Dienstag, 18. Juli 2006
Woman from Tokyo
frau klugscheisser, 20:51h
Apropos Feiertage: der Fitness-/Wellnessclub ist heute geschlossen, da gestern Tag des Meeres war und der Pool erst heute gereinigt werden kann. Ich verschlafe lausiges Wetter, tief hängende Wolken und Dauerregen. Am Abend dann auf Nahrungssuche. Restaurants stellen Plastikabbildungen ihrer Gerichte in Schaukästen vor dem Eingang aus, auf die Ausländer mit Fingern deuten können. Vor den Suppenküchen stehen Stühle für Wartende. Man trägt seinen Namen in eine Liste am Eingang und hofft auf das Sprachtalent der Angestellten. Speisekarten in japanischen Lettern erschweren die Auswahl. Sushi allerorten. Am Bahnhof ein Förderband für Fischsnacks (Sushitrail), die Dönerbuden Japans. Ernährung gestaltet sich schwierig, wenn man auf Schalengetier allergisch reagiert. Noch schwieriger wirds, will man seinen Prinzipien treu bleiben und sich der hierzulande gefangenen Meereslebewesen gänzlich enthalten. Japan ist das Guantanamo des Fischfanges.
Bleibt nur noch Supermarkt. Die wichtigste Information ist die über nächtliche Öffnungszeiten. Das Angebot ist reichhaltig: Sushi abgepackt, Onigiri mit Fischpaste abgepackt, Meeresfrüchtesalat abgepackt. Fischchips und getrockneter Tang gesalzen auf zwei Regalmetern. Übrig bleibt nur Instantsuppe mit Schrimps. Die kann man notfalls absammeln, bevor man heisses Wasser hinzufügt. Gegessen wird mit Stäbchen, auch die Flüssigkeit. Man muss alles nur schnell genug vom Becher zum Mund befördern. Ein ausdauerndes Völkchen. Reissnacks schmecken ganz ordentlich, bis ich den ersten getrockneten Fisch aus der Packung angle. jetzt liegt er neben mir auf dem Tisch und sieht mich traurig an. Wer schon bei Bambi zögert, kann Nemo erst recht nicht verspeisen. Ich beschließe, ihn feierlich in der Toilette beizusetzen. Leise Plätscherklänge aus dem Lautsprecher im Badezimmer. Beim Spülen erwische ich den falschen Knopf. Zwei- dreimal springt er lustig auf der kleinen Fontäne nach oben, bis er schließlich ins Nirwana der Kanalisation gezogen wird. Der Zimmerspringbrunnen hat eine Pfütze auf dem Boden vor der Toilette hinterlassen. Griesgrämig wische ich sie mit Origamitoilettenpapier auf. Japaner falten zwanghaft jede Art von Papier, das ihnen in die Finger gerät, auch Klopapier. Das Zimmermädchen hätte ihre Aufgabe innerhalb von Minuten erledigt, wären da nicht Kleenex und Co. Ich verstehe sie einfach nicht, die Japaner, so sehr ich mich auch bemühe. Während ein Origamifetisch noch belustigt, stößt das Gebahren der Geschäftsmänner nach Feierabend eher ab. Biergeruch zieht mit einer Gruppe Anzugträger an mir vorbei. Ich treffe sie wieder vor einem Zeitschriftenregal mit Hentailektüre, dem ich mich neugierig nähere. Ihre Blicke lassen mich umkehren. Dabei wollte ich mich über die neuesten Szenetrends informieren. Schnürpäckchen sind inzwischen ein alter Hut, genau wie Gips (bessere Musik hier, man muss sich aber einloggen). Was letztlich angesagt ist, entzieht sich für heute meiner Neugier.
