Freitag, 13. Dezember 2013
Give a Hand - Take a Hand
Gerade erst heimgekehrt, befinde ich mich in einer Art Zwischenwelt. Noch nicht ganz da und bald wieder unterwegs. Die Eindrücke sind zu persönlch, zu stark um sie in schriftlicher Form darzustellen - mir jedenfalls fehlen dazu die Mittel. Das sagt mein Gefühl.

Nächste Woche breche ich in Richtung Philippinen auf, um eine holländische Hilfsorganisation beim Wiederaufbau der vom Taifun betroffenen Gebiete zu unterstützen. Ich schwanke zwischen Aufregung und Angst. Meine Organisation bietet Hilfe zur Selbsthilfe, keiner wird von Geld oder Hilfe abhängig gemacht, sondern nur das Nötigste und die dazugehörige Anleitung an die Einheimischen gegeben. Diese Philosophie will ich unterstüten. Falls Sie, lieber Leser, liebe Leserin, sich jetzt angesprochen fühlen, dann kontaktieren Sie mich bitte und ich stelle den entsprechenden Kontakt für Spenden oder humanitäre Hilfe her. Es werden immer noch Leute gesucht, die vorwiegend zwischen Weihnachten und Anfang Januar dazu bereit sind. Falls sich keiner meldet, werde ich diese Zeit alleine auf der Insel verbringen. Vielleicht erbarmt sich aber doch einer der Einwohner meiner und leistet mir dann Gesellschaft. Ich hoffe es zumindest sehr.

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Dienstag, 10. Dezember 2013
Jump


Jumping from one continent to another

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Montag, 9. Dezember 2013
Meet Me In The Bathroom
Da fährt man tausende von Kilometern und bestaunt das Werk eines Künstlers, der vorwiegend ein paar hundert Kilometer nebenan gewirkt hat.



Die Toiletten müssen damals in Kawakawa in einem verheerenden Zustand gewesen sein oder der Herr Hundertwasser hat keine gefunden. Anders kann ich mir nicht erklären, wieso einer eine öffentliche Toilette gestaltet. Jetzt halten die Touribusse davor. Das Bedürfnis ist aber eher ein anderes. Manche Leute fotografieren halt jeden Scheiß.

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Freitag, 22. November 2013
Water & Air II
Kurzes update aus dem Datenoff:

Nach nur wenigen Tagen in Neuseeland angekommen. Neues gelernt, z.B. dass sich nicht jede Welle für jede Tätigkeit an Board eignet (Stichwort: persönliche Hygiene oder ähnliche Aktivitäten, zu denen man beide Hände benötigt und keine mehr zum Festhalten hat). Das bedeutet dann im Klartext nicht nur breitbeiniges Stehen mit gebeugten Knien, sondern auch Abwarten, bis die richtige Welle kommt. Es kann sich dabei nur um Stunden handeln. Oder Schlafen mit Seitenneigung. Man rollt dabei immer gegen das sog. Leesegel. Kann auf Dauer ziemlich nervig sein.

Wasser gibt es zwar viel um ein Boot, dafür umso weniger an Board. Bei der Überfahrt wird gespart, weil das Salzwasser nicht gefiltert werden kann. Also wird in Klamotten geschlafen. Das spart sowohl Kleidung als auch unnötige Bewegung. Vermeidet auch blaue Flecken beim Umziehen.

Man hielt mich für verrückt, weil ich unbedingt den Pazifik überqueren wollte. Als wir ankamen hieß es, das wäre die sanfteste Überfahrt seit langem gewesen. Ich bin hin und hergerissen zwischen dem Gedanken, ich sei ein Meeresglücksbringer und der Idee, das würde jetzt nicht als echte Überquerung gelten. Die Wellen haben mir allerdings gereicht.

Nach sechs reinen Seetagen - für drei Tage davor am Riff vor Anker mit nicht weniger Schaukel - sind die ersten Schritte an Land schmerzhaft und unsicher. Ich habe ein zweijähriges Mädchen kennengelernt, das sozusagen auf dem Boot geboren wurde. Sie bewegt sich an Bord mit schlafwandlerischer Sicherheit. An Land stolpert sie allerdings immer mal.

