Sonntag, 2. April 2006
Outside is America II
Das Kind neben ihm ist seine Tochter. Im Grunde weiß er nicht, was er mit ihr anfangen soll. Mit einem Jungen wüsste er das. Jungs sind wild und stark, nicht so schwach und weinerlich. Sie sitzt ganz still auf einem Stuhl neben ihm in der Kneipe. Es ist noch ziemlich früh. Er hat sie mitgenommen, weil er nicht weiß, was er mit ihr anfangen soll. Wenigstens ist sie still. Wenn man schon keinen Jungen haben kann, sollen alle wenigstens sehen, dass sie gut erzogen ist. Erst hat sie ein wenig gequengelt und ist herumgelaufen. Er hat ihr gesagt, sie solle still sein. Dann hat er eine Fanta für sie bestellt. Jetzt ist sie still. So kann er wenigstens ungestört sein Bier trinken. Ab und zu kommt einer vorbei, den er hier schon gesehen hat. Der streicht ihr über den Kopf und sagt ihm, wie gut sie erzogen ist.

Eigentlich wollte er immer einen Hund, so einen richtigen Jagdhund. Einen, den man abrichten kann und der auf Zuruf die erlegte Beute holt. Wenn er auf die Jagd geht, fühlt er sich wie ein echter Mann. Er hat Gewehre und schießt damit auf Wild. Nur aufbrechen mag er das Wild nicht. Das überlässt er den Anderen. Ihm wird übel vom Geruch. Das Geweih schneidet er aber mit seinem Messer ab und bringt es heim zu seiner Frau, die es dann auskochen muss. Sie sagt, sie will keinen Hund, weil sie keine Zeit hat, sich um das Tier zu kümmern. Irgendwann wird er einfach einen kaufen. Da kann sie nichts mehr sagen.

Wenn das Mädchen alt genug ist, wird er sie auf die Jagd mitnehmen. Bis jetzt kann man nicht viel mit ihr anfangen. Meist will sie bei der Mutter bleiben oder bei der Oma. Die verweichlichen das Kind. Wenn er nachts nach der Kneipe mit der Frau streitet, holt er das Kind aus dem Bett. Sie soll früh genug sehen, wie das Leben ist. Das ist anders als in den Büchern, die die Frau ihr abends vorliest. Das Leben ist hart und ungerecht. Ab und zu rauft er mit dem Mädchen, um sie abzuhärten. Dann schlägt er zu, erst leicht und dann immer ein wenig stärker. Sie weint nicht, selbst wenn er stark zuschlägt. Das macht ihn stolz. Die Frau geht manchmal dazwischen. Doch die kann sich ja nicht einmal selbst verteidigen, wie will sie dann das Kind schützen?

Letztens war er mit dem Mädchen auf einem Trimm-Dich-Pfad. Es war noch ganz früh und er ließ sie Tarzanseil für Erwachsene fahren. Am Drahtseil, das abschüssig zwischen zwei Bäumen gespannt ist, hängt ein Triangelgriff. Er hat sie hochgehoben, damit sie sich dort festhalten kann. Danach ist er schnell von der Plattform geklettert, um sie am Ende des Seils herunterzuheben. Nach dem dritten Mal wollte sie nicht mehr. Er meinte es gut, als er sie noch zweimal zum fahren zwang. Schließlich wird es später voll und er wusste nicht, was er sonst mit ihr anstellen soll. Als er sie vom Boden aufhob, blutete sie aus dem Mund. Die vorderen Milchzähne waren ausgeschlagen. Aber geweint hat sie nicht. Da war er ein kleines Bisschen stolz auf sie.

Nur Lügen mag er nicht. Einmal hat sie ihn angelogen. Sie sagte, die Kinder im Kindergarten bekämen eine Schleife an ihre Kleiderhaken, sobald sie sich selbständig die Schuhe binden könnten und sie hätte auch eine. Er wusste, dass sie log. Deshalb brachte er sie in den Kindergarten. Da war keine Schleife an ihrem Haken. Als sie wieder zuhause war, hat er sie verdroschen. Er hat das Lügen aus ihr herausgeprügelt. Jetzt lügt sie nicht mehr. Das hat er ihr beigebracht.

