Samstag, 19. Oktober 2019
Coming Home III
Der Countdown läuft.
Folge 1 war Gaga gewidmet, die nächste Folge meiner Laudatio auf Blogger lesen sie hier. Als Warnung weise ich darauf hin, dass meine Personenbeschreibungen hochgradig subjektiv, unvollständig und von meinem Erleben geprägt sind, was zwar unter Subjektivität läuft aber noch einmal deutlich hervorgehoben werden soll.

Wenn ich an einem freien Tag morgens aufstehe - das ist für andere zu nachtschlafender Zeit - und meine gewohnten Internetpfade absurfe, schaue ich immer als erstes, ob die Kaltmamsell bereits gebloggt hat. Manchmal muss ich noch ein bisschen warten aber spätestens um 7 hat sie verlässlich in ihr Tagebuch geschrieben. Sie berichtet von ihrem Tag, von Vorkommnissen aber auch den Gedanken, die hiervon angestoßen wurden. Viele Links zu Artikeln oder anderen Schreibenden führen mich auf neue Pfade und in neue Gedankenwelten. Das mag ich sehr, denn mein Hirn verlangt ständig nach Futter, am liebsten aussergewöhnliches, interessantes, gut geschriebenes und unübliches Futter. Man wird sich selbst auf Dauer gern ein bisserl fad. Noch lieber als die Hinweise sind mir aber die ganz persönlichen Gedanken, die kleinen Begebenheiten, die bei einem Treffen unter den Tisch fallen würden, weil man sich oft nur auf das Denkwürdige, Andersartige oder Erlebnisreiche konzentriert und meint, so Alltag hätte doch jeder, das bräuchte man nicht erwähnen. Dabei sind's genau diese Alltäglichkeiten - aufstehen, arbeiten, kleine oder große Hindernisse bewältigen, Gedanken dazu haben, Routine verfolgen, essen und schlafen - die uns zeigen, dass sich bei anderen alles genauso abspielt, dass so Leben stattfindet und dass wir uns sehr gleichen. Manchmal finden dann doch Ereignisse statt, die aus der Reihe des Gewöhnlichen fallen und die Routine ein bisschen durcheinanderwirbeln - sozusagen die Schneekugeln des Lebens.


©Smilla Dankert

Solch ein schönes Ereignis war die Feier des Rosentages im Mai. Ich denke immer wieder an das Fest, schaue mir Fotos an oder lese ein paar Einträge. Es war natürlich nicht das erste Mal, dass ich die Kaltmamsell und Herrn Rau persönlich traf. Wir kannten uns schon von der Ersten Münchner Bloglesung. Auch bei der zweiten und dritten waren beide - lesend oder unterstützend aber immer voll - dabei. Beide fand ich immer schon sympathisch bodenständig und wollte den Kontakt gerne aufrechterhalten. Gelungen ist uns das dann erst später. Am Anfang wusste ich nicht, dass die Zwei miteinander verbandelt sind, denn die Kaltmamsell schrieb immer von ihrem Mitbewohner oder dem Herrn Kaltmamsell und Herr Rau von Frau Rau. Auf ihn bin ich aber erst später gestoßen.

In Natura ist die Kaltmamsell sehr lebendig temperamentvoll, fröhlich und wohlwollend offen Fremden gegenüber - ein bisschen im Gegensatz zu ihren Texten, in denen sie sich selbst oft negativer darstellt und einen Einblick in gelegentlich gar nicht so fröhliche Tiefen gewährt. Manchmal wünschte ich, sie wäre sich selbst gegenüber so verzeihend und gütig wie sie es bei anderen ist. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das nicht so leicht ist und dadurch der Alltag um so vieles schwerer wird. Ihr stärkste Trigger ist alles was mit Esoterik im weitesten Sinne zu tun hat. Kommentierende können sie mit einer homöopathischen Bemerkung oder einem Hinweis auf wissenschaftlich unbewiesene Zusammenhänge in ungeahnte Gegenwehr katapultieren. Geneigte Leser wissen genau, welche Themen in ihrem Blog tunlichst zu vermeiden sind, und der ein oder andere Unwissende fängt sich da schon mal eine verbale Watschn ein. Dafür hat sie bei anderen Themen stets ein offenes Ohr.

Sie berichtet über Literatur, Kino, Restaurants, Kochen & Backen, wobei auch Diäten ein sensibles Thema sind. Wer bei Beschreibungen vom Wandern oder Joggen erwähnt, diese Wege selbst als Radfahrer zu benutzen, hat bei ihr verloren. Rücksichtslosigkeit mag sie genauso wenig wie Regelverstöße im Straßenverkehr. Als Radfahrerin steigt sie nämlich auf Gehwegen ab. Dass ihr Temperament manchmal mit ihr durchgeht, macht sie greifbar und menschlich, obwohl sie sich dafür selbst stark verurteilt. Durch polnisch-spanische Wurzeln geprägt, kennt sie die Probleme, mit denen Einwanderungskinder zu kämpfen haben und liefert Einblicke in das Leben anderer Kulturkreise oder Gesellschaftsschichten. Als Frau liefert die Kaltmamsell owohl interessante Beobachtungen zur Geschlechterrolle als auch Gedanken zu deren natürlichen Implikationen. Vorsicht ist beim Thema Weiblichkeit geboten, wenn der schmale Grad in Richtung Reduzierung auf Äusserlichkeiten und Instrumentalisierung überschritten wird. Sie hat mir durch so viele Impulse den Feminismus näher gebracht.

