Freitag, 23. März 2007
Return to fantasy
~Dieser Beitrag ist (noch) nicht gesponsort~
Das kleine Kino an der Ecke Falls Sie am Wochenende noch nichts vorhaben und in München wohnen, besuchen Sie doch mal das kleine Programmkino in der Isabellastraße. Schauen Sie sich beispielsweise an, was wahres Leben ist, nachdem Sie jetzt das Leben der anderen kennen oder erfahren Sie mehr über das Leben nach der Hochzeit. Sollten Sie mittwochs Zeit haben und zudem des Spanischen (wahlweise italienisch oder französisch) mächtig sein, können Sie dort jede Woche einen Originalfilm mit Untertitel in dieser Sprache genießen. Sie mögen lieber englische Filme? Kein Problem. Auch die laufen täglich im Original und Sie sparen sich stundenlanges Schlangestehen wie etwa an der Cinema-kasse. Unschwer zu erkennen, dass mir dieses kleine Kino sehr am Herzen liegt. Kürzlich ging ich auf einem Spaziergang dort vorbei. Durch die Türe drang Klaviermusik nach draußen. Ich lauschte für einen Moment der Melodie der Goldbergvariationen bis sie von Dialog unterbrochen wurde. Plötzlich wirbelten mich meine Gedanken durch die Luft und setzten mich in einer längst vergangenen Zeit ab.

Als Kind war Weihnachten, wie man sich unschwer vorstellen kann, etwas ganz Besonderes. Dabei war es nicht die Bescherung, die den 24. zu einem aufregenden Tag machte, sondern das Warten. Während die Erwachsenen am Nachmittag die Stube für die Ankunft des Christkindes vorbereiteten, wurde ich kurzerhand bei Bekannten abgeliefert, die ein kleines Kino in einem Münchner Vorort besaßen. Bei unserer Ankunft öffnete die dicke Kassiererin, manchmal auch die Besitzerin selbst, die an Leibesfülle ihrer Kollegin in nichts nachstand, die Türe zum Kinderparadies hinter der Kasse. Dort wurden meine Taschen mit Eiskonfekt, Gummibärchen, Schokostäbchen mit Fruchtfüllung, sauren Ringen und derlei mehr bis zum Anschlag gefüllt, bevor man mich in den bereits abgedunkelten Saal führte. Was die Taschen nicht mehr hielten, hielt ich in Händen, so auch eine geöffnete Fantaflasche. Ich dachte, so ein Kino zu besitzen müsse ungeheuer praktisch sein, weil man immer Süßigkeiten im Haus hat, für die man nicht bezahlen muss.

Am Eingang zum Kinosaal wartete bereits die Platzanweiserin und führte mich mit ihrem Taschenlampenstrahl zu einer leeren Reihe. Ich kam mir immer sehr wichtig dabei vor, wie ein VIP. Einmal war die Platzanweiserin krank (oder bereits eingespart), da durfte ich die Lautstärke auf dem Sitz hinter der letzten Reihe regulieren. Offiziell gab es nichts zu regulieren, ich drehte aber um des Effektes willen den Knopf ein klein wenig nach rechts und wieder zurück. Schließlich war dies eine einmalige Chance, die ich nicht ungenutzt lassen wollte. Am Ende des Filmes war ich froh, meiner ungeheuren Verantwortung wieder enthoben zu sein.

In den Sommerferien durfte ich zu meiner großen Freude dann bei den Bekannten übernachten. Ihre Tochter war einige Jahre älter als ich. Sie schwärmte damals für die Popgruppe Sailor und insbesondere für deren Frontmann Georg Kajanus (der mit dem Ringelshirt). Zu jener Zeit kannte ich gerade mal Boney M und die Abba Songs, die auf einer abgenudelten Cassette meiner Mutter bei Autofahrten liefen. Dagegen machten die Bandmitglieder auf Postern, mit denen die Tochter unserer Bekannten ihr Zimmer gepflastert hatte, richtig was her. Noch in diesem Sommer bekam ich meine erste LP, natürlich von der Band mit dem Nickelodeon. Damit begann der Kampf um den elterlichen Plattenspieler und schließlich um die Musikauswahl während langer Autofahrten in die Ferien.

