Donnerstag, 13. Dezember 2007
Perhaps, perhaps, perhaps
Die Krankheit unserer Zeit heisst Unverbindlichkeit. Man gibt sich unverbindlich bei Verabredungen, ist unverbindlich freundlich und selbst Preisempfehlungen sind laut Anbieter unverbindlich. Geläufige Indikatoren sind Worte wie vielleicht oder eventuell, Aussagen wie mal sehen, ich bin nicht sicher und je nachdem, deren inflationärer Gebrauch uns in der täglichen Kommunikation kaum noch auffällt. Mal ehrlich, wie oft benutzen wir diese Phrasen, um uns Hintertürchen zum Rückzug offenzuhalten, um uns drohenden Vorwürfen schon im Vorfeld zu entziehen oder Verletzungen galant zu umschiffen?

Früher war ein Ehrenwort verbindlicher als jeder Kontrakt. Wer es brach, war gezwungen, in aller Herrgottsfrüh das Bett zu verlassen. Die Chancen standen gut, anschließend nie mehr früh oder auch spät aufstehen zu müssen. Dass der Begriff Ehre heute ebenfalls nichtig geworden ist, haben bereits führende Politiker wirksam demonstriert. Allein in der japanischen Kultur gilt die Ehre noch als verbindlich. Wer sie verliert, dem ist sein Leben nichts mehr wert. Eine völlig überholte Einstellung mag sich so mancher denken, der Unverbindlichkeit lieber als Diplomatie bezeichnet und sich damit durch allerlei Widrigkeiten schlängelt.

Streichen wir der Einfachheit halber die Ehre aus dem Begriff. Zurück bleibt das Wort. Man gibt sich ein Wort, das Ja-Wort beispielsweise. Kein Wunder, dass so viel geheiratet wird, wenn das Wort eines Menschen allein nichts mehr wert ist, wenn das gebräuchlichste Wort aus Kontaktanzeigen gleich nach Diskretion unverbindlich lautet und wenn der Partner den ganzen Tag so viel leere Worthülsen von sich gibt, dass man sich darauf nicht mehr verlassen mag. Wann haben Sie zum letzten Mal jemandem ihr Wort gegeben? Und haben Sie es gehalten? Wie oft tun Sie generell das, über was sie vielerlei Worte verlieren?

"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort", so lauten bekannte Worte. Selbst Atheisten würden die Macht des Wortes nicht bestreiten, ganz gleich wie der Gottesbegriff interpretiert wird. Dort wo es heißt "Und Gott sprach: es werde Licht!" ergänzten wir jugendlich blasphemisch gerne mal: "...doch er fand den Schalter nicht!" Stellen wir uns einfach mal vor, Gott hätte gesagt: "Ich weiß noch nicht so recht wie ich mich nachher fühle, aber je nachdem, könnte ich vielleicht Licht schaffen." Wenn ich die breite Masse meiner Mitmenschen betrachte, wird es wohl so ähnlich gewesen sein.

Zu seinem Wort - in der Konsequenz auch zu seinen Aussagen - stehen, ist unter Umständen für den Wortgeber unangenehm, zumindest was die Folgen betrifft. Noch unangenehmer ist ein Zeitgenosse, der meint was er sagt - dies wiederum ist ein Teilaspekt der so viel gepriesenen Authentizität. Ein Mensch, der in klaren Worten spricht, wird misstrauisch beäugt. Steht er zu seinen Worten und handelt entsprechend, wird er für andere suspekt, wenn nicht gar bedrohlich. Zu sehr unterscheidet er sich von der breiten Masse und erinnert das Gegenüber gleichzeitig an das eigene Manko. Sowas macht unsicher. Wer gerne von allen geliebt werden möchte, sollte auf keinen Fall verbindliche Worte verlieren.

Das war die schlechte Nachricht. Ich fürchte, es gibt keine gute, es sei denn, Sie sind bereit, das Konzept auszuprobieren. Machen Sie doch mal ein Experiment, sagen wir mal für eine Woche. Die Grundvoraussetzung dafür ist absolute Ehrlichkeit mit sich und anderen (womit wir schon wieder bei der Ehre wären). Fragen Sie sich während dieser Zeit, was Sie wirklich denken, fühlen und wollen. Genau das äussern Sie dann auf Fragen. Eine ehrliche Antwort kann durchaus freundlich formuliert werden. Und fragen Sie sich selbst, wie Sie Menschen einschätzen, bei denen sich ständig angeblich ehrliche Aussagen mit unverbindlichem Geplänkel abwechseln.

Wenn Sie eine Woche durchgehalten haben, werden Sie feststellen, dass Sie sich viel lieber im Spiegel sehen, dass Sie auf einmal wissen was Sie wollen und plötzlich wieder den Zugang zu ihren Gefühlen haben. Sie werden selbstbewußter und zufriedener sein. Sie werden vermutlich diesen Zustand beibehalten wollen und aus einer Woche wird unter Umständen eine viel längere Zeitspanne. Wahrscheinlich werden Sie alte Bekanntschaften verlieren, dafür aber neue machen. Denn es gibt durchaus Menschen, die Ihre Verbindlichkeit zu schätzen wissen. Auf den Umgang mit Worthülsenverteilern werden Sie in Zukunft ohnehin gerne verzichten.

