Dienstag, 28. März 2006
You ain´t know nuttin´
Du bist wie dein Vater haben sie gesagt. Immer dann, wenn ich nicht brav bitte und danke gesagt habe, weil mir nicht danach war. Oder wenn ich wütend war, weil die mich ungerecht behandelt haben. Dabei wussten sie überhaupt nicht, wie mein Vater war. Sie wussten genauso wenig wie ich war. Wenn ich gefragt habe wie war er denn, mein Vater, haben sie alle negativen Eigenschaften aufgezählt, die ihnen auf die Schnelle eingefallen sind. Dann habe ich gefragt, warum war der denn so? Das wussten sie nicht. Sie haben mit den Schultern gezuckt und geschwiegen. Ich wusste schon wie mein Vater war. Ich wusste, er war wütend, ungerecht und brutal. Wenn ich gefragt habe, bin ich wütend und ungerecht und brutal, haben sie gesagt nein. Da war ich verwirrt. Dann habe ich gefragt, warum sagt ihr dann, dass ich so bin? Sie haben mit den Schultern gezuckt und gesagt, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Toll, habe ich gedacht, ihr seid fein raus, weil ich nämlich die Einzige bin, die Monsterblut in sich hat. Und ihr seid gut und gerecht und sanftmütig. Weil ich aber nicht gewusst habe wie ich bin, habe ich Bücher gelesen. Da waren viele Worte drin, die ich nicht verstanden habe. Um die zu verstehen, habe ich mehr Bücher gelesen. Aber danach habe ich nicht mehr verstanden. Nur neue Wörter gelesen, die ich nicht verstanden habe. Dann habe ich gefragt, bin ich verrückt? Und sie haben gesagt, nein, du bist nur launisch. Das Wort habe ich nicht gefunden. Nicht in Romanen und nicht in Psychologiebüchern. Ich habe gefragt, war mein Vater launisch? Und sie haben geschwiegen.

In den Büchern habe ich viel gelesen von Menschen, die andere ausnutzen. Emotionale Erpressung. Das habe ich verstanden. Wenn sie wollen, dass ich was tue und ich es nicht mache und sie sagen, du bist wie dein Vater, das ist emotionale Erpressung. Weil sie wissen, dass ich nicht sein will wie mein Vater. Weil ich noch nicht gewusst habe wer ich bin. Sie waren nicht sanftmütig und schon gar nicht gut und gerecht. Ich habe ihnen gesagt, ihr seid nicht gerecht und gut. Da haben sie gesagt, wir wollten immer nur dein Bestes. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Ich habe gefragt, warum habt ihr dann gesagt, dass ich schlecht bin? Sie haben gesagt, das ist Erziehung.

Ich habe Bücher über Erziehung gelesen. Da stand nirgends drin, dass man Kindern sagen soll, dass sie schlecht sind. Da habe ich gelesen, dass Kinder sterben, wenn sie nicht gestreichelt und geliebt werden. Ich habe gefragt, warum habt ihr mich nicht gestreichelt? Und sie haben gesagt, du warst so ungezogen. Ungezogene Kinder muss man strafen, nicht streicheln. Das habe ich in einem Buch über Pferdedressur gelesen. Man muss das Tier schlagen, wenn es ungezogen war und streicheln, wenn es gut war und dann macht es alles, was man selber will. Ich habe gefragt, bin ich ein Tier? Und sie haben gesagt, du verstehst das nicht. Ich habe gefragt, wie war mein Vater? Warum war er so? Und sie haben geschwiegen. Sehr lange. Da habe ich nicht mehr gefragt.


Wenn ein Mensch in absehbarer Zeit stirbt, ist es dann besser, Fragen zu stellen oder lieber für immer zu schweigen? Wo beginnt Rücksichtnahme auf Andere und wo hört sie auf?

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Fragen.

(Mit dem Spruch bin ich übrigens auch groß größer geworden.)

