Montag, 17. März 2008
Two more years
frau klugscheisser, 12:15h
Mist, beinahe verpasst. Ist auch unklar, weil es einerseits der 17. andererseits aber der 4.März ist. Zwei verschiedene Blogs, zwei verschiedene Daten, zwei Jahre Blogger.de. Dazwischen liegen fast zwei Wochen und ein Jahr. Zur Feier des Tages gibt's ein tolles Osterversteckspiel:
Bitte verstecken Sie ein Ei in den Kommentaren Ihres persönlichen Lieblingsbeitrages. Ich geh' dann suchen.
Wem das ganze Ostergedöns schön langsam auf die Eier geht (1Euro in die Kalauerkasse), kann aber auch einfach was Nettes hier hinterlassen.
Auf die kommenden zwei Jahre!
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Samstag, 15. März 2008
Cherry can you come out tonight?
frau klugscheisser, 13:23h
Sherry
Kirschblüte in Schwabing, vergangenes Jahr
Dieser Tage beginnt in Japan wieder der allgemeine Kirschblütenterror. Statt Wetterbericht senden alle Kanäle nach den Nachrichten eine Meldung zur aktuellen Kirschblütenfront. Der Japaner an sich lebt und stirbt ja quasi für die Kirschblüte - das Symbol für Schönheit und Vergänglichkeit - und ist komplett aus dem Häuschen, wenn sich die ersten Blüten endlich im eigenen Viertel öffnen. Dann läßt er's mal so richtig krachen, dann wird zehn Tage lang gefeiert. Dank des neuen Filmes von Doris Dörrie, kennt jetzt auch der letzte Hamperer hierzulande den Begriff Hanami. Dabei existieren erstaunlich viele Parallelen zum Oktoberfest:
1. Das Fest hat mit dem jahreszeitlichen Wechsel und der Vergänglichkeit zu tun.
2. Zu diesem Zweck wird von weit her angereist.
3. Wer nicht reserviert hat, kriegt ab nachmittags keinen Platz mehr.
4. Es werden Unmengen alkoholische Getränke konsumiert.
5. Es wird im Schnitt mehr konsumiert als vertragen.
6. Der Drang zur Verbrüderung mit Wildfremden ist nicht von der Hand zu weisen.
7. Das Fest gibt Anlaß zum Singen eigens hierfür komponierter Volksweisen.
8. Es dauert etwa 14 Tage, man kann aber auch woanders weiterfeiern (Cannstatter Wasen, Shanghai Oktoberfest oder Hanami an der Alster).
9. In dieser Zeit werden gerne Trachten getragen.
10. Manch einer nimmt sich währenddessen Urlaub, andere machen krank.
11. Die gesamte örtliche Bevölkerung steht vorher Kopf.
12. Während der Dauer des Festes gelten für alles Ausnahmeregelungen.
13. Im Grunde sind alle froh, wenn es endlich wieder vorbei ist.
Dieses Jahr Übernächste Woche werde ich höchstwahrscheinlich über die Kirschblüte berichten können. Ansonsten empfehle ich zur besseren kulturellen Verständigung den oben genannten Film.
Kirschblüte in Schwabing, vergangenes Jahr
Dieser Tage beginnt in Japan wieder der allgemeine Kirschblütenterror. Statt Wetterbericht senden alle Kanäle nach den Nachrichten eine Meldung zur aktuellen Kirschblütenfront. Der Japaner an sich lebt und stirbt ja quasi für die Kirschblüte - das Symbol für Schönheit und Vergänglichkeit - und ist komplett aus dem Häuschen, wenn sich die ersten Blüten endlich im eigenen Viertel öffnen. Dann läßt er's mal so richtig krachen, dann wird zehn Tage lang gefeiert. Dank des neuen Filmes von Doris Dörrie, kennt jetzt auch der letzte Hamperer hierzulande den Begriff Hanami. Dabei existieren erstaunlich viele Parallelen zum Oktoberfest:
1. Das Fest hat mit dem jahreszeitlichen Wechsel und der Vergänglichkeit zu tun.
2. Zu diesem Zweck wird von weit her angereist.
3. Wer nicht reserviert hat, kriegt ab nachmittags keinen Platz mehr.
4. Es werden Unmengen alkoholische Getränke konsumiert.
5. Es wird im Schnitt mehr konsumiert als vertragen.
6. Der Drang zur Verbrüderung mit Wildfremden ist nicht von der Hand zu weisen.
7. Das Fest gibt Anlaß zum Singen eigens hierfür komponierter Volksweisen.
8. Es dauert etwa 14 Tage, man kann aber auch woanders weiterfeiern (Cannstatter Wasen, Shanghai Oktoberfest oder Hanami an der Alster).
9. In dieser Zeit werden gerne Trachten getragen.
10. Manch einer nimmt sich währenddessen Urlaub, andere machen krank.
11. Die gesamte örtliche Bevölkerung steht vorher Kopf.
12. Während der Dauer des Festes gelten für alles Ausnahmeregelungen.
13. Im Grunde sind alle froh, wenn es endlich wieder vorbei ist.
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Dienstag, 22. Januar 2008
Children waiting for the day they feel good
frau klugscheisser, 12:12h
Heute Morgen bin ich früh aufgewacht. Heute ist nämlich mein Tag. Deshalb bin ich auch ganz aufgeregt. Auf jedem Kalender, auf allen Datumsanzeigen steht heute eine Zweiundzwanzig - das erste Mal in diesem Jahr. Und immer wenn das erste Mal in einem Jahr eine Zweiundzwanzig da steht, bedeutet das, dass ich sehr aufgeregt bin, weil das mein Tag ist. Ich bin auch aufgeregt, wenn das zwölfte Mal eine Vierundzwanzig oder das zwölfte Mal [!] eine Einunddreissig da steht aber nicht so sehr wie bei der ersten Zweiundzwanzig im Jahr.
Angefangen hat das alles in meiner Kindheit. Da sagte man mir nämlich, dass das etwas sehr Besonderes sei, wenn das erste Mal eine Zweiundzwanzig auf dem Kalender stehe und gab mir was zum Auswickeln. Damals glaubte ich den Erwachsenen alles, was Geschenke nach sich zog. Die perfekte Konditionierung. Übrigens hat man mich auch erfolgreich katholisch konditioniert. Die Belohnung fiel reichhaltig aus und so fand ich es nur fair, an den flachgepressten Leib Christi zu glauben, den ich immer mit dem Zeigefinger vom Gaumen kratzen musste. Nach der zweiten Stufe der Konditionierung, der Firmung - sozusagen die operante Konditionierung im Katholizismus - gibt es keine Geschenke mehr. Der zwölfte Vierundzwanzigste allein genügte mir nicht. Man wird halt anspruchsvoller. Folglich trat ich irgendwann aus der Kirche aus.
Der erste Zweiundzwanzigste aber ist der Tag, an dem ich mir mehr als nur die Erlösung meiner Seele wünschen darf. Am ersten Zweiundzwanzigsten darf ich mir alles wünschen, was ich will. Ich darf mir wünschen, dass alle ganz lieb zu mir sind, ich darf mir wünschen, dass mir jemand was zum Auswickeln gibt, und ich darf mir wünschen, dass ich nie wieder vor acht aufstehen muss. Wie gesagt, wünschen darf ich mir das. Ob meine Wünsche erfüllt werden, steht auf 'nem anderen Stern. Wenigstens muss ich mir für derlei Wünsche keine Oblatenreste vom Gaumen kratzen.
Meistens aber wünsche ich mir nur eines: Ich will wieder Kind sein dürfen. Für einen Tag und eine Nacht. Ich will Luftballons aufblasen und aufgeregt sein und mich freuen und allen sagen, dass ich heute Geburtstag habe und morgens schon quengeln, bis endlich alle aufgestanden sind und lachen und mir eine rote Nase malen und rote Backen und ganz viele Geschenke und Glückwünsche kriegen und beim Metzger ein Radl Wurst umsonst und beim Bäcker eine Rosine. Ich will ein Fahrrad mit Stützrädern fahren und einen bunten Ball überall hin mitnehmen und eine schmuddelige Stoffpuppe über alle Maßen lieben, obwohl sie so hässlich ist und singen, ganz laut singen und hüpfen und tanzen.
Es gab in meinem Leben Zeiten, in denen mir Menschen einzureden versuchten, ich sei nichts wert, folglich sei der erste Zweiundzwanzigste auch nichts wert. Das waren die Menschen, denen ich dummerweise sehr vertraute. So war ich schließlich selbst der Überzeugung, weder der erste Zweiundzwanzigste noch ich seien wertvoll. Das und vieles mehr hat sich geändert. Das ist auch der Grund, warum ich mich feiern will.