Der Ozean ist weit aber auch nicht so weit wie immer behauptet. Entfernung ist völlig überschätzt. Auch wenn man die Frachter nicht immer sieht, ist man von ihnen und anderen Fischerbooten stets umzingelt. Letztlich stellen sie auch die größte Gefahr für ein kleines Segelboot dar. Einhandsegler in der Nachtwache eingeschlafen und vom Frachter überrollt ist die häufigste Todesursache in Segelkreisen. Meine Nachtwachen waren immer der stetige Kampf gegen die Müdigkeit und schlechte Nachtsicht. Vollmond ist allerdings auch nicht viel besser. Man wünscht sich, es würde endlich mal einer das Licht ausknipsen, um den Horizont besser zu sehen.

Noch was zu Entfernungen: Menschen neigen ja bekanntlich zur Kategorisierung. Entfernung wird also in Kilometer oder Seemeilen wiedergegeben. Dabei ist so eine Reise im Schiff viel mehr als eine Zahl. Diese Zahl schafft es nicht annähernd das wiederzugeben, was es bedeutet, sich Tag und Nacht auf engstem Raum Wellenbewegung und Mitreisenden auszusetzen. Jetzt kann ich die einstigen Entdecker verstehen, die kein Radar oder Karten besaßen und nicht wussten, dass sie am darauffolgenden Tag Land erreichen würden: "Endlich Land! Scheiß auf Indien. Wir nennen die Typen einfach Indianer und fertig!"

Fortsetzung folgt...

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Samstag, 2. November 2013
Water & Air
Es begab sich aber zu der Zeit der Merkelpräfektur, dass ein kleines Fräulein der Lüfte*) **) zur großen Reise Richtung südlicher Erdhalbkugel aufbrach. Es war unsicher, ob die Herren der Lüfte sie mitnehmen würden. So hatte sie keine andere Wahl, als auf ihr Glück zu vertrauen. Als sie nach einem Tag im Bauch der großen Vögel schließlich das Land der neuen Seen erreichte, hatte sie nur wenig Hoffnung, einen anderen Vogel zur Mitnahme zu bewegen. Es gab nämlich nur kleine Vögel, die niemals viele Reisende auf ihrem Weg transportierten. Doch die Götter waren ihr hold und ihre Gebete wurden erhört. Am selben Tag plante das Oberhaupt des Königreichs Tonga eine Reise mit gleichem Ziel und so wurde ein großer Vogel ausgesandt, um den König und das kleine Fräulein der Lüfte gleichsam auf die Insel des Oberhauptes zu fliegen. Das kleine Fräulein der Lüfte war sehr froh, wenn sie auch dem König nicht von Angesicht zu Angesicht begegnete. Auf der Insel des Königs dachte das kleine Fräulein der Lüfte an die Geschichte, die zu dieser Reise führte.

Vor vielen Jahren, als das kleine Fräulein der Lüfte nämlich noch ein Fräulein der Klänge war, lernte sie einen Barden kennen, der auf dieser Insel geboren war und in seiner Jugend für den König gesungen hatte. Das kleine Fräulein war so fasziniert vom Gedanken an diese Insel, dass sie fortan vom Besuch dieses fernen Inselreichs träumte. Sie suchte den Ort auf einer Karte und studierte ein Schriftstück über das Königreich. Einige Zeit später wurde aus dem Fräulein der Klänge ein Fräulein des Meeres. Sie hoffte, auf diese Weise eines Tages zur magischen Insel zu gelangen. Doch die Götter hatten andere Pläne, und so sollte das kleine Fräulein der Lüfte noch viele Jahre warten, bis es endlich die Insel des Königs besuchen konnte.

Inzwischen war das kleine Fräulein der Lüfte älter geworden und setzte alles daran, nicht nur zu träumen, sondern auch ihre Träume wirklich werden zu lassen. So bestieg sie ein Schiff, das ihr tagsüber als Heim diente und sie nachts in den Schlaf schaukelte. Nach einer Woche auf der magischen Insel brach sie mit den Schiffsbesitzern auf, um zum Land der neuen Seen auf dem Wasser zurückzukehren. Viele hatten sie gewarnt, denn diese Reise sei durch Wind und Wellen recht ungemütlich, ja gar gefährlich. Manch einer nannte sie töricht, sich auf das Abenteuer einzulassen. Schließlich nahte der Tag der großen Überfahrt und das kleine Fräulein der Lüfte war schon sehr aufgeregt. Sollten ihnen die Meeresgötter hold sein und sie die Überfahrt unbescholten überstehen, würde das kleine Fräulein der Lüfte nämlich bald von den Göttern geadelt. Jeder Sterbliche, der sich den Herausforderungen eines Elements stellt und den Widrigkeiten standhält, wird in den Stand der Halbgötter gehoben oder aber verdammt, wer sich davonstiehlt. Das kleine Fräulein hatte schon in ihrem Leben Begegnungen mit Wasser und Luft gemeistert. Auch dem Feuer und der Erde war sie mutig gegenübergetreten. Nun sollte sich also beweisen, ob sie der Herausforderung des Meeres gewachsen war. Ob das kleine Fräulein das Land der neuen Seen erreicht hat oder ob sie vom Ozean verschluckt wurde, erfahrt ihr aber ein andermal.


