Donnerstag, 20. August 2020
Everything Counts in Large Amounts
Bei meinem heutigen Ausflug an den Starnberger See konnte ich wunderbare Sozialstudien betreiben, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Nicht am See selbst, denn dort beobachtete ich vor allem die Segler und Ruderer oder starrte einfach auf's Wasser. Dafür war die Heimreise mit der S-Bahn umso ergiebiger.

Die elektronische Anzeige kündigt die Bahn zurück in die Stadt mit wechselnden Abfahrtszeiten an. Als sie auf dem gegenüberliegenden Gleis eintrifft, stellt sich auch die Gleisangabe als irrtümlich heraus. Innerlich gebe ich sie bereits verloren, denn um sie zu erreichen, muss ich durch die Unterführung auf die andere Seite, setze mich aber dennoch mit vielen anderen Wartenden in Richtung Treppenabgang in Bewegung. Die Menschenmenge begegnet beim nächsten Treppenaufgang den Angekommenen, die Treppe bietet zu wenig Raum für gleichzeitigen Auf- und Abstieg. In beide Richtungen wird geschnaubt, gedrängelt und geschwitzt, denn die Temperaturen liegen im Aussenbereich um 30°. Oben laufe ich noch ein Stück nach vorne. Vermutlich steigen alle bei der ersten erreichbaren Türe ein. Ich befinde mich zunächst in einem fast vollständig leeren Abteil, bis sich nach wenigen Minuten drei ältere Damen im geschätzten Alter um 75 in der Sitzgruppe neben meiner niederlassen. Nach und nach stoßen eine Ausflugsgruppe und weitere Einzelpersonen hinzu.

Gerti, die vermutlich älteste der Damenrunde, beschwert sich bei den Freundinnen über die Gleisänderung. Man hätte schließlich mehr als 10 Minuten auf dem falschen Bahnsteig gewartet und hätte da ja schon in Ruhe das Gleis wechseln können, hätte man's halt gewusst. Aber nein - und da pflichten ihr die Freundinnen eifrig bei - da müsse man sich auf den letzten Drücker abhetzen und zudem so ohne Information, das sei wirklich nicht die feine Art. Nun sei man aber froh, es rechtzeitig geschafft zu haben. Auch hier wieder eifriges Nicken der Begleiterinnen. Mir fällt auf, dass ich diese Stimmen bereits am falschen Bahnsteig sich über fehlenden Schatten beschweren gehört habe. Und obwohl ich nach vorne in die Sonne auswich, während die Drei im Schatten am Treppenabgang warteten, kann ich meinem Schicksal nicht entgehen.

Nach der zweiten Station hält der Zug unvermutet auf freier Strecke. Ein paar Minuten passiert nichts, dann fällt Gerti ein, dass sie genau diese Situation vor Kurzem schon einmal erlebte. Keine Information hätt's gegeben, nichts. Noch beraten die Damen, ob es schlimmer sei, in einem Tunnel zu stehen oder auf freier Strecke. Nach weiteren fünf Minuten hat es auch jetzt noch keine Durchsage gegeben und die Damen werden unruhig. Ob Gerti wohl Recht behält und der Zug diesmal auch eine halbe Stunde ohne Erklärung auf der Stelle bleibt? Es werden Handys gezückt. Die Verspätungsapp hat Gerti nicht drauf, denn die braucht so viel Platz. Karla hat mehr Speicher, kann aber keine Verspätung ablesen. Da schallt die Stimme des Zugführers in tiefem bayrisch und auch sonst schwer verständlich durch das Abteil. "Mndammherrrrrn wenganaratchnschnStrrrrrunghamapfrrrrammmpstzt... wanniwoaswaslosis."