Mad World
Angefangen hat das alles in meiner Kindheit. Da sagte man mir nämlich, dass das etwas sehr Besonderes sei, wenn das erste Mal eine Zweiundzwanzig auf dem Kalender stehe und gab mir was zum Auswickeln. Damals glaubte ich den Erwachsenen alles, was Geschenke nach sich zog. Die perfekte Konditionierung. Übrigens hat man mich auch erfolgreich katholisch konditioniert. Die Belohnung fiel reichhaltig aus und so fand ich es nur fair, an den flachgepressten Leib Christi zu glauben, den ich immer mit dem Zeigefinger vom Gaumen kratzen musste. Nach der zweiten Stufe der Konditionierung, der Firmung - sozusagen die operante Konditionierung im Katholizismus - gibt es keine Geschenke mehr. Der zwölfte Vierundzwanzigste allein genügte mir nicht. Man wird halt anspruchsvoller. Folglich trat ich irgendwann aus der Kirche aus.
Der erste Zweiundzwanzigste aber ist der Tag, an dem ich mir mehr als nur die Erlösung meiner Seele wünschen darf. Am ersten Zweiundzwanzigsten darf ich mir alles wünschen, was ich will. Ich darf mir wünschen, dass alle ganz lieb zu mir sind, ich darf mir wünschen, dass mir jemand was zum Auswickeln gibt, und ich darf mir wünschen, dass ich nie wieder vor acht aufstehen muss. Wie gesagt, wünschen darf ich mir das. Ob meine Wünsche erfüllt werden, steht auf 'nem anderen Stern. Wenigstens muss ich mir für derlei Wünsche keine Oblatenreste vom Gaumen kratzen.
Meistens aber wünsche ich mir nur eines: Ich will wieder Kind sein dürfen. Für einen Tag und eine Nacht. Ich will Luftballons aufblasen und aufgeregt sein und mich freuen und allen sagen, dass ich heute Geburtstag habe und morgens schon quengeln, bis endlich alle aufgestanden sind und lachen und mir eine rote Nase malen und rote Backen und ganz viele Geschenke und Glückwünsche kriegen und beim Metzger ein Radl Wurst umsonst und beim Bäcker eine Rosine. Ich will ein Fahrrad mit Stützrädern fahren und einen bunten Ball überall hin mitnehmen und eine schmuddelige Stoffpuppe über alle Maßen lieben, obwohl sie so hässlich ist und singen, ganz laut singen und hüpfen und tanzen.
Es gab in meinem Leben Zeiten, in denen mir Menschen einzureden versuchten, ich sei nichts wert, folglich sei der erste Zweiundzwanzigste auch nichts wert. Das waren die Menschen, denen ich dummerweise sehr vertraute. So war ich schließlich selbst der Überzeugung, weder der erste Zweiundzwanzigste noch ich seien wertvoll. Das und vieles mehr hat sich geändert. Das ist auch der Grund, warum ich mich feiern will.
Mad World
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Dienstag, 8. Januar 2008
Don't blame it on sunshine
frau klugscheisser, 20:59h
Dass die Autos anhalten, wenn ich die Strasse ueberquere, liegt nicht an besonders ruecksichtsvollen Fahrern. Im Gegenteil, der Verkehr in Brasilien ist neben Portugal der ruecksichtsloseste in der Welt der Automobile. Es muss demnach an meiner Hautfarbe liegen. Dabei war zu Beginn alles so harmlos.
"Und cremt euch gut ein", so lautet der Hinweis einer Kollegin. Lass mal die Bleichgesichter und Blondchen cremen, ich brauche das nicht, ist voellig ueberfluessig, weil mir selbst auf den Malediven die Sonne nichts anhaben kann. Alle zwei Jahre kaufe ich eine Tube Sonnencreme, weil mal wieder alle Welt ueber das Ozonloch jammert, um sie dann meistens daheim zu vergessen und nach Jahren unbenutzt dem ewigen Kreislauf der Vergaengnis zuzufuehren. An verbrannte Haut kann ich mich nicht erinnern.
Am Pool weht ein frischer Wind. Die Sonne kaempft noch gegen einige Wolken, die sich mal von der einen, mal von der anderen Seite anschieben. Ich stelle bei angesagten dreissig und gefuehlten zwanzig Grad auf der Liege meinen bleichen Koerper zur Schau. Neben mir eine dunkle Brasilianerin. Das ist Anreiz genug, so will ich am Abend auch aussehen. Tapfer bleibe ich auch noch, als der Wind die Wolken endgueltig vertrieben hat. Der Schirm wird erst aufgespannt, als meine Haare zu brennen beginnen.
Am Abend dann die ersten Kommentare: "du gluehst ja!" Daran kann nur der Wein schuld sein. Der Wein und die Pepperoni, die ich vorhin erwischte. Kein Problem, spaetestens morgen ist das in ein gleichmaessiges braun uebergegangen. Nachts schwitze ich deutlich staerker. Das Zimmermaedchen hat wohl die Klimaanlage verstellt. Ueberhaupt sind die Leintuecher hier ziemlich rauh. Am naechsten Morgen faellt mir dieses unguenstige Licht im Bad auf. Irgendetwas reflektiert hier rot.
Meine Kleiderwahl faellt ausnahmsweise auf etwas Hochgeschlossenes. Bei der Farbauswahl bin ich sehr zurueckhaltend. Auf der Strasse schliesslich fuehle ich mich wie ein Fussgaengerampelmaennchen. Einige Passanten starren mich an, als wuerden sie darauf warten, dass ich gleich gruen werde. Nur die weissen Raender um die Augen vermasseln mir das Image als Rothaut. Ein Glueck dass ich ab morgen wieder im kalten Deutschland bin. Da geht die Faerbung problemlos als Bluthochdruck durch. Wer hat schon Sonnenbrand im Winter? Ich jedenfalls nicht.
"Und cremt euch gut ein", so lautet der Hinweis einer Kollegin. Lass mal die Bleichgesichter und Blondchen cremen, ich brauche das nicht, ist voellig ueberfluessig, weil mir selbst auf den Malediven die Sonne nichts anhaben kann. Alle zwei Jahre kaufe ich eine Tube Sonnencreme, weil mal wieder alle Welt ueber das Ozonloch jammert, um sie dann meistens daheim zu vergessen und nach Jahren unbenutzt dem ewigen Kreislauf der Vergaengnis zuzufuehren. An verbrannte Haut kann ich mich nicht erinnern.
Am Pool weht ein frischer Wind. Die Sonne kaempft noch gegen einige Wolken, die sich mal von der einen, mal von der anderen Seite anschieben. Ich stelle bei angesagten dreissig und gefuehlten zwanzig Grad auf der Liege meinen bleichen Koerper zur Schau. Neben mir eine dunkle Brasilianerin. Das ist Anreiz genug, so will ich am Abend auch aussehen. Tapfer bleibe ich auch noch, als der Wind die Wolken endgueltig vertrieben hat. Der Schirm wird erst aufgespannt, als meine Haare zu brennen beginnen.
Am Abend dann die ersten Kommentare: "du gluehst ja!" Daran kann nur der Wein schuld sein. Der Wein und die Pepperoni, die ich vorhin erwischte. Kein Problem, spaetestens morgen ist das in ein gleichmaessiges braun uebergegangen. Nachts schwitze ich deutlich staerker. Das Zimmermaedchen hat wohl die Klimaanlage verstellt. Ueberhaupt sind die Leintuecher hier ziemlich rauh. Am naechsten Morgen faellt mir dieses unguenstige Licht im Bad auf. Irgendetwas reflektiert hier rot.
Meine Kleiderwahl faellt ausnahmsweise auf etwas Hochgeschlossenes. Bei der Farbauswahl bin ich sehr zurueckhaltend. Auf der Strasse schliesslich fuehle ich mich wie ein Fussgaengerampelmaennchen. Einige Passanten starren mich an, als wuerden sie darauf warten, dass ich gleich gruen werde. Nur die weissen Raender um die Augen vermasseln mir das Image als Rothaut. Ein Glueck dass ich ab morgen wieder im kalten Deutschland bin. Da geht die Faerbung problemlos als Bluthochdruck durch. Wer hat schon Sonnenbrand im Winter? Ich jedenfalls nicht.