*)Fräulein der Lüfte: chinesische Übersetzung für Flugbegleiterin

**)Nachtrag: Das ist jetzt bisschen peinlich aber eigentlich lautet die richtige Übersetzung Fräulein in der Mitte von Nichts, nur so funktioniert die Geschichte jetzt nicht mehr. Allerdings fühle ich mich hier auf dem Meer auch ein wenig wie in der Mitte von Nichts.

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Sonntag, 1. September 2013
Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh'n
Eine Freundin ist letztes Jahr zu einem großen Abenteuer aufgebrochen, von dem sie nicht sicher war, wie lange es dauern würde. Sie machte einen Segelschein, suchte sich einen Mann mit Boot und startete mit ihm im Juni 2012 von den Kanaren eine Weltumsegelung. Seitdem verfolge ich gespannt ihre Texte und Bilder von der Alita. Es scheint, als wolle sie diesen Trip noch um einige Zeit ausdehnen.


Bild: Alita©Michaela Huss

Ich bewundere nicht nur ihren Mut, sondern auch die Zielstrebigkeit, mit der sie die Vorbereitung zu dieser Reise plante. Sie brauchte einen Mann mit Boot. Schön, hat sie sich ebenauf die Suche gemacht und wurde fündig, hat ein paar Wochen ausprobiert, ob man es auch für längere Zeit miteinander aushalten würde und es klappte. Sie brauchte einen Zwischenmieter für ihr kleines Häuschen in München. Checked. Sie brauchte eine Lösung für ihre Arbeit bis auf Weiteres. Checked. Sie brauchte Freunde, die sich um laufende Verpflichtungen kümmern. Checked. Und weil sie keine Aussteigerin ist, sondern wieder in ihr altes Leben zurückkehren wird, musste sie all das sehr sorgsam planen.

Ab hier muss ich ein wenig ausholen. Als ich vor einigen Jahren als Tauchlehrer tätig war, wollte ich immer mal für eine Weile nach Tonga. Die Alita wird im November in Tonga sein. Ausserdem bin ich gerade sehr angeschlagen, sodass ich mich für längere Zeit beurlauben lassen möchte (die Kaltmamsell hat's erfunden). Möglicherweise läßt sich die Auszeit mit einem Trip nach Tonga verbinden. Das wären dann zwei Punkte auf meiner "Bucketlist". Ich habe keine Ahnung, wohin mich dieser Gedanke führen wird aber der Wunsch nach beidem ist sehr stark.

Bleiben Sie dran, wenn ich jetzt meine Träume sozusagen materialisiere.

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Freitag, 7. Juni 2013
It's not dark yet
Es wird einfach nicht dunkel in Oslo und St. Petersburg und obwohl ich unglaublich müde bin - immerhin bin ich in Istanbul um 3.00 aufgestanden, in Düsseldorf was später aber immer noch vor 5.00 - kann ich nicht einschlafen, sondern starre fasziniert aus dem Fenster. Daheim besitze ich keine Verdunkelungstechnik, wenn es also ganz dunkel im Zimmer wäre, könnte ich auch nicht wirklich schlafen, weil dann hätte ich Angst, ich fände den Lichtschalter nicht schnell genug. Das klingt jetzt irgendwie kindisch aber ich stelle mir immer vor, allein das anknipsen eines Lichts würde einen Serienmörder davon abhalten, mir was anzutun. Ganz zu schweigen von den Untoten und wilden Tieren, die sich aus meinen Träumen durch die Aufwachtüre hereinschleichen.

