Freitag, 20. September 2019
Say My Name, Say My Name

Eine Kultur versteht man erst, wenn man die Sprache kennt. Das hat mal jemand behauptet, der klüger ist als ich. Es sind nicht die Schriftzeichen gemeint - wobei die natürlich auch zum Lesen notwendig sind - sondern die Bilder, die Umschreibungen und die Art der Formulierung. So sind die Japaner in einer Sprache mit vielen indirekten Formulierungen unterwegs - man will ja niemanden auf den Schlips treten - während wir Deutschmuttersprechenden im Ausland mit englischen Formulierungen oft sehr hart und direkt unangenehm auffallen. Aussprache ist da noch ein ganz anderes Kapitel. Übrigens können die Japaner - im Gegensatz zur landläufigen Meinung - sehr wohl ein R aussprechen, sie tun es nur vielleicht nicht an der vorgesehenen Stelle. So ergeben sich Verhörer ganz ungewöhnlicher Natur.

Beispielsweise lernte ich das neue Wort undulated. Verstanden habe ich aber immer underrated. Bei Fragen bezüglich Steigungsgrade der vor uns liegenden Etappe produzierte mein Kopf demnach für underrated terrain der Wirklichkeit nicht entsprechende Bilder. Unterbewertete Hügel waren im Endeffekt nicht so schlimm wie angenommen. Schlimm war dafür der Gegenwind an der Küste. Ja, beim Radfahren kommt der Wind immer von vorne, es gibt aber Steigerungsgrade, beispielsweise in langen, geradlinigen Tunneln, die dann einem Windkanal gleichen. Abgesehen davon verstand ich den Tourguide einigermaßen gut.

Ganz anders als Informationsaustausch funktioniert Humor in Japan. Ich hatte den Eindruck, die Japaner verstehen keine Ironie, sondern nehmen jede Aussage für bare Münze. Nachdem ich mehrfach meine Abneigung gegen das grüne Fahrrad erwähnte, wollte der Mechaniker allen Ernstes blaue Farbe besorgen. Auch mit den Namen ist das so eine Sache. Während ich schon unsere europäischen Namen verwechsle, liegen mir die japanischen sehr quer im Gedächtnis. Tatsuro durfte von uns mit Tats abgekürzt werden, obwohl die Japaner an sich Namen lieber verlängern, indem ein -san angehängt wird. Dieses -san bedeutet so viel wie ehrwürdige/r, wird aber nicht in der direkten Ansprache verwendet. Ich fand's sehr schick und sprach fortan von Tatsan, was wiederum wie der Name eines bekannten Dschungelkönigs klang. Doch so sah Tats bei Weitem nicht aus, eher wie ein Spargelkönig. Andere sprachen von engl.Touch oder Toots, jeder wusste aber instinktiv, wer gemeint war.

Dann gab es da noch einen Taijisan, der in den ersten Tage von mir mit jigong angesprochen wurde - halt irgendwas mit Kampfkunst. Mayuko fuhr das Begleitfahrzeug mit Mechanikzubehör und Gepäck. Meinen englischsprachigen Mitreisenden erklärte ich, sie sollen sich einfach My Joghurt merken, was manche Situation am Frühstückstisch auch nicht gerade erleichterte. Sie war es, die uns allen unsere Namen zum Abschied in japanisch auf ein kleines Blatt Papier malte. Eine sehr schöne Geste, wie ich finde, bin mir aber nicht sicher, ob ich fortan in japanischen Kreisen nicht Ninja oder amazon oder sogar asshole genannt werde. Ich kann's jedenfalls nicht lesen. Und irgendwie finde ich das da oben auch enttäuschend kurz. Sieht aus wie PT, der Domain Abkürzung für Portugal oder der Abkürzung für part time für Halbtagstrottel. Namen sind in meinen Augen auf japanisch so unterbewertet wie manche Landschaft, ob nun sanft hügelig oder holperig ausgesprochen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.

