Montag, 9. November 2009
Gimme More
Gimme More

Versetzen Sie sich bitte für einen Augenblick in folgende Situation (und vielleicht können erfahrene Zugfahrer - etwa Frau Kaltmamsell oder Herr Mequito- noch Erhellendes zu diesem Thema beitragen):

Sie kaufen eine Fahrkarte zweiter Klasse für eine Bahnfahrt von - sagen wir mal - München nach Hamburg. Ausserdem haben Sie sich ein schönes Plätzchen am Fenster reservieren lassen. Als Sie Ihr Abteil betreten, merken Sie, dass ausnahmslos alle weiteren Plätze belegt sind. Einige Leute stehen in den Gängen und Gepäckstücke versperren die restlichen Freiflächen. Ein Blick ins Abteil der ersten Klasse zeigt, dass dort sehr viele Plätze frei sind. Sie suchen also einen Zugschaffner auf und erklären ihm, dass Sie sich im Grunde mit mehr Platz wohler fühlen und Sie sich deshalb gerne in die erste Klasse setzen würden. Daraufhin fragt Sie der Schaffner, welche Klasse Sie bezahlt haben und bietet Ihnen an, für einen Aufpreis Ihr zweite Klasse in ein erster Klasse Ticket umzuwandeln. Sie möchten jedoch nicht mehr Geld bezahlen und untermauern dieses Anliegen argumentativ. Denn genau genommen unterscheide sich die erste Klasse ja nur durch die Farbe der Sitzbezüge von der zweiten. Und das kann ja nun wirklich nicht im Sinne der Bahn sein, für die Farbe der Sitzbezüge einen Aufpreis von fast 50 Prozent zu verlangen.

Der Schaffner scheint Ihre schlüssige Argumentation nicht nachzuvollziehen, weshalb Sie Ihrem Anliegen etwas mehr Nachdruck verleihen. Es verhielte sich nämlich so, dass Sie im Grunde nur sehr selten mit der Bahn führen, da Sie klaustrophobisch veranlagt seien und sich diese Eigenart ungünstig auf alle Umsitzenden auswirke, wenn Sie sich in dichtem Gedränge befänden. Ausserdem hätten Sie sich kürzlich einer Arthroskopie unterziehen müssen, weshalb Sie nun das Bein auf der langen Fahrt weit von sich strecken oder besser noch hochlegen müssten, um den Heilungsprozess zu begünstigen. Doch selbst gesundheitliche Bedenken scheinen den Kontrolleur nicht zur preislichen Ermäßigung einer erster Klasse Fahrkarte zu bewegen.

Da weder logische noch gesundheitliche Argumente den Diensthabenden überzeugen können, ziehen Sie ein letztes Register. Sie verstünden natürlich sehr wohl, dass er - der Verantwortliche - seine Vorschriften habe, doch so von Vorgesetztem zu Vorgesetztem, von Mensch zu Mensch, quasi von Freund zu Freund wäre da sicherlich auch mal eine Ausnahme drin, da ja die zweite Klasse nun wirklich überzulaufen drohe und Sie ja so gut wie zur Stammkundschaft gehörten. Ausserdem würden Sie zukünftig das Unternehmen Bahn in höchsten Kreisen lobend erwähnen, was in höchsten Kreisen ja auch sehr viel wert sei - sogar mehr wert als so ein lächerlicher Aufpreis. Ganz nebenbei bemerkt seien Sie ja quasi ein Duzbruder des Marketingchefs der Bahn und würden ganz bestimmt bei nächster Gelegenheit ein gutes Wort für ihn, den Kontrolleur, einwerfen, wobei Sie sehr konzentriert auf das Namensschild an seinem Revers starren und ihr Filofax unter entsprechendem Anfangsbuchstaben aufschlagen.

Der Diensthabende reagiert auch auf diesen Versuch abweisend. Nun sehen Sie sich genötigt, sehr, sehr ungehalten zu werden. Der Angestellte scheint wirklich nicht mit dem nötigen Respekt Ihnen gegenüber, geschweige denn mit der nötigen Intelligenz für Ihre schlüssige Argumentationskette gesegnet zu sein, was Sie verbal deutlich zum Ausdruck bringen. Dies ist dann auch Ihr letztes Register. In der Vergangenheit haben Sie damit schon oft Ihr Ziel erreicht, selbst wenn Sie es sehr traurig finden, dass man immer erst laut werden muss. Ihr Gegenüber wendet sich jedoch wortlos ab und ruft über ein Funktelefon den Wachdienst.