Kinder und Hunde müssen gut abgerichtet werden, sonst hat man nur Ärger. Sie müssen früh lernen, dass es im Leben nicht nach ihrem Willen geht. Sie müssen lernen sich unterzuordnen. Und man muss ihnen klarmachen, wer der Herr ist. Manchmal sieht er sie auf der Straße spielen. Dann holt er sie heim und schlägt sie, damit sie es kapiert. Sie soll gefälligst in der Wohnung sein, wenn er heimkommt. Beim nächsten Mal wird die Strafe noch härter. So lange, bis sie es gelernt hat. Wenn ihm die Hand weh tut, nimmt er einen Kochlöffel oder ein Stück Holz, das tuts auch.

Manchmal wäscht er ihr die Haare. Gut, dass ihre Haare immer kurz sind. Darauf achtet er. Werden sie zu lang, schneidet er sie selbst mit der Schere ab. Das Geheule hat er so langsam satt. Lange Haare verfilzen und machen Dreck. Jungs haben keine langen Haare. Den Schaum spült er mit der Dusche herunter. Zwischendurch lässt er ihr Wasser über das Gesicht laufen. Dann verschluckt sie sich und schreit. Sowas macht sie härter. Im Schwimmbad hat er sie so lange unter Wasser getunkt, bis sie keine Luft mehr bekan. Sie soll gefälligst schwimmen lernen. Und sie soll hart werden. So hart wie er.

Das Leben hat ihn hart gemacht. Er hatte keinen Vater, der ihm alles Wichtige hätte beibringen können. Schläge hat er einstecken müssen, mal von Kumpels und mal von Fremden. Und als er damals in Chile Heimweh hatte, war da keiner, den er hätte anbetteln können. Seine Mutter hat er damals angefleht, ihm Geld für die Heimfahrt zu schicken. Nach Monaten erst kam der ersehnte Scheck. Er war auf der Flucht. Das hat aber keiner begriffen. Seitdem sucht er Amerika. Er sucht es in seinen Träumen und in sich selbst. Selten, sehr selten sieht er es vor sich. Doch meist ist er zu betrunken, um die Erscheinung halten zu können.

Eines Tages wird er ihr davon erzählen. Wenn sie alt genug ist, wird sie es verstehen, weil sie ähnliches erlebt hat. Er weiß das, denn er sorgt dafür. Bis es soweit ist, sitzt sie still neben ihm und trinkt Fanta. Sie ist so still, fast hätte er vergessen, dass sie da ist. Das macht ihn ein klein wenig stolz.

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Kann
man das alles mal am Stück lesen? Oder wird es erst was Ganzes? Oder ist es der spontane Ausbruch regelmäßig wiederkehrender Gedanken und Gefühle oder gar Erinnerungen?
Macht sehr nachdenklich, wühlt auf, provoziert zum Widerspruch, zum "So bin ich nicht!", "So sind wenige!", "So kann man das nicht sehen!" und anderen Ausweichrufen...
Liest sich gut!

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Kuhlumbus, das ist was Ganzes und es ist was, das sich kontinuierlich verändert. Leben halt.

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Eine
recht philosophische Antwort, unkonkret genug, um mich nur zögerlich weiterfragen zu lassen.
Wie auch immer, es ist das Gegenteil von meinem Leben, und von dem meiner Töchter. Trotzdem aber Teil unser aller Leben. Sicher.
Meine Frage zielte ja nur auf den besonderen Aggregatzustand, in dem dieses Leben hierher findet, auf die Buchstaben und Worte. Aber sie müssen nicht antworten. :o)

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es ist...
viertel vor drei uhr morgens und lese ihre "outside is amerika"blogs, einmal zweimal...dann ihren blog "denken-formulieren-abschicken"....nachdenken tue ich nun schon ne ganze weile ob ich mich zu diesen blogs äussere. Auf der einen seite ist es einem ja freigestellt aber auf der anderen seite lese ich ihre blogs wie andere ihre morgenzeitung...sprich mit täglicher gewohnheit. Was daran liegt das ich ihre blogs gerne lese und irgendwie denke ich, es wäre nicht fair wenn ich mir die schönen blogs raussuche die in mein intressengebiet passen und dazu den einen mehr oder weniger geistigen kommentar abgebe und zu den blogs wie "outside is america" nicht einmal ein wenig anteilnahme zeige. Ich gebe zu mit dieser art von text tue ich mich ziemlich schwer auch was das kommentiern jetzt angeht, mag daran liegen das ich so etwas nicht kenne weder aus meiner kindheit noch von freunden,vielleicht wollen sie das auch nicht .....wie dem auch sei...ich würde mich nicht wohlfühlen wenn ich nur das schöne von ihen raussuche...fühlen sie sich mal gedrückt...ist das was ich jetzt denke...

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