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Donnerstag, 19. September 2019
Climbing up that Hill
Beim Duschen musste ich heute feststellen, ich bin jetzt Tricolore. Das kommt davon, wenn man zum Radfahren Hosen in drei verschiedenen Längen trägt. An der Wade braun, über dem Knie ein Streifen heller und ab Hüfte ziemlich weiß. Auch die weißen Hände verraten mich, während der Rest der Arme gut abgedunkelt ist. Es ist leicht zu erraten, was ich die letzten zwei Wochen getrieben habe, denn es gibt nur sehr wenige Sportarten, die sich so in Farbe und Form am Körper manifestieren wie das Radfahren. Man warnte mich vor Hornhaut am Hintern. Ganz so schlimm ist es nicht, obgleich ich noch ein wenig unter den wunden Stellen am Beinansatz leide, die von den Nähten der Unterwäsche rühren. Ich weiß, Sie wollen das nicht so genau wissen, müssen da aber jetzt durch. (Im Übrigen ist Toilettenpapier in Japan so dünn, da kann man durchatmen)

Das heimische Tourenrad kommt mir wie ein Seniorengefährt vor - ich bin eine tiefere Neigung gewöhnt, die mir aber am letzten Tag einen Hexenschuss bescherte - und das Crossbike fühlt sich am Popo wie ein Mercedes an, der jede noch so kleine Unebenheit galant abfedert. Nur wer richtig sportlich gefahren ist, weiß, was speed bumps bei einer Talfahrt bedeuten können. Aber vorher muss man ja immer erst hoch. Das war ich von meiner flachen Heimatstadt nicht gewöhnt, und die Weinbergerklimmungen in meiner Kinderklappradzeit hatte ich erfolgreich verdrängt.

Ganz peinlich wird's, wenn einen dann noch wesentlich ältere Mitmenschen am Berg locker überholen, während man selbst auch mit Hautatmung nicht mehr der Luftknappheit Herr wird. Überhaupt ist die Haut vorwiegend damit beschäftigt, die gerade aufgenommene Flüssigkeit ungefiltert zu verdampfen. Muskelkater hatte ich am Abend nie, auch keine schweren Beine, doch machte mir mein allgemeiner Zustand ein bisschen zu schaffen. Mit dem Fitnesslevel einer Bettlägerigen bin ich angetreten, hatte ich doch Monate mit Schmerzen beim Gehen zu kämpfen, inzwischen spüre ich die massive Verbesserung meiner Grundausdauer.

Meistens wurde nach der ersten Stunde Fahrt eine kurze Pause eingelegt. Die ersten 30km des Tages kam ich deswegen nicht wirklich in Schwung. Doch nach der Mittagspause und einer längeren Strecke spürte ich jeden Tag diesen seltsamen Schub. Als hätte mein Körper einen Schalter umgelegt. Plötzlich gingen Steigungen mühelos und schnell. Da konnte ich als Ausgleich auch mal ein paar Senioren entmutigen überholen. Und wenn's ganz steil wurde, hatte ich ja noch den großen Vorteil trainierter Oberschenkelmuskulatur. Fitnessstudio, my ass. Wie bei so vielen Dingen findet der eigentliche Kampf aber nicht im Körper, sondern im Kopf statt.

Ich fahre gerne alleine, denn meistens rede oder singe ich. Das ist mir dann immer etwas peinlich. Manchmal hilft mir lautes gut Zureden, manchmal eine gepfiffene Melodie und gelegentlich auch Gesang ohne Worte, weil ich mir die sowieso nie merken kann. Wenn's hart kommt, wechsle ich zu Fluchen oder Jammern. Sie kennen die fünf Trauerphasen nach Kübler-Ross? Genau, ich stecke dann zwischen Verhandeln und Verdrängen fest. Eine kleine Kostprobe: release your inner Buddha! F*cking NOW! oder Wenn ich das schaffe, dann esse ich nachher zwei Eis oder auch gerne genommen KOMM SCHON! TRITT REIN! gefolgt von lautem Stöhnen und Atemgeräuschen. Die Semiprofis haben mir einen Trick für lange Steigungen verraten. Man darf nicht gucken. Also Kopf nach unten und auf hundert zählen, bevor man wieder hoch schaut. Ich habe in der letzten Woche sehr viel und sehr laut gezählt. In verschiedenen Sprachen - Ichi - Ni - San, also eins, zwei, drei auf japanisch. Rechnen Sie mal aus, wie oft sie das wiederholen müssen, um bis 100 zu kommen.

Seit meiner Rückkehr suche ich mir morgens zwischen 4 und 6 Uhr ein paar Hügel in München, was gar nicht so einfach ist, denn die Stadt im bayerischen Voralpenland ist sehr flach. Einzig der Olympiaberg gibt ein bisschen Steigung her. Den kann man auch öfter hoch fahren, weil ich meist bei drei schon oben bin. Leider ist es um diese Uhrzeit noch sehr dunkel, weshalb das Runter nicht so viel Spaß macht, das ja eigentlich die Belohnung für das Rauf ist - instant gratification sozusagen. Man könnte auch mit Lampe, dagegen wehrt sich aber mein Radsportherz, denn je weniger Klimbim am Rad, umso leichter. Als Kompromiss dient mir eine kleine Stirnlampe, mit der ich vereinzelt entgegenkommende Läufer erschrecke. Bisschen Aufmerksamkeit ist auch eine Art Belohnung. Immerhin hat mich von denen noch keiner überholt.

