Sonntag, 22. September 2019
I Warned You

Es gibt merkwürdige Sachen in Japan, die sind natürlich nur merkwürdig, weil sie für uns ungewohnt und deswegen anders sind. Die Warnhinweise zum Beispiel. Da fotografiert eine Gruppe Japaner am Bahnsteig und die Szene wird durch einen einfahrenden Zug unterbrochen. Klare Nominierung für den Darwin Award. Auch bei uns gibt es ja mittlerweise Warnhinweise, man solle ein in die Gleise gefallenes Handy nichts selbst bergen oder wenigstens gelegentlich mal davon hoch sehen. Es zeigt sich, was inzwischen wichtiger als das Leben anderer oder sein eigenes geworden ist. Kürzlich beim Unfall eines russischen Passagierflugzeug haben die Gäste den Evakuierungsvorgang unnötig verlängert, weil sie unbedingt ihr Handgepäck bergen wollten. Sowas könnte für die nachfolgenden Passagiere ganz schlimme Folgen haben. Wenn's brennt, ist mir meine Gucci Tasche nicht so wichtig, ich muss aber gestehen, ich war vor meiner Zeit als Airlinemitarbeiterin ebenfalls sehr besorgt, im Falle eines Falles schnell genug mein teures Instrument greifen zu können.

Die Warnungen, die häufig bei uns Schmunzeln hervorrufen, stehen in Verbindung mit Verhalten in Notdurftanstalten. Dort findet man beispielsweise folgenden Hinweis:


In Japan gibt es immer zweierlei Toiletten, eine westliche und ein asiatisches Plumsklo - ein im Boden eingelassenes Becken, über das man sich hockt und anschließend mit Wasser spült. An der Wand befestigte Halterungen bieten Hilfe bei der Balance. Diese Halterung ist nicht vergleichbar mit einem Klodeckel, der bei Festhalten mit der Person kippen würde. Es sind in den vergangenen Jahren viele Unfälle auf diese Weise passiert. Also Augen auf bei der Toilettenwahl. Zudem bietet eine westliche Toilette immer die Möglichkeit, sich während des Aufenthaltes mit Verhalten im Katastrophenfall auseinanderzusetzen.

Natürlich brauchen westliche Besucher auch konkrete Verhaltenshinweise im öffentlichen Raum. Touristenattraktion Nummer eins sind Tempel und heilige Stätten. Dort sieht man vieles, was Gläubige möglicherweise bei Ausübung ihrer Religion stören könnte. Deswegen auch hier die Bitte, man möge doch vor Betreten Hüte und Sonnenbrillen entfernen (s. unten rechts) sowie Gespräche einstellen. Fahrräder werden übrigens in Japan nicht einfach am Straßenrand abgestellt, sondern ordentlich nebeneinander an vorgesehenen Plätzen aufgereiht, ansonsten drohen empfindliche Strafen. Ob sich dieses Konzept vielleicht auch in München anwenden ließe?

Hinweisschild am Bahnhof Kyoto

Also Kinder, bitte immer schön hinten anstellen und Schuhe ausziehen!

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Samstag, 21. September 2019
Hurt Feelings
Hatago Iwa - married rocks - Oku-Noto Peninsula, Japan

Zwei Felsen in der Brandung verbunden mit einer Hängebrücke, eine kleine, rote Hütte auf dem größeren der beiden. Das Foto selbst unbearbeitet, schlecht belichtet, doch ein schönes Symbolbild für menschliche Verbindung. Ich hatte in den letzten zwei Wochen nicht nur schöne Erlebnisse, sondern auch eines, das mich die Reise nach drei Tagen fast hätte abbrechen lassen. Diese Radtour war von langer Hand geplant, das Ziel - Japan - war das Wunschziel meiner kleinen Schwester. Sie war immer schon etwas schwieriger, etwas anspruchsvoller und etwas unnahbarer als die anderen. Ich habe ihr Verhalten immer verteidigt, habe mich daran erinnert, was tiefe Verletzung und Trauma in einer Seele anrichten können und war verständnis- und liebevoll zu ihr. Ich war immer für sie da, vor allem in den schwierigen Zeiten, in den Nächten, in denen man um 5 Uhr Beistand braucht oder an Tagen, an denen man sich komplett alleine und unverstanden fühlt. Ich habe mich um ihre seelische Gesundheit gesorgt - manchmal auch um ihr Leben - und mich mit den anderen beraten, was man für sie tun könne. Ich habe ihr viele Kleidungsstücke vererbt, Jeans aus USA, eine Lederjacke aus Holland, ein paar alte Lederkoffer aus Familienbesitz, weil sie daran Freude hatte. Ich habe ihr Bücher geschenkt, weil sie die liebt und war auch in anderen Dingen stets großzügig. Die Reise sollte uns einander näher bringen. Das Ziel hatte sie sich ausgesucht, die finanzielle Seite habe ich für's Erste übernommen.