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Mittwoch, 19. Dezember 2007
Cut your hair
frau klugscheisser, 21:57h
Man sagt, wenn eine Frau eine neue Frisur hat, steckt eine Trennung dahinter. Gelegentlich mag das zutreffen und die ein oder andere sieht danach aus, als wollte sie sich selbst bestrafen. Ich habe frisurentechnisch alles getragen: Bob, schulterlang, lang, sehrsehr lang, Stufenschnitte, kurz, sehrsehr kurz, verunglückte Dauerwell- und Farbexperimente inbegriffen. Letztere wären definitiv ein Trennungsgrund gewesen. Trotzdem löst der Spruch inzwischen einen Gähnreflex bei mir aus, denn mein größter Antrieb für einen Friseurbesuch ist aufkommende Langeweile. Schulterlanges Haar ist nämlich nicht nur enorm praktisch - man kann es beim Sport zusammenbinden, braucht kein aufwendiges Föhnstyling, das extrem regen-, wind- und mützenempfindlich reagiert, und es wächst kostengünstig nach - es ist auch enorm langweilig. Wenn die Langeweile am größten ist, muss die Schere her. So auch vor zwei Wochen. Der ultimative Kick ist zusätzlich der Besuch eines neuen Friseures, und ich lege noch einen drauf:
Mein neuer Schnitt ist Made in Hongkong!
An der Türe steht '59 HKD for walk along', was soviel bedeutet wie 6 Euro mit ohne Vorwarnung. Nach einem Rundblick wird mir langsam klar, warum der Preis so niedrig ist, ich finde nämlich keinen Eingang. Der enge Treppenaufgang neben dem Schild führt vorbei an offenen Drähten und Sicherungskästen in den zweiten Stock. Hinter einer Glastüre starren drei Halbstarke gespannt auf einen Monitor. Zunächst werde ich nicht beachtet. Die wenigen Sitze vor den Spiegeln sind leer. Ein Mädchen sitzt kaugummikauend auf einem Sofa, an der Wand dahinter ein riesiges Kinoplakat von einem drittklassigen Actionstreifen. Vergeblich suche ich nach friseursalonüblichen Anhaltspunkten wie beispielsweise Waschbecken, Handtücher oder Kundinnen. Nirgends Haarsprayflaschen und Walla (Name von der Redaktion geändert) Produktinformationen. Ich sage laut "Hello! I want a haircut", mehr um mich zu versichern, dass ich nicht aus Versehen im Wohnzimmer einer chinesischen Durchschnittsfamilie gelandet bin als aus Überzeugung, worauf eine kleine, dickliche Chinesin mittleren Alters hinter einer Trennwand hervorschießt, an meiner Jacke zerrt, bis ich sie freiwillig auf den angebotenen Bügel hänge und mich schließlich in ein Hinterzimmer bugsiert.
Das Zimmer ist mit einem roten Liegepolster - eine Mischung aus Hippiesitzmöbel und veraltetem Zahnarztstuhl ohne Mechanik - und einem Waschbecken ausgestattet. Mehr passt hier nicht rein. Die Chinesin positioniert sich hinter das Waschbecken, krempelt die Ärmel hoch und deutet energisch auf das Polster. Zögerlich sinke ich hinein, die Füße auf einer umgestürzten Bananenkiste, und starre die nächsten fünfzehn Minuten auf ein weiteres Kinoplakat an der Wand. Über den chinesischen Schriftzeichen der Kopf eines Mannes, der sich mit zärtlichem Blick zum Kuss über das Gesicht einer Frau beugt. Ein westlicher, dennoch kein bekannter Film, keine bekannten Schauspieler. Ich konzentriere mich sehr angestrengt auf das Bild, denn was die Chinesin währenddessen mit meinem Kopf anstellt ist alles andere als zärtlich. Widerstand ist zwecklos, zumindest schätze ich sie so ein. Als sie, wie schon unzählige Male zuvor, meinen Kopf resolut nach vorne wirft und ein Handtuch um die nassen Haare schlingt, ist die Folter vorbei. Eine Ganzkörpermassage überleben vermutlich nur die Härtesten.
Dann werde ich auf einen der Stühle vor einem Spiegel gewiesen. Einer der Halbstarken drapiert ein Mäppchen mit Scheren und Kämmen auf dem kleinen Tischchen daneben, befestigt einen Umhang an meinem Hals und entfernt das Handtuch. Die Chinesin wirft mir noch einige Hochglanzmagazine in den Schoß, bevor sie verschwindet. Nice to meet you, too. Jetzt beginnt der schwierigere Teil. Wie mache ich dem Mann klar, was ich wünsche? Mit der Handkante zeichne ich eine Linie unterhalb meines Unterkiefers nach. Er nickt eifrig und beginnt zu schneiden, nachdem er meinen Kopf nach vorne gedrückt und mir alle Haare von hinten über das Gesicht gekämmt hat. Ich versuche durch den nassen Haarschleier vor meinen Augen zu schielen, doch bei der kleinsten Bewegung wird mein Kopf wieder auf die Brust gedrückt.
Spontan erinnere ich mich an eine alte Geschichte, die in meiner Familie immer wieder Erwähnung fand. In Jugendjahren ging mein Vater zum Friseur in Südamerika. Die Frage "Inglés?" beantwortete er mit "Aleman", worauf ihm der Friseur in Windeseile einen zackigen Irokesenschnitt verpasste. Die heutige Konversation mit meinem Friseur ist ähnlich wortkarg. "Shorter", korrigiere ich als er die Seiten angleicht. Das Spiel beginnt von Neuem. Inzwischen ist meine Hals- und Nackenmuskulatur gut gedehnt. Aber auch das geht vorbei.
Während er so vor sich hinschneidet, brüllt er das kaugummikauende Mädchen auf dem Sofa an. Die springt auf und bringt ein Gerät, das mich mehr an ein Waffeleisen als an friseurhandwerkliches Hilfsmittel erinnert. Etwas beunruhigt frage ich nach dem Sinn des Gerätes. Er scheint nicht zu verstehen und legt stetig mein Haar Strähne für Strähne zwischen die heißen Platten. Wurde vorher noch jede Kopfbewegung mit Unbill gestraft, bedeutet ab jetzt jedes noch so kleine Zucken Verletzungsgefahr. "To straighten hair," sagt er grinsend. Ich hatte mein ganzes Leben lang zu meinem Leidwesen sehr glattes Haar, mal abgesehen von den oben genannten Dauerwellkatastrophen und selbst die hingen sich schon kurz nach Verlassen des Salons aus. Man könnte mich sozusagen als Prototyp des Spaghettilooks bezeichnen. Wozu um alles in der Welt will der Mann meine Haare glätten? Das wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben.
Das Föhnen (ja das waren noch Zeiten, als man den natürlichen warmen Luftstrom vom maschinell erzeugten durch das 'h' unterschied) eine einzige Reminiszenz an die Kollegin hinter dem Waschbecken. Schließlich hält er stolz den Spiegel hinter meinen Kopf, damit ich die neue Frisur von allen Seiten betrachten kann. Nicht ganz wie ich es wollte, doch einigermaßen ordentlich ist es geworden. Ich zahle und verlasse erschöpft den Salon. Immerhin ernte ich am nächsten Tag zahlreiche Komplimente von den Kollegen. Die schicke neue Brille fällt keinem auf. Alles neu, alles Made in Hongkong, selbst die Kopfschmerzen. So schnell wird mir nicht mehr langweilig. Und bleibt mir bloß weg mit den Männern.
Cut your hair
Mein neuer Schnitt ist Made in Hongkong!
An der Türe steht '59 HKD for walk along', was soviel bedeutet wie 6 Euro mit ohne Vorwarnung. Nach einem Rundblick wird mir langsam klar, warum der Preis so niedrig ist, ich finde nämlich keinen Eingang. Der enge Treppenaufgang neben dem Schild führt vorbei an offenen Drähten und Sicherungskästen in den zweiten Stock. Hinter einer Glastüre starren drei Halbstarke gespannt auf einen Monitor. Zunächst werde ich nicht beachtet. Die wenigen Sitze vor den Spiegeln sind leer. Ein Mädchen sitzt kaugummikauend auf einem Sofa, an der Wand dahinter ein riesiges Kinoplakat von einem drittklassigen Actionstreifen. Vergeblich suche ich nach friseursalonüblichen Anhaltspunkten wie beispielsweise Waschbecken, Handtücher oder Kundinnen. Nirgends Haarsprayflaschen und Walla (Name von der Redaktion geändert) Produktinformationen. Ich sage laut "Hello! I want a haircut", mehr um mich zu versichern, dass ich nicht aus Versehen im Wohnzimmer einer chinesischen Durchschnittsfamilie gelandet bin als aus Überzeugung, worauf eine kleine, dickliche Chinesin mittleren Alters hinter einer Trennwand hervorschießt, an meiner Jacke zerrt, bis ich sie freiwillig auf den angebotenen Bügel hänge und mich schließlich in ein Hinterzimmer bugsiert.
