Dienstag, 28. März 2006
Nebelkerzen
Wozu brauchen Menschen Wettervorhersagen? Die braucht keiner, vor allem dann nicht, wenn sie sowieso nicht zutreffen. Deswegen habe ich in meinem Mikrokosmos die Wettervorhersagen genau wie den Fernseher und die Zeitung abgeschafft. Es will sich keiner rund um die Uhr mit negativen Berichten beschäftigen. Sonst wären die Zugriffszahlen auf Befindlichkeitsblogs viel größer. Manche Menschen brauchen Wettervorhersagen, um dann hinterher sagen zu können „ich hab´s doch gesagt“ Dann fühlen sie sich sehr omnipotent. Überhaupt fühlen sich Menschen nur dann gut, wenn sie bestätigt werden. Gut, manchmal tut so ein klein wenig Bestätigung schon gut, vor allem, wenn sie unvorhergesehen kommt. Genau da liegt aber die Krux der Wettervorhersagen, denn – wie der Name schon sagt – sind die vorhergesagt. Und dann kommt so ein Schlaumeier daher und will dafür noch auf die Schulter geklopft werden. Dabei hat er nichts anderes getan wie Millionen Anderer, nämlich das Ende der Tagesschau abgewartet und aufmerksam zugehört. Wenn das Tief Edda oder das Hoch Rüdiger über sein Häuschen zieht, dann kann er sagen „ich hab´s doch gesagt“. Dann nickt die Frau Meier von nebenan, die noch ein klein wenig am Wahrheitsgehalt der Ansage vergangenen Abend zweifelte. Dann nickt auch der Heinzi, der den Unkenrufen zum Trotz mit offenem Cabrioverdeck in die Edda fährt oder der Manni, der die Grillfete abblies, weil er nichts vom Rüdiger hörte. Überhaupt macht der Schlaumeier das nur aus Bosheit, denn er hat kein Cabrio und ist auch nicht auf die Grillfete eingeladen. Das macht ihn unheimlich sauer. Noch viel saurer macht ihn, dass keiner außer ihm selbst seiner Weisheit und Omnipotenz Glauben schenkt. Deswegen nutzt er jede Gelegenheit, um die Anderen davon zu überzeugen. Und wenn das Wetter dafür herhalten muss. Dass aber auch nur Ignoranten auf dieser Welt existieren. Nun, so sind sie, die Leute. Es gibt keine anderen. Deswegen nicke ich, wenn mir einer vom Wetter erzählt. Nur manchmal, da schmunzle ich dabei ein wenig, weil ich es ja gesagt habe.

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Sedarism
If you´re looking for sympathy,
you can find it between shit and syphilis in the dictionary.


[…]What did Trish´s mother say when her daughter, heartbroken over her breakup with Randy, came to her in search of love and understanding? […]
David Sedaris, Barrel fever „The last you´ll hear from me”

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You ain´t know nuttin´
Du bist wie dein Vater haben sie gesagt. Immer dann, wenn ich nicht brav bitte und danke gesagt habe, weil mir nicht danach war. Oder wenn ich wütend war, weil die mich ungerecht behandelt haben. Dabei wussten sie überhaupt nicht, wie mein Vater war. Sie wussten genauso wenig wie ich war. Wenn ich gefragt habe wie war er denn, mein Vater, haben sie alle negativen Eigenschaften aufgezählt, die ihnen auf die Schnelle eingefallen sind. Dann habe ich gefragt, warum war der denn so? Das wussten sie nicht. Sie haben mit den Schultern gezuckt und geschwiegen. Ich wusste schon wie mein Vater war. Ich wusste, er war wütend, ungerecht und brutal. Wenn ich gefragt habe, bin ich wütend und ungerecht und brutal, haben sie gesagt nein. Da war ich verwirrt. Dann habe ich gefragt, warum sagt ihr dann, dass ich so bin? Sie haben mit den Schultern gezuckt und gesagt, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Toll, habe ich gedacht, ihr seid fein raus, weil ich nämlich die Einzige bin, die Monsterblut in sich hat. Und ihr seid gut und gerecht und sanftmütig. Weil ich aber nicht gewusst habe wie ich bin, habe ich Bücher gelesen. Da waren viele Worte drin, die ich nicht verstanden habe. Um die zu verstehen, habe ich mehr Bücher gelesen. Aber danach habe ich nicht mehr verstanden. Nur neue Wörter gelesen, die ich nicht verstanden habe. Dann habe ich gefragt, bin ich verrückt? Und sie haben gesagt, nein, du bist nur launisch. Das Wort habe ich nicht gefunden. Nicht in Romanen und nicht in Psychologiebüchern. Ich habe gefragt, war mein Vater launisch? Und sie haben geschwiegen.

In den Büchern habe ich viel gelesen von Menschen, die andere ausnutzen. Emotionale Erpressung. Das habe ich verstanden. Wenn sie wollen, dass ich was tue und ich es nicht mache und sie sagen, du bist wie dein Vater, das ist emotionale Erpressung. Weil sie wissen, dass ich nicht sein will wie mein Vater. Weil ich noch nicht gewusst habe wer ich bin. Sie waren nicht sanftmütig und schon gar nicht gut und gerecht. Ich habe ihnen gesagt, ihr seid nicht gerecht und gut. Da haben sie gesagt, wir wollten immer nur dein Bestes. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Ich habe gefragt, warum habt ihr dann gesagt, dass ich schlecht bin? Sie haben gesagt, das ist Erziehung.

Ich habe Bücher über Erziehung gelesen. Da stand nirgends drin, dass man Kindern sagen soll, dass sie schlecht sind. Da habe ich gelesen, dass Kinder sterben, wenn sie nicht gestreichelt und geliebt werden. Ich habe gefragt, warum habt ihr mich nicht gestreichelt? Und sie haben gesagt, du warst so ungezogen. Ungezogene Kinder muss man strafen, nicht streicheln. Das habe ich in einem Buch über Pferdedressur gelesen. Man muss das Tier schlagen, wenn es ungezogen war und streicheln, wenn es gut war und dann macht es alles, was man selber will. Ich habe gefragt, bin ich ein Tier? Und sie haben gesagt, du verstehst das nicht. Ich habe gefragt, wie war mein Vater? Warum war er so? Und sie haben geschwiegen. Sehr lange. Da habe ich nicht mehr gefragt.


Wenn ein Mensch in absehbarer Zeit stirbt, ist es dann besser, Fragen zu stellen oder lieber für immer zu schweigen? Wo beginnt Rücksichtnahme auf Andere und wo hört sie auf?

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