Gerti ist indigniert, weil die Damen nichts verstehen, obwohl sie selbst sowohl Landessprache als auch Dialekt beherrschen. Ich überlege kurz ob ich übersetze, verwerfe den Gedanken dann aber kurzerhand, da ich nicht in's Gespräch eingebunden werden möchte. Überhaupt möchte ich nur sitzen und beobachten, was mit den Leuten um mich und mit mir geschieht. Die Bahn steht nun schon seit 20 Minuten mit ungewisser Weiterfahrt. Während ich durch die Reflexion der Plastikabsperrung die Insassen hinter mir registriere, bemerke ich einen kurzen Anflug von Panik in mir aufsteigen. Ein geschlossener Raum ohne Möglichkeit zur Flucht, dazu steigende Temperaturen, lassen auch andere Reisende nicht gleichgültig. Einer hat sein Shirt ausgezogen, ein anderer eine Flasche Bier geöffnet. Die ersten Masken werden kurz gelüftet. Ich bleibe stoisch, während Gertis Damen überlegen, wie man Kontakt zum Zugführer aufnehmen könne. Da sei doch immer so ein Knopf am Ausgang mit einem Mikrofon. Die Türen werden jetzt genau inspiziert. Der Knopf ist aber nur zum Öffnen da. Dieses Risiko will man letztlich doch nicht eingehen. Stattdessen wird weiter über die Bahn im Allgemeinen und den Zugführer im Besonderen larmentiert.

Schnell sind sich Gertis Damenkränzchen und andere Reisende einig, dass die Entschuldigungen der Bahn generell geheuchelt seien. Man könne sich ja nicht mal irgendwo beschweren, das bringe ja nichts, denn wenn es was brächte, hätten es die vielen von Verspätung betroffenen Pendler schon getan. Zwischenzeitlich werden vorbeifahrende Züge kommentiert und Vorschläge unterbreitet, den Zug wenigstens bis zur nächsten Station fahren zu lassen. Eine andere Problemlösung kommt vom Viererabteil hinter Gertis. Man könne ja das Gleis wechseln. Wohlgemerkt weiß keiner, ob die Störung die Strecke oder den Zug betrifft, als Gerti einfällt, dass der Zug ja bereits vom falschen Gleis abgefahren sei. Sie ist sich jetzt ziemlich sicher, der Defekt am Zug war schon vorher bekannt gewesen, man habe ihn zum Test aber trotzdem fahren lassen und nun stünde er eben auf dem nicht benötigten Gleis. Dieses Wissen bekräftigt sie noch mehrere Male, während hinter uns die ersten unverschämt Rufe laut werden. Man ist sich einig, dass der Zugführer, der kurz vorher in einer weiteren Ansage seine Bemühung um Problembehebung kundtat, und die Bahn uns absichtlich in diese unsägliche Situation gebracht haben. Nur die Ausflugsgruppe, der Biertrinker und ich bleiben stoisch. So entstehen Verschwörungstheorien, denke ich und der Biertrinker schüttelt ein wenig den Kopf.

Der Rest ist schnell erzählt. Der Zug setzt sich nach etwa einer Stunde in Bewegung und alle steigen einigermaßen wohlbehalten an der nächsten Station aus. Auch Gerti, die zuvor ankündigte, im Abteil gleich zu kollabieren, damit endlich etwas geschehe und nun Kopfschmerzen beklagt. Nach der letzten Ansage des Zugführers mit Aufforderung an alle, den Zug bitte zu verlassen, beschweren sich die Damen noch lautstark über seine fehlende Entschuldigung (Anm.d.R.: eine geheuchelte). Als dieser den Zug zur Kontrolle abläuft, schauen ihm alle stumm mahnend hinterher. Mein Fazit des Tages lautet: Du kannst es den Leuten einfach nicht recht machen. Und ich frage mich wieder, ob sich je einer mal in die andere Seite von Dienstleistung versetzt. Gerti tut es jedenfalls nicht.

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Dienstag, 21. Januar 2020
Sun is Shining


Die Sonne gibt heute alles, während ich langsam zum Knochendoktor an der Theatinerkirche vorbei schleiche. Ich ahne, dass was nicht stimmt, will's aber nicht wahrhaben. Eigentlich sollte doch schon längst und vor allem wo ich doch so jung und so weiter. Fakt ist aber, dass die Schmerzen und die Krücken immer noch da sind. Dann das Urteil: Geduld, Heilung verzögert, wahrscheinlich zu viel Belastung und zu wenig Ruhe, wahrscheinlich der Ilio, weil auf dem Röntgenbild alles im grünen Bereich. Das Bein kann ich trotzdem nicht heben. Die Laune heute auch nicht.