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, es wird nicht dunkel. Das ist an sich nichts Neues und hängt mit dem Stand der Sonne zusammen. Die wendet demnächst ihren Kreis, deswegen Wendekreis. Und dann ist's halt fast die ganze Nacht hell in Oslo und St. Petersburg. Für mich ist das trotzdem irgendwie unglaublich, denn die Nacht assoziiert der durchschnittliche Westeuropäer ja mit Dunkelheit. Ich könnte die ganze Nacht nach draussen starren, den ziehenden Wolken und Vögeln hinterher. Tu ich aber nicht, weil ich ja bald wieder aufstehen muss. Genauer gesagt so gegen 2.00.

Wenn die Menschen also keine richtige Nacht haben, woher wussten die dann früher, wann sie aufstehen mussten? Woher wissen die Schnaken, wann sie zustechen und die Hähne, wann sie krähen sollen? Und wann sollen die Kinder zu Hause sein und vor allem warum? Es gibt Länder, da ist immer Sommer, in manchen ist immer Winter und in anderen ist's halt ein halbes Jahr hell und die andere Hälfte dunkel. Weisse Nächte haben nichts zu tun mit Schnee, sondern mit Tageslicht und das wird so gegen zehn abends unwirklich. Um zwölf wird's absurd und ab vier morgens wieder gewöhnlich. Für alle unter Vollmondlicht an Schlaflosigkeit Leidenden wäre ein Leben im Norden der sichere Untergang. Oder eine heilsame Erfahrung, je nachdem. Für mich ist es einfach nur ungewohnt. Irgendwann schlafe aber auch ich sicherlich ein.

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Mittwoch, 1. Mai 2013
Empire State of Mind


Es ist Frühling in Manhattan. Die Bäume treiben aus, die Strassen brechen auf, die Blumen blühen und die Menschen drängen nach draussen. Seltsam, denn dort liegt immer dieser komische Geruch in der Luft. Eine Mischung aus Abgasen, Abfall, menschlichen Ausscheidungen und anderen undefinierbaren Düften zieht durch die Häuserfronten. Da muss ich immer an den Spruch vom Mittermeier aus seinem Programm Zapped denken. Der meinte, sollte in der New Yorker U-Bahn mal ein Giftgasanschlag stattfinden, würden die Leute halt denken: "Ah, es wird Frühling!"



Zwischen 33. Strasse und Broadway sitzt man auf der Strasse, um die Sonne zu genießen. Angestellte des Tourist Department (?) werben für einen Besuch des Empire State Buildings.



Mein Ziel ist allerdings das Broadway Dance Center. Der Eingang versteckt sich hinter einem Tanzetablissement der anderen Art.



Drinnen dürfen keine Fotos gemacht werden, weswegen ich die Kamera nur ganz kurz aus der Tasche nehme. Die Aufnahmen sind entsprechend verhuscht.



Vor den Klassenräumen bereiten sich Tänzer auf die nächste Stunde vor oder dehnen sich danach.



Einige Stunden, vor allem die aus dem Hip Hop Bereich, sind ziemlich voll.

An den Wänden hängen Bilder vom aktuellen und ehemaligen Lehrkörper. Auch solche aus längst vergangenen Tagen.



Na, erkennen Sie die oben abgebildete Dame? Kaltmamsell? Anyone?

Ich habe mich dieses Mal nur mit Zusehen und dem Erwerb von Tanzdevotionalien begnügt (die Schulter!) Nächstes Mal bin ich dann wieder aktiv dabei und berichte as usual.

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Samstag, 20. April 2013
A Rumor in St. Petersburg
Vor ein paar Tagen war ich wieder einmal in St. Petersburg. Dort habe ich Kontakt zu einer Dame, die sich für Obdachlose und Arme engagiert. Ich sammle Kleider - eigene, von Freunden und Familie - und bringe ihr die gut erhaltenen Sachen, die sie dann an Bedürftige verteilt. Mit den Kleiderspenden hierzulande ist das ja so eine Sache. Wie aus vielen Quellen bereits bekannt, werden die Sachen mit großem Profit von kleinen Unternehmen verkauft - auch die sog. Spenden an das Rote Kreuz. Einige wenige verdienen sich daran eine goldene Nase und die örtliche Textilindustrie geht kaputt (alles in Reportagen auf der Tube nachzusehen).

