Montag, 19. Februar 2007
If you can make it there, you'll make it everywhere (3)
Irgendwann sind 24 Stunden vorbei, nämlich nach genau 24 Stunden, und das Ende ist schnell erzählt. Ich laufe die 30 Blogs Blocks entlang, es ist nach wie vor kalt und meine Beine tun das, was ich zu Beginn des Tages in den Bordcomputer eingegeben habe. Sie bewegen sich ferngesteuert. Meine Gedanken haben auf diese Weise mehr Freiraum. Irgendwie bin ich froh, nicht erreichbar zu sein, fernab von Hiobsbotschaften. Ich will mich lieber auf die schönen, seltsamen und außergewöhnlichen Kleinigkeiten konzentrieren.

Da ist dieser Mann, den Kragen des Mantels hochgeklappt, darunter Anzug, schwarze Schuhe aus glänzendem Leder. Er trägt Ohrenschützer, die aussehen wie ein sehr breiter Haarreif. Haare gibt es auf seinem Kopf keine zu bändigen, deswegen sitzt der Stoffreif im Nacken. An das rechte Ohrenteil presst er sein Handy, spricht ab und zu einige Worte. Eindeutiger Vorteil gegenüber früheren Ohrwärmern ist die Telefontauglichkeit. Da ist die junge Frau auf hochhackigen Stiefeln. Zwischen den Schaftenden unterhalt ihrer Knie und dem Beginn des Rockes prangt eine weite Strecke bare Angriffsfläche für niedrige Temperaturen. Ich muss wegsehen, will ich nicht noch mehr frieren. Alles nur im Kopf, denke ich. Kälte, Hitze, Trauer, Freude, all das ist wohl Einstellungssache. An einem dieser sehr heißen Sommertage versuchte ich mir vorzustellen, wie kalt so ein Wintertag sein kann. Geschwitzt habe ich trotzdem. Auch jetzt gelingt es mir nicht, meinem Körper tropisches Klima vorzugaukeln, ohne ein wenig zu zittern.

New York. Man liebt oder man hasst diese Stadt. Dazwischen existiert nichts. Keine Graustufen, nur Superlativen. Mörderisch kalt oder siedend heiß, niemals lauwarm. Manhattan als Geschmacksverstärker. Nach einer Weile bin ich in der Gegend, in der ich mich schon an Weihnachten herumdrückte. Innerlich kämpfe ich gegen aufsteigende negative Gefühlserinnerungen. Eine Straße ist eine Straße ist eine Straße, nicht mehr und nicht weniger. Die Assoziationen häufen wir selbst drauf, wie den Abfall im Straßengraben. Wie andere das wohl machen? Ich meine, sind wir denn nicht alle ein wenig Sklaven unserer Assoziationen? Verdrängungsdarwinismus oder angeborene Erinnerungsschwäche, wie oft habe ich mir das schon gewünscht. Es funktioniert bei mir nicht. Je länger ich lebe, umso mehr Müll schleppe ich mit mir herum und bin verdammt, ihn auch noch permanent anzusehen. Die schmutzigen Fenster und den Staub in meiner Wohnung kann ich allerdings erstaunlich gut ausblenden.

Instinktiv laufe ich schneller. Schließlich tauchen Häuser auf, die mir fremd sind. Nur den Eingang zu Barney's habe ich auf einem Foto im Internet gesehen. Jeans werden im obersten Stock verkauft. Ich betrete den Laden durch die Drehtüre und möchte nach einem Blick ins Innere am liebsten mit demselben Schwung wieder nach draußen, doch es ist warm drinnen und ich will nicht umsonst so weit gelaufen sein. Ich betrete die schmale Rolltreppe nach oben. Im ersten Stock Designernamen, im zweiten dasselbe. Von Treppe zu Treppe komme ich mir schäbiger vor in meinen alten Schuhen, der schmuddeligen Jacke, ungeschminkt zwischen all dem aufgetakelten Personal, das wie Falken durch die schmalen Gänge zwischen Kleiderstangen kreisend nach Kundschaft späht, um sich in einem unbedachten Moment auf die Beute zu stürzen. Es gibt kein Versteck, keinen Zufluchtsort, keinen Unterschlupf. Sobald man die spärlichen Schilder durch die Finger gleiten lässt, ist man ihnen schutzlos ausgeliefert. Meine einzige Chance ist, ständig in Bewegung zu bleiben, nie irgendwo zu stehen oder die Ware näher zu betrachten, den Anschein von Langeweile zu erwecken. Nein, ich brauche keine Hilfe, ich suche hier nichts, denn das hier ist nicht meine Klasse. Wie ein Süßwasserfisch, der versehentlich im Salzwasser gelandet ist, komme ich mir vor. Das oberste Stockwerk erreicht, gehe ich schnurstracks zur anderen Seite und fahre die vielen Treppen wieder abwärts, unterbrochen nur durch den Bogen zwischen dem Ende einer und dem Anfang einer neuen Treppe.

Wo ist sie hin, meine Selbstsicherheit, was aus mir geworden? Am liebsten möchte ich mich verkriechen, was ich die meiste Zeit zuhause bereits ausgiebig mache. Ich bin enttäuscht von mir. Erwartungen, Vorsätze, alles dahin. Zudem spüre ich diesen leichten Schmerz im Knie. Der Tag ist gelaufen. Ich trete den Rückweg zum Hotel an, denn vor mir liegen noch einige Stunden Flug, die ich gerne in harmonischer Zusammenarbeit mit meinem Knie verbringen möchte. Es wird mir einen Strich durch die Rechnung machen, doch das weiß ich jetzt noch nicht.

Am Abend holt uns der Bus vom Hotel ab, um uns zum Flughafen zu bringen. Die Fahrt geht Richtung Süden, bis er in eine der großen Straßen nach Osten einbiegt. Und plötzlich sehe ich all die Läden, die ich suchte, einer neben dem anderen. Genau diese Straße hatte ich in meinem Slalom ausgespart, denn in der Erinnerung war sie viel kleiner. Zumindest mein nächster Aufenthalt in der großen Stadt dürfte erfolgversprechender sein. Bis dahin freue ich mich an der alten Lieblingsjeans mit den mittlerweile ausgefransten Rändern, den durchschabten Innenschenkeln und der ausgerissenen Gürtelschlaufe, so gut es eben geht. Man wird tatsächlich mit den Jahren bescheidener. Zumindest arbeite ich daran.

... link (3 Kommentare)   ... comment