Zum Schluß ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Ein Bekannter klagte oft und wortreich über seelisches Unwohlsein. Er war einer der Menschen, die sich nie festlegen wollen, aus Angst, etwas zu verpassen. Die Hintertürchen sperrangelweit auf, raste er von einer Gelegenheit zur nächsten, immer auf der Suche nach dem glücksbringenden Ereignis. Hatte er ein angestrebtes Ziel erreicht, wurde es unwichtig, denn nicht allein das Angestrebte macht glücklich, sondern wie wir damit umgehen. Nun ist Erwachsenwerden ja bekanntlich auch mit unwiderbringlichen Entscheidungen verbunden. Er aber wollte die pubertäre Entdecke-die-Möglichkeiten-Phase unendlich ausdehnen, nicht ahnend, dass damit gleichfalls das pubertäre Gefühlskarussell angekurbelt wird. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, wie selten er meint, was er sagt und wie noch seltener er auch danach handelt, unterstellte er mir einen 'Rundumschlag' und wandte sich beleidigt ab. Ich kann es ihm nicht verübeln, gleichwohl ich hoffe, er möge eines Tages den wahren Grund für seine instabile Gemütsverfassung finden.

Es sind oft Kleinigkeiten, die entscheidende Veränderung bewirken. Will ich mein Leben ändern, muss ich mit dem nächsten Tag beginnen. Will ich authentisch werden, muss ich ehrlich sein. Will ich selbstbewußt und stark werden, muss ich meine Schwächen benennen und akzeptieren. Der kleinste Schritt auf einem langen Weg ist, auf seine Worte zu achten. Denn unser Denken - und folglich unser Handeln - beginnt mit Worten, und die sind immer nur so verbindlich, wie wir es sind. Auf dass wir in Zukunft die richtigen finden mögen. Oder einen Lichtschalter.

Perhaps, perhaps, perhaps

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Sie sprechen mir aus der Seele, gnädige Frau.
So richtig hab ich jetzt erst verstanden, wie das auf andere wirkt, nachdem ich Ihre Worte dazu gelesen habe.
So zu handeln, so zu sein, macht unglaublich frei, und unglaublich stark.
Danke dafür, dass Sie es so gekonnt fomuliert haben.

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Danke.

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Sehr schöner Text. Auch die Feststellung, dass es sich um eine allgemeine Zeitkrankheit handelt. Ich würde noch weiter gehen: Steckt hinter der Unverbindlichkeit nicht vor allem Scheu vor Verantwortung? Und ist es nicht so, dass unsere private Angst vor Verantwortung auch ein Abbild größerer gesellschaftlicher Vorgänge ist? Wenn allenthalben von "Outsourcing" die Rede ist, heißt das doch nichts anderes, als dass man weniger Geld für Arbeitsplätze ausgeben will - aber als böser Ausbeuter soll nicht die eigene Firma dastehen, dafür soll irgendjemand anders verantwortlich sein. Oder man erfindet "flache Hierarchien", damit man als Chef nicht Schuld ist, wenn was schiefgeht. Und genau so scheuen wir auch privat den verbindlichen Vertrrag mit dem Partner, weil wir glauben, dass wir die erwünschten Liebesdienste unverbindlich billiger bekommen. Und reden von Freiheit und Gleichberechtigung, damit wir keine Verantwortung füreinander übernehmen müssen. Allerdings können wir damit (genau wie die Wirtschaftslenker) vielleicht einen schnellen Profit erhaschen, aber keine tragfähige Zukunftsperspektive.
Und ich sage "wir", obwohl ich verheiratet bin (denn auch der Vertrag allein machts nicht, nur seine Erfüllung).

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Danke. Und gute Fortsetzung Ihrerseits, denn im Grunde geht es um nichts anderes als Verantwortung für sein Denken, Reden und Handeln übernehmen. Ich hab's ja schon an anderer Stelle geschrieben: Schuld sind immer die anderen, die Politik, der Staat, der Chef, die Eltern und das Wetter.

Und manchmal muss ich derartiges schreiben, um mich am eigenen Schlafittchen zu packen.

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Deshalb wollen wir ja auch alle nicht erwachsen werden und lieber Turnschuhe tragen und lieber Spielkonsole füttern als Babys wickeln. Wobei, ich habe noch nicht einmal eine Spielkonsole.

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Ist Doris Day nicht eine wunderschöne Frau?!!! Ahhh!!!

Und Sie, liebe Klugschieterin, bleiben schön, wenn Sie sich auch bei Bewölkung um unbedingten Sonneschutz bemühen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Sonnenschutz

Ansonsten gehören Sie mit dieser Ansicht zu einer Minderheit, die ich sehr schätze und mag.

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Sunscreen
schauen Sie mal DA. Quasi seelischer Sonnenschutz.

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