Freitag, 24. Oktober 2008
Patience
Take That

Nimm das. Seltsamer Name für eine Band aber egal. Herbst ist ja so die prädestinierte Jahreszeit für Geduld. Man wartet auf den nächsten Frühling, das nächste Jahr und dass alles irgendwie besser wird. Ich warte derzeit vor allem auf eine zündende Idee. Und während man so wartet, geht das Leben unbemerkt an einem vorbei. Wenn man nicht besser aufpaßt, geschieht das jahrelang so.

Ich bin ja inzwischen Meister in Geduld. Klingt komisch, ist aber so. Während ich früher vor lauter Ungeduld nicht mal die nächsten 24 Stunden abwarten konnte, befinde ich mich derzeit in einem komatösen Geduldsdelirium. An der Kasse stehen zehn Leute vor mir und der dran ist, zählt die Summe gerade in Centstücken auf den Tresen. Kein Problem. Auf der Autobahn ist mal wieder Stau, der sich voraussichtlich in etwa einer Stunde erst auflösen wird. Macht nichts. Im Wartezimmer sitzen bereits gefühlte zwanzig Patienten als ich eintreffe. Läßt mich völlig unberührt. Bei solchen Gelegenheiten falle ich in einen tranceähnlichen Zustand und lasse mich auf Gedankenwellen treiben. Das ist ähnlich wie im echten Meer, man muss nur aufpassen, dass man bei einer großen Welle den Mund zu macht. Sonst läuft Wasser rein. Oder raus, je nachdem.

Ich müsse lernen geduldig zu sein, hat man mir jahrelang prophezeit. Ich wollte es nicht lernen, wollte lieber alles sofort haben. Was ich nicht sofort haben konnte, wollte ich nicht mehr. So einfach war das. Ich dachte, ich hätte keine Zeit zu vergeuden. Dann gab es etwas, das ich unbedingt haben wollte und nicht sofort bekam. So wurde ich zur Geduld gezwungen. Sie hat sich ausgezahlt. Ich bekam was ich wollte. Manchmal haben die Dinge einen anderen Rhythmus als man selbst. Dem muss man sich anpassen, will man nicht ständig gegen den Takt spielen. Und die Pausen halten. Das aber nur am Rande.

Herbst ist unbeständiger Rhythmus. Anders als Sommer oder Winter ist er unberechenbar und melancholisch. Am Ende bleibt eine lange Pause. Bis zum Einsatz des nächsten Zyklus. Wenn man sich darauf einläßt, wächst die Gewißheit und mit der Gewißheit die Geduld. Weil es um so ermüdender ist, dagegen anzukämpfen. Weil es so mehr Sinn macht. Ganz von alleine. Dann ist man automatisch im Fluß mit der Umgebung. Dann kann nichts mehr schief gehen. Und ich brauche nur noch abwarten bis mein Einsatz kommt.

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Mittwoch, 22. Oktober 2008
Girl On A Train
Öffentlicher Nahverkehr in Tokio zu Stoßzeiten wäre für mich der blanke Horror, da ich bereits in München bei vollen Trambahnwagons leicht hyperventiliere, und da wird noch nicht mal richtig gestopft. Dieses enge Beieinanderstehen der Menschen, fremden Atem im Nacken, fremde Ellenbogen im Rücken, fremde Hände überall, es macht mich wahnsinnig. Ich mag Fremde nicht berühren müssen, nur weil ich zu einer bestimmten Tageszeit ohne Parkplatzstreß durch die Stadt kreuze.

Wenn es dennoch geschieht, benötige ich dringend ein Ablenkungsmanöver. Wie heute beispielsweise. Heute erspähe ich bereits auf dem Bahnsteig einen wartenden sehr attraktiven Mittzwanziger im Businesslook. Als die erste Bahn wegen einer Störung zu voll ist, warten wir beide auf die zweite, nicht minder gefüllte. Ich stelle mich absichtlich direkt hinter ihn an dieselbe Türe. Im Wagon stehe ich neben ihm. Da ich mich dringend irgendwo festhalten muss, wähle ich die Haltestange, an der er lässig lehnt und greife in die Aussparung zwischen seinem Rücken und Kopf. Er hört Musik über Kopfhörer, schaut mich nicht an, bemerkt mich wahrscheinlich nicht einmal. Dann legt er seinen Kopf nach hinten. Sein Haar berührt meinen Handrücken, ich spüre die Wärme seines Nackens.

Mein Blick wandert ziellos in die andere Richtung, meine Gedanken fixieren das Kribbeln seiner Haare auf meiner Hand. Jetzt würde ich gerne mit den Fingern durch sein Haar streichen, seinen Hals berühren, langsam meine Finger über seinen Rücken wandern lassen, mit den Nägeln über seine Haut kratzen immer auf der Schwelle zwischen Kitzel und Schmerz. Die Bilder in meinem Kopf verselbständigen sich, die Umgebung ist vergessen. Es geht nicht um die Person, es geht um den Genuß purer Lust. Ist das bereits sexuelle Belästigung? Die Frage schießt quer über alle angenehmen Empfindungen. Frotteure, Voyeure und wie sie alle heißen, man hört ja so viel über diverse Neigungen. Bin ich bereits pervers, weil ich mich in der U-Bahn erotischen Phantasien hingebe? Nein, ich denke nicht. Harmlose Alltagserotik, die den Tag um Nuancen spannender gestaltet.

Als ich aussteige, empfinde ich das dringende Bedürfnis, mich bei ihm für dieses Erlebnis zu bedanken. Ich belasse es dabei. Das Lächeln aber hält bis vor meine Haustüre an.

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Dienstag, 21. Oktober 2008
A room with a view (32)


Hongkong... once more

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