Donnerstag, 13. Juli 2006
Zen oder die Kunst des Beugens
Angucken! Unbedingt!
Und danach üben, üben, üben.

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Born to be a strife
Bis vor einer Woche trug ich eine Markierung am rechten Oberarm. Genau genommen war das ein blauer Fleck in Form eines rechtwinkligen Dreiecks. Ich nannte es liebevoll "mein Pythagorastatoo". Keine Ahnung, wo ich mir das geholt habe, auf jeden Fall war es die Folge eines recht heftigen Zusammenpralls mit fester Materie, denn es behielt seine dunkle Färbung etwa vier Wochen bei. Zur Klage gegen einen Kollegen wegen Körperverletzung war das Veilchen ungeeignet, weil mir das keiner glauben würde. Meine Kollegen sind nämlich allesamt sehr harmoniesüchtig und kaum einer neigt zu körperlicher Gewalt. Wenn wir - wie jedes Jahr - auf einer Flugzeugattrappe unsere Evakuierungsfertigkeiten unter Beweis stellen, kommt dieses Harmoniebedürfnis besonders stark zum Vorschein. Nehmen wir mal an, ein Flugbegleiter muss die Passagiere zu einem anderen benutzbaren Ausgang umleiten, da am eigenen die Rutsche, über die das Flugzeug normalerweise bequem verlassen werden kann, defekt ist, weil zuvor eine stöckelbeschuhte Dame mit Wonne in selbige hineinsprang, dann werden den nächsten Passagieren folgende Worte lautstark entgegengeschleudert: "AUSGANG GESPERRT, ANDEREN AUSGANG BENUTZEN!"
Bei den meisten Kollegen hört sich das jedoch ein wenig anders an: "Dieser Ausgang ist leider nicht benutzbar, darf ich Sie bitten, sich zu einem anderen Ausgang zu begeben?" Dabei wird dem Passagier die Handinnenfläche nicht etwa mit ausgestrecktem Arm präsentiert, sondern die Hand in Schulterhöhe lasziv nach hinten geknickt, was eher einem lässigen Hitlergruß denn einem Stopsignal gleicht. Übersieht der Passagier in der Aufregung dieses Signal und überhört aufgrund des Lärmes die wohlformulierten Worte, wird er nach Absprung an der Türe in den Genuß von ungefähr 5m freien Falles kommen. Der Kollege aber widmet sich frei nach dem Motto "Reisende soll man nicht aufhalten" bereits wieder seiner Hauptaufgabe, der Evakuierung weiterer Reisender. Nachdem Menschen in Panik wie Lemminge reagieren, hat schätzungsweise der zwanzigste Passagier wiederum die Chance auf einen bequemen Ausstieg über die sich inzwischen vor der Türe stapelnden Körper der Mitreisenden. An diesem kleinen Beispiel ist unschwer zu erkennen, dass der Servicegedanke bei uns oberste Priorität genießt.

Kommen wir zurück zu meinem blauen Fleck. Das Pythagorastatoo ist verschwunden, dafür nenne ich seit drei Tagen ein Veilchen auf dem Oberschenkel mein Eigen. Zu Beginn meiner fliegerischen Tätigkeit hatte ich öfter blaue Flecken, da sich mein Körper zunächst an die Enge gewöhnen musste. Inzwischen habe ich einige Fligerjährchen auf dem Buckel und weiß mich durchaus ohne körperliche Blessuren im Flugzeug zu bewegen. Diese Fertigkeit will natürlich geübt sein. Man hat sich das wie einen Hürdenlauf vorzustellen, bei dem die Hürden zu Beginn aus Armlehnen, später dann aus in den Gang ragende menschlichen Körperteilen, Gegenständen wie Decken oder Taschenriemen, ab und zu auch Koffer, Kopfhörerkabel oder andere Reiseutensilien bestehen. Nun gilt es, möglichst schnell und ohne Feindkontakt das Flugzeug von vorne bis hinten zu durchqueren. Während der Anfänger erste Erfolge in kleinem Fluggerät erzielt, beginnt die Herausforderung im Großraumflieger bei Dunkelheit. Hier können etwaige Hindernisse nur erahnt werden. Mit der Zeit entwickelt der geübte Flugbegleiter unsichtbare Sensoren am ganzen Körper, die wie Nachtsichtgeräte funktionieren. Gelingt diese Aufgabe, ist die nächste Schwierigkeitsstufe, dabei ein großes Tablett mit allerlei Getränken ohne verschütten vor sich zu balancieren. Wahre Meisterschaft hat der erreicht, der sich ohne Verletzungen während des Einsteigevorganges in Gegenrichtung zum Passagierstrom bewegen kann. Ich selbst bin des Öfteren gezwungen, diese Übung zu absolvieren. Dabei entgehen mir weder die hilflosen Blicke derer, die sich mit meinem Vorhaben direkt konfrontiert sehen und die versuchen, ihr überdimensionales Handgepäck vor mir in Sicherheit zu bringen, noch die ungläubig staundenden Blicke der schadlos Passierten. Zerrissene Feinstrümpfe sind bei solchen Aktionen keine Seltenheit, haben aber erhebliche Abzüge in der B Note zur Folge. Sehr stolz bin ich auf die Beherrschung der Königsdisziplin: das Passieren eines im Gang stehenden fettleibigen Passagieres, ohne ihn dabei zu berühren.

So meisterlich ich mich innerhalb der Kabine zu bewegen fähig bin, so unbedacht rotiere ich durch die kleine Küche. Die Zeit arbeitet meist gegen mich. Türen von Wägen werden nicht ordentlich geschlossen, weswegen sich diese gelegentlich selbständig wieder öffnen. Nun unterscheide ich mich in mancher Hinsicht von meinen Kollegen. Meine Assimilation in eine Welt des sanften Gleichklanges scheiterte bisher kläglich. Während andere auf den Schwingen der Harmonie dahingleiten, schwingen bei mir geöffnete Wagentüren durch einen kräftigen Tritt in ihre vorgesehene Position. In speziellem Fall ersetzte eine einfache Körperdrehung mit ungewollter Begegnung zwischen Türkante und Oberschenkel den Tritt, was einen heftigen Schmerz in Kombination mit lautstarkem Fluchen zur Folge hatte. Ich glaube, mein Körper ist einfach noch nicht bereit für ein Leben in Harmonie.

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