Die Reizthemen und Reaktionen der Kaltmamsell zeigen im Grunde genommen nur, dass sie sich ein Miteinander wünscht, bei dem jeder - auch sie selbst - sein darf und alles nebeneinander existiern kann. Die Regeln müssen dazu natürlich eingehalten werden. Und Regel Nummer eins lautet nunmal keinen Anderen mit dem eigenen Verhalten einzuschränken oder ungefragte Ratschläge zu geben. Dass dann Diskussionen gelegentlich aus dem Ruder laufen, ist normal. Wer lässt sich schon widerspruchslos vor die Wohnungstüre kacken? Tief innen aber ist sie ein Lamm, das sich vom Wolf der Selbstkritik regelmäßig reissen lässt. Eine ganz wunderbare und seltene unter vielen Gaben der einstigen Gewinnerin des Goldenen Blogawards, ist, dass sie anderen ihr Glück nicht nur gönnen kann, sie feiert es auch und empfindet gleichzeitig tief das Leid ihrer Mitmenschen.


Foto @Smilla Dankert

Herr Rau ist die technische Fee der Vorspeisenplatte und wird oft als gute Seele dort erwähnt. Er selbst schreibt im Lehrerzimmer über seinen Alltag, Rollenspiele, Informatik und beruflich Fachliches. Manches ist mir ein bisschen zu speziell, zu informatiklastig, wobei er aber so erklären kann, dass es auch ein Laie versteht. Herr Rau ist ein sehr feiner Mensch, der sich gerne - wie oben zu sehen - ungewöhnlich kleidet und möge es mir verzeihen, hier in einem Eintrag zusammen mit seiner Frau genannt zu werden. Über 25 Jahre sind sie zusammengewachsen, ohne jedoch ihre Eigen-
ständigkeit zu vernachlässigen und gehen sehr umsichtig und fürsorgend miteinander um. Im Hintergrund gefällt's ihm ganz gut, dem Herrn, und manchmal braucht er einen Stups, damit er im echten Leben von sich erzählt oder was macht, das ihn in's Zentrum des Geschehens rückt. Dabei hat er durchaus was zu erzählen, denn seine Worte und Schilderungen sind durchdacht, seine Ausführungen mit einer Prise Humor untermalt und nie langweilig. Als Chefkoch im Hause Kaltmamsell experimentiert er mit Zutaten, kümmert sich um die Einkäufe und organisiert auch mal eine Minibloggerverköstigung vom Ernteanteil. Eigentlich weiß ich viel zu wenig vom Herrn Rau, der bei extrovertierten Gegenüber sehr schnell in die Zuhörerrolle tritt. Vielleicht bräuchte es ein bisschen mehr Geduld meinerseits, vielleicht mehr Vertrauen oder Zeit von seiner Seite. Jedenfalls weiß ich nichts über seine Sorgen und Nöte, die er bestimmt auch hat. Da müsste man schon Sherlock Holmes heißen, um die ganzen kleinen Anmerkungen zwischen den Zeilen zu einem schlüssigen Gebilde zu formen.

Ich wünsche mir, beide noch oft und lange zu lesen. Meine Türe steht ihnen immer offen. Hoffentlich habe ich die Beiden jetzt nicht vergrault.

©Smilla Dankert

... comment

 
Schon schön, wenn man jemanden, den man so schon so lange „kennt“ von jemand anderem genau so beschrieben liest, wie man diejenige selbst auch wahrnimmt.

... link  

 
Das freut mich, wenn es Dir gefällt. Sind wir schon zwei.

... link  


... comment
 
Für mich ist die Kaltmamsell wie eine Verwandte. Also der angenehmere Teil der Verwandtschaft. Ihre Einträge sind als ob einem erzählt wird, was gerade so ansteht und wo sie war und was sie beschäftigt und freut und aufregt. Man hört es sich an und weiß wieder Bescheid, was so in der Familie los ist. Familienmitglieder machen ja nicht ausnahmlos Sachen, die mich interessieren, aber jeder hat eben so seine Interessen und Hobbies. Kochrezepte und Sport sind nicht so meins, ich lese über manche Sachen teilweise auch so quer drüber, aber ich möchte immer auf dem Laufenden sein, ob es ihr im Großen und Ganzen einigermaßen gut geht. Ich finde übrigens auch, dass manche Einträge griesgrämiger wirken, als sie mir jemals erschienen ist. Wir haben immer viel zusammen gelacht. Wenn sie eine alte Transuse wäre, hätte ich sie auch gar kein zweites Mal treffen wollen!