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Diese Fragen werden sehr unangenehmer Natur für die Befragte sein. Dabei ist Einsicht nahezu auszuschließen. Ich frage mich selbst die ganze Zeit, was ich davon hätte. Selbstgerechtigkeit? Ich weiß es nicht. Vielleicht schreibe ich die nächsten Tage mehr darüber.

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Da mein Vater
in der Familie ja noch präsent war, ist mir dieser Spruch erspart geblieben. Und mein Vater nutzte auch manche Gelegenheit, um mir zu signalisieren, dass ich anders sei als er.

In dieser Illusion habe ich mich dann bis in meine späten Zwanziger gewiegt. Bis meine damalige Freundin die Entdeckung machte, dass ich in mancherlei Hinsicht doch bin wie er. Und ich musste einsehen, dass mich die Tatsache, dass ich viele Verhaltensweisen meines Vaters nicht mochte, nicht davon abhielt, diese Verhaltensweisen selber an den Tag zu legen...

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Wissen Sie Mark, es geht nicht darum, ob und inwiefern ich ihm ähnlich bin. Es geht darum, dass dieser blöde Spruch als Waffe gegen mich eingesetzt wurde. Und das kann und will ich nicht verzeihen.

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Verstehe.
Das aufzuarbeiten ist sicher richtig. Trotzdem wünsche ich Ihnen, dass Sie an den Punkt kommen, an dem Sie verzeihen können...

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Ich korrigiere: das kann und will ich nicht vergessen. Zum Verzeihen bin ich bereit, weiß aber, dass das nicht unausgesprochen geht, zumindest bei mir.

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Mir wurde...
...ebenso jahrelang vorgesagt, wie mein Vater war. Und ich versuchte ebenso, so nicht zu sein. Bis ich ihn im Alter von 34 Jahren kennenlernte. Und merkte, dass ich genau so war wie er. Nur eben anders als jahrelang beschrieben.

Er hat den Kontakt abgebrochen.

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Wissen Sie denn warum er keinen Kontakt möchte?
[einfaches ja oder nein genügt selbstverständlich]

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Nicht direkt.
Ich kann es nur vermuten.

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Wenn Einsicht nicht zu erwarten ist, sollte man vielleicht nur sagen wie schlecht es einem damit gegangen ist, ohne dem Anderen zu sagen "Du bist...", "Du hast aber....", "Nur wegen Dir...". Eben nur über sich sprechen. Und sich darüber im Klaren sein, dass es auch eine reine Selbstverletzungsveranstaltung werden kann....

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Ja, keine Anklagen, nur Fragen, nur meinen Teil der Geschichte...

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...
ich habe mir lange gewünscht, mein vater wäre tot. mir wäre ein toter, dafür ein guter vater viel lieber, als ein arschlochvater, der in meiner kopfexistenz rumspuckt. dazu steh ich heute immer noch. sich bewusst sein, einen richtig schlechten menschen als vater gehabt zu haben, ist sehr sehr schlimm. ich kenn deine geschichte nicht und ich weiss nicht ob dein vater wirklich irgendwie schlecht war oder anders. und ich weiss nicht ob du das auch wirklich weisst, ich jedenfalls wusste es ganz genau, nicht von erzählungen, sondern weil ich es erlebt habe und das war und ist immer sehr sehr schmerzhaft. mit sowas zu leben ist eine last, die man nicht beschreiben kann.

ich habe mehrere jahre, jeden tag und ich meine wirklich jeden tag alpträume gehabt, in denen ich meinen vater anschrie und eine rechtfertigung verlangt habe, das schlimmste an den träumen war, er sah immer noch nicht ein, das er für die ganze kacke, was er uns angetan hat ( meiner mutter, mir, meiner schwester) zuständig war und nicht wir (ich und meine mamon). und so war es auch im echten leben, mein vater sieht bis heute nicht ein, dass er irgendwem was unrechtes getan hat.