Das Zimmer ist mit einem roten Liegepolster - eine Mischung aus Hippiesitzmöbel und veraltetem Zahnarztstuhl ohne Mechanik - und einem Waschbecken ausgestattet. Mehr passt hier nicht rein. Die Chinesin positioniert sich hinter das Waschbecken, krempelt die Ärmel hoch und deutet energisch auf das Polster. Zögerlich sinke ich hinein, die Füße auf einer umgestürzten Bananenkiste, und starre die nächsten fünfzehn Minuten auf ein weiteres Kinoplakat an der Wand. Über den chinesischen Schriftzeichen der Kopf eines Mannes, der sich mit zärtlichem Blick zum Kuss über das Gesicht einer Frau beugt. Ein westlicher, dennoch kein bekannter Film, keine bekannten Schauspieler. Ich konzentriere mich sehr angestrengt auf das Bild, denn was die Chinesin währenddessen mit meinem Kopf anstellt ist alles andere als zärtlich. Widerstand ist zwecklos, zumindest schätze ich sie so ein. Als sie, wie schon unzählige Male zuvor, meinen Kopf resolut nach vorne wirft und ein Handtuch um die nassen Haare schlingt, ist die Folter vorbei. Eine Ganzkörpermassage überleben vermutlich nur die Härtesten.
Dann werde ich auf einen der Stühle vor einem Spiegel gewiesen. Einer der Halbstarken drapiert ein Mäppchen mit Scheren und Kämmen auf dem kleinen Tischchen daneben, befestigt einen Umhang an meinem Hals und entfernt das Handtuch. Die Chinesin wirft mir noch einige Hochglanzmagazine in den Schoß, bevor sie verschwindet. Nice to meet you, too. Jetzt beginnt der schwierigere Teil. Wie mache ich dem Mann klar, was ich wünsche? Mit der Handkante zeichne ich eine Linie unterhalb meines Unterkiefers nach. Er nickt eifrig und beginnt zu schneiden, nachdem er meinen Kopf nach vorne gedrückt und mir alle Haare von hinten über das Gesicht gekämmt hat. Ich versuche durch den nassen Haarschleier vor meinen Augen zu schielen, doch bei der kleinsten Bewegung wird mein Kopf wieder auf die Brust gedrückt.
Spontan erinnere ich mich an eine alte Geschichte, die in meiner Familie immer wieder Erwähnung fand. In Jugendjahren ging mein Vater zum Friseur in Südamerika. Die Frage "Inglés?" beantwortete er mit "Aleman", worauf ihm der Friseur in Windeseile einen zackigen Irokesenschnitt verpasste. Die heutige Konversation mit meinem Friseur ist ähnlich wortkarg. "Shorter", korrigiere ich als er die Seiten angleicht. Das Spiel beginnt von Neuem. Inzwischen ist meine Hals- und Nackenmuskulatur gut gedehnt. Aber auch das geht vorbei.
Während er so vor sich hinschneidet, brüllt er das kaugummikauende Mädchen auf dem Sofa an. Die springt auf und bringt ein Gerät, das mich mehr an ein Waffeleisen als an friseurhandwerkliches Hilfsmittel erinnert. Etwas beunruhigt frage ich nach dem Sinn des Gerätes. Er scheint nicht zu verstehen und legt stetig mein Haar Strähne für Strähne zwischen die heißen Platten. Wurde vorher noch jede Kopfbewegung mit Unbill gestraft, bedeutet ab jetzt jedes noch so kleine Zucken Verletzungsgefahr. "To straighten hair," sagt er grinsend. Ich hatte mein ganzes Leben lang zu meinem Leidwesen sehr glattes Haar, mal abgesehen von den oben genannten Dauerwellkatastrophen und selbst die hingen sich schon kurz nach Verlassen des Salons aus. Man könnte mich sozusagen als Prototyp des Spaghettilooks bezeichnen. Wozu um alles in der Welt will der Mann meine Haare glätten? Das wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben.
Das Föhnen (ja das waren noch Zeiten, als man den natürlichen warmen Luftstrom vom maschinell erzeugten durch das 'h' unterschied) eine einzige Reminiszenz an die Kollegin hinter dem Waschbecken. Schließlich hält er stolz den Spiegel hinter meinen Kopf, damit ich die neue Frisur von allen Seiten betrachten kann. Nicht ganz wie ich es wollte, doch einigermaßen ordentlich ist es geworden. Ich zahle und verlasse erschöpft den Salon. Immerhin ernte ich am nächsten Tag zahlreiche Komplimente von den Kollegen. Die schicke neue Brille fällt keinem auf. Alles neu, alles Made in Hongkong, selbst die Kopfschmerzen. So schnell wird mir nicht mehr langweilig. Und bleibt mir bloß weg mit den Männern.
Cut your hair
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Samstag, 8. Dezember 2007
Let him play among the stars
frau klugscheisser, 13:04h
Eigentlich ist auf SvenK. immer Verlass. Wenn ich wissen will, wer gestorben ist, brauche ich keine Online Nachrichten. Diesmal hat er mich allerdings enttäuscht. Kein Wort über Stockhausen. Ob der arrogante Sack wohl schon auf Sirius angekommen ist?
Und wer kann mir erklären, warum Google heute schwarz ist?
Und wer kann mir erklären, warum Google heute schwarz ist?
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Sonntag, 25. November 2007
Giving it all away
frau klugscheisser, 12:05h
Hotelzimmer sind überall gleich. Das Zimmer, in dem ich sitze, könnte auch irgendwo anders sein. Ein Bett, ein Tisch, ein Sessel, ein Fernseher. Einige Bilder an der Wand, kleine Fläschchen in der Minibar und im Bad. In einer der vielen Schubladen liegt mit Sicherheit eine Bibel. Ich schaue nicht mehr nach. Früher öffnete ich jede Schublade mit ein wenig Herzklopfen. Ich hoffte, etwas Vergessenes darin zu finden. Einen Ring, ein beschriebenes Blatt, ein Bild, ein Stück Menschlichkeit in einem unpersönlichen Raum. Kurz bevor ich eine Schublade öffnete, stellte ich mir vor, es läge darin ein abgehackter Finger, ein Auge oder ähnliches. Der Gedanke ließ die Spannung immens steigen. Gefunden habe ich immer nur die obligatorische Bibel, manchmal der Koran oder ein buddhistisches Äquivalent, Telefonbücher, eine Hotelbeschreibung und die Speisekarte für den Zimmerservice. Die einzigen menschlichen Überreste in Form von Zehennägeln oder Haaren lagen offen auf dem Boden. Seither schaue ich weder in Schubladen noch Mafiafilme.
Meine Sachen liegen auf dem zweiten, unbenutzten Bett oder im geöffneten Koffer. Niemals staue ich etwas in Schubladen oder den Schrank. Einzig die Uniform hängt dort, denn die will ich während meines Aufenthaltes bewußt vergessen. Würde ich sie dort lassen, müsste ich schon nackt zum Abfahrtstermin in der Lobby erscheinen. Höchstwahrscheinlich wird mir das nie passieren. Die Gefahr, andere Dinge zu vergessen, ist jedenfalls weitaus größer. Meine Sorge ist so groß, dass ich nach Verlassen des Raumes zwanghaft noch dreimal Zimmer und Bad inspiziere, bevor die Türe endgültig ins Schloß fällt. Ich stelle mir vor, wie das Zimmermädchen mein Schlafshirt, meine Haarspange oder das abgeschabte Mäppchen mit der Nagelschere findet und es mit spitzen Fingern in den Abfallsack packt. Mal abgesehen von einem alten Schlafshirt, einer Packung Tabletten, einigen Haaren und Fingernägeln habe ich aber noch nie etwas zurückgelassen. Schließlich sehe ich auch dreimal nach. Zwangsneurosen können durchaus nützlich sein.
So sitze ich also in diesem Hotelzimmer, das irgendwie überall sein könnte. Auf dem zweiten, unbenutzten Bett liegen meine Füße und alles, was ich im Laufe des Tages erworben habe. Eigenartig daran ist, dass all die auf der Decke ausgebreiteten Dinge, außer meinen Füßen, nicht mir gehören sollen. Es sind Geschenke für andere. Eigenartig ist auch dieses wohlig warme Gefühl, das beim Anblick der Sachen in meinem Bauch entsteht. Langsam lasse ich die Perlenkette abwechselnd durch meine Finger gleiten und vor den Augen baumeln, streichle über den Seidenstoff mit den eingestickten kleinen Drachen, halte das Stofftäschchen in der Hand und lege schließlich alles wieder zurecht, nur um fünf Minuten später erneut alles anzufassen. Dann stelle ich mir die Gesichter der Beschenkten vor. Ihre Freude beim Auspacken ist mindestens so spannend wie ein imaginärer abgetrennter Finger in einer nicht geöffneten Schublade, nur schöner.