Tatsächlich funktionierte das Miteinander genau einen Tag. Dann begann sie sich mir gegenüber zu verschließen. Ich fragte erst mich und dann sie, was ich möglicherweise falsch gemacht hätte. Sie blieb mir eine Antwort schuldig. Am zweiten Tag lernten wir die Gruppe Mitreisender kennen. Sie gab sich keineswegs introvertiert, war gesellig und unterhaltsam im Umgang mit den anderen. Mit mir hat sie ab diesem Zeitpunkt selbst Blickkontakt gemieden. Gesprochen wurde nur das Nötigste. Kann ich Dein Deo benutzen? Ich brauche Bargeld. Kann ich als erstes in's Bad? Wann treffen wir uns morgen? Ich versuchte small talk, bemühte mich um Umgänglichkeit, prallte jedoch ab. Sie ging früher oder später frühstücken, saß dann meist am anderen Ende des Tisches und verweigerte jegliches Miteinander. Die nötige Aufmerksamkeit suchte sie bei denen, die selbst durch ihr Verhalten viel Aufmerksamkeit auf sich lenkten.

Am Abend des dritten Tages zwang ich sie zu einer Aussprache, drückte meine Verletztheit aufgrund ihres Verhaltens aus und gab ihr drei Lösungsmöglichkeiten. Erstens, ich würde abreisen, sie bliebe und kümmere sich dann selbst um ein Rückflugticket, denn mit einem Standby Ticket kann sie nur gemeinsam mit mir fliegen. Zweitens, sie reise gemeinsam mit mir ab und drittens, wir würden uns aussprechen und zusammenraufen, damit der weitere Trip für uns beide erträglich wäre. Sie hatte weder Kreditkarte noch das Geld, um ein Ticket zu kaufen - das hätte ich jedoch für sie übernommen - und wollte auch nicht abbrechen. Was blieb, war die letzte Möglichkeit. Das darauffolgende Gespräch war jedoch nicht sonderlich zufriedenstellend. Sie verhedderte sich in Rechtfertigungen und Ausflüchten, konnte mir keine konkreten Fehler meinerseits nennen und hatte keinerlei Erklärung für ihr offensichtlich ablehnendes Verhalten mir gegenüber. Ich beließ es dabei, beobachtete aber in den folgenden Tagen keine großartige Annäherung oder Veränderung in ihrem Verhalten. Die Hotelbuchung am Ende hatte ich inzwischen storniert, den Rückflug vorverlegt. Für sie entstanden dadurch keine weiteren Kosten.

Am letzten Tag suchte ich wieder das Gespräch, da ich so nicht auseinandergehen wollte. Ich wartete auf einen günstigen Moment und bat sie, mir über ihre Gefühle in den vergangenen Tagen zu berichten. Sie winkte ab und wurde aggressiv als ich meinte, ich würde gerne eine Sache dazu sagen. Was ich sagte, war ein ganz simples ich habe dich lieb. Dann ging ich bis zur Fahrt zum Flughafen meine eigenen Wege. Mir wurde - wie bereits ein paar Monate zuvor mit einem mir nahestehenden Menschen - klar, dass ich eine Person wegen eines Verhaltens nicht aufhöre zu lieben, dass ich mich aber selbst mehr liebe und deshalb Grenzen setzen muss. Wer mich nicht wertschätzt, nicht mit mir zusammen sein will, wer mich nicht respektiert und mich stattdessen geringschätzig behandelt - ganz gleich aus welchen Gründen - den kann ich zwar nicht ändern aber ich kann mich aus der Situation entfernen. Auch Familie bin ich nicht auf Gedeih und Verderb ausgesetzt. Ich bin ein erwachsener Mensch, ich kann wählen.

Die Verbindung im obigen Foto ist jetzt zerschnitten, jeder steht für sich alleine. Mir macht das zu schaffen, weil ich es gerne nachvollziehen würde, was da in und mit ihr geschehen ist. Ich mag nicht einfach akzeptieren, dass etwas so ist, ich möchte es verstehen können. Verstehen hat mir immer geholfen. Die Zwillingsschwester meinte, selbst sie bemerke, dass räumliche Nähe die Verbindung der Schwestern schwieriger mache und auch sie beide nie wirklich miteinander reden könnten. Sowohl sie selbst als auch Freunde hätten in der Vergangenheit vergleichbare Erfahrungen mit meiner Schwester machen müssen. Bei der Mutter verhält sie sich wie in einem Hotel, nimmt Kost und Logie sowie Zuwendung mit, ohne je etwas dafür zurückzugeben. Es erinnert mich an pubertäres Verhalten, an Selbstverständlichkeiten, die keine sein sollten, wie man aber erst im Laufe der Jahre begreift. Es wundert mich nicht mehr, dass sie so viele Schwierigkeiten an diversen Arbeitsstellen hatte, auch nicht, dass ihr das Aufrechterhalten von Freundschaften schwer fällt. Ich frage mich nur, ob meine Abkehr nicht das Gegenteil dessen bewirkt, was für sie heilsam sein könnte. Verantwortlich bin ich aber dafür nicht, denn sie ist kein Kind mehr. Im Gegenteil, sie ist eine erwachsene Frau, die auf die 40 zugeht.