die alpträume haben aufgehört, der hass auch, verständnis werd ich aber niemals für ihn haben. es passieren im leben dinge, wo man sich kein verständnis dazu schöndenken kann. der spruch, "wir sind bloß menschen" berechtigt nicht, andere kaputt zu machen. und schon gar nicht, wenn es die eigenen kinder sind. aber genau das passiert oft. kinder sind ideale opfer. sie werden manipulliert, programmiert und missbraucht. sie müssen so funktionieren, wie sich die erzieher das so ausdenken. und am besten sollten sie stumm sein. ein idealbild von einem idealkind: stumm und folgsam.

deswegen weiss ich, dass das ding mit verzeihen und verstehen eine sache ist, die man in sich ausmachen muss, oder anders: man kann das gar nich ausmachen oder beinflussen, entweder es passiert irgendwannmal von alleine, oder eben nicht.

und wenn nicht, dann muss man damit leben, ob mans will oder nicht.

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Ich weiß sehr genau, wie mein Vater war. Ich kenne auch die Alpträume - nicht jede aber jede zweite Nacht.
In diesem Fall geht es aber mehr um die, die zusahen, die nicht auffingen, sondern ebenfalls anklagten.

Dennoch kann ich für mich etwas tun. Wenn ich mir sicher bin, es geht mir besser danach, stelle ich Fragen. Ich frage die, die zusahen und nicht auffingen.

Weißt Du neuro, das ist wie mit den Menschen, denen man mal sagen muss, dass sie Arschlochverhalten an den Tag legen (du schriebst letztens von einer Lehrerin). Nicht weil man selbst besser wäre, sondern weil man es loswerden muss.

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trotzdem, was ich gerne hätte, wäre eine aufrichtige entschuldigung. von mir aus, eine rechtfertigung, die ich nich als entschuldigung aufnehmen würde, weil mit einer entschuldigung ist noch lange nicht alles im butter. mir ist klar, es wäre keine wiedergutmachung im eigentlichen sinne.

aber für mich so, für mein inneres, das gefühl zu bekommen, dass man sich mühe macht, dass man versucht. ein bißschen einsicht vielleicht? weiss nicht.
ich glaube nur ein versuch, einsicht zu zeigen, würde mir genügen. aber ich habe aufgehört zu warten, wie gesagt, die alpträume sind auch ohne seine hilfe, weg.

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Gibt es etwas wie eine Rechtfertigung, die man als Entschuldigung aufnehmen kann?
Ich denke, da beginnt der Kreislauf. Um Verständnis bitten, das ist Rechtfertigung. Und was dann? Was, wenn ich das Warum verstehe?
Erinnert mich an Alkoholiker, die ihre Frauen schlagen und am nächsten Tag beteuern, sie hätten es nur aus Liebe getan. Sie weisen jegliche Verantwortung geschickt von sich, um an ihrem Verhalten nichts ändern zu müssen.

Verarbeitung ist einerseits ein Weg, der über Erkenntnis, Wut, Trauer und Einsicht führt, auf der anderen Seite ist es ein auf und ab. Mal funktioniert es besser, mal schlechter.

Ein Bekannter sagte mal zu mir "weißt Du, das ist so: ich schreddere alles immer wieder, bis es klein ist."
Das habe ich mir gemerkt.

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klar
ist rechtfertigung keine lösung. aber allein ein zeichen, das sich wer mühe macht, würde mir persönlich reichen. vielleicht damit ich irgeneine idee habe, irgendetwas zu verstehen. man will dinge verstehen, besonders als kind. wenn man antworten sucht, weil fragen werden überhört. da steht man im wald und sucht nach antworten.

vielleicht liegts daran, dass es der vater war, und nicht wie bei dir "andere leute", ich kann mir vorstellen, dass die leute dir irgendwann mal egal wurden. würdest du nochmal fragen stellen wollen? oder möchtest du jetzt noch antworten hören?

aber das sind intime sachen, die man sich selbst beantworten muss.

der alkoholiker-vergleich stimmt.

in jedem von uns steckt noch ein kleines kind, das dinge verstehen will. ich bin mir nicht sicher, ob das heranwachsen parallel ablaufen muss, und bin mir nicht sicher ob das kleine kind in uns jemals groß wird.