Morgen schließe ich ein fulminantes Jahr ab. Eines das mit einer tollen Feier und einigen tollen Begegnungen begann, das viel Neues, viel Fernes und Kurioses aber auch viel Schmerzen und viel Tränen brachte. Ich habe viel gelernt und viel gelassen, viel getan und viel gelebt. Dankbarkeit für dieses Lebensjahr, wenn es auch in Teilen keines ist, an das ich mich erinnern, so doch eines, das ich auf keinen Fall missen möchte. Das Gute überwiegt das Schwierige. So darf es gerne weitergehen.

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Donnerstag, 17. Oktober 2019
No Surprise

Gestern war ich zu Gast bei einer Geburtstags-Überraschungsparty. Eigentlich ahnte der Jubilar bereits von der bevorstehenden Überraschung und hatte seinem Freund meine Telefonnummer zugespielt, indem er sein Handtelefon entsperrt auf dem Tisch ließ. Auch andere Dinge waren nicht so sehr vom Planer als vielmehr vom Jubilar selbst geplant, wie beispielsweise die Örtlichkeit und die Zusammensetzung des Kuchens. Ein geschickter Schachzug, wie ich finde. Der Planer indes hatte viel Freude am Umsetzen seiner angeblich eigenen Ideen und dem Gelingen der Überraschung, wie er über den Sammelkanal verlauten ließ. Das rührende an der Geschichte ist, dass er selbst nichts davon ahnte, wie sehr er in gewisser Weise manipuliert wurde. Der Freude des Geburtstagskindes tat dies keinen Abbruch. Am Ende waren alle glücklich.

Das Geschenk allerdings war eine Überraschung, denn damit hatte der Beschenkte nun wirklich nicht gerechnet. Er wollte einfach nur einen schönen Abend mit seinen Freunden verbringen. Dass dann sowohl Deko als auch etwas zum Auspacken präsentiert wurden, rührte ihn doch sehr. Das eigentliche Präsent befand sich in einem Umschlag, doch so ein Umschlag repräsentiert nicht gut. Also habe ich einen Karton aufgehübscht, ihn mit Luftfolie ausgestopft, damit man vorab schütteln kann und schließlich mit einer Schleife verschlossen. Die Spannung war beim Öffnen groß, die Überraschung noch größer.



Und schließlich waren alle sehr zufrieden, dass sie ihn doch noch überraschen konnten. Der Planer tat mir jedoch ein bisschen leid, denn er hätte sich sicher mehr über das ganze Gelingen seines Planes gefreut als einen Teilerfolg zu erhalten. Doch die Freude des Teilüberraschten machten das sicher wieder wett.


All das ließ mich wieder über die Sache nachdenken, wie viel mehr der Akt des Schenkens mit dem Gebenden als mit dem Beschenkten zu tun hat.

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Dienstag, 24. September 2019
Fish in the Sea

Wenn man wie ich vor kurzem beschlossen hat, fortan weitgehend auf tierische Nahrungsmittel zu verzichten - und nein, ich bin nicht zum Vegetarismus konvertiert, ich verspreche mir nur körperliche Besserung meiner Beschwerden abgesehen von Gründen persönlicher Weigerung, weiterhin zum globalen Wahnsinn beizutragen - der ist in Japan bei der Nahrungsaufnahme, zumindest auf dem Land ziemlich aufgeschmissen. Man könnte meinen, es gäbe dort überall Reis. Dachte ich auch, doch was mir aufgetischt wurde, war viel Fleisch, viel Fisch und viel Undefinierbares. Schnecken konnten durch die dazu servierten Häuser identifiziert werden, anderes Kriechgetier weniger.