Weil ich schon so vieles gebracht habe, möchte sie mir im Gegenzug auch immer etwas Gutes tun. Nun sind russische Pralinen meine Sache nicht. Die bestehen meistens aus Trockenfrüchten oder Nüssen in Billigschokomantel. Die selbstgemachte Marmelade dagegen habe ich gerne angenommen, die selbstgesammelten Pilze dagegen mit vorgeschobener Unverträglichkeit zurückgelassen. Dieses Mal fragte sie im Vorfeld, ob ich etwas ansehen wolle, sie hätte ein Auto zur Verfügung. Nun kommen wir nach Mitternacht dort an und reisen am Nachmittag bereits wieder ab. Ausserdem lassen mich die zwei Stunden Zeitverschiebung nur schwer aus dem Bett kommen. Doch für ein wenig Touristenprogramm bin ich bereit, nach nur 5 Stunden Schlaf aus den Laken zu kriechen.

Eine schöne Kirche wollte ich sehen. Die wichtigen hatte ich bereits bei einem längeren Aufenthalt besichtigt, ebenso die Eremitage, in der das auffallendste die unglaublich geschmacklos gewählten Wandfarben und Bilderrahmen sind. Man stelle sich ein zart pastellfarbenes Gemälde von Monet in einem breiten dunklen Eichenrahmen an einer knallroten Wand hängend vor. Dafür kann sich jeder Besucher den Gemälden und Skulpturen bis auf wenige Zentimeter nähern ohne eine Alarmanlage oder böse Ermahnungen von strickenden Aufseherinnen auszulösen. Bei dieser geringen Entfernung gelingt es durchaus, den unpassenden Rahmen auszublenden.

Irina fuhr mit mir zu dieser kleinen Kirche, in der gerade ein russisch othodoxer Gottesdienst stattfand. Beim Eintritt hörte ich die Stimmen des wunderbaren Chores, der ganz ohne Begleitinstrumente sang. Später sollte noch ein Frauensolo dazu erklingen. Auch die Geistlichen sangen ganz vorzüglich. Müssen sie können, meinte meine Begleiterin. Nun, prinzipiell lernen auch unsere Pfarrer das Singen in ihrer Ausbildung, was aber noch lange nicht bedeutet, dass sie es auch können.

In einer Ecke der Kathedrale fand die Beichte statt. Man stelle sich einen Geistlichen vor, der lässig an einem Pult gelehnt steht. Auf dem Pult liegt eine heilige Schrift. Vor diesem Pult bildet sich eine lange Schlange an Beichtwilligen. Jeder tritt einzeln nach vorne und beginnt das Gespräch mit dem Geistlichen. Aus meiner Perspektive sah es aus, als würdeleidenschaftlich über die begangenen Sünden debattiert werden, ungefähr so:

Geistlicher: Okay Igor Wassiliew Wasiliewsky, was liegt an?
Igor: Also mir ist da letzte Woche so eine Sache passiert. Die Schwiegermutter wollte uns besuchen und ich habe gesagt, ich sei verhindert und das Auto wäre zudem kaputt und ich könne sie nicht abholen.
G: Du hast also gelogen.
I: Na, gelogen vielleicht nicht. Nur ein bisschen geflunkert.
G: Wo ist da der Unterschied?
I: Hey, Du weisst doch wie Schwiegermütter so sein können, da musste ich mich quasi verteidigen. Ausserdem habe ich so Schlimmeres vermieden.
G: Gut, einigen wir uns auf eine Notlüge.
I: Ja, so könnte man das bezeichnen.
G: Dann betest Du jetzt drei Vaterunser und versprichst, die Schwiegermutter nächste Woche einzuladen.
I: Boah, ist das nicht ein wenig zu hart? Ich dachte eher an drei Vaterunser und eine Spende für die Kirche....
etc

Keine Ahnung, was wirklich geredet wurde, jedenfalls wurde auf beiden Seiten viel gestikuliert, bis man schließlich zu einer Einigung fand. Ausserdem fiel mir auf, dass es in der Kirche keine Bänke oder Stühle gibt. Die Betenden knieten auf dem Steinboden. Wer nicht knien konnte, berührte kurz mit der Hand den Boden, das gilt scheinbar auch. Am Eingang und vor den Seitenaltaren stehen Heiligenbilder hinter Glas. Jeder Gläubige küsst diese Bilder beim Eintreten. Gelegentlich kommt eine Kirchenpflegerin mit Ajaxflasche und Lappen vorbei, um die Bilder zu säubern. Man kann also entweder die Herpesviren vom Vorgänger oder fiesen Spiritusgeschmack erwischen. Ich weiß nicht, was besser ist.