Jetzt beginnt wieder die Zeit, in der Leute verzweifelt nach obligatorischen Geschenken suchen. Manche werden erst in letzter Minute fündig, wohl weil jede Pflicht lästig ist und gerne verdrängt wird. Die Schönheit und das Glück des Schenkens wird dabei ebenfalls verdrängt. Es mag egoistisch sein, wenn ich gerne schenke, vielleicht ist es auch das Ergebnis einer erfolgreichen Konditionierung. Trotzdem möchte ich nicht auf das Gefühl verzichten. Wie schön es ist, sich einen bestimmten Menschen vorzustellen, seine Vorlieben, seine Eigenarten, sein Äusseres, während man etwas Passendes auswählt, wie befriedigend wenn man fündig wird. Drei Paar Schuhe für mich selbst könnten meine empfundene Zufriedenheit beim Betrachten der heutigen Ausbeute für andere nicht überbieten.
Irgenwann hatte ich die Idee, Menschen aus meinem Bekanntenkreis zu beschenken, die aus den Ländern stammen, in die ich fliege. Das Projekt mit dem internen Arbeitstitel 'Fernweh-/Heimwehexpress' - so eine Art Import-Export für Gefühle - begann vielversprechend. Dier japanischen Ballettlehrerin brachte ich aus Tokio einen Glücksbringer und Seetang für Sushi mit. Obwohl wir uns nicht lange kannten, fiel sie mir freudig um den Hals. Ich ging um etliche Glückshormone und Erkältungsviren reicher heim. Während der dreiwöchigen Grippe beschloß ich, das Projekt zu modifizieren. Nicht wegen der Ansteckungsgefahr, sondern weil sich schlichtweg zu wenige Japaner, Chinesen und Brasilianer in meinem Bekanntenkreis befinden, und die japanische Ballettlehrerin - sie war im Anschluß sechs Wochen abwesend - möchte ich auch nicht zu sehr strapazieren. Jetzt beschränke ich mich eben auf die Menschen, die ich kenne.
Mit den Gaben sind plötzlich alle zukünftigen Besitzer da. Es wird ein wenig eng auf dem Bett, außerdem bin ich müde. Also packe ich alles endgültig weg. Das warme Gefühl aber bleibt und die Gewißheit, nicht alleine zu sein. Neben Zwangsneurosen ist auch eine ordentliche Wahnvorstellung manchmal ganz nützlich, vor allem, wenn man viel unterwegs und das Fernsehprogramm meistens schlecht ist. Angenehmer als fremde Fußnägel und Haare sind Perlen und Seidenstoff im Bett allemal.
Meine Sachen liegen auf dem zweiten, unbenutzten Bett oder im geöffneten Koffer. Niemals staue ich etwas in Schubladen oder den Schrank. Einzig die Uniform hängt dort, denn die will ich während meines Aufenthaltes bewußt vergessen. Würde ich sie dort lassen, müsste ich schon nackt zum Abfahrtstermin in der Lobby erscheinen. Höchstwahrscheinlich wird mir das nie passieren. Die Gefahr, andere Dinge zu vergessen, ist jedenfalls weitaus größer. Meine Sorge ist so groß, dass ich nach Verlassen des Raumes zwanghaft noch dreimal Zimmer und Bad inspiziere, bevor die Türe endgültig ins Schloß fällt. Ich stelle mir vor, wie das Zimmermädchen mein Schlafshirt, meine Haarspange oder das abgeschabte Mäppchen mit der Nagelschere findet und es mit spitzen Fingern in den Abfallsack packt. Mal abgesehen von einem alten Schlafshirt, einer Packung Tabletten, einigen Haaren und Fingernägeln habe ich aber noch nie etwas zurückgelassen. Schließlich sehe ich auch dreimal nach. Zwangsneurosen können durchaus nützlich sein.
So sitze ich also in diesem Hotelzimmer, das irgendwie überall sein könnte. Auf dem zweiten, unbenutzten Bett liegen meine Füße und alles, was ich im Laufe des Tages erworben habe. Eigenartig daran ist, dass all die auf der Decke ausgebreiteten Dinge, außer meinen Füßen, nicht mir gehören sollen. Es sind Geschenke für andere. Eigenartig ist auch dieses wohlig warme Gefühl, das beim Anblick der Sachen in meinem Bauch entsteht. Langsam lasse ich die Perlenkette abwechselnd durch meine Finger gleiten und vor den Augen baumeln, streichle über den Seidenstoff mit den eingestickten kleinen Drachen, halte das Stofftäschchen in der Hand und lege schließlich alles wieder zurecht, nur um fünf Minuten später erneut alles anzufassen. Dann stelle ich mir die Gesichter der Beschenkten vor. Ihre Freude beim Auspacken ist mindestens so spannend wie ein imaginärer abgetrennter Finger in einer nicht geöffneten Schublade, nur schöner.
Jetzt beginnt wieder die Zeit, in der Leute verzweifelt nach obligatorischen Geschenken suchen. Manche werden erst in letzter Minute fündig, wohl weil jede Pflicht lästig ist und gerne verdrängt wird. Die Schönheit und das Glück des Schenkens wird dabei ebenfalls verdrängt. Es mag egoistisch sein, wenn ich gerne schenke, vielleicht ist es auch das Ergebnis einer erfolgreichen Konditionierung. Trotzdem möchte ich nicht auf das Gefühl verzichten. Wie schön es ist, sich einen bestimmten Menschen vorzustellen, seine Vorlieben, seine Eigenarten, sein Äusseres, während man etwas Passendes auswählt, wie befriedigend wenn man fündig wird. Drei Paar Schuhe für mich selbst könnten meine empfundene Zufriedenheit beim Betrachten der heutigen Ausbeute für andere nicht überbieten.
Irgenwann hatte ich die Idee, Menschen aus meinem Bekanntenkreis zu beschenken, die aus den Ländern stammen, in die ich fliege. Das Projekt mit dem internen Arbeitstitel 'Fernweh-/Heimwehexpress' - so eine Art Import-Export für Gefühle - begann vielversprechend. Dier japanischen Ballettlehrerin brachte ich aus Tokio einen Glücksbringer und Seetang für Sushi mit. Obwohl wir uns nicht lange kannten, fiel sie mir freudig um den Hals. Ich ging um etliche Glückshormone und Erkältungsviren reicher heim. Während der dreiwöchigen Grippe beschloß ich, das Projekt zu modifizieren. Nicht wegen der Ansteckungsgefahr, sondern weil sich schlichtweg zu wenige Japaner, Chinesen und Brasilianer in meinem Bekanntenkreis befinden, und die japanische Ballettlehrerin - sie war im Anschluß sechs Wochen abwesend - möchte ich auch nicht zu sehr strapazieren. Jetzt beschränke ich mich eben auf die Menschen, die ich kenne.
Mit den Gaben sind plötzlich alle zukünftigen Besitzer da. Es wird ein wenig eng auf dem Bett, außerdem bin ich müde. Also packe ich alles endgültig weg. Das warme Gefühl aber bleibt und die Gewißheit, nicht alleine zu sein. Neben Zwangsneurosen ist auch eine ordentliche Wahnvorstellung manchmal ganz nützlich, vor allem, wenn man viel unterwegs und das Fernsehprogramm meistens schlecht ist. Angenehmer als fremde Fußnägel und Haare sind Perlen und Seidenstoff im Bett allemal.
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Mittwoch, 7. November 2007
Ha ha said the clown
frau klugscheisser, 13:38h
"Weißt du, wenn ich vor dem Tanzen etwas trinke, muss ich immer Pipi." Ursprünglich war ich mit ihr zum Kaffee verabredet, doch daraus wird heute nichts. Dabei hätte ich noch so viele Fragen. So treffen wir uns eben eine Stunde später zu gewohnter Zeit in der Tanzschule. Ihr Mann bringt sie jeden Tag hin und holt sie wieder ab, meistens mit einer Harley, bei Regen in einem Mercedeskombi mit dem Emblem des Zirkus Krone auf der Fahrertüre. Als ich nachfrage, erzählt sie mir ihre Geschichte.
Svetlana ist auf der Ballettschule in St. Petersburg und blutjung als der Anruf einer Freundin kommt. "Komm nach Moskau, wir brauchen dich hier." Der Russische Staatszirkus sucht zeitweise Ersatz für eine verletzte Artistin. Kurze Zeit später balanciert die zierliche Person auf riesigen Elefantenköpfen, macht Spagat zwischen Rüsseln und dreht Pirouetten im Sägemehl statt auf glatten Parkettböden. Am Ende gefällt es ihr so gut, dass sie bleibt. Der Zirkus wird für sie Familienersatz, Heimat und Abenteuer zugleich.