Von jenem Übernachtungsbesuch ist mir noch gut in Erinnerung, wie wir die großen Filmspulen wechselten und uns schließlich in die Abendvorstellung schlichen. Der Film - sowohl Titel als auch Inhalt sind mir leider entfallen - war mit Sicherheit nicht für unser Alter geeignet. Was wir (nicht) zu sehen bekamen wurde mir hinterher en détail von der Tochter des Hauses erklärt, die über eine fundierte Bildung aus der Bravo verfügte. Somit blieben keine Fragen offen. Mit meinem neugewonnenen Wissen konnte ich sogar meine Großmutter und ihre Kaffeedamen erstaunen. Die folgenden Kinobesuche beschränkten sich leider wieder auf Nachmittagsvorstellungen von Disneyfilmen.

Irgendwann musste das Kino der Bekannten erst einem Blumenladen und später einer Discountkette weichen. Die Zuschauerzahlen waren spärlich, das Geschäft lief schlecht. Um aktuelle Filme zu sehen fuhr man in die Innenstadt zu den großen Kinos. Für Vororte waren neue Filme damals noch einige Wochen gesperrt oder zu wenige Kopien vorhanden. Aber wer will schon Wochen auf laufende Filme warten? Mit dem Verkauf wurde ein Kapitel Familiengeschichte beendet. Erst war meine Großmutter, später meine Mutter dort Platzanweiserin, ich selbst leider nur einen Tag. Es gab immer lustige Geschichten und Ereignisse rund um das Kino zu berichten. Dass mein Großvater wohl während der Abendvorstellungen mit der Filmvorführerin fremd ging, erfuhr ich erst, als das Kino nicht mehr existierte.

Leuchtreklame dezentIch weiß nicht, ob die Besitzerin schließlich alle Süßigkeiten alleine aufgegessen hat und wo die großen Filmplakate geblieben sind, die sie mir schenkte - um das Plakat von Sauras Carmen habe ich damals sehr gebettelt. Das Studio Isabella weckt jedenfalls gute Erinnerungen, auch ohne Fruchtgummis.

Ich sollte wirklich öfter ins Kino gehen. Und Sie auch.

Studio Isabella, Neureutherstr. 29/Ecke Isabellastraße
Weitere Artikel über das Isabella:
Münchner Kinos im Vergleich
Förderpreis für Programmauswahl
Wochenprogramm mit Links auf Inhalt

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Die Leuchtbuchstaben und die Schaukästen sehen schon mal sehr nett aus. Und die Familiengeschichte ist ja selbst großes Kino. (Und: Sailor! Haha.)

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Verspotten Sie meinen präpubertären Musikgeschmack nur. Nach meinem Auszug versuchte ich vergeblich, die alten Platten zwischen denen meiner Mutter zu verstecken. Sie hat sie mir nachgeschickt. Immerhin eine kleine - wenn auch geringfügige - Steigerung im Vergleich zu BoneyM.

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Mir haben Sailor auch gefallen, ätsch. Und ich finde, man braucht sich nicht für seinen Musikgeschmack entschuldigen. Übrigens war der Sänger wirklich ein sehr schöner Mann, ganz besonders hatte es mir der Anker auf seiner Wange angetan.
Hier gibt es auch so ein kleines Kino, mitten auf dem Land, in einer alten Mühle untergerbacht.Ich liebe es sehr.

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Ich stelle immer wieder fest: So schlimm ist die Münchner Kinoszene gar nicht. Die heiligen Drei: Das Isabella – schon immer eines meiner Lieblingskinos, seit einiger Zeit aus …äh..Gründen wieder häufiger besucht – im Verbund mit dem Rottmann. Nur durch den Türkendolch – ehemals Drittes im Bunde – weht jetzt der Zeitgeist. Aber im Isabella sind sie beharrlich. Entweder haben sie 2001 riesige Mengen an Eintrittskarten drucken lassen, oder der Türkendolch steht aus reinem Mutwillen immer noch mit drauf. Gut so. .-)

Und für die Turbocineasten gibt es immer noch Meister Daiber und sein Maxim – das einzige unabhängige Kino in München, soweit ich weiß. Dafür /darum / deswegen gibt es auch ab und zu »60er Jahre Kolchosenfilme« (Genrebezeichnung) zu sehen. Was will man mehr?