Irgendwann war mir nach anderen Genussmitteln als Tofu und Reis, zumal alles auch ohne Fisch sehr fischlastig schmeckt. Das kommt durch die Würze mit Seetang und Algen. Die klassischen Reisdreiecke Onigiri sind in getrocknete Algenblätter gewickelt. Eine köstlich vegetarische Variante verstecken eingelegte Pflaumen im Inneren. Und jetzt essen Sie mal zwei Wochen nur das oder bleiben Sie hungrig und konsequent. Chips und Knabbereien beinhalten ebenfalls meist fischige Komponenten, denn das Salz wird damit geschmacklich ersetzt. Natürlich gibt es auch Süßigkeiten, doch bin ich aus Skepsis beim Eis geblieben. Das wird oft in kleinen Plastikbehältnissen zum Herauspressen oder -saugen (zuzeln, wie der Bayer es nennt) serviert - sehr praktisch für unterwegs. Abgesehen von fischlastiger Würze gibt es noch die Wasabivariante, die asiatische Meerrettichverwandte. Sehr scharf und sehr lecker als Snack sind Wasabierbsen, Sashimiverweigerer würzen aber auch anderes mit der grünen Paste.

Dann wäre da noch die Sache mit dem Essbesteck. Natürlich benutzt man in Japan Stäbchen. Natürlich muss dafür der Reis klumpig und das Gemüse klein geschnitten sein. Natürlich schlürft man Nudeln nicht und Suppe wird auch nicht gelöffelt. Der weitgereiste Tourist weiß das und ist dann sehr enttäuscht, wenn er das erste Mal im Restaurant einen Löffel zum Ramen benutzenden Japaner oder die Einheimische entdeckt, die Nudeln einsaugt. Ja, es gibt auch Japaner, die sich nicht an die Regeln halten, wie es Europäer gibt, die das Messer links und die Gabel rechts halten oder gar ganz auf Essbesteck verzichten. Worauf allerdings nicht verzichtet wird, ist das feuchte Tuch für die Hände vor dem Essen. Man kann nicht davon ausgehen, dass sich jeder die Hände wäscht, hat aber zumindest einen ersten Eindruck vom Gegenüber, der sich möglicherweise das Tüchlein über Gesicht und Nacken führt, um es dann anschließend inclusive persönlicher Körpersekrete auf dem Tisch ablegt. Das ist fast so schlimm wie hierzulande einmal mit Straßenschuhen auf den Tisch stehen - in Bayern nur auf dem Oktoberfest zulässig, nicht aber im Restaurant, auch nicht bei besonders guter Stimmung. Stäbchen sind übrigens aus Bambus und werden nur einmal verwendet. Trotzdem sollte man sich damit nicht am Rücken kratzen.

Wasser ist übrigens überall umsonst, während Alkoholisches sehr teuer bezahlt werden muss. Sake schmeckt lecker und ähnelt ein bisschen Wodka in Konsistenz und Wirkung. Am liebsten trinkt der Japaner grünen, ungesüßten Tee zum Essen. Auch zum Kaffee gibt es keinen Zucker. Man findet aber überall kleine Dosen mit Flüssigsirup, um zu süßen. Ist der Kaffee am Frühstücksbuffet übrigens warm, dann befindet man sich an einem westlichen Buffet. In Japan wird Kaffee vorzugsweise kalt serviert. Auch englischer Tee ist in der kalten Variante überall erhältlich, während man für warmen auf westlich orientierte Hotels zurückgreifen muss.

Damit wären meine kulinarischen Erkenntnisse auch schon abgehandelt. Ich weiß, es ist wenig, Essen nimmt aber auch daheim bei mir keinen so großen Stellenwert ein. Ich bin nur froh, wieder Kartoffeln und Brot nebst anderen Leckereien auf dem Speiseplan zu haben. Und gelegentlich mal ein gutes Curry.

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Sonntag, 22. September 2019
I Warned You

Es gibt merkwürdige Sachen in Japan, die sind natürlich nur merkwürdig, weil sie für uns ungewohnt und deswegen anders sind. Die Warnhinweise zum Beispiel. Da fotografiert eine Gruppe Japaner am Bahnsteig und die Szene wird durch einen einfahrenden Zug unterbrochen. Klare Nominierung für den Darwin Award. Auch bei uns gibt es ja mittlerweise Warnhinweise, man solle ein in die Gleise gefallenes Handy nichts selbst bergen oder wenigstens gelegentlich mal davon hoch sehen. Es zeigt sich, was inzwischen wichtiger als das Leben anderer oder sein eigenes geworden ist. Kürzlich beim Unfall eines russischen Passagierflugzeug haben die Gäste den Evakuierungsvorgang unnötig verlängert, weil sie unbedingt ihr Handgepäck bergen wollten. Sowas könnte für die nachfolgenden Passagiere ganz schlimme Folgen haben. Wenn's brennt, ist mir meine Gucci Tasche nicht so wichtig, ich muss aber gestehen, ich war vor meiner Zeit als Airlinemitarbeiterin ebenfalls sehr besorgt, im Falle eines Falles schnell genug mein teures Instrument greifen zu können.

