Montag, 27. August 2007
Walk a mile in my shoes
Müdigkeit, schmerzende Füße und ein Anwachsen des Körperumfanges sind Symptome, unter denen Kabinenmitarbeiter nach einem Arbeitstag fast immer leiden. Zwingen Sie sich probeweise, 24 Stunden ohne geistig anregende Tätigkeit wach zu bleiben, verbringen Sie 12 davon auf einem Laufband, essen Sie zwischendurch 5 Liter Bohnensuppe und setzen sich anschließend, wenn ihr Biorhythmus tiefste Nacht meldet, vor eine grelle Neonröhre, dann wissen Sie, wie wir uns am Zielort in etwa fühlen. Nicht unbedingt beneidenswert, oder? Flugpersonal und so mancher Normalreisende hat nur kurzen Aufenthalt in fernen Städten, weswegen man sich bereits im Anschluß an den langen Flug aus dem Hotel quält. Im Folgenden nun einige wertvolle Tipps aus meinem reichen Erfahrungsfundus für die ersten Stunden in der Fremde.

Wenn ich an Ausflüge in Bangkok, Tokio, Shanghai, Los Angeles oder San Francisco denke, senkt sich über alle Eindrücke ein Schleier der Benommenheit. Man läuft durch Straßen wie ferngesteuert, ständig bemüht, die Augen offenzuhalten und nicht über die eigenen Füße zu stolpern. Leichter Schwindel ist mein treuer Begleiter. Das Sichtfeld ist auf Scheuklappenweite reduziert und die Wahrnehmung ganz allgemein ähnelt der Berieselung vor dem Fernsehgerät, mit dem Unterschied, dass auf der Couch die Füße selten so weh tun. Die Eindrücke ziehen an einem wie ein Film vorbei, in dem man nicht Hauptdarsteller, sondern höchstenfalls Statist ist, den dringenden Wunsch habend, es möge sich nicht um einen Krimi handeln (Statisten in Krimis sind meistens tot) und es komme schon bald ein Bett darin vor.

Falls Sie weiblich sind und glauben, Sie sollten in Frustphasen, während PMS oder bei Liebeskummer besser nicht einkaufen gehen, weil Sie nicht Herr ihrer Bedürfnisse sind, erweitern Sie ihre Liste um den Zustand nach einem Langstreckenflug. Ich habe Flugbegleiterinnen in Johannesburg erlebt, die zum Rückflug neben schweren Koffern riesige Holzgiraffen anschleppten. Das Schicksal der Tiere endet meist elend unter Hausstaub begraben oder im Kamin. Orchideen aus Bangkok gehen nach einiger Zeit von selbst kaputt, nicht aber funktionslose Funktionswäsche aus Asien, für die viele Polyester ihr Leben ließen. Machen Sie sich vorher eine Einkaufsliste - vorausgesetzt Sie haben nicht gerade PMS, Liebeskummer oder sonstigen Frust - und halten Sie sich strikt daran. Aber kaufen Sie NIEMALS etwas, das nicht auf dieser Liste steht. Selbst wenn die Verkäuferin beim Leben ihrer Großmutter geschworen hat, dass Sie eine typische Size 6 sind, wird ihnen die Hose deshalb noch lange nicht passen, und die 38er Bluse aus Fernost ist nunmal für schmalbrüstige Asiatinnen konzipiert. Großmütter von Verkäuferinnen sterben oft früh.

Einzige Ausnahme in obiger Regel ist ein Stadtplan. Dieses notwendige Accessoire könnte Sie in Kombination mit einem Kompass unter Umständen vor dem schmerzhaften Hühneraugentod bewahren. Vorausgesetzt Sie sind eine Frau, die Straßenkarten von Burda-Schnittmustern unterscheiden und ihrem Verwendungszweck gemäß interpretieren kann. Vergessen Sie alles, was Sie über die Hilfsbereitschaft der jeweiligen Landesbewohner gehört haben. Tipps von hilfsbereiten Passanten zählen eher zur Kategorie Smalltalk. Die Wenigsten haben einen so guten Orientierungssinn wie Sie. Erschwerend kommt hinzu, dass man Sie in Fernost lieber in die Irre führt, als die eigene Ahnungslosigkeit zuzugeben. Stadtpläne gibt es übrigens an der Hotelrezeption meist gratis, inklusive für Sie später unverständlicher Kulieinzeichnungen eines Angestellten.