Meine Fragen werden unbeantwortet bleiben, mein Verhalten jedoch konsequent. Ich merke, wie viel Kraft es mich kostet, immer wieder derartigen Situationen ausgesetzt zu sein. Eine Frage, die mich schon lange begleitet, ist: was ist in mir, das es anderen erlaubt, mich respektlos und herabwürdigend anstatt liebevoll und wertschätzend zu behandeln? Die kleine rote Hütte auf dem größeren der beiden Felsen behütet eine Antwort - keine Erklärung aber eine Ahnung aus längst vergessenen Tagen. Sie beschützt das Herz, das dort oben in die Unendlichkeit hinaus sehnt.

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Freitag, 20. September 2019
Say My Name, Say My Name

Eine Kultur versteht man erst, wenn man die Sprache kennt. Das hat mal jemand behauptet, der klüger ist als ich. Es sind nicht die Schriftzeichen gemeint - wobei die natürlich auch zum Lesen notwendig sind - sondern die Bilder, die Umschreibungen und die Art der Formulierung. So sind die Japaner in einer Sprache mit vielen indirekten Formulierungen unterwegs - man will ja niemanden auf den Schlips treten - während wir Deutschmuttersprechenden im Ausland mit englischen Formulierungen oft sehr hart und direkt unangenehm auffallen. Aussprache ist da noch ein ganz anderes Kapitel. Übrigens können die Japaner - im Gegensatz zur landläufigen Meinung - sehr wohl ein R aussprechen, sie tun es nur vielleicht nicht an der vorgesehenen Stelle. So ergeben sich Verhörer ganz ungewöhnlicher Natur.

Beispielsweise lernte ich das neue Wort undulated. Verstanden habe ich aber immer underrated. Bei Fragen bezüglich Steigungsgrade der vor uns liegenden Etappe produzierte mein Kopf demnach für underrated terrain der Wirklichkeit nicht entsprechende Bilder. Unterbewertete Hügel waren im Endeffekt nicht so schlimm wie angenommen. Schlimm war dafür der Gegenwind an der Küste. Ja, beim Radfahren kommt der Wind immer von vorne, es gibt aber Steigerungsgrade, beispielsweise in langen, geradlinigen Tunneln, die dann einem Windkanal gleichen. Abgesehen davon verstand ich den Tourguide einigermaßen gut.

Ganz anders als Informationsaustausch funktioniert Humor in Japan. Ich hatte den Eindruck, die Japaner verstehen keine Ironie, sondern nehmen jede Aussage für bare Münze. Nachdem ich mehrfach meine Abneigung gegen das grüne Fahrrad erwähnte, wollte der Mechaniker allen Ernstes blaue Farbe besorgen. Auch mit den Namen ist das so eine Sache. Während ich schon unsere europäischen Namen verwechsle, liegen mir die japanischen sehr quer im Gedächtnis. Tatsuro durfte von uns mit Tats abgekürzt werden, obwohl die Japaner an sich Namen lieber verlängern, indem ein -san angehängt wird. Dieses -san bedeutet so viel wie ehrwürdige/r, wird aber nicht in der direkten Ansprache verwendet. Ich fand's sehr schick und sprach fortan von Tatsan, was wiederum wie der Name eines bekannten Dschungelkönigs klang. Doch so sah Tats bei Weitem nicht aus, eher wie ein Spargelkönig. Andere sprachen von engl.Touch oder Toots, jeder wusste aber instinktiv, wer gemeint war.

Dann gab es da noch einen Taijisan, der in den ersten Tage von mir mit jigong angesprochen wurde - halt irgendwas mit Kampfkunst. Mayuko fuhr das Begleitfahrzeug mit Mechanikzubehör und Gepäck. Meinen englischsprachigen Mitreisenden erklärte ich, sie sollen sich einfach My Joghurt merken, was manche Situation am Frühstückstisch auch nicht gerade erleichterte. Sie war es, die uns allen unsere Namen zum Abschied in japanisch auf ein kleines Blatt Papier malte. Eine sehr schöne Geste, wie ich finde, bin mir aber nicht sicher, ob ich fortan in japanischen Kreisen nicht Ninja oder amazon oder sogar asshole genannt werde. Ich kann's jedenfalls nicht lesen. Und irgendwie finde ich das da oben auch enttäuschend kurz. Sieht aus wie PT, der Domain Abkürzung für Portugal oder der Abkürzung für part time für Halbtagstrottel. Namen sind in meinen Augen auf japanisch so unterbewertet wie manche Landschaft, ob nun sanft hügelig oder holperig ausgesprochen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.

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