Die Warnungen, die häufig bei uns Schmunzeln hervorrufen, stehen in Verbindung mit Verhalten in Notdurftanstalten. Dort findet man beispielsweise folgenden Hinweis:


In Japan gibt es immer zweierlei Toiletten, eine westliche und ein asiatisches Plumsklo - ein im Boden eingelassenes Becken, über das man sich hockt und anschließend mit Wasser spült. An der Wand befestigte Halterungen bieten Hilfe bei der Balance. Diese Halterung ist nicht vergleichbar mit einem Klodeckel, der bei Festhalten mit der Person kippen würde. Es sind in den vergangenen Jahren viele Unfälle auf diese Weise passiert. Also Augen auf bei der Toilettenwahl. Zudem bietet eine westliche Toilette immer die Möglichkeit, sich während des Aufenthaltes mit Verhalten im Katastrophenfall auseinanderzusetzen.

Natürlich brauchen westliche Besucher auch konkrete Verhaltenshinweise im öffentlichen Raum. Touristenattraktion Nummer eins sind Tempel und heilige Stätten. Dort sieht man vieles, was Gläubige möglicherweise bei Ausübung ihrer Religion stören könnte. Deswegen auch hier die Bitte, man möge doch vor Betreten Hüte und Sonnenbrillen entfernen (s. unten rechts) sowie Gespräche einstellen. Fahrräder werden übrigens in Japan nicht einfach am Straßenrand abgestellt, sondern ordentlich nebeneinander an vorgesehenen Plätzen aufgereiht, ansonsten drohen empfindliche Strafen. Ob sich dieses Konzept vielleicht auch in München anwenden ließe?

Hinweisschild am Bahnhof Kyoto

Also Kinder, bitte immer schön hinten anstellen und Schuhe ausziehen!

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Sonntag, 8. September 2019
Hit the Road



Jedes Mal wenn ich mich in einer fremden Kultur bewege, beobachte ich die Menschen um mich herum sehr sorgfältig. Ich schaue mir an, wie sie alltägliche Dinge tun, wie sie sich bewegen, miteinander umgehen und welche Gepflogenheiten sich von meiner Kultur unterscheiden. Schließlich bin ich Gast und möchte mich korrekt benehmen. Vor allem aber möchte ich niemanden unnötig vor den Kopf stoßen. Manchmal habe ich das Taschentuch schon an der Nase, wenn mir einfällt, dass man sich in Asien nicht schnäuzt, sondern die Pampe lieber in eine Nase und Mund bedeckende Maske laufen läßt.

Mal abgesehen vom Linksverkehr habe ich gleich nach unserer Ankunft die Radfahrgepflogenheiten beobachtet, konnte aber keine allgemeingültigen Regeln ableiten. Da gab es die, die einen fahrradwegähnelnden Streifen am Rand des Gehweges benutzen, jedoch in alle erdenklichen Richtungen. Und dann gibt es die, die mit dem Rad am Straßenrand fahren - ebenfalls in alle erdenklichen Richtungen. Daraus könnten sich folgende Schlussfolgerungen ableiten:
1. es gibt keine allgemeingültigen Regeln für Radfahrer
2. es gibt nicht sofort erkennbare Regeln, die sehr kompliziert sind und
3. es gibt Regeln, die aber permanent missachtet werden, vergleichbar mit München - da radeln die Leute auch kreuz und quer.

