenn ich mich auf jemanden vollkommen einlasse, wird sein Körper, sein Erleben zu meinem. Das bedeutet im Klartext auch, dass ich durchaus in der Lage bin, den Orgasmus des Anderen mitzufühlen. Und dieser Zustand ist durchaus befriedigend. Frag nicht, spüre! Abtrennung findet im Kopf statt, deswegen sollte der tunlichst vor dem Bett bleiben.

Kommen wir zurück zur Ausgangsthese. Wer in der Lage ist, sich mit allem, was ihm eigen ist, jederzeit einzubringen, dessen Ausdruck wird anders sein, als der eines verhaltenen, ängstlichen Menschen. Das beschränkt sich nicht nur auf Sex, sondern auf alles, was wir tun. Nun ist es aber so, dass die meisten Menschen den Zustand der Selbstvergessenheit nur vom Orgasmus kennen, weswegen sie diesen ständig bemühen. Wäre ich ein Mann, würde ich - da meine Gedanken hormonbedingt sowieso andauernd um das Thema Fortpflanzung kreisten - ebenfalls Sex als Allheilmittel für verkrampfte Mitmenschinnen [Anm: vorwiegend sog. Feministinnen] empfehlen. Möglicherweise in galanterer Formulierung, denn durchficken allein ist nicht alles.

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Montag, 7. August 2006
Who cares (1)
Das Wort referrers lässt sich auf der Tastatur einhändig schreiben, sprichwörtlich mit links. In der rechten Hand die Gabel. Lektüre für Hardcoreblogger während der Nahrungsaufnahme.

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Montag, 7. August 2006
Walk like an Egyptian
Cairo, ein gefährliches Pflaster. Bei sonnigen 37° und erfrischendem Poolwasser wird die Haut schnell rot. Ägyptisches dolce far niente. Gefährliche zwei Tage lang. Die Stadt ist lebhafter. In jedem Taxifahrer steckt ein heimlicher Formel Eins Gewinner. Lücken können nicht klein genug sein, als dass Durchkommen nicht wenigstens versucht wird. Seitliches Autoblech wird nicht geschont. Solange die Hupe funktioniert ist alles in Ordnung. Der Ägypter hupt statt zu blinken. Endlich entdeckt, woher die typisch ägyptische Fußstellung kommt. Auf einer Stoßstange stehend passen Füße nur hintereinander. Ride like an Egyptian.



Unter Sternenhimmel ausgeleuchtete Steinhaufen. Gefährlich beeindruckend. Für die Ewigkeit erschaffen. Doch hat man nicht mit den durchgeknallten Taliban der Neuzeit gerechnet. Ich bin froh, die Pyramiden gesehen zu haben, bevor sie zu Staub zerfallen. Das World Trade Center habe ich damals um einige Tage verpasst. Ausnahmsweise Katzencontent. Die Sphinx ist nicht so groß wie angenommen. Und ganz zahm. Aber was will man von einer Katze mit Schutzhelm und ohne Nase schon erwarten. Massengräber drumherum. 30jährige Schinderei bleibt nicht ohne Folgen. Wenigstens wurden die Reste nicht gleich mitverwertet. Bei der Sound- and Lightshow werde ich gefährlich sentimental. Jeden Tag eine andere Sprache, in unserem Fall französische Untertitel. Lyrische Laute. Ich verstehe nicht alles, gucke lieber. Einige verirrte Franzosen zwischen leeren Reihen. Man fährt lieber an die Côte d´Azur.

Abendessen auf der Nilterasse des Grand Hyatt. Zwischen ägyptischen Segeln kreuzen schwimmende Ghettoblaster. Ägypten ist die Wiege des Jodelns. Hohes Indiandergeheul als Ausdruck von Lebensfreude. Die wird von geschundenen Pferden offenbar nicht geteilt. Traurig sehen sie aus, wie sie Touristen durch die Gegend kutschieren. So mancher Reiter wiegt mehr als das Tier selbst. Eifrige Verkäufer schielen verstohlen auf dicke Brieftaschen. Die Beine werden flink beim Anblick einer Gruppe Ausländer. Ansonsten scheint der Zeitbegriff eher großzügig gehandhabt. Man ist in Afrika. Wenn man eines hier im Überfluss hat, dann ist das Zeit. Tipp für einen Restaurantbesuch: ist ein längerer Aufenthalt geplant, sofort drei Getränke bestellen und sich die Warterei aus mitgebrachten Wasserflaschen verkürzen. Danach jeweils eine Bestellung pro Kellnerbesuch. Die Rechnung am Besten schon vor der eigentlichen Bestellung ordern. Getränke immer ohne Eis, nicht nur wegen der Risiken für Magen und Darm, sondern weil es bis zum Eintreffen ohnehin geschmolzen ist. Auf Salat ganz verzichten. Montezuma war wohl doch Ägypter.

In der Hotellobby verschleierte Frauen. Nicht alle Jungs heissen Mohammed oder Ali. Ein kleines Kind hört auf den Namen Adolf. Die Mutter hebt ihn auf den Arm. Er schreit. Noch nirgends habe ich mehr schreiende Kinder gehört als hier. Auch nicht so viel dicke. Im Flugzeug setzt sich der Lärmpegel fort. Gestillt wird unter der Burka. Tücher und Decken schützen vor fremden Blicken. Eine alte Frau fliegt mit uns heim. Zahnlos strahlt sie mir bei jeder Frage entgegen. Ansonsten keine Reaktion. Ich zeige ihr die Flaschen. Sie nickt. Später wird sie nach Amerika weiterfliegen. An meinem Arm geht sie zum Ausgang. Der Grenzbeamte will an der Fliegertüre ihren Pass sehen. Sie strahlt ihn zahnlos an. Ich suche einen Übersetzer. Dann kramt sie in ihrer blauen Plastiktüte, aus der zwischen Chipstüten und Wasserflaschen eine edle Handtasche zum Vorschein kommt. An meinem Arm geht sie langsam die Treppe zum Bus hinunter, setzt sich auf einen Platz, den ich ihr freimache und drückt meine Hand. Sukharia sagt sie. Danke. Innerlich wünsche ich meinen Kollegen viel Spaß beim Ausfüllen der Einreiseformulare für die USA.

Erst als ich wieder in München bin, wird mir langsam klar, wie privilegiert ich mit meinem Job bin. So ein Aufenthalt versöhnt mit keifenden Rückenlehnenkämpfern und regredierten Schlipsträgern. No risk, no fun. Vielleicht demnächst doch Beirut?

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