Dienstag, 26. Mai 2020
Tageblog 26.5.20 - Morgens
Weil ich festgestellt habe, dass ich nicht mehr gut zu Fuß bin, drehe ich seit ein paar Wochen morgens eine StundeRunde. Dabei fällt mir in letzter Zeit immer wieder das satte Grün auf, das mich so froh macht.



Auf der Hälfte des Weges belohnt der Blick über die Stadt. Man sieht deutlich mit Brillenunterstützung die Frauentürme rechts, sowie das Riesenrad im Osten der Stadt. Wenn es klar ist, kommen am Horizont die Berge zum Vorschein. Heute aber ist kein Migränefönwind.



Ich variiere meinen Weg immer ein wenig und entdecke so manche Kuriosität. Heute war es ein dicker Bruder, der mich aus dem Schaufenster grüßte.



Seit einem halben Jahr fuhr ich ausschließlich Rad, weil das Laufen so schwer fiel. Fast kommt es mir vor, als seien die Beine dadurch eingerostet. Davor bin ich immer sehr gerne gelaufen, oft stundenlang, Gedanken nachhängend, kontemplativ, die gleichmäßige Bewegung nur an Straßenrändern angehalten. Auf dem Rad braucht es sehr viel mehr Aufmerksamkeit für die Umgebung, für andere Verkehrsteilnehmer oder Passanten. Das riss mich immer aus der Kontinuität, weshalb ich vorwiegend sehr früh morgens durch die Stadt fuhr. Als noch vor wenigen Wochen alles zum Erliegen kam, war auch um sieben Uhr auf den Straßen die Welt noch in Ordnung. Jetzt hat sich schon vieles wieder geändert - maßgeblich der Rückstau vom mittleren Ring.


Bild vom April, noch ohne Stau

Wenn ich heimkomme, nutze ich die Energie für ein wenig Gymnastik aus dem Internet mit so lustigen Namen wie killer abs oder upper body power workout. Yoga und ich konnten leider keine Freundinnen werden aber der Cirque du soleil - vor allem die Luftakrobatin Elisabeth - hat es mir angetan. Natürlich glaube ich, dass ich mit ein paar wenigen Übungsstunden, schätzungsweise also in einer Woche, so muskulös aussehen werde wie sie, die ihre Tage an einem Seil hängend verbringt und nebenbei noch Trainings im Kollegium abhält. Ich muss nur jeden Tag 10 Minuten investieren. Bis jetzt lässt der sichtbare Erfolg noch auf sich warten, zumindest kann ich mich aber so fühlen als ob. Und das ist bekanntlich die Hauptsache. Na, kleiner Killer-Workout-Wettbewerb gefällig? Irgendwann kriege ich dann vielleicht auch wieder die richtigen Liegestützen und Klimmzüge hin, für die ich derzeit bestimmt nur zu schwer bin.

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Montag, 25. Mai 2020
Memories
Durch den Film gestern, musste ich ein bisschen darüber nachdenken, woher die positive Assoziation der Callas mit meiner Mutter kommt. Offensichtlich ist die Verbindung der Zeitdokumente mit alten Familienaufnahmen.



Auf dem Bild ist meine Mutter etwa 13 oder 14 Jahre alt. Daneben steht ihre Patin im adretten Kostüm der 50er. Diese Mode fand ich immer schon faszinierend - so elegant und auf Linie geschnitten aber selbstredend unbequem und deswegen nur zu Repräsentationszwecken geeignet.

Einige Jahre später begann meine Mutter beim Ministerium für Kultur und Sport in München zu arbeiten. Dadurch hatte sie Zugang zu günstigen Opern- und Theatereintrittskarten. Obwohl sie nie ein Instrument erlernte - abgesehen von einer kleinen Episode, in der ich ihr das Blockflötenspiel beizubringen entschlossen war, wir aber nach einer Weile das Unternehmen zu Gunsten des Familienfriedens wieder begruben - und auch sonst durch eher mittelständisch handwerklichen Hintergrund wenig künstlerisch-literarisch beeinflusst war, liebte sie die Oper. Man muss sich das bildhaft vorstellen. Damals war der Besuch einer Opernaufführung ein aussergewöhnliches Ereignis, das mit Glanz und vor allem Wohlhabenheit verbunden war. Die Bayrische Staatsoper mit den Kronleuchtern im Eingangsbereich, die Königsloge, die Abendroben und Fracke, das alles war so prunkvoll und nobel wie heute die Oscars. Die durchschnittliche Bevölkerung staunt nur aus der Ferne.


Meine Mutter besaß ein kleines Opernglas, das am Rand mit Perlmut besetzt war. Wann immer ich durfte, nahm ich es aus dem schwarzen Etui und hielt es mir vor die Augen. Gesehen habe ich damit nicht unbedingt besser, mit der nötigen Eleganz gehalten wirkte es aber sehr professionell. Und dann war da noch dieser Karton mit den Libretti. Heutzutage werden in der Oper bei Originalaufführungen - und das ist inzwischen Usus - englische oder deutsche Untertitel an den oberen Rand der Bühne projiziert, doch früher musste man die Texte kennen, um in den vollen Genuss der Handlung zu kommen. Folglich kaufte man sich vor einem Opernbesuch das Libretto, um es zu studieren und sich so für den musikalischen Genuss vorzubereiten. Besonders angetan hatte es mir Carmen. Nein, ich las sie nicht, ich lebte sie. Die beginnende Pubertät tat das Ihrige. im Badezimmer beschwor ich fortan durch mittelmäßigen Gesang, der sich aber in den Räumlichkeiten sehr imposant anhörte, den rebellischen Vogel der Liebe. Alles an diesen Büchlein, dem Opernglas und den Erzählungen schien so glanzvoll und dennoch aus einer sehr fernen Zeit.


Ich weiß nicht, ob es die Carmen war aber in einer der großen Rollen hat meine Mutter die Callas erlebt. Es war ein großes Glück, denn zu dieser Zeit war sie bereits berühmt-berüchtigt, weil sie so viele Vorstellungen absagte. Manchmal sang sie den ersten Akt, dann sprang eine Zweitbesetzung ein. Irgendwann gab sie bekanntermaßen nur noch konzertante Aufführungen. Sie zu erleben muss ein prägnantes Erlebnis gewesen sein. Den Ausdruck nicht nur auf der gesanlich musikalischen Ebene, sondern auch auf die menschlich schauspielerische zu heben, Bühnenpräsenz auszustrahlen, was sie vollbrachte war innovativ. Auch mein späterer Professor berichtete von einer zufälligen Begegnung in einem Tonstudio mit ihr, doch in meinem Kopf verbindet sich die Callas immer mit meiner Mutter, mit Prunk und Anmut und mit ein bisschen Modergeruch aus der alten Librettikiste.

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Sonntag, 24. Mai 2020
Diva
In der Mediathek vom BR/3SAT ist derzeit der Dokumentarfilm Maria by Callas in voller Länge zu sehen. Viele Privataufnahmen, viel Musik, ein Interview mit der Sängerin zieht sich als roter Faden durch fast zwei Stunden Material über die Darstellung der menschlichen Seite einer Ausnahmeerscheinung. Alles Gesprochene ist entweder aus Liveaufnahmen oder gelesenen Briefen entnommen; der Film verzichtet komplett auf Kommentare. 2017/18 war er kurze Zeit in den Programmkinos zu sehen, dann verschwand er.

Große Empfehlung für die nahe Zukunft, da ich nicht weiß, wie lange er noch hinter dem Link zu sehen ist.

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