Das haben Sie sich irgendwie anders vorgestellt. Nächstes Mal setzen Sie sich einfach ungefragt in die erste Klasse. Denn das wird wohl nicht auffallen - bei so vielen Menschen. Oder Sie reisen zu zweit und kaufen nur ein erster Klasse Ticket. Da kann ein Kontrolleur wohl schwerlich ablehnen, wenn Sie sich mit Ihrem Geschäftspartner zusammensetzen. Oder noch besser, Sie legen sich einen berühmten Namen zu. Wenn Sie dann in der ersten Klasse sitzen, wird man Sie nicht wegschicken. Das traut sich kein dahergelaufener Schaffner.

Sie winken ab. So würden Sie sich niemals aufführen, und Sie können sich auch nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die das tun. Ich auch nicht und trotzdem erlebe ich genau das andauernd.

Das Leben ist ein Irrenhaus, bloß nimmt keiner seine Medikamente.

... comment

 
Darauf würd ich nicht bauen. Wenn Sie zu 2 nur 1 Ersteklasseticket haben, passierts vllt noch, daß der andre aufzahlen muß.

Und Sie hatten ja sowieso einen Sitzplatz - schon allein deswegen ists klar, daß der ohne Aufzahlen Sie nicht wechseln läßt.

... link  

 
Ironiemodus
Frau Sid, was meinen Sie, wie viele Passagiere genau darauf bauen. Und dann wird schnell noch ein "es ist ja so viel Platz da" hinterhergeschoben. In solchen Fällen biete ich immer an, den Nebensitzer in der zweiten Klasse wechseln zu lassen, damit die Herrschaften zusammensitzen können. Bisher wurde dieser Vorschlag aber nur zweimal umgesetzt.

... link  


... comment
 
Je nach Schaffner kann das in einem österreichischen Zug durchaus funktionieren. Laut werden ist allerdings eine schlechte Idee, aber ein schafsdummes Gesicht und gut gespielte Verständnislosigkeit haben schon manchem einen Gratis-Platz in der ersten Klasse eingebracht.
Selber verhalte ich mich ja nicht so, sondern frage diskret, ob ich aufzahlen kann, wenn es zu eng ist. Oft genug hat mich der diensthabende so durchgewunken, weil's ihm zu mühsam war, seine Maschine zu betippen.

Dass das im Flieger wegen der beschränkten Anzahl der Plätze und möglicherweise auch Gewichtsverteilung nicht so einfach geht, dürfte manchen Reisenden halt einfach zu hoch sein.

... link  

 
Da bin ich jetzt aber baff, Frau Chronistin. Sie sagen, in Österreich wird man gelegentlich gratis in die erste Klasse gesetzt? Und da hat sich noch nie ein erster Klasse Vollzahler drüber beschwert?

... link  

 
Naja, die erste Klasse ist bei uns traditionsgemäß gähnend leer. Das ändert sich erst in letzter Zeit, seit es neue Wagen gibt, die in der 1. tatsächlich deutlich bequemer sind.
Außerdem, woher sollte der Vollzahler wissen, dass ein neu dazugekommener kein Vollzahler ist, wenn der Schaffner ihn freundlich lächelnd hineinwinkt?

Dazu kommt, dass Zugreisende einen Anspruch auf einen Sitzplatz haben (zumindest früher, ich weiß nicht, ob das heute noch gilt). Gab es also in der 2. keine Plätze, durfte man völlig legal nicht-zahlend in der 1. sitzen. Mit einem "Ohje, ich hab keinen anderen Platz gefunden" konnte man auch davon ausgehen, dass der Schaffner einen nicht samt Gepäck durch den überfüllten Zug jagt, auch wenn zwei Wagen weiter noch der eine oder andere Platz frei war.

Letzteres Problem tritt ja bei Ihnen glücklicherweise nicht auf - obwohl, gab es da nicht kürzlich die Idee, Stehplätze im Flieger einzuführen?

... link  

 
Ja, vom Billig-Flieger, der sich auch jeden Klogang extra zahlen lassen will - oder das zumindest angedacht hatte.