Auf einer Tournee in Ungarn trifft sie Bobby - einen österreichischen Gastartisten - und seine Schimpansen. Die beiden freunden sich an. Doch dann lernt sie die Schattenseiten des damaligen Regimes kennen. Ausgang nur in größeren Gruppen und unter Aufsicht eines Beauftragten der Staatssicherheit, keine persönlichen Kontakte zu Angehörigen anderer Nationalitäten. Svetlana und Bobby werden mißtrauisch beobachtet. Trotzdem fasst sie sich eines Tages ein Herz und spricht mit der Zirkusdirektorin. "Du kannst jederzeit zurückkommen", sagt diese am Ende und entlässt Svetlana in eine unsichere Zukunft. Für offizielle Seite ist die Artistin auf unbestimmte Zeit erkrankt. Man wird Ersatz aus St. Petersburg anfordern müssen.
In Österreich ist sie nicht sehr willkommen. Zunächst beantragt sie eine Aufenthaltsgenehmigung, die immer wieder verlängert werden muss. Man rät ihr, mit ihrem neugeborenen Sohn auf keinen Fall russisch zu sprechen. Selbst nach fünf Jahren im Land und einer Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen will man ihr immer noch keinen Paß ausstellen. Wieder fasst sie sich ein Herz und spricht im Konsulat vor. Der Botschafter meint, sie könne mit etwas körperlicher Zuwendung den Vorgang sicherlich beschleunigen. Beim nächsten Termin wird sie von Bobby begleitet. Mit zittrigen Händen strecken sie dem Herrn ihren Antrag und das Kuvert mit den Geldscheinen entgegen. Es ist viel Geld. So viel, dass der Botschafter auf die körperliche Zuwendung zugunsten der Scheine verzichtet.
"Und dann?"
"Dann habe ich meinen Pass bekommen", sagt sie und lächelt dabei stolz. Selbst nach so vielen Jahren zittert ihre Stimme, als sie dieses Erlebnis erzählt. Über das Angebot der Zirkusdirektorin habe sie nie ernsthaft nachgedacht. "Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich zurückgegangen wäre." Beide Eltern sind früh verstorben, Geschwister, die nach ihrer Flucht den Repressalien des Staates ausgesetzt gewesen wären, hat sie keine. Auch ihre neue Familie ist eine mit langer Zirkustradition. Die Ansässigen leben gemeinsam unter einem Dach, alle anderen reisen in Wohnanhängern durch die Welt.
Ich würde gerne noch viel mehr erfahren, doch das Knattern des Harleymotors kündigt das Ende unseres Gespräches an. "Wenn du möchtest, dann komm' uns im Zirkus besuchen. Mein Mann kann dir dort alles zeigen." Sie schlüpft in den Helm, steigt auf die Maschine und winkt zum Abschied. Ich stehe verloren mit meinem Fahrrad in der Einfahrt und lasse ihre Geschichte auf mich wirken. Eine Geschichte wie sie sicherlich viele damals erlebten und doch eine, die mich merkwürdig berührt. Die Einladung werde ich mir jedenfalls nicht entgehen lassen.
Svetlana ist auf der Ballettschule in St. Petersburg und blutjung als der Anruf einer Freundin kommt. "Komm nach Moskau, wir brauchen dich hier." Der Russische Staatszirkus sucht zeitweise Ersatz für eine verletzte Artistin. Kurze Zeit später balanciert die zierliche Person auf riesigen Elefantenköpfen, macht Spagat zwischen Rüsseln und dreht Pirouetten im Sägemehl statt auf glatten Parkettböden. Am Ende gefällt es ihr so gut, dass sie bleibt. Der Zirkus wird für sie Familienersatz, Heimat und Abenteuer zugleich.
Auf einer Tournee in Ungarn trifft sie Bobby - einen österreichischen Gastartisten - und seine Schimpansen. Die beiden freunden sich an. Doch dann lernt sie die Schattenseiten des damaligen Regimes kennen. Ausgang nur in größeren Gruppen und unter Aufsicht eines Beauftragten der Staatssicherheit, keine persönlichen Kontakte zu Angehörigen anderer Nationalitäten. Svetlana und Bobby werden mißtrauisch beobachtet. Trotzdem fasst sie sich eines Tages ein Herz und spricht mit der Zirkusdirektorin. "Du kannst jederzeit zurückkommen", sagt diese am Ende und entlässt Svetlana in eine unsichere Zukunft. Für offizielle Seite ist die Artistin auf unbestimmte Zeit erkrankt. Man wird Ersatz aus St. Petersburg anfordern müssen.
In Österreich ist sie nicht sehr willkommen. Zunächst beantragt sie eine Aufenthaltsgenehmigung, die immer wieder verlängert werden muss. Man rät ihr, mit ihrem neugeborenen Sohn auf keinen Fall russisch zu sprechen. Selbst nach fünf Jahren im Land und einer Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen will man ihr immer noch keinen Paß ausstellen. Wieder fasst sie sich ein Herz und spricht im Konsulat vor. Der Botschafter meint, sie könne mit etwas körperlicher Zuwendung den Vorgang sicherlich beschleunigen. Beim nächsten Termin wird sie von Bobby begleitet. Mit zittrigen Händen strecken sie dem Herrn ihren Antrag und das Kuvert mit den Geldscheinen entgegen. Es ist viel Geld. So viel, dass der Botschafter auf die körperliche Zuwendung zugunsten der Scheine verzichtet.
"Und dann?"
"Dann habe ich meinen Pass bekommen", sagt sie und lächelt dabei stolz. Selbst nach so vielen Jahren zittert ihre Stimme, als sie dieses Erlebnis erzählt. Über das Angebot der Zirkusdirektorin habe sie nie ernsthaft nachgedacht. "Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich zurückgegangen wäre." Beide Eltern sind früh verstorben, Geschwister, die nach ihrer Flucht den Repressalien des Staates ausgesetzt gewesen wären, hat sie keine. Auch ihre neue Familie ist eine mit langer Zirkustradition. Die Ansässigen leben gemeinsam unter einem Dach, alle anderen reisen in Wohnanhängern durch die Welt.
Ich würde gerne noch viel mehr erfahren, doch das Knattern des Harleymotors kündigt das Ende unseres Gespräches an. "Wenn du möchtest, dann komm' uns im Zirkus besuchen. Mein Mann kann dir dort alles zeigen." Sie schlüpft in den Helm, steigt auf die Maschine und winkt zum Abschied. Ich stehe verloren mit meinem Fahrrad in der Einfahrt und lasse ihre Geschichte auf mich wirken. Eine Geschichte wie sie sicherlich viele damals erlebten und doch eine, die mich merkwürdig berührt. Die Einladung werde ich mir jedenfalls nicht entgehen lassen.
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Mittwoch, 31. Oktober 2007
Taste of India
frau klugscheisser, 20:07h
Hinter mir liegt ein Nachtflug und die Augen wehren sich noch gegen die Sonne. Trotzdem starre ich angestrengt aus dem Bus. Manches von dem, was ich sehe, möchte ich in Bildern festhalten. Bunte wehende Saris der Frauen, die auf Mopeds und Fahrrädern hinten elegant im Damensitz balancieren. Alte englische Taxis, die in vier Reihen nebeneinander auf einer dreispurigen Straße fahren. Schulkinder, eingepfercht in schrottreife Fahrzeuge. Kühe, die den Mittelstreifen nach letzten Grashalmen absuchen. Doch da ist auch immer wieder diese Armut, die mich innehalten läßt. Menschen, die mit einem Stück Wellpappe bedeckt am Straßenrand schlafen. Bettelnde Kinder und Alte, mit nichts als ihrer Kleidung am Körper. Selbst ein Stück Pappe bedeutet hier schon Reichtum. Langsam steigt Übelkeit in mir auf. Ich lasse das Fotohandy sinken. Den Blick kann ich nicht abwenden. Wie ein Film zieht die Kulisse im fahrenden Bus an mir vorbei. Könnte ich doch nur behaupten, es wäre nicht wirklich.
Da fällt mein Blick auf einen handbemalten Wassertankwagen. Wer wird sich diesen Service leisten können? Die Armen trinken aus Kloaken. Reiche haben ihr eigenes Wassersystem. 'Horn please' lese ich auf der Rückseite des Tanks. Ob das nun bedeutet, man hupt, will man den Service in Anspruch nehmen oder um zu überholen, kann ich beim Vorbeifahren nicht genau erkennen. Gehupt wird sowieso andauernd. Eine Hupe ersetzt hier oft den fehlenden Blinker. Man hupt vorsorglich aber zu jeder erdenklichen Gelegenheit. Hupen als Kommunikationssurrogat.
Der Bus hält vor einem Luxushotel. Eine dreispurige Straße trennt das Märchenland vom Elend der Wirklichkeit. Beim Überqueren folgen uns bettelnde Kinder. Sie strecken uns die staubigen kleinen Hände entgegen und weichen nicht von unserer Seite. Am liebsten würde ich ihnen alles geben was ich habe, tu es aber dann doch nicht. Stattdessen schließe ich die Augen. Das Geräusch der nackten Füße begleitet uns durch die Unterführung. Sie lassen sich genauso wenig abschütteln wie die Bilder in meinem Kopf. Beissender Uringeruch steigt mir in die Nase. Die Behauptung Indien rieche nach Gewürzen, ist olfaktorisches Wunschdenken. An jeder Straßenecke häuft sich Abfall, daneben schlafende Menschen.