... link  

 
Den Verwandtenvergleich mag ich. Manche Sachen lese ich auch nicht bis in's Detail aber vieles, das mich zunächst nicht interessiert, weckt dann doch meine Neugier. Wann ist denn das Bild entstanden? In Berlin Mitte, gell? Sieht aus wie meine alten Abzüge aus den analogen Jahren, die irgendwann die Farbe verloren haben oder vergilbt sind.

... link  

 
Das Bild stammt aus diesem Album und ist am 4. Mai 2014 entstanden. Wir waren zuerst in Kreuzberg, wo ich sie in ihrer Ferienwohnung abgeholt habe, spazierten über einen Friedhof und landeten später im Café Grosz zum Kaffeetrinken im alten Haus Cumberland am KuDamm, weiter zum Bikinihaus, wo wir uns die vielen stylishen Läden anschauten, und da war so eine rosa eingefärbte Scheibe, durch die man Blick auf die Gedächtniskirche hatte. Dort ist das Foto entstanden, also Charlottenburg. Zum Abschluss hatten wir ein sehr schönes Abendessen im Restaurant Florian in der Grolmanstr. beim Savignyplatz, auch Charlottenburg. Leider gibt es das Florian nicht mehr. Ein Verlust für die Gastronomie der West City.

... link  

 
Ah das Bikinihaus mit der Monkeybar. Ist mir mal empfohlen worden, dann war ich aber nicht mehr in Berlin. Deswegen ist das Bild so eingefärbt. Ich erinnere mich, dass ich mit ihr auch mal in der Gegend war. Der Anlass muss die Cola-WG Lesung gewesen sein. Ich nahm von dort den Bus zum Flughafen.
Das ist ja ein toller Mantel den Du auf den Bildern trägst. Und es gibt ein Kräuselfoto, also eines, wo sie die Nase beim Lachen kräuselt. Sowas kriegt man nur spontan hin, weil keiner absichtlich kräuselt.

Jetzt müssen der Kaltmamsell aber ganz schön die Ohren klingeln, wenn über sie gesprochenschrieben wird.

... link  

 
In dieser Ecke der West City wurde in den letzten sieben Jahren extrem viel gebaut, gelungene Neubauten dabei, schräg gegenüber vom Bikinihaus in dem Dreh ist auch eine schöne Bar in luftigen Höhen, in einem neuen Wolkenkratzer, der Upper West heißt. Sie ist mit Fotografien von Jim Rakete bestückt. Und die Lang-Bar vom auch noch relativ neuen Waldorf Astoria (2012 eröffnet) neben dran ist auch einen Besuch wert.

... link  

 
Wie schön ...
... Du die beiden beschrieben hast.

... link  

 
@hauptschulblues, danke.

@gaga, da gehen wir dann hin, wenn wir mal ausgehen. In beide Bars.

... link  

 
mindestens...! :-)

... link  


... comment
 
Oh, ich fühle mich sehr geschmeichelt, danke schön!
Zu dieser Verwandtschaft gehöre ich gern!

... link  

 
Die Wahlverwandtschaft
Immer gerne doch.

... link  


... comment
 
>Eigentlich weiß ich viel zu wenig vom Herrn Rau, der bei extrovertierten Gegenüber sehr schnell in die Zuhörerrolle tritt.

So soll es sein. Im Blog schreibe ich kaum über Sorgen und Nöte, aber ich habe tatsächlich auch nicht viele davon. Die Sphinx ohne Geheimnis, aber ich tue ja nicht mal sphinxhaft. Manchmal frage ich Frau Rau, ob ich nicht einfach ein zutiefst oberflächlicher Mensch bin, aber sie sagt dann, dass schon alles okay ist mit mir. Ich finde so vieles auf der Welt so schön; aber eigentlich will ich einfach nur hier sitzen. Und lesen und denken und spielen, und von dem Schönen erzählen. Mitteilungsdrang über mich geht gegen null. Außer ich habe Wehwehchen, dann lässt mich meine leicht (leicht!) hypochondrische Ader allen davon erzählen. Aber ich habe auch da nicht viele.

Und die Kaltmamsell - sie ist, wie vermutlich alle außer mir, kompliziert. Und ändert sich auch im Laufe der Jahre.

... link  

 
Die Sphinx ohne Geheimnis
Ich wollte da keine Geheimnisse unterstellen, es ist nur so, dass jeder Mensch sein ganz eigenens Universum ist. Dann ist die Geheimnislosigkeit das, was Dich ganz besonders macht, und, da gebe ich der Kaltmamsell recht, das muss nicht gleich Oberflächlichkeit bedeuten. Ein oberflächlciher Mensch sieht nicht das Schöne und macht sich auch keine detaillierten Gedanken zu diversen Themen. Das wäre ihm viel zu anstrengend. Ist doch gut, wenn es solch Unkomplizierte wie Dich auch gibt. Hätte ich diese Gabe, würde ich vermutlich auch einfach nur hier sitzen wollen. Allmählich spüre ich, dass dieses Stadium bei mir auch einsetzt.

... link  


... comment