Im Fernsehen übertriebene Fröhlichkeit vor knalliger Kulisse. Keiner würde normalerweise so laut sprechen, noch viel weniger so ungeniert über Plattitüden lachen. Paralleluniversum zum Alltag, vielleicht die Sehnsucht eines Volkes nach Ungezwungenheit, die man sich genau so vorstellt. Oder Abhärtungsprogramm. Einen Japaner bringt so schnell nichts aus der Fassung, kein Erdbeben und kein Autounfall. Auf dem Weg zum Hotel ein verunglückter Viehtransporter. Überall liegt zermatschtes Schweinefleisch auf der Fahrbahn, blutende Tiere, zerfetzte Körper. Dahinter wartet die aufgestaute Autokolonne geduldig bis zum Eintreffen des Räumungstrupps. Keiner hupt, keiner gafft. Wir passieren die Stelle reibungsfrei auf der Gegenfahrbahn. Heute ein Auffahrunfall auf meinem Weg. Ein Lastwagen der Stadtreinigung quetscht sich in den Kofferraum eines Personenwagens. Man steigt aus, ruft die Polizei und versammelt sich schweigend um die Fahrzeugreste. Alles weitere überlässt man dem Polizisten, der in Windeseile mit Signalterzgeheul auf dem Motorrad eintrifft. Ein Oh hier, ein Ah dort, sonst nichts. Kein Gezeter, keine Beschimpfungen. Auch sonst benutzt man gerne langgezogene Ohs und Ahs. Sie entschlüpfen regelmäßig den Mündern der Zuhörenden. Erstaunlich aufdringlich wirkt hingegen das abgehackt herausgepresste hai, das Zustimmung bedeutet. Für mein Gefühl mag sich der Habitus dieses Wortes so gar nicht in das restliche Verhalten einfügen. Was gerne mit jaja [leck mich am Arsch] kommentiert wird, dürfte schwierig ins Japanische zu übersetzen sein. Haihai bedeutet jedenfalls was anderes.
Falls jemand unter den Damen ausgefallenes Schuhwerk sucht, wird hier bestimmt fündig. Alle weiblichen Hotelangestellten tragen Minnie Mouse Schuhe in weiß. Überhaupt trägt man hohe Schuhe gerne eine halbe Nummer zu groß, was den schlurfenden Gang zusätzlich fördert. Früher entglitt mir gelegentlich ein Schmunzeln, wenn ich Japanerinnen auf der Straße stöckeln oder gar eilig laufen sah. Auf Nachfrage erklärte man mir, dies habe mit Unterwürfigkeit zu tun. Servicepersonal schickt sich an, die Wünsche des Kunden schnell zu erledigen und markiert einen eiligeren Schritt. Natürlich können Japaner auch richtig rennen, hat man ja erst bei der WM gesehen. Im Grunde schämen sich die Japanerinnen für ihren Schlumpfschritt. Man möchte gerne westlich angepasst sein. Und im Imitieren sind sie perfekt. Es spielen mehr Japaner in europäischen Orchestern denn je. Während meines Studiums traf ich immer wieder japanische Studenten, die kein Wort deutsch sprachen, dafür aber umso schneller die Klangbeispiele ihrer Lehrer umsetzten. Menschliche Aufnahmegeräte mit integrierter Dolby Surround Funktion. Solisten sind allerdings rar. Man bleibt lieber im Kollektiv.
Ich merke, ich komme ins Plaudern. Genug für heute, auch wenn ich noch vieles zu bestaunen hätte...