Ein Stadtplan allein macht allerdings auch noch keinen Rückweg. Versichern Sie sich vor Verlassen des Hotels, dass Sie eine Visitenkarte mit Adressaufdruck des selbigen mit sich führen. Je weniger die örtlichen Schriftzeichen unseren europäischen ähneln, um so wertvoller wird das kleine Stück Pappe, das Sie notfalls einem Taxifahrer in die Hand drücken können, vorausgesetzt Sie sind am Ende ihrer Einkaufstour im Besitz von genügend bunt bedruckten Lappen. Falls sich in Ihren Taschen nur noch Münzen befinden, werden Sie den Rückweg wohl oder übel zu Fuß antreten müssen. In meiner Tasche - eine faltbare, die immer mitreist - befinden sich unzählige solcher Pappkärtchen. Die Herausforderung besteht darin, sich für das richtige zu entscheiden. Keine leichte Aufgabe in tranceähnlichem Zustand. Falls Sie die beiden Testfragen 'wie heißen Sie?' und 'wissen Sie, wo sie sind?' für sich nicht eindeutig beantworten können, bleiben Sie lieber im Hotel. Andernfalls könnten Sie sich schnell in einer lokalen geschlossenen Einrichtung wiederfinden.

Fremde Währungseinheiten sind ebenfalls eine große Gefahrenquelle. Der Abnutzungszustand bunt bebilderter Scheine ist ebenso wenig aussagekräftig wie diverse Nullen hinter einer Ziffer. Selbst die Größe von Münzen täuscht manchmal über ihren tatsächlichen Wert. Einzig das Wissen um den Umrechnungskurs hilft hier weiter. Das Rechenzentrum im Gehirn arbeitet jedoch umgekehrt proportional zum Schlafdefizit. Lassen Sie sich nicht dazu verleiten, den entsprechen Koeffizienten der Einfachheit halber zu runden. Wer früher im Österreichurlaub mit Sieben als Multiplikator Schwierigkeiten hatte, sollte sich vor einem Aufenthalt in Asien oder Amerika besser entmündigen lassen. So manches Schnäppchen entpuppt sich nach einer Nacht als Luxusartikel. Auch 100 Yen oder 99 Cent Shops bewahren Sie nicht davor, zu viel Geld auszugeben. Selbst wenn Sie noch so viel Freude beim Erwerb der Billigartikel hatten, glauben Sie mir, die Freude der Tante an einem Plastikelch oder die des Onkels über Toilettenschlappen hält sich in Grenzen.

Zum Schluß noch ein Hinweis in eigener Sache: sollten Sie jemals im Ausland eine auf den Stufen eines öffentlichen Gebäudes zusammengekauerte, weinende Person mit Ray Ban Sonnenbrille und Guccifaketasche bemerken, handelt es sich weder um eine geistig Verwirrte, noch um eine Oberklassenobdachlose, sondern um die Angestellte einer Fluggesellschaft. Setzen Sie sie in das nächste Taxi und geben Sie dem Fahrer genügend Geld, die größeren Hotels der Stadt abzufahren. Mit Ihrem selbstlosen Handeln haben Sie ermöglicht, dass mehr als 200 Passagiere ihr Ziel pünktlich erreichen. Und wer weiß, vielleicht erhalten Sie eines Tages ein Päckchen mit einem Dankschreiben und Toilettenschlappen oder einem Plastikelch. Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.

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Jetzt, wo Sie das so erzählen...
Ich hab mal in einem Hotel in Westafrika eine Stewardess in Uniform und mit zwei Koffern gegen eine Glastür laufen sehen. Es war aber nicht die Tür, es war die Wand des Restaurants, nur eben durchsichtig. Weiter erstaunlich war, dass keiner der Crew sich um sie gekümmert hat, als sie ihre Siebensachen zusammensammelte. Es schien, als ob die anderen es nicht mal bemerkten.
Ich werde ab jetzt Aussschau halten nach gestrandetem Luftpersonal, versprochen.

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Tolle Geschichte. Eine andere Variante wären Kollegen, die sich - statt zu helfen - schlapp lachen. Nach müde kommt bekanntlich blöd und es wird meistens viel und hysterisch gelacht.

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Sehr schön, viel geschmunzelt! Bin zwar kein Vielflieger, aber den Jetlag in China hab ich ja jetzt auch mitgemacht, weiß daher ungefähr, wie sich das anfühlt! Toilettenschlappen, *prust*, dass es sowas gibt...