Warum zur Hölle bin ich aber so früh in dieser gottverdammten Kälte unterwegs? In Gesetzesvorlagen zum Schutz des Flugpersonals steht die schöne Formulierung, die meinen derzeitigen Biorhythmus gut umschreibt: der Körper befinde sich in einem unbekannten Akklimatisierungszustand, und eigentlich meint man damit nicht das Jetlag, das bei Gewöhnung an eine fremde Zeitzone entsteht, sondern ein wildes Durcheinander von Tag und Nacht. Irgendwann wird meinem Körper hoffentlich klar, dass er sich nicht mehr in Japan befindet, schließlich weigerte er sich dort erfolgreich in der ersten Woche gegen vorgegebene Abfahrts- und Schlafenszeiten. Jetzt geht das Spiel wieder von vorne los. Nachts wach, nachmittags müde, die Augen auf Halbmast und die Gedanken kurz vor REM. Wenn ich heute Nacht wieder wach bin, berichte ich weiter. Bis dahin folgen Sie mir bitte in die Kommentare.

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Dienstag, 10. September 2019
Heatstroke
Die Kilometer sind bei der Fahrt durch Japan nicht das Problem. Dass man jeden davon mit einem halben Liter Schweiß bezahlt schon. Die letzten beiden Tage wurde das Radeln bei durchschnittlich 37° und einer Luftfeuchtigkeit von über 80% zum Höllenritt. Anzeichen von Überhitzung, erst rote Köpfe, dann blasse Gesichter. Bei Pfeifgeräuschen ist der Kessel bekanntlich vom Feuer zu nehmen. Also bin ich die letzten Kilometer nicht mehr selbst gefahren. Eis kann man übrigens atmen, bei der Geschwindigkeit seines Verschwindens gibt es keine andere Erklärung. Man möchte nach dem Aufenthalt in einem klimatisierten Raum nie wieder gegen die heisse Wand laufen.

Mein Popo tut übrigens nur immer kurz weh, wenn ich auf das Fahrrad steige. Das war letztes Jahr in Frankreich schon schlimmer. Und ich wehre mich immer noch, die gepolsterten Hosen zu tragen. Mach‘ ich erst freiwillig, wenn ich 80 bin und unter Inkontinenz leide. Dann sind die aber wahrscheinlich nicht hauteng und aus Polyester. Die Sattelauflage hingegen ist ihr Geld genauso wert wie die sensationelle, selbsttönende Sonnenbrille im ergonomischen Format und die wunderbar leichten, trittfesten Schuhe.

Während ich von daheim breite Reifen und Stoßdämpfer gewöhnt bin, sitze ich hier auf einem Roadbike mit schmaler Bereifung. Gefällt mir inzwischen so gut, dass ich mir ernsthaft die Anschaffung eines dritten Rades überlege, was angesichts des mangelnden Stellplatzes und Anschaffungspreises völliger Irrsinn wäre (es sei denn, man ist Blogger mit Hang zur Kilometervernichtung). Die Qualität des Leihbikes ist erstaunlich gut und der Zustand ganz hervorragend. Neben Überhitzung kämpfe ich ein bisschen mit „hot feet“, was sich anfühlt wie eingeschlafene Füße, jedoch mit einer kleinen Korrektur der Sattelstellung zu beheben ist. Für diese Information musste ich bis Japan reisen, weil der Radlschrauber meines Vertrauens bei Symptomschilderung nur mit den Schultern zuckte.

Morgen soll es übrigens regnen, was mich zum ersten Mal in meinem Leben in Zusammenhang mit Radfahren sehr freut. Die GoreTex Jacke werde ich schön im Rucksack lassen, denn nass wird man sowieso - egal ob von innen oder von aussen. Übrigens ist das ein Ausläufer des Taifuns in der Nähe von Tokyo. Bitte drücken Sie die Daumen für schlechtes Wetter aber gute Flugbedingungen, denn ich möchte nächste Woche wieder heim. Ich freue mich schon auf winterliche Temperaturen und schweißfreies Radln in der Heimat.

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