Stelle man sich die Situation andersrum vor. Da kommen Leute aus einer anderen Kultur in mein Land und versuchen sich zurechtzufinden. Die Einheimischen missachten jede erdenkliche Regelung, erwarten insgeheim aber von den Touristen oder Neuansässigen, diese Regeln zu kennen und einzuhalten. Davon abgeleitet hätte jede öffentliche Handlung eines Einheimischen gewissermaßen Vorbildcharakter.

Ich bin also nicht nur vom Fahren - insbesondere vom Abbiegen - im fließenden Linksverkehr etwas überwältigt, sondern auch vom Geheimwissen der japanischen Verkehrskultur. Abgesehen davon ist es ungeheuer heiß hier. 36° mit viel Luftfeuchtigkeit laden nicht zum Verweilen an schönen Orten. Man flüchtet eher in kleine Cafés und kitschige Andenkenläden, allesamt stark klimatisiert. Oder man tritt einfach weiter in die Pedale, nutzt den Fahrtwind und endet irgendwann dort, wo Kultur im Kühlen abseits von Touristenströmen stattfindet, nämlich unter der Dusche.

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Samstag, 7. September 2019
Tokyo Inn


Noch bin ich nicht dort, zumindest aber auf dem Weg. Und der ist bekanntlich das Ziel. Für 10 Tage durch Japan radeln - wenn Sie mich vor einiger Zeit gefragt hätten, wäre das sicher nicht mein priorisiertes Ferienziel gewesen. Suchen Sie mal hier die Einträge über Japan, da finden Sie etwa drei Seiten, die mein Fremdheitsgefühl diesem Land gegenüber belegen. Gerade ist Nacht und weil ich mal wieder nicht schlafen kann, habe ich selber nachgelesen. Allerdings mag ich Radfahren - zumal neben Schwimmen aufgrund körperlicher Einschränkung derzeit die einzige schmerzlose Fortbewegungsform - und war noch nie weiter als im Umkreis von Tokyo.

Als erstes sind wir nach Osaka geflogen, von dort nach Kyoto gefahren. Wegen der Kultur. Aber die ersten anderthalb Tage geschah vieles nur im Halbschlaf. Großer Erschöpfungszustand und die Frage, wieso man sich das freiwillig antut. Das Licht brennt in den Augen und die Temperaturen sowieso. Hier ist noch immer höchster Hoch-Sommer, während daheim bereits die Janker aus dem Schrank geholt werden. Es ist immer das Gleiche: zwei Tage gemäßigte Temperaturen und man kann sich nicht mehr vorstellen, wie sich Extremwerte anfühlen. Das macht das Kofferpacken nicht einfacher. Dann aber trotz und erst recht Kultur. Fushimi Inari Schrein, kennen Sie. Doch, das sind diese orangefarbenen Torbögen, die kurz hintereinander stehen und dadurch wie ein langer Tunnel oder eine Raupe aussehen, die sich den Berg rauf und runter wälzt.



Wälzen tun sich auch die Menschen da durch - zumal Wochenende. Erinnert mich an‘s Taj Mahal. Auf Bildern scheint immer alles sehr groß, weit und leer, in Wirklichkeit sehr anders. Irgendwann ist dann die Kultur zweitrangig. Man hat Hunger, Durst und ein paar Mückenstiche - Menschliche Bedürfnisse. Immer wieder wundere ich mich in den ersten beiden Tagen, wie viel ich bereits über diese fremde Kultur weiß. Auch über die Pantoffelgepflogenheiten und wann man sie wie rum stellt. Manchmal glaube ich, das weiß ich alles nur, weil ich‘s mal hier gelesen habe. Dann fällt mir wieder ein, ich war der Autor der Beiträge. Seltsam dieses Altern und wo das Wissen hingeht, von dem man so fest glaubte, es sei ein Gut wie ein Haus, das man erwirbt und fortan besitzt.

Ich sitze also hier - es ist dunkel, heiß und unbequem - und ich frage mich, was ich hier tue, denn Fahrradfahren kann ich auch daheim. Nur halt nicht so schön oder so. Die G‘iant Räder sind übrigens nicht schlecht und die Wege noch flach. Morgen Nacht dann mehr, wenn es wieder heißt: Schlaflos im Land der aufgehenden Sonne.



Frühstück am nächsten Morgen. So startet man hier in den Tag.