Wir sind auf dem Weg zum Schneider, der Lederbekleidung anfertigt. Die Kolleginnen haben es eilig, denn danach steht eine Massage, eine Maniküre und eine Pediküre auf dem Programm. Der Gebäudekomplex besteht aus vielen kleinen Läden, in denen Händler ihr Handwerk anbieten. Man hat bereits in den frühen Morgenstunden geöffnet, denn die Kundschaft - allesamt Angestellte diverser Luftfahrtunternehmen, die im Hotel gegenüber nächtigen - bleibt jeweils nur einen Tag. So begrüßt uns ein dunkler Inder mit Turban vor seinem Laden und führt uns in ein kleines Hinterzimmer. Das Leder türmt sich um eine abgewetzte Couch, auf der wir Platz nehmen. Jede trägt nacheinander ihre Wünsche vor, sucht passendes Leder aus, wird vermessen und handelt schließlich einen Preis aus. Alle Einwände und Zweifel schmettert der Geschäftsmann mit den Worten 'I make quality' ab. Schließlich wolle er, dass seine Kunden wiederkommen. Dann deutet er auf die Wand mit Fotos von fröhlich grinsenden Kolleginnen. Sie alle seien mit den Anfertigungen zufrieden gewesen.
Beim Verlassen des Ladens schlägt mir wieder dieser Geruch von Elend und Verwesung entgegen. Ich flüchte schnell in meine kleine Oase über die Straße. Ein schlechter Tag für die Bettler. Auch für die Kollegin ist heute ein schlechter Tag. Als wir uns am Pool die Sonne auf die Bäuche scheinen lassen, jammert sie, sie hätte keinen Massagetermin mehr bekommen. Ich weiß, dass auf der anderen Seite der Mauer Menschen am Straßenrand krepieren, während ein Bediensteter mit weißen Handschuhen Cocktails an unseren Liegen anreicht. Hunger beschehrt denen Magenkrämpfe, die auf der falschen Seite der Mauer sitzen, während die Kollegin mit einer leichten Verspannung in der Schulterpartie kämpft. Die Diskrepanz lässt mich schaudern. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr dreht sich alles in mir. Wieder schließe ich die Augen wie ein Kind, das sich auf diese Weise unsichtbar glaubt. Ich weiß, ich bin trotzdem da, am Pool, im Luxushotel. Ich gehöre zu den Privilegierten, deren größte Sorge der Zustand ihrer Fingernägel ist. Ich kann mich nicht wegdenken, nicht ausnehmen. Ich bin nicht besser als sie, die sich um eine verpasste Massage grämt und dennoch gehöre ich in diesem Land zu den besseren Leuten.
Abends liefert der Schneider die fertige Ware ins Hotel. Ohne Vorlage oder konkrete Angaben ist die Jacke wunderschön geworden. Ich bedanke mich in überschwänglichen Worten. Am liebsten würde ich diese Nacht darin schlafen. Das Leder verströmt einen eigenen Geruch im Zimmer. Ein typischer Ledergeruch, doch mich erinnert er zunehmend an Delhis Straßenränder. Als ich die Augen schließe sind sie wieder da, die bettelnden Kinder. Zottelig und in zerfetzter Kleidung hüpfen sie vor mir her. Ich zucke kurz, drehe mich zur anderen Seite und ziehe energisch die Decke über die Schulter. Die laufende Klimaanlage brummt mich in den Schlaf. Es ist der Schlaf der Ignoranten. Ein tiefer Schlaf hinter hohen Mauern im Märchenland, ein guter Schlaf.
Am nächsten Morgen bringt uns der Bus zurück zum Flughafen. Noch einmal sehe ich Menschen am Straßenrand liegen, andere Abfallhaufen nach Eßbarem durchstöbern und dürre Rinder gemächlich die Straßen überqueren. Ich sehe Menschen vor ihren fragilen Wellblechbehausungen sitzen und Kinder, die an Ampeln Plastikspielzeug aus ihren Tüten zücken und den Fahrzeuginsassen zum Verkauf anbieten. Ich weiß, ich bin bald zu Hause. Dann werde ich meinen Koffer auspacken, die Lederjacke aufhängen und mir Gedanken um den nächsten Dienstplan machen. Ich werde an Weihnachten denken und daran, dass ich keine Pläne für Silvester habe. Ich werde mir wieder Sorgen machen, wenn die Jeans kneift und darüber, dass mein Computer nicht so funktioniert wie er sollte. Nur manchmal werde ich beim Vorbeigehen an der Garderobe ein wenig schnuppern und mich an die Bilder erinnern, an die Eindrücke aus einem fernen Land, dessen Armut inzwischen ebenfalls in unwirkliche Ferne gerückt ist. Ich weiß, dass ich nicht besser bin aber manchmal wäre ich es gerne.
Da fällt mein Blick auf einen handbemalten Wassertankwagen. Wer wird sich diesen Service leisten können? Die Armen trinken aus Kloaken. Reiche haben ihr eigenes Wassersystem. 'Horn please' lese ich auf der Rückseite des Tanks. Ob das nun bedeutet, man hupt, will man den Service in Anspruch nehmen oder um zu überholen, kann ich beim Vorbeifahren nicht genau erkennen. Gehupt wird sowieso andauernd. Eine Hupe ersetzt hier oft den fehlenden Blinker. Man hupt vorsorglich aber zu jeder erdenklichen Gelegenheit. Hupen als Kommunikationssurrogat.
Der Bus hält vor einem Luxushotel. Eine dreispurige Straße trennt das Märchenland vom Elend der Wirklichkeit. Beim Überqueren folgen uns bettelnde Kinder. Sie strecken uns die staubigen kleinen Hände entgegen und weichen nicht von unserer Seite. Am liebsten würde ich ihnen alles geben was ich habe, tu es aber dann doch nicht. Stattdessen schließe ich die Augen. Das Geräusch der nackten Füße begleitet uns durch die Unterführung. Sie lassen sich genauso wenig abschütteln wie die Bilder in meinem Kopf. Beissender Uringeruch steigt mir in die Nase. Die Behauptung Indien rieche nach Gewürzen, ist olfaktorisches Wunschdenken. An jeder Straßenecke häuft sich Abfall, daneben schlafende Menschen.
Wir sind auf dem Weg zum Schneider, der Lederbekleidung anfertigt. Die Kolleginnen haben es eilig, denn danach steht eine Massage, eine Maniküre und eine Pediküre auf dem Programm. Der Gebäudekomplex besteht aus vielen kleinen Läden, in denen Händler ihr Handwerk anbieten. Man hat bereits in den frühen Morgenstunden geöffnet, denn die Kundschaft - allesamt Angestellte diverser Luftfahrtunternehmen, die im Hotel gegenüber nächtigen - bleibt jeweils nur einen Tag. So begrüßt uns ein dunkler Inder mit Turban vor seinem Laden und führt uns in ein kleines Hinterzimmer. Das Leder türmt sich um eine abgewetzte Couch, auf der wir Platz nehmen. Jede trägt nacheinander ihre Wünsche vor, sucht passendes Leder aus, wird vermessen und handelt schließlich einen Preis aus. Alle Einwände und Zweifel schmettert der Geschäftsmann mit den Worten 'I make quality' ab. Schließlich wolle er, dass seine Kunden wiederkommen. Dann deutet er auf die Wand mit Fotos von fröhlich grinsenden Kolleginnen. Sie alle seien mit den Anfertigungen zufrieden gewesen.
Beim Verlassen des Ladens schlägt mir wieder dieser Geruch von Elend und Verwesung entgegen. Ich flüchte schnell in meine kleine Oase über die Straße. Ein schlechter Tag für die Bettler. Auch für die Kollegin ist heute ein schlechter Tag. Als wir uns am Pool die Sonne auf die Bäuche scheinen lassen, jammert sie, sie hätte keinen Massagetermin mehr bekommen. Ich weiß, dass auf der anderen Seite der Mauer Menschen am Straßenrand krepieren, während ein Bediensteter mit weißen Handschuhen Cocktails an unseren Liegen anreicht. Hunger beschehrt denen Magenkrämpfe, die auf der falschen Seite der Mauer sitzen, während die Kollegin mit einer leichten Verspannung in der Schulterpartie kämpft. Die Diskrepanz lässt mich schaudern. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr dreht sich alles in mir. Wieder schließe ich die Augen wie ein Kind, das sich auf diese Weise unsichtbar glaubt. Ich weiß, ich bin trotzdem da, am Pool, im Luxushotel. Ich gehöre zu den Privilegierten, deren größte Sorge der Zustand ihrer Fingernägel ist. Ich kann mich nicht wegdenken, nicht ausnehmen. Ich bin nicht besser als sie, die sich um eine verpasste Massage grämt und dennoch gehöre ich in diesem Land zu den besseren Leuten.
