Dienstag, 18. September 2007
Keep on smiling
Flüge Richtung Indien zählen unter Personal nicht unbedingt zu den beliebtesten. Das liegt vorwiegend an den Landesbewohnern, die als Passagiere ziemlich anstrengend sein können. Um so einen Flug gutgelaunt zu überstehen, muss man einiges über die Kultur des Landes wissen. Der Inder an sich ist, obwohl im Zeitalter der Technologie angelangt, immer noch stark in seiner Tradition verwurzelt. Im Vergleich zu den Kasten sind unsere westlichen Schubladen der reinste Kindergeburtstag. In der Wiedergeburtslehre ist man nämlich selbst verantwortlich für sein Schicksal. Da hilft kein Jammern auf hohem Niveau, Saftschubse ist Saftschubse. Sie wird nichts besseres verdient haben und vom Inder, der es zu ein klein wenig Wohlstand gebracht hat, auch entsprechend behandelt. Ein indischer Passagier sagte einst zur Kollegin (mit indischem Akzent zu lesen)"You know, in my country you are a servant", worauf sie geistesgegenwärtig erwiderte "You know, in my country you are a taxi driver."

Die indische(n) Sprache(n) kennt kein Bitte und Danke, was mir im Grunde herzlich egal sein könnte, denn ich spreche nicht indisch, sondern englisch mit meinen Gästen. Das dahinterstehende Prinzip ist vielen Indern genausowenig geläufig, wie die englische Übersetzung der beiden Worte. Kann man jetzt drüber hinwegsehen, ist allerdings schwer, wenn in Kombination mit Satzbau und Sprachmelodie aus jeder Bitte eine Forderung wird. Beliebtester Satz während des Einsteigevorganges: "Give me water!" Sollte man sich jetzt zur Frage "what's the magic word?" hinreißen lassen, darf man als Antwort nicht viel mehr als ein "move!" erwarten. So beginnt man wohl oder übel den Hindernislauf, springt über Koffer und Plastiktüten, die die Gänge verstopfen und quetscht sich an unförmigen Menschen vorbei zur nächstgelegenen Wasserstelle. Dort füllt man einen Becher, bemüht sich, auf dem Weg nichts von dem kostbaren Naß zu verschütten, verteidigt es gegen neidvolle Blicke anderer Passagiere und präsentiert ihn stolz dem Auftraggeber. Nach drei Schlücken streckt der ihn mit angewidertem Blick von sich und dem nächsten Kollegen entgegen, als würde es sich um Gift handeln.

In Indien ist es üblich, einem Gast bei dessen Ankunft Wasser zu reichen. Im Grunde eine nette Geste, nur nicht ganz so auf das heutige Transportwesen übertragbar. Auch Gastgeschenke sind sehr beliebt unter den Indern. Ein Gast, der einst lautstark "Give me compliments!" forderte, war nicht mit freundlichen Bemerkungen über seine Person zufriedenzustellen, sondern nur durch eine kleine Pralinenschachtel mit dem Aufdruch "with compliments". Manches Handgepäcksstück ist nach dem Flug schwerer als vorher, denn es gibt viele Kleinigkeiten, die man umsonst bekommt und die man - wer weiß - sicher irgendwann dringend benötigt.

"I want a whiskey"
"Sure Sir, on the rocks or with soda?"
"Pure."


Wir befinden uns in der Zeit zwischen dem 1. und 2.Service, auch 'Wache' genannt. Während die meisten Passagiere schlafen, den Film verfolgen oder sich anderweitig beschäftigen, beschäftigen sich indische Passagiere gerne mit dem Getränkesortiment. Ich laufe durch die gesamte Kabine, memoriere drei weitere Getränkewünsche auf meinem Weg nach hinten und bringe alles auf einem Tablett nach vorne, die nächsten drei Bestellungen annehmend.

"What is that?"
"That is your whiskey, Sir."
"I wanted it with Soda."


Von den letzten drei Auftraggebern haben sich zwei ebenfalls umentschieden. Alles retour, stets offen für neue Wünsche. So geht das in einem fort. Indienflüge sind der reinste Marathonlauf. Das kleine Licht der Passagierrufe erlischt niemals. Aufenthalte in den Bordküchen transformieren zu Boxenstopps, rechts rein, tanken, links raus. Und wenn endlich alle Sonderwünsche erfüllt sind, ist der Flug auch schon vorbei.

Dass sich Smitty, die indische Kollegin mit dem stummen 'r' und ohne 'y', gelegentlich ebenfalls über ihre Landsleute beklagt, wirkt in diesem Zusammenhang beruhigend. Und alle Inder sind ja auch nicht so. Im Gegenteil, auf dem vergangenen Flug hörte ich erstaunlich oft Bitte und Danke, sammelte viele leere Becher ein und hatte keine unzufriedenen Gästen zu beschwichtigen. Das mag an meinem exzessiven Lächeln gelegen haben. Eine etwa grenzwertige Aussage in Kombination mit stetigem Lächeln, lässt den Inder glauben, es handele sich um eine besonders trockene Form britischen Humors. Man kann ihm vieles vorwerfen, dem Inder an sich, aber zimperlich ist er nicht.

... comment

 
Da hätte ich als Beitragstitel fast »Passage to India« erwartet, schon allein wegen der antagonistischen Perspektive. :-)

Der späte Oweh

... link  


... comment
 
Verständnisvolles, glückliches Grinsen bei Dienstantritt, dankeschön.
Ich frage mich ob man vielleicht mehr von dieser Art Geschichten... *hrm*

... link  


... comment
 
Komischerweise habe ich ganz andere Erfahrungen. Ich als Programmierer habe manchmal mit Outsourcing-Indern zu tun. Zwar lässt die Arbeitsmoral einiges zu wünschen übrig, aber die Kommunikation ist voll ausgesuchter Höflichkeit. Selten sehe ich so viele "please"s, "kindly"s und "thank you"s wie in den E-Mails der Inder. Auch am Telefon: Wo Deutsche und Amerikaner mich schon längst zusammengeschissen hätten, weil ich etwas vergessen habe, heißt es bei ihnen nur "may I ask you to..."

... link  

 
Mr. Albertsen, the difference is: you are not a servant.

... link  

 
Glückwunsch...
....zu diesem wunderbaren Artikel! Ich wollte gerade einen Beitrag in meinem Blog über meinen letzten Flug nach Kalkutta vor vier Tagen schreiben. Da ich ebenfalls an einer Magen-Darm-Verstimmung leide und geistige Anstrengung unattraktiv und etwas verfrüht erschien, dachte ich, ich werfe vorher noch einen kurzen Blick in die Blogs meiner Freunde und Kollegen. Und dann stosse ich auf diesen Artikel. Er spricht mir aus der Seele! Eigentlich könnte ich auf meinem Blog einfach nur einen Link hierauf setzten und alles wäre gesagt.

Give me more!

... link  

 
Wo versteckt sich denn Ihr Blog?
Vielleicht hinterlegen Sie Ihren Namen der Einfachheit halber mit der URL? Geht ganz einfach: rechts oben nach der Anmeldung das Benutzerprofil ändern.

Und danke für die Blumen.

... link  

 
Danke fuer den Tipp. URL hinterlegt

... link  


... comment