Freitag, 31. August 2007
Let's get lost
frau klugscheisser, 01:42h
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass all meine Ratschläge auf persönlichen Erfahrungen basieren? Nein? Nun, all meine Ratschläge basieren auf persönlichen Erfahrungen. Die letzte Erfahrung ist noch ziemlich frisch.
Nach einem langen, anstrengenden Flug und einem kurzen, nicht minder anstrengenden Kleiderwechsel (remember: nach Langstreckenflügen passen nur Stretchhosen oder Umstandskleidung) stehe ich wieder in der Hotellobby. Ich bin das erste Mal in Denver im Layover. Der denvererprobte Kollege kennt sich aus und darüber hinaus noch einen Buchladen ganz in der Nähe. Auf meiner Liste steht EIN ganz bestimmtes Buch, ein Geschenk für eine Freundin. Wir schlagen den Weg Richtung Shoppingmall ein. Fünf Stunden, fünf Bücher, ein Paar Laufschuhe und zwei Wasserblasen später erreiche ich völlig erschöpft den Hoteleingang. Der Kollege sitzt davor auf dem Raucherbänkchen (nur Nichtraucherzimmer) und grinst mich an. "Wo kommst Du denn jetzt her?" Das wüsste ich auch nur zu gerne. Was ist passiert?
Während wir die Straßen entlanglaufen, entspinnt sich ein Gespräch mittleren Anforderungsgrades. Irgendwann erreichen wir den Buchladen, wo sich unsere Wege trennen. Ich versacke langsam aber sicher zwischen den Regalen 'fiction' und 'self-improvement'. Die drei Bücher, die ich während der ersten zehn Minuten meines Aufenthaltes unter den Arm klemme, liegen eine Stunde später vor mir auf dem Tisch, an dem ich lesend sitze. Zwei Stunden später schleppe ich den Stapel an die Kasse (Abteilung 'self-discipline') und zahle. Der Kassierer fragt, ob ich eine Mitgliedskarte möchte. Ich möchte lieber keine, die kostet nämlich 10$ und würde mein Schwabengen zu einem weiteren Rundgang zwingen. Nebenbei lässt er eine Bemerkung über den Titel eines meiner Bücher fallen ('how to dance forever' oh that's a wonderful title, I'd like to play tennis forever - I have a hint for you: tape it on video, haha! Wie wir von hier allerdings zum Kuhmist kamen, den sich alle von Haarausfall betroffenen Männer auf den Kopf schmieren würden falls es hülfe [sic!], kann ich nicht mehr genau nachvollziehen). Mission mehr als beendet, Rückzug empfohlen.
Auf dem Rückweg komme ich am Laden eines Markenhändlers für Sportartikel vorbei. Wollte ich nicht schon immer mal Laufschuhe? Nicht dass ich Laufen würde, aber wenn ich solche Schuhe hätte, könnte ich damit ja anfangen. Life's all about possibilities. Und ich denke noch 'Frau Klugscheisser' denke ich, 'geh' da jetzt nicht rein!' Da sitze ich schon im zweiten Stock mit einem nagelneuen Laufschuh am rechten und einem ausgelatschten Treter am linken Fuß. 'Kann ich ja wenigstens mal anprobieren' denke ich, denn das Geld reicht höchstens noch für einen Schuh. Denke ich. Die Verkäuferin schaut betreten weg als ich es zähle. Dann bringt sie den zweiten. Auf einem kann man nicht stehen. Sie lacht verunsichert über meine Ausführungen, wie ungemein häßlich ich Laufschuhe im Allgemeinen finde, und ziemlich erleichtert, als ich nach der dritten Runde auf der Treppe nach unten winkend verschwinde. Sie winkt nicht zurück. Einer ihrer Arme deutet ausgestreckt Richtung Treppe, während der andere die Puppe umklammert, die ich auf der zweiten Runde anstieß.
Die Fußgängerzone in Denver heißt 16th Street shopping mall und sieht genauso aus wie die Königsstraße in Stuttgart. Nur fährt in Stuttgart kein Bus durch. Sonst wär's ja auch keine Fußgängerzone. Denke ich noch, bevor ich unter wütendem Hupen zur Seite springe. An der dritten Kreuzung weiß ich nicht mehr genau wo ich bin bzw. ob ich hier überhaupt schon mal war. Normalerweise merke ich mir einen Laden an der Ecke oder ein Straßenschild beim Hinweg. Hab' ich beim Tauchen gelernt. Zu Beginn immer eine Besonderheit unter Wasser merken. Normalerweise halte ich aber auch keine hochtrabenden Selbstgespräche. Die Straßennamen habe ich nie zuvor gehört. In meiner Tasche befinden sich Kärtchen mit Hoteladressen von Sao Paulo, Shanghai und eine Straßenkarte von San Francisco, ein U-Bahn Plan von Tokio und ein altes Ticket von der New Yorker Subway, kein Plan von Denver, keine Hoteladresse von Denver, nichts. Ich beschließe, solange zu laufen, bis mir etwas bekannt vorkommt. An der nächsten Ecke erkenne ich ein Café und biege rechts ab.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass Schnellimbißketten und Starbucks überall auf der Welt gleich aussehen? Nicