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Montag, 9. April 2012
Lunatic
frau klugscheisser, 00:15h
Hier passiert nur noch wenig, weil ich anderweitig sehr beschäftigt bin. So verbringe ich derzeit beispielsweise meinen gesamten Jahresurlaub in der Psychiatrie. Dieser Satz beschreibt die Realität zwar nur ansatzweise, sorgt aber immer wieder für Lacher gemischt mit ungläubigen Blicken. Keine Sorge, ich bin nicht Patient, ich besitze einen Schlüssel. In der Psychiatrie existiert nämlich eine Zweiklassengesellschaft. Das sind die mit und die ohne Schlüssel. Anteilsmäßig gehören beiden Gruppen etwa ähnlich viele Personen an. Der Schlüssel verschafft dem Halter Zutritt zu allen Räumen, während den Schlüssellosen nur zu den Räumen Zutritt gewährt wird, die der Schlüsselhalter öffnet. Somit begrenzt sich deren Bewegungsradius auf kilometerweite Gänge und einige wenige Zimmer. Während man nach Kollegen schon mal eine halbe Stunde sucht - denn die halten sich nur selten in den Räumen auf, die auf dem Schild an der Türe ihren Namen tragen - sind Patienten sehr schnell aufgespürt. Das hat auch seine Vorteile, denn meistens sind die Patienten nicht dort, wo sie laut Plan sein sollen, sondern woanders, von wo man sie dann abholt und dorthin bringt, wo sie laut Plan vor zehn Minuten sein sollten. Das ist aber eine andere Geschichte.
Eigentlich will ich mich nämlich weder über die Institution noch seine Nutznießer lustig machen. Im Grunde kann ich überhaupt nicht viel darüber erzählen, ohne meine Schweigepflicht zu verletzen. Nun ist es aber so, dass mich letzthin ein bestimmter Umstand so sehr beschäftigte, dass ich ihn doch hier beschreiben möchte. Die Sache ist nämlich die, dass ich in besagter Institution eine Gruppe leite. Um bestimmte Sachverhalte zu verdeutlichen, ziehe ich gerne spontan gewählte Beispiele heran. Sie müssen wissen, dass ich meist sehr spontan bin, was Wortwahl und auch Beispiel betrifft. So spontan, dass mir selbst oft kaum Zeit bleibt, über das gewählte Beispiel genauer nachzudenken. Deshalb passiert es gelegentlich, dass meine Beispiele hinken oder so abstrakt sind, dass sie von keinem mehr nachvollzogen werden können.
Und dann geschah letztens folgendes:
Frau KS: Bitte seien Sie sich bewußt, dass dieses Verhalten sehr viel Übung erfordert. Wenn Sie eine Kampfkunst erlernen, werden Sie sich nicht sofort in einen Kampf stürzen, sondern erst einmal einen Schlag üben oder einen Tritt.
Patient1: ja, das ist sowieso gefährlich, wenn man auf der Straße in eine Rauferei gerät, da sollte man einen großen Bogen drum machen.
Patient2:... und zudem ist Schlagen auch keine Lösung.
Patient3: ... da stand ja letzthin wieder was in der Zeitung.
Patient4: ...ja, das ist wirklich schlimm, dass da soviel passiert.
Frau KS: Nun, wichtig ist, dass man klein beginnt. Wenn Sie Klavier spielen lernen, werden Sie auch nicht sofort in einer Konzerthalle auftreten.
Patient3: Meine Tochter spielt Klavier, das klingt ganz schön, aber üben will sie nicht.
Patient5: ich sag's ja immer, die Jugend hat keine Disziplin.
Patient1: Also ich mag Musik. In der Musiktherapie kann man immer so toll Krach machen.
Frau KS [leicht verzweifelt]: Ich meine ja nur, dass Sie sicher nicht gleich ein Vier Gänge Menü kochen werden, wenn Sie Kochen lernen wollen.
Patient2: Was gibt's eigentlich zu Mittag?
Patient4: Keine Ahnung, hoffentlich ist es nicht so schlecht wie gestern.
Und jetzt urteilen Sie bitte, ob die Gruppenteilnehmer meine Beispiele nicht verstehen wollen oder ob sie es nicht können.
Eigentlich will ich mich nämlich weder über die Institution noch seine Nutznießer lustig machen. Im Grunde kann ich überhaupt nicht viel darüber erzählen, ohne meine Schweigepflicht zu verletzen. Nun ist es aber so, dass mich letzthin ein bestimmter Umstand so sehr beschäftigte, dass ich ihn doch hier beschreiben möchte. Die Sache ist nämlich die, dass ich in besagter Institution eine Gruppe leite. Um bestimmte Sachverhalte zu verdeutlichen, ziehe ich gerne spontan gewählte Beispiele heran. Sie müssen wissen, dass ich meist sehr spontan bin, was Wortwahl und auch Beispiel betrifft. So spontan, dass mir selbst oft kaum Zeit bleibt, über das gewählte Beispiel genauer nachzudenken. Deshalb passiert es gelegentlich, dass meine Beispiele hinken oder so abstrakt sind, dass sie von keinem mehr nachvollzogen werden können.
Und dann geschah letztens folgendes:
Frau KS: Bitte seien Sie sich bewußt, dass dieses Verhalten sehr viel Übung erfordert. Wenn Sie eine Kampfkunst erlernen, werden Sie sich nicht sofort in einen Kampf stürzen, sondern erst einmal einen Schlag üben oder einen Tritt.
Patient1: ja, das ist sowieso gefährlich, wenn man auf der Straße in eine Rauferei gerät, da sollte man einen großen Bogen drum machen.
Patient2:... und zudem ist Schlagen auch keine Lösung.
Patient3: ... da stand ja letzthin wieder was in der Zeitung.
Patient4: ...ja, das ist wirklich schlimm, dass da soviel passiert.
Frau KS: Nun, wichtig ist, dass man klein beginnt. Wenn Sie Klavier spielen lernen, werden Sie auch nicht sofort in einer Konzerthalle auftreten.
Patient3: Meine Tochter spielt Klavier, das klingt ganz schön, aber üben will sie nicht.
Patient5: ich sag's ja immer, die Jugend hat keine Disziplin.
Patient1: Also ich mag Musik. In der Musiktherapie kann man immer so toll Krach machen.
Frau KS [leicht verzweifelt]: Ich meine ja nur, dass Sie sicher nicht gleich ein Vier Gänge Menü kochen werden, wenn Sie Kochen lernen wollen.
Patient2: Was gibt's eigentlich zu Mittag?
Patient4: Keine Ahnung, hoffentlich ist es nicht so schlecht wie gestern.
Und jetzt urteilen Sie bitte, ob die Gruppenteilnehmer meine Beispiele nicht verstehen wollen oder ob sie es nicht können.
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Sonntag, 12. Februar 2012
I See You
frau klugscheisser, 19:33h

Auf diesem Foto sehen Sie meine kleine Schwester, die ich gerade zufällig im Netz entdeckte. Und dann auch noch auf einer Stilseite. Als der Mantel entstand, war ich sogar dabei. Ich glaube, ich werde jetzt berühmt....
Für den ganzen Artikel bitte das Bild klicken.
Foto: theaccidentalhoarder
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Donnerstag, 9. Februar 2012
Oh yeah, life goes on
frau klugscheisser, 12:01h
Manchmal fühlt sich das Leben an, als ob ich auf einer Klippe stünde. Vor mir fällt der Boden steil ab und eine riesige Schlucht tut sich auf, deren Grund nicht sichtbar ist. Wenn ich mich bewege, lösen sich kleine Steinchen und stürzen in die Unendlichkeit. Dieses Gefühl der Übelkeit im Magen, der Schwindel im Kopf. Ich kann nicht weg, weil ich sonst in Gefahr laufe, den Steinchen nach unten zu folgen. Wegsehen oder gar die Augen schließen kann ich aber auch nicht, denn dann verliere ich durch den Schwindel das Gleichgewicht. Es gibt nur eine Möglichkeit: aushalten.
Manchmal bin ich überrascht, wie ich in die Situation gekommen bin. Natürlich habe ich mich da selbst hineinmanoevriert. Oder ich war die ganze Zeit schon da und konnte es bisher nur erfolgreich vor mir leugnen. Mich ablenken, darüber hinwegspielen, mir die Sache schön reden. Alles Vermeidungstaktik. Am Ende stehe ich dann doch wieder vor dem Abgrund und muss zugeben, dass es da ganz schön tief runtergeht. Nicht nur das, ich muss auch die Ausweglosigkeit akzeptieren, denn am Ende stehe ich immer wieder an dieser Klippe.
Wie schwer es mir fällt, manche Dinge auszuhalten, das erlebe ich immer wieder mit Kleinigkeiten im Alltag. Hunger beispielsweise. Ich habe Appetit und esse, behaupte aber es wäre Hunger. Als ich wegen meiner Weisheitszähne nur sehr wenig zu mir nahm, da spürte ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder, was Hunger ist. Oder ein Jucken im Auge, dem ich sofort mit Reiben entgegenwirke. Oder einsam sein. Ich lese, schaue Filme, telefoniere oder lenke mich sonstwie von diesem unerwünschten Zustand ab.
Seit einiger Zeit versuche ich, nicht sofort auf eine Situation zu reagieren, sondern sie erst zu spüren, sie in ihrem ganzen Ausmaß wahrnehmen. Das klingt vielleicht erst einmal lächerlich oder gar unverständlich. Wieso sollte ich nicht sofort auf einen Reiz reagieren? Weil ich mir des Reizes erst einmal bewußt werden will. Ich will wissen, was da juckt und zwackt bevor ich etwas dagegen tue. Sofort zu reagieren hieße, vor einem Schatten wegzulaufen, obwohl er nur der einer Katze statt des vermeindlichen Tigers war.
Das ist nicht neu und auch nicht besonders einfallsreich. Ich will das Rad nicht erfinden. Allerdings habe ich gemerkt, dass ich auf diese Weise besser für anderes gewappnet bin. Die Untiefen im Fahrwasser des Alltags können mich nicht mehr so sehr schrecken. Das bedeutet nicht, dass ich die Angst und Unsicherheit nicht mehr spüre. Im Gegenteil, ich spüre sie umso deutlicher. Aber sie werfen mich nicht mehr komplett aus der Spur, weil ich deswegen am Steuer herumreißen würde.
Und wie alles ist auch das ein Prozess, etwas, das ich täglich üben und mich daran erinnern muss. Denn es ist so leicht, die Augen zu schließen oder davor wegzurennen. Die Klippe ist da. Vielleicht aber habe ich einen Fallschirm, von dem ich noch nichts weiß.
Manchmal bin ich überrascht, wie ich in die Situation gekommen bin. Natürlich habe ich mich da selbst hineinmanoevriert. Oder ich war die ganze Zeit schon da und konnte es bisher nur erfolgreich vor mir leugnen. Mich ablenken, darüber hinwegspielen, mir die Sache schön reden. Alles Vermeidungstaktik. Am Ende stehe ich dann doch wieder vor dem Abgrund und muss zugeben, dass es da ganz schön tief runtergeht. Nicht nur das, ich muss auch die Ausweglosigkeit akzeptieren, denn am Ende stehe ich immer wieder an dieser Klippe.
Wie schwer es mir fällt, manche Dinge auszuhalten, das erlebe ich immer wieder mit Kleinigkeiten im Alltag. Hunger beispielsweise. Ich habe Appetit und esse, behaupte aber es wäre Hunger. Als ich wegen meiner Weisheitszähne nur sehr wenig zu mir nahm, da spürte ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder, was Hunger ist. Oder ein Jucken im Auge, dem ich sofort mit Reiben entgegenwirke. Oder einsam sein. Ich lese, schaue Filme, telefoniere oder lenke mich sonstwie von diesem unerwünschten Zustand ab.
Seit einiger Zeit versuche ich, nicht sofort auf eine Situation zu reagieren, sondern sie erst zu spüren, sie in ihrem ganzen Ausmaß wahrnehmen. Das klingt vielleicht erst einmal lächerlich oder gar unverständlich. Wieso sollte ich nicht sofort auf einen Reiz reagieren? Weil ich mir des Reizes erst einmal bewußt werden will. Ich will wissen, was da juckt und zwackt bevor ich etwas dagegen tue. Sofort zu reagieren hieße, vor einem Schatten wegzulaufen, obwohl er nur der einer Katze statt des vermeindlichen Tigers war.
Das ist nicht neu und auch nicht besonders einfallsreich. Ich will das Rad nicht erfinden. Allerdings habe ich gemerkt, dass ich auf diese Weise besser für anderes gewappnet bin. Die Untiefen im Fahrwasser des Alltags können mich nicht mehr so sehr schrecken. Das bedeutet nicht, dass ich die Angst und Unsicherheit nicht mehr spüre. Im Gegenteil, ich spüre sie umso deutlicher. Aber sie werfen mich nicht mehr komplett aus der Spur, weil ich deswegen am Steuer herumreißen würde.
Und wie alles ist auch das ein Prozess, etwas, das ich täglich üben und mich daran erinnern muss. Denn es ist so leicht, die Augen zu schließen oder davor wegzurennen. Die Klippe ist da. Vielleicht aber habe ich einen Fallschirm, von dem ich noch nichts weiß.
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