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Die "anderen Leute" sind meine beiden letzten lebenden direkten Verwandten (naja, es gibt noch einen anderen Zweig aber zu denen habe ich einen völlig anderen Bezug).

Das große Mädchen sollte das kleine Mädchen ab und zu an die Hand nehmen, es trösten oder einfach nur lieb haben. Es wird immer da sein. Wer das nicht zulässt, wird irgendwann mal ein noch viel größeres Problem haben. Insofern hast Du vollkommen recht.

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Ich ahne, wovon sie sprechen.....mein Vater war für mich immer sehr ambivalent. Großzügig, warmherzig und voller Liebe auf der einen Seite und unglaublich zornig, teilweise brutal, machtbewusst und selbstgerecht auf der anderen Seite.

Solange ich ein Kind war, gelang es mir durchzutauchen, doch als Teenager war mein Welpenschutz erloschen.

Er war und ist wie er immer war und immer sein wird. Irgendwann in der Zeit hat er den vielleicht wichtigsten Teil meines Herzens verloren, das Vertrauen.

Aber das ist nur die eine Seite der Geschichte, denn meine Mutter hätte mich schützen können, doch statt dies zu tun, verwendete sie ihn und seine Wut gegen mich, sorgte dafür, das sie sich aus der verantwortung schleichen konnte und als ich sie am Boden liegend hilfesuchend anflehte, waren ihre Worte nur: "Das geschieht dir recht! Dafür hast du selbst gesorgt!"
Ich bin nicht sicher, was für mich schwerer wog.

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Sehr geehrtes Schaf,

bevor ich diesen und den vorigen Text schrieb, habe ich lange überlegt, ob ich so viel Persönliches ins Netz stelle. Immerhin ist mein Allheilspruch "Humor ist, wenn man trotzdem lacht." Aber ich weiß, dass es da draußen sehr viele Menschen gibt, die Gleiches erlebten. Die Umstände, die Worte und die heutige Sicht mögen sich voneinander unterscheiden, die Gefühle und Gedanken jedoch nicht. Selbst das Ergebnis ähnelt sich erschreckend. Manchmal kann das auch ein Trost sein, nicht die einzig schräge Person in diesem Universum zu sein.

Nur noch eine kleine Anmerkung zu Ihrem letzten Satz:
Das ist die Argumentation, unter der viele Vergewaltigungsopfer leiden "Bist selbst Schuld, hättest keinen Minirock getragen." Das schlimme daran sind nicht die Anderen, sondern dass die Frauen es selbst glauben.

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Die Selbstverletzungsveranstaltung
wie reyamm so schön formulierte.

EXIT

You know he got the cure
You know he went astray
He used to stay awake
To drive the dreams he had away
He wanted to believe
In the hands of love

His head it felt heavy
As he cut across the land
A dog started crying
Like a broken hearted man
At the howling wing
At the howling wind

He went deeper into black
Deeper into white
Could see the stars shining
Like nails in the night
He felt the healing
Healing, healing
Healing hands of love
Like the stars shiny shiny
From above

Hand in the pocket
Finger on the steel
The pistol weighed heavy
His heart he could feel
Was beating, beating
Beating, beating oh my love
Oh my love, oh my love
Oh my love

My love

Saw the hands that build
Can also pull down

The hands of love

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You Ain't Seen Nothin' Yet
Als ich – und ich war 16 – endlich die Kraft aufbrachte, mich zu wehren, empfand ich das für mich wie eine Art Befreiung, wie eine Art Wiedergeburt. Und in der kleinen Gartenlaube, in der wir uns befanden, wuchtete ihm, meinen Erzeuger, eine Gabel in den Hals mit der ich eben noch etwas gegessen hatte. Von da an war er nie wieder … in mir drin.

Was aber – im Rückblick gesehen – viel schwerer für mich wirkt, war meine Mutter; die mehr um den Sitz ihrer Locken bemüht war, als um ihre Kinder.

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