Samstag, 1. Juli 2006
Du bist elf
Wenn mir das einer erzählt hätte, ich hätte es nicht geglaubt. Ich trau mich kaum, das hier zu schreiben, ohne Angst zu haben, gleich wieder eine Glaubwürdigkeitsdebatte loszutreten. Weil mir aber scheißegal ist, wer mich mag und wer nicht (neudeutsche Definition von Authentizität), mach ich es trotzdem. Gestern haben mich elf Kerle glücklich gemacht. Genau genommen waren es sogar zwölf und eine Frau aber das tut nichts zur Sache. Zum ersten Mal seit meiner Fußballdesensibilisierungstherapie habe ich gestern in Hamburg das Viertelfinale partiell verfolgt, wobei verfolgt nicht ganz den Tatsachen entspricht. Bei jedem Aufschrei der Menge musste ich schnell in die Nähe eines Übertragungsgerätes, um einen Beobachter nach dem Spielstand zu fragen. Und dann ist es passiert: Deutschland gewinnt beim Elfmeterschießen gegen Argentinien und ich ertappte mich dabei, die Arme jubelnd gen Himmel zu strecken. Gejubelt habe ich nicht alleine, denn hier kommen der zwölfte Mann und die Frau mit ins Spiel, die mir hilfreich zur Seite standen. Noch nie in meinem Leben habe ich Menschen auf der Straße so glücklich gesehen. Eine sagenhafte Stimmung. Ausserdem bin ich sehr gespannt auf die ersten Statistiken über die Geburtenrate im nächsten Jahr. Ein sprunghafter Anstieg würde mich nach der gestrigen Ausgelassenheit nicht wundern. Für den Genpool ist die WM ein wahrer Glücksfall, denn endlich pfeift mal frischer Wind durch rezessive und dominante Merkmale.

Eine halbe Stunde nach Ende des Spieles trat der Argentinische Nationaltrainer zurück. Selbst wenn die Entscheidung an sich merkwürdig ist, frage ich mich, warum der dazu eine halbe Stunde brauchte. Der japanische Nationaltrainer hätte schon auf dem Spielfeld Harakiri begangen. Die Japaner können froh sein, dass sie schon so früh ausgeschieden sind. Ab Dienstag ist Schluss mit lustig. Da heißt es dann Farbe bekennen. Während gestern noch undifferenziert gejubelt wurde, trennt sich im Halbfinale die Spreu vom Weizen. Hey Italien, zieht Euch warm an. Ab Dienstag seid Ihr nicht mehr zu Gast bei Freunden, da machen wir Euch fertig. Ihr habt die Mafia aber wir haben elf starke Jungs. Da hilft auch kein Heulen und Zähneklappern. Im Land der Betonschuhe wird ab Mittwoch Staatstrauer ausgerufen werden und die Pizzerias und Eisdielen hierzulande machen für eine Woche dicht. Falls nicht, verlieren sie zumindest ihre einheimische Kundschaft. So oder so werdet Ihr verlieren, denn man muss sich im Leben entscheiden: entweder Geld oder Idealismus. Das nennt man psychologische Kriegsführung.

Zur Unterstützung unserer Jungs fand ich den Text für das Spiel gegen Schweden mit dem Möbellieferanten nicht schlecht. Deswegen für Dienstag ein exklusiver Text zum Mitgrölen. Ich hab da schon mal was vorbereitet:

Eine Reise in den Norden ist für andre schick und fein,
doch elf kleine Italiener werden bald zuhause sein.

Elf kleine Italiener, die sehnten sich nach Berlin
nach Toren und Pokalen, die lockten von Anbeginn
Elf kleine Italiener, manch Foul mit Fuß und Bein
Eine Reise in den Norden ist für andre schick und fein,
doch elf kleine Italiener werden bald zuhause sein.

Marcello, oh Marcello, wir werden uns bald wiedersehn
Marcello, oh Marcello, das wird für Dich nicht schön

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