Abends liefert der Schneider die fertige Ware ins Hotel. Ohne Vorlage oder konkrete Angaben ist die Jacke wunderschön geworden. Ich bedanke mich in überschwänglichen Worten. Am liebsten würde ich diese Nacht darin schlafen. Das Leder verströmt einen eigenen Geruch im Zimmer. Ein typischer Ledergeruch, doch mich erinnert er zunehmend an Delhis Straßenränder. Als ich die Augen schließe sind sie wieder da, die bettelnden Kinder. Zottelig und in zerfetzter Kleidung hüpfen sie vor mir her. Ich zucke kurz, drehe mich zur anderen Seite und ziehe energisch die Decke über die Schulter. Die laufende Klimaanlage brummt mich in den Schlaf. Es ist der Schlaf der Ignoranten. Ein tiefer Schlaf hinter hohen Mauern im Märchenland, ein guter Schlaf.
Am nächsten Morgen bringt uns der Bus zurück zum Flughafen. Noch einmal sehe ich Menschen am Straßenrand liegen, andere Abfallhaufen nach Eßbarem durchstöbern und dürre Rinder gemächlich die Straßen überqueren. Ich sehe Menschen vor ihren fragilen Wellblechbehausungen sitzen und Kinder, die an Ampeln Plastikspielzeug aus ihren Tüten zücken und den Fahrzeuginsassen zum Verkauf anbieten. Ich weiß, ich bin bald zu Hause. Dann werde ich meinen Koffer auspacken, die Lederjacke aufhängen und mir Gedanken um den nächsten Dienstplan machen. Ich werde an Weihnachten denken und daran, dass ich keine Pläne für Silvester habe. Ich werde mir wieder Sorgen machen, wenn die Jeans kneift und darüber, dass mein Computer nicht so funktioniert wie er sollte. Nur manchmal werde ich beim Vorbeigehen an der Garderobe ein wenig schnuppern und mich an die Bilder erinnern, an die Eindrücke aus einem fernen Land, dessen Armut inzwischen ebenfalls in unwirkliche Ferne gerückt ist. Ich weiß, dass ich nicht besser bin aber manchmal wäre ich es gerne.
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Mittwoch, 5. September 2007
Pleased to meet you
frau klugscheisser, 03:03h
Das schöne an Blogs ist die Tatsache, dass da echte Menschen dahinterstecken. Wenn ich brilliante, geistreiche, anrührende, humorvolle und beknienswerte Texte anderer Blogger lese, stelle ich mir die Menschen dahinter immer brilliant, geistreich, humorvoll und beknienswert schön vor. Solche Menschen will ich dann auch persönlich treffen. Mein Arbeitgeber schickt mich in fremde Städte, in denen diese Menschen wohnen. Was liegt da näher, als Hobby mit Beruf zu verbinden? Ich nenne es Bloggertourismus, wenn ich in Hamburg mit Herrn Kid ins Glas philosophiere oder auf einen Sprung beim Opa vorbei schaue. Leider will sich mit mir niemand in Tokio, New York oder Shanghai treffen, und selbst die deutschen Städte sind noch längst nicht alle abgedeckt.
In Köln wohnt Frau Applebum, die ich am Wochenende ganz kurz vor ihrem täglichen Training im Studio besuche. Meine Zeit lässt keinen gemeinsamen Kaffee mehr zu, aber immerhin kann ich einen kurzen Blick auf anmutige Profibewegungen erhaschen. Dann musst ich zurück ins Hotel, vor dem sich an diesem Tag eine riesige Menschentraube versammelt hat. Nervös kichernde Teenies, gestylte Jungs, einige Bierbauchschieber, dazwischen ein paar Mütter mit ihren Sprößlingen. Was aussieht wie die Kreuzung aus Fans von Tokio Hotel und den Wildecker Herzbuben, entpuppt sich als Castingteilnehmer für DSDS. Ihr gemeinsamer Traum ist es, einmal vor versammelter Mannschaft von Bohlen verhöhnt zu werden. Anders kann ich es mir nicht erklären. "Alles Loser" bemerkt der Kollege mehrmals gut hörbar beim Verlassen des Hotels. In der Tat klingt seine Kostprobe vom kleinen grünen Kaktus in der Lobby sehr apart [die Trolleydollys wurden leider so kurzfristig nicht zum Casting zugelassen] und allemal besser als das, was sich hinter verschlossener Türe im sechsten Stock abspielt. Auf diesem Stockwerk befindet sich zufällig auch mein Zimmer. So werde ich unfreiwillig Zeuge, wie die nichtssagenden Schäfchen einzeln zum Schafott geführt werden. "Was sind denn deine Hobbies?" fragt die Assistentin einen der Teilnehmer auf dem Weg. "Fußball und Fahrrad" antwortet er leise. "Und sonst?" Langes Schweigen. Ob er seine Stimme kurz darauf wiedergefunden hat, erfahre ich nicht mehr. Einen Kameraassistenten treffe ich zufällig im Lift, der sich nur bei gültiger Zimmerkarte, nämlich meiner, in Bewegung setzt. In einem kurzen Gespräch erfahre ich, dass diese Art Sendungen nicht nur für mich der Alptraum schlechthin sind. Wenigstens wird er dafür bezahlt. Alle anderen bezahlen an die GEZ.
"Wenigstens haste was zum bloggen" meint Frau Applebum zum Schluß. Muss man ja auch für dankbar sein. Nächstes Mal habe ich hoffentlich mehr Zeit. Vielleicht sogar für ein Training. In der offenen Ballettstunde hätte ich mir sogar zugetraut mitzumachen. Dann aber nicht gerade neben Frau Applebum, denn da käme ich mir eher vor wie ein Duplikat der Wildecker Herzbuben beim Casting zu DSDS.
In Köln wohnt Frau Applebum, die ich am Wochenende ganz kurz vor ihrem täglichen Training im Studio besuche. Meine Zeit lässt keinen gemeinsamen Kaffee mehr zu, aber immerhin kann ich einen kurzen Blick auf anmutige Profibewegungen erhaschen. Dann musst ich zurück ins Hotel, vor dem sich an diesem Tag eine riesige Menschentraube versammelt hat. Nervös kichernde Teenies, gestylte Jungs, einige Bierbauchschieber, dazwischen ein paar Mütter mit ihren Sprößlingen. Was aussieht wie die Kreuzung aus Fans von Tokio Hotel und den Wildecker Herzbuben, entpuppt sich als Castingteilnehmer für DSDS. Ihr gemeinsamer Traum ist es, einmal vor versammelter Mannschaft von Bohlen verhöhnt zu werden. Anders kann ich es mir nicht erklären. "Alles Loser" bemerkt der Kollege mehrmals gut hörbar beim Verlassen des Hotels. In der Tat klingt seine Kostprobe vom kleinen grünen Kaktus in der Lobby sehr apart [die Trolleydollys wurden leider so kurzfristig nicht zum Casting zugelassen] und allemal besser als das, was sich hinter verschlossener Türe im sechsten Stock abspielt. Auf diesem Stockwerk befindet sich zufällig auch mein Zimmer. So werde ich unfreiwillig Zeuge, wie die nichtssagenden Schäfchen einzeln zum Schafott geführt werden. "Was sind denn deine Hobbies?" fragt die Assistentin einen der Teilnehmer auf dem Weg. "Fußball und Fahrrad" antwortet er leise. "Und sonst?" Langes Schweigen. Ob er seine Stimme kurz darauf wiedergefunden hat, erfahre ich nicht mehr. Einen Kameraassistenten treffe ich zufällig im Lift, der sich nur bei gültiger Zimmerkarte, nämlich meiner, in Bewegung setzt. In einem kurzen Gespräch erfahre ich, dass diese Art Sendungen nicht nur für mich der Alptraum schlechthin sind. Wenigstens wird er dafür bezahlt. Alle anderen bezahlen an die GEZ.
"Wenigstens haste was zum bloggen" meint Frau Applebum zum Schluß. Muss man ja auch für dankbar sein. Nächstes Mal habe ich hoffentlich mehr Zeit. Vielleicht sogar für ein Training. In der offenen Ballettstunde hätte ich mir sogar zugetraut mitzumachen. Dann aber nicht gerade neben Frau Applebum, denn da käme ich mir eher vor wie ein Duplikat der Wildecker Herzbuben beim Casting zu DSDS.
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