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Toilettenschlappen kommen aus Japan und werden dort immer noch benutzt. Man stellt sie vor die Türe, um zu zeigen, dass besetzt ist. Inzwischen gibt es auch beidseitig benutzbare, damit man sie beim Verlassen der Toilette nicht umdrehen muss.

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oh weh...welche erinnerungen werden da wach...langstreckenflluege....4 stunden "turno di assistenza" waehrend eines buenos aires fluges...
weinen wollte ich...einfach nur noch weinen und bin wohl auch deshalb aus tiefster ueberzeugung mittelstrecklerin...
aber ja, genau so ist's....mit 'ner einkaufsliste zu "duane reade" und habe trotzdem immer zuviel gekauft (diese nagellackentfernerdose, wo man nur seinen finger in den nagellackentfernerschaumstoffsschlitz steckt...himmel...tonnenweise habe ich die damals nach bella italia geschleppt und an meine freundinnen weitergereicht)....von den 100 yen-shops traeume ich noch heute...niemals vorher hab' ich soviel geld fuer soviel mist augegeben...obwohl...naja...ich hab' da eine ganz wunderbare plastikbehaelterkombination von 100-yen...die ist unschlagbar und eine geniale aufbewahrungsmoeglichkeit fuer "insalata di riso" oder aehnliche gerichte...;-)))
und....ich erinnere mich an einen unvergesslichen morgen in san francisco....um 4 uhr morgens (local time) wach...geduscht und gefruehstueck....um 6 uhr morgens den chinesen beim tai chi im park zugesehen und um 7 uhr morgens auf der golden gate bridge gestanden...die muedigkeit kam gegen 12 uhr mittags...aber bis dahin war der tag genial...

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Haha, jetzt, wo Sie es sagen, so eine Nagellackentfernerdose hatte ich auch mal. Dabei trug ich nicht oft Nagellack. Ist wohl irgendwann eingetrocknet.

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Ich habe mich in Ihrer Beschreibung ebenfalls sofort wiedererkannt, inklusive Ray Ban Brille, Hotelkaertchen und dem Gefuehl, dass man gerade wiedereinmal beim Kauf eines unnuetzen Gegenstandes voellig ueber den Tisch gezogen wurde (besonders intensiv ist dieses Gefuehl immer in China: egal wie sehr man den Preis runterhandelt, das Grinsen auf dem Gesicht des Verkaeufers zeigt einem nur zu deutlich, dass man wieder richtig ins Klo gegriffen hat).

Besonders deutlich wird der Unzurechenbarkeitsfaktor der Flugbegleiter auch nach dem Einchecken an der Hotelrezeption. Da sieht man sie mit dem Fahrstuhl immer wieder rauf und runter fahren, wirr durch die Hotelflure wandeln, wiederholt unglaeubig auf die Zimmernummern starren und sich mit dem Kaertchen an fremder Leute Hotelzimmer mit zum verwechseln aehnlicher Nummer zu schaffen machen, bis sich endlich ein Zimmermaedchen oder ein anderer Hotelgast erbarmt und die aufgeloeste Person zu ihrem richtigen Zimmer fuehrt.

Oh wie freue ich mich auf unsere neue Destination Houston: 17 Stunden Direktflug (ex DXB) und 24 Stunden Layover. Bitte, liebe Houstoner, habt erbarmen und nehmt euch der wandelnden Toten an!

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Nach 17 Stunden nur 24 Stunden Layover? Da hoffe ich, dass Sie wenigstens ordentlich Schmerzensgeld bekommen.

Die Suche nach dem richtigen Zimmer, das hatte ich vollkommen verdrängt. Muss ich unbedingt auch noch was drüber schreiben. Bisher habe ich zwar immer mein Zimmer gefunden, das Magnetkärtchen streikt aber gelegentlich und ich muss wieder zwanzig Stockwerke runter, an der Rezeption anstehen, wieder rauf, bemerken, dass ich im falschen Stockwerk ausgestiegen bin, wieder in den Lift, vor dem Zimmer die Taschen nach der Schlüsselkarte durchwühlen, aufsperren, die Türe mit Schwung aufstoßen, den ersten Koffer ins Zimmer schieben, den Rückschwung mit der Schulter abfangen, erneut die Türe aufstoßen, schnell selbst ins Zimmer, den Rückschwung mit der Hand am zweiten Koffer abfangen, erneut aufstoßen, den Koffer schnell ins Zimmer ziehen, dabei über den ersten Koffer stolpern, der schon drin steht...
Koordination ist in diesem Zustand Glückssache.

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