Anschließend fuhren wir zum Promifriedhof, wo ich die Gräber von Tschaikowsky, Dostojewsky, Glinka, Petipa und ein paar mehr besichtigen konnte. Weil die Begleiterin mich als Landsmännin ausgab, zahlten wir weniger Eintritt. Nächstes Mal gehe ich dafür auch zur Beichte. Versprochen.

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Dienstag, 26. Juni 2012
Cover Up
Letztens war ich zum ersten Mal in Jeddah, Saudi Arabien. Vor dem Abflug habe ich mich zunächst mit den örtlichen Gepflogenheiten auseinandergesetzt, um entsprechend vorbereitet zu sein. Denn wie Tucholsky schon treffend bemerkte, weiss man ja nie, ob man sich anpassen muss oder schon deutsche Touristen vor einem dagewesen sind (s. Tucholsky im Internetz). Also ließ ich brav meinen Fotoapparat daheim, löschte anstößige Bilder von meinem Handy (*) und legte ein Tuch in den Koffer. Dabei musste ich andauernd an dieses wunderbar geheimnisvolle Bild von Frau Allegra denken, das mich so neugierig werden ließ. Ganz nebenbei bemerkt hat sie es aus europäischem Blickwinkel nicht nötig, sich zu verschleiern, denn sie ist wunderschön.

In Saudi Arabien hingegen sieht die Sache anders aus. Dort gilt, wie der geneigte Leser weiß, dass ungeachtet einer Bewertung alles verhüllt wird, was weibliche Anmut erahnen ließe. Und so erwartete uns in der Hotellobby eine Stange mit schwarzen Umhängen - genannt Abaya - und langen Schaltüchern, der Hijab. Am nächsten Tag trat ich meinen Weg nach draussen zum ersten Mal in diesen Kleidungsstücken an.

Die Damen des Nahen Ostens lernen mit Anbeginn der Pubertät, wie die Tücher zu tragen sind. Wir Europäerinnen hingegen stellen uns da reichlich ungeschickt an. Immer wieder rutschte das Tuch von den Haaren oder wurde vom Wind verweht. Ich versuchte verschiedene Wickeltechniken, bis ich schließlich Haarklammern zur Hilfe nahm. Und obwohl ich die zusätzliche Überkleidung zunächst als hinderlich wahrnahm, fand langsam ein innerlicher Wandel statt.

Noch vor einigen Jahren verweigerte ich erfolgreich alle Flüge nach Teheran. Ich war weder bereit, mich zu verhüllen, noch generell den Status der Frauen in diesen Ländern als legitim anzuerkennen. Jetzt, da ich mich verhüllt in der Öffentlichkeit bewegte, machte es mir nicht nur nichts aus, ich begann sogar, diese Verkleidung ein kleines bisschen zu mögen. Sie machte mich auf eine angenehme Weise unsichtbar und gleichzeitig fühlte ich mich doch besonders wahrgenommen. Geneigter Leser, verstehen Sie mich nicht miß. Ich bin immer noch gegen eine regierungsverordnete Unterdrückung des weiblichen Geschlechts - es geht mir nicht um die Hintergründe, sondern um einen kurzen Eindruck, den ich während meines 48 stündigen Aufenthalts gewonnen habe. Sicherlich würde ich mich anders fühlen, müsste ich längere Zeit oder gar den Rest meines Lebens darunter verbringen.

Seltsamerweise sind es vor allem die arabischen Frauen, die peinlich genau auf Verhüllung der anderen achten. Schließlich könnte die andere ihre Männer stehlen. Und dann schwingt vielleicht auch ein klein wenig Neid mit, denn wenn sie ihr Leben lang dieses Versteckspiel und Unterdrückung ertragen müssen, soll es den anderen Frauen nicht besser gehen. Die anderen Frauen sind in dem Falle Tucholskys eingangs erwähnte Deutsche, die es immer wieder darauf anlegten. Ob im Hotel oder im Bus, die Hijab war nicht bei allen Kolleginnen gleichermaßen beliebt. Man zeigte gelegentlich gerne blondes Haar.

Dabei lassen sich mit einem Schleier die Augen so sehr betonen, das schafft kein Lidschatten und keine Wimperntusche. Sehen Sie selbst, wenn Sie es noch nicht getan haben: Beispielbild

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