(Ich weiß, es gibt noch eine Hand voll anderer guter Kinos in München)

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Die beiden anderen kenne ich (noch) nicht. Das Arri fand ich auch nicht schlecht.

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Das Arri ist halt fein, weil die Firma ARnold & RIchter ja nicht nur feine Kameras baut, sondern auch Projektoren, etc. So kann man sich da sicher sein, immer gute Bild- und Tonqualität vorzufinden und nicht schlimmen Multiplexkram oder gar Vorstadtkinoniveau.

In so einem sah ich mal im letzten Jahrtausend und einem anderen Leben »Rattle and Hum«. Und es war unscharf. Sehr unscharf. So richtig unscharf. Die »Schärfer!« Rufe verhallten ungehört. Also steht der junge Oweh auf um dem Vorführer freundlich an die Erfüllung seines Jobs zu erinnern. (Ohne Scheiß: durchs Taschengeldbudget jahrelang auf Provinzkinos angewiesen, habe ich mir meinen Sitzplatz eine Zeit lang immer danach ausgesucht, wie schnell ich raus komme um dem Vorführer Bescheid sagen zu können. Schärfe, Ton, Bildstrich, falsche Maske, Anamorphoten vergessen, falsche Rolle eingelegt – es gibt so manches. Ich Kinobesserwisser. Dafür heule ich auch am Schluss von »Cinema Paradiso«)

Auf alle Fälle ich also raus und zur Projektorkabine. *klopfklopf* Keine Reaktion. *klopfklopfklopf* Nix. *KLOPFKLOPFKLOPF* …. Egal, Türe auf. Drin erst auf den zweiten Bick jemand zu sehen. Am Boden sitzend, Walkman auf den Ohren.
»Hallo!« … »HAAALLOOOO!«

Was ich denn hier machen würde, ich dürfe hier gar nicht rein, war der aufgeschreckte Ausruf des jungen Mannes. Der Film wäre unscharf und ob er nicht…
Das könne gar nicht sein, sagte der äh… Vorführer, ohne sich großartig zu rühren.
Ob er denn bitte trotzdem nachgucken könne?

Widerwillig dreht er sich zum Guckloch, guckt, lächelt mitleidig und verkündet, dies sei ein Schwarz-Weiß-Film.
»….???«
»Schwarz-Weiß-Filme werden nie ganz scharf!«

Seinem siegessicheren Lächeln kehre ich sofort den Rücken zu, gehe zur schon interessiert guckenden Besitzerin am Kassenhäuschen und verkünde, dass ich Hans hieße, wenn jener junge Mann einen Vorführschein hätte und, wenn nicht innerhalb von der Zeit, die eine Kastanie braucht von einem Schemel zu fallen, der Film scharf wäre, ich s o f o r t mein Geld wieder haben wolle und ich zudem den Verleih über die Vorführsituation in ihrem Kino… Drohgebärden helfen manchmal doch.


Aber ich mag die kleinen Kinos. In Penzberg musste ich dunkel und in Mono (höchstens) einige Filme sehen, aber das Kino hatte auch eine wunderschön verblichene Bergarbeiterstadtgrandezza. Besitzerin war eine uralte Frau (die Mutter eines Kollegen meines Vaters). Die saß im Kassenhäuschen, verkaufte eine Karte, stelle ein »Komme gleich wieder« Schild auf, dackelte vor zum Saaleingang, riss die Karte ab, öffnete und schloß die Kordelabsperrung zum Saal, wieder hinter zur Kasse, die nächste verkauft, Schildchen – dackeln – reißen - Kordel – dackeln….

Bei durchschnittlich 15 Besuchern pro Vorstellung ging das schon. Heute steht in Penzberg auch ein Multiplex.

P.S.: Wenn Du noch Kinos kennenlernen willst: Das »Werkstattkino« in der Fraunhofer ist so eine Keller-Jugendtreff-Filmkiste, hat aber das ungewöhnlichste Programm.

Das schönste Kino ist wohl das »Theatiner« in der gleichnamigen Straße. Wie ein 50er- Jahre Luxusreisebus.

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