... link  


... comment
 
In Deutschland, chronistin, kauft man mit dem Bahnticket explizit nur die Beförderung, keinen Sitzplatz (habe oft genug gehört, wie Schaffner das erzürnten Passagieren in überfüllten Zügen auseinandersetzten).

Der Erstklassgrabscher der Frau klugscheißer hat allerdings die eine Geschichte ausgelassen, die laut einer Kollegin immer wirkt: Frisch verheiratetes Paar auf Hochzeitsreise.

... link  

 
Ah, dieses Argument hatte ich vergessen. Wir setzen die Frischvermählten immer auseinander, damit die Ehe länger hält (kleiner Scherz, tschuldigung).

... link  


... comment
 
in hollaendischen zuegen haben mir tatsaechlich haeufiger schaffner von sich aus angeboten, im 1.klasseabteil platz zu nehmen. da war es aber nun wirklich so, dass nur die farbe anders war. anders als in ihren flugzeugen, wo ja der unterschied schonmal darueber entscheiden kann, ob man sich nach den ersten 12 stunden zug sofort euthanasieren moechte oder nicht...

... link  

 
zug? wieso zug? ich meinte natuerlich flug.

... link  

 
Nun, bei Großraumflugzeugen mag da ausser den Sitzbezügen ein weiterer marginaler Unterschied zwischen den Klassen sein, bei den kleinen Fliegern war's das aber fast schon.

... link  

 
das stimmt natuerlich. darum verstehe ich gar nicht, warum jemand die kohle ausgeben sollte, wenn er zwischen 1 1/2 stunden auf einem sitz mit schuppenfaenger in weiss oder 1 1/2 stunden auf einem baugleichen sitz ohne schuppenfaenger waehlen muss. nonstop sfo allerdings trieb mir schon haeufig die traenen in die augen, auch, wenn ich beim aussteigen sah, wie unordentlich die reichen leute ihre tollen sitzmuscheln verlassen, waehrend ich sogar noch die polyesterdecke auf dem 20cm sitz falte...

... link  

 
Ah, Sie sind ein Deckenfalter. Da muss ich bei Gelegenheit auch mal was drüber schreiben. A propos schreiben. Sind Sie nicht derzeit mit anderen Schriftstücken stark beschäftigt und wollten erst nach 16. Dezember wieder... ?

... link  

 
2. dezember. und bitte schweigen sie, nach 20 uhr wird verdraengt. bis morgen um 7.

... link  

 
und wann schlafen Sie?

... link  

 
gerade, kurz. seufz.

... link  


... comment
 
Bei der Icelandair habe ich das erlebt: wir wurden in die erste Klasse gebeten, weil mein Mann doch so lange Beine habe. Und hinten wäre es doch unbequem.
Sowas von nett, der Laden :-)))

... link  

 
Heul!
Das machen die bei Iceland genau 1mal und genau mit diesem Marketingtrick binden die Kunden. Würden die das öfter machen, wären sie nämlich ganz schnell pleite.
Und genau diese (bevorzugt behandelten) Passagiere kommen dann mit genau diesem Argument zu mir. Ich könnte k...

Edit: Für Sie, Frau Croco nebst Gatten, freut mich das natürlich. Aber je länger ich darüber nachdenke, muss da ein anderer Grund dahinterstecken. Ich vermute mal, die brauchten dringend die zwei Plätze, weil da ein Ekelpaketpassagier wegen was auch immer einen der besseren Plätze erzwingen wollte und man dann lieber zwei nette Passagiere wegsetzte, um dem Ekelpaketpassagier den Wind aus den Segeln zu nehmen.

(Aber mal ehrlich, wer will schon in Kevlavik umsteigen? Da will nicht mal der Weihnachtsmann raus.)

... link  

 
ich.

ich hatte letztens sogar mal ueberlegt, drei tage dort zu bleiben, auf dem weg nach boston. aber dann bin ich aufgewacht und alles war wieder gut.

... link  


... comment
 
Im Zug hat man sein Gepäck bei sich, folglich die Chance, gemeinsam mit diesem ans Ziel zu kommen ;-)

Der Kofferraum im Flugzeug wäre doch wirklich mal eine Option.

... link  


... comment