Bleibt nur noch Supermarkt. Die wichtigste Information ist die über nächtliche Öffnungszeiten. Das Angebot ist reichhaltig: Sushi abgepackt, Onigiri mit Fischpaste abgepackt, Meeresfrüchtesalat abgepackt. Fischchips und getrockneter Tang gesalzen auf zwei Regalmetern. Übrig bleibt nur Instantsuppe mit Schrimps. Die kann man notfalls absammeln, bevor man heisses Wasser hinzufügt. Gegessen wird mit Stäbchen, auch die Flüssigkeit. Man muss alles nur schnell genug vom Becher zum Mund befördern. Ein ausdauerndes Völkchen. Reissnacks schmecken ganz ordentlich, bis ich den ersten getrockneten Fisch aus der Packung angle. jetzt liegt er neben mir auf dem Tisch und sieht mich traurig an. Wer schon bei Bambi zögert, kann Nemo erst recht nicht verspeisen. Ich beschließe, ihn feierlich in der Toilette beizusetzen. Leise Plätscherklänge aus dem Lautsprecher im Badezimmer. Beim Spülen erwische ich den falschen Knopf. Zwei- dreimal springt er lustig auf der kleinen Fontäne nach oben, bis er schließlich ins Nirwana der Kanalisation gezogen wird. Der Zimmerspringbrunnen hat eine Pfütze auf dem Boden vor der Toilette hinterlassen. Griesgrämig wische ich sie mit Origamitoilettenpapier auf. Japaner falten zwanghaft jede Art von Papier, das ihnen in die Finger gerät, auch Klopapier. Das Zimmermädchen hätte ihre Aufgabe innerhalb von Minuten erledigt, wären da nicht Kleenex und Co. Ich verstehe sie einfach nicht, die Japaner, so sehr ich mich auch bemühe. Während ein Origamifetisch noch belustigt, stößt das Gebahren der Geschäftsmänner nach Feierabend eher ab. Biergeruch zieht mit einer Gruppe Anzugträger an mir vorbei. Ich treffe sie wieder vor einem Zeitschriftenregal mit Hentailektüre, dem ich mich neugierig nähere. Ihre Blicke lassen mich umkehren. Dabei wollte ich mich über die neuesten Szenetrends informieren. Schnürpäckchen sind inzwischen ein alter Hut, genau wie Gips (bessere Musik hier, man muss sich aber einloggen). Was letztlich angesagt ist, entzieht sich für heute meiner Neugier.
Im Fernsehen übertriebene Fröhlichkeit vor knalliger Kulisse. Keiner würde normalerweise so laut sprechen, noch viel weniger so ungeniert über Plattitüden lachen. Paralleluniversum zum Alltag, vielleicht die Sehnsucht eines Volkes nach Ungezwungenheit, die man sich genau so vorstellt. Oder Abhärtungsprogramm. Einen Japaner bringt so schnell nichts aus der Fassung, kein Erdbeben und kein Autounfall. Auf dem Weg zum Hotel ein verunglückter Viehtransporter. Überall liegt zermatschtes Schweinefleisch auf der Fahrbahn, blutende Tiere, zerfetzte Körper. Dahinter wartet die aufgestaute Autokolonne geduldig bis zum Eintreffen des Räumungstrupps. Keiner hupt, keiner gafft. Wir passieren die Stelle reibungsfrei auf der Gegenfahrbahn. Heute ein Auffahrunfall auf meinem Weg. Ein Lastwagen der Stadtreinigung quetscht sich in den Kofferraum eines Personenwagens. Man steigt aus, ruft die Polizei und versammelt sich schweigend um die Fahrzeugreste. Alles weitere überlässt man dem Polizisten, der in Windeseile mit Signalterzgeheul auf dem Motorrad eintrifft. Ein Oh hier, ein Ah dort, sonst nichts. Kein Gezeter, keine Beschimpfungen. Auch sonst benutzt man gerne langgezogene Ohs und Ahs. Sie entschlüpfen regelmäßig den Mündern der Zuhörenden. Erstaunlich aufdringlich wirkt hingegen das abgehackt herausgepresste hai, das Zustimmung bedeutet. Für mein Gefühl mag sich der Habitus dieses Wortes so gar nicht in das restliche Verhalten einfügen. Was gerne mit jaja [leck mich am Arsch] kommentiert wird, dürfte schwierig ins Japanische zu übersetzen sein. Haihai bedeutet jedenfalls was anderes.
Falls jemand unter den Damen ausgefallenes Schuhwerk sucht, wird hier bestimmt fündig. Alle weiblichen Hotelangestellten tragen Minnie Mouse Schuhe in weiß. Überhaupt trägt man hohe Schuhe gerne eine halbe Nummer zu groß, was den schlurfenden Gang zusätzlich fördert. Früher entglitt mir gelegentlich ein Schmunzeln, wenn ich Japanerinnen auf der Straße stöckeln oder gar eilig laufen sah. Auf Nachfrage erklärte man mir, dies habe mit Unterwürfigkeit zu tun. Servicepersonal schickt sich an, die Wünsche des Kunden schnell zu erledigen und markiert einen eiligeren Schritt. Natürlich können Japaner auch richtig rennen, hat man ja erst bei der WM gesehen. Im Grunde schämen sich die Japanerinnen für ihren Schlumpfschritt. Man möchte gerne westlich angepasst sein. Und im Imitieren sind sie perfekt. Es spielen mehr Japaner in europäischen Orchestern denn je. Während meines Studiums traf ich immer wieder japanische Studenten, die kein Wort deutsch sprachen, dafür aber umso schneller die Klangbeispiele ihrer Lehrer umsetzten. Menschliche Aufnahmegeräte mit integrierter Dolby Surround Funktion. Solisten sind allerdings rar. Man bleibt lieber im Kollektiv.