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Dienstag, 23. Juli 2019
Just like a circus

Ich war im Variété. Das ist heutzutage so eine Mischung aus Zirkusakrobatik und Bühnenshow. Aus eigenem Antrieb wäre ich nicht gegangen, wenn ich nicht die Karte geschenkt bekommen hätte. Dann aber hat es mir sehr gut gefallen. Die Artisten stammen aus Vietnam und dementsprechend südostasiatisch war die Show geprägt. Einfache Mittel wie Bambusstäbe und Reishüte in Kombination mit Lichteffekten untermalten ihre Darbietung, lenkten aber niemals den Fokus weg von den Akteuren. Ich war sehr beeindruckt von der körperlichen Kraft, die bei den Haltefiguren nötig ist, kriege ich selbst ja nur mit Müh und Not ein paar Klimmzüge hin.

Da gibt es beispielsweise eine Figur, in der sich ein Artist hinterrücks waagrecht an einem Trapez hält. Es erinnerte mich an die Kraft der Turner an den Ringen, dort heißt das Element Hangwaage. Wenn sich dann noch jemand irgendwo dranhängt, kann ich mir nicht vorstellen, wie schwierig die Übung auszuführen ist. Die Turner haben oft einen breiten Oberkörper wegen der einseitigen Beanspruchung der Muskulatur, während die Vietnamesen drahtige kleine Kerlchen sind, die auch recht hoch springen und gedehnt sind. Einfach Alleskönner. Wie gesagt, ich war sehr beeindruckt, weswegen ich hier einen kleinen Ausschnitt präsentieren möchte:

SÔNG TRANG

(Ausschnitt aus einer BR Sendung)

Gehen Sie rein und sehen es sich an. Es lohnt sich.

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Donnerstag, 21. Januar 2016
Now That I'm Older


So cool kann keine (unter) Dreissigerin den Mantel ablegen. Ich übe weiter.

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Mittwoch, 1. Januar 2014
Auld Lang Syne (MMXIV)
Hier auf den Philippinen ist alles ein wenig anders... und ich finde keinen rechten Zugang zum Bloggen auf diesem Portal. Andere Seiten öffne ich kaum, weil ich bereits nach zwei Wochen Arbeit für eine private Hilfsorganisation dadurch jedesmal einen kleinen Kulturschock erlebe.

Das neue Jshr hat mit viel Lärm begonnen. Die Filippinos begehen den Jahreswechsel im wahrsten Sinne des Wortes mit Pauken und Trompeten. Da werden neben dem üblichen Feuerwerksgeknalle Topfdeckel geschlagen, Hupen gedrückt und Motoren jaulen lautstark, das alte Jahr vertreibend. Ich schreibe täglich für das Projektblog. Meinen heutigen Beitrag möchte ich Euch nicht vorenthalten:

The new year has begun and I was busy updating my schedule on projects in San Dionisio as well as looking out for new possibilities.At home I would probably have stayed in bed all day long with a huge hangover feeling slightly depressed. Here it is different. I have a duty and a spiritual kinship family who is dedicated to make a difference in other people’s lifes. They might not be on location right now but I know they still spend a lot of thoughts and emotions on their presence in Panay. It is for them that I keep going as well as for the people in need and all local volunteers who gladly share their food, company and heart with me.

New Year’s Evening I had the opportunity to be with Ella and Mark, the local volunteers in Kalibo. Mark prepared a profuse meal. They explained to me that it is a New Year’s habit to prepare more than necessary and then share it at midnight with family and friends. There has to be sweet and sticky as well as hearty dishes for the good luck to stick, for prosperity to stay and for sweet memories.At midnight they start making noise with whatever is available in order to chase off bad spirits and the remaining past year. The sound of exploding firecrackers is joined by hoots and honking, pot hitting and clapping. Mark almost damaged his motorcycle in letting the engine roar. On my way back I saw the waves clashing against the wall of the pier spraying salty water on the streets. The ocean’s movement reflecting the essence of life in coming and leaving. One year has finished and another one has arrived. May it be profuse and generous to everyone.


In diesem Sinne gehabt Euch wohl und bleibt mir bitte im Geiste treu.

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