Ich merke, ich komme ins Plaudern. Genug für heute, auch wenn ich noch vieles zu bestaunen hätte...
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referral,
18. Juli 2006, 20:59
Gipsfetisch? Gibs nich, oder?
(5 Euro in die Kalauerkasse...)
(5 Euro in die Kalauerkasse...)
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frau klugscheisser,
18. Juli 2006, 21:08
Du glaubst nicht, wieviele Videos ich im Netz zu dem Thema gefunden habe. War natürlich reine Recherche.
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kaltmamsell,
19. Juli 2006, 15:30
Vielen Dank! So herrlich subjektiv mag ich Landeskunde am liebsten.
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brittbee,
19. Juli 2006, 19:52
Berichten Sie denn noch weiter von Ihrer Reise, Frau Klugscheißer? Der heutige Beitrag schlägt so Tsunamihohe Wellen, daß dieses Kleinod gar keinen Raum mehr hat.
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frau klugscheisser,
20. Juli 2006, 00:11
Meine Reise ging heute nach einem 12stündigen Flug zu Ende. Berichten könnte ich nur noch von einer schlaflosen Nacht. Meine Bemühungen diesbezüglich endeten jäh gegen 6.00 mit einem Feuerfehlalarm im Hotel, den ich für die Türglocke hielt und mich anschließend eine Stunde wütend ob dieser Ruhestörung im Bett wälzte. Welcher Idiot hat sich eine Feueralarmsirene ausgedacht, die durch nacheinander angeschlagene Glockentöne eines Durakkordes aufmerksam machen will?
Jedes Kleinod hat seinen Raum, damit ist aber kein Blumentopf zu gewinnen. Somit hat sich meine These wieder einmal bestätigt, dass es nicht Qualität ist, die sich durchsetzt.
@Kaltmamsell, danke sehr.
Jedes Kleinod hat seinen Raum, damit ist aber kein Blumentopf zu gewinnen. Somit hat sich meine These wieder einmal bestätigt, dass es nicht Qualität ist, die sich durchsetzt.
@Kaltmamsell, danke sehr.
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nff,
21. Juli 2006, 17:05
Nachtrag Tokyo
WO IST KLUGSCHEISSER?
Wartete mit Alphorn viele Stunden im Regen. Noch einmal lasse ich mich nicht versetzen :-)
Übrigens: die Tracht steht ihnen ausgezeichnet (ja, ja, steinigt mich nur, aber so heisst das Ding nun mal in Helvetien)
Wartete mit Alphorn viele Stunden im Regen. Noch einmal lasse ich mich nicht versetzen :-)
Übrigens: die Tracht steht ihnen ausgezeichnet (ja, ja, steinigt mich nur, aber so heisst das Ding nun mal in Helvetien)
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frau klugscheisser,
21. Juli 2006, 17:32
Wir haben uns am Mittwoch verfehlt. Ich bin schon 10.00 Ortszeit abgeholt worden. Da waren Sie sicher noch nicht da.
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marielsd,
30. Juli 2006, 11:11
Haben Sie herausgefunden...
...warum die Damen oft so blaue Flecken an den Beinen haben? Habe ich bisher mehrmals an der Hochschule beobachten können. So als ob sie die Beine verprügelt hätten bekommen. Ich habe gestern einfach mal dreist nachgefragt und dann hieß es, sie hätte Hautprobleme gehabt und das wären die Nebenwirkungen...???
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frau klugscheisser,
30. Juli 2006, 20:46
Das habe ich noch nie beobachtet - jedenfalls nicht häufiger als bei mir. Das muss eine andere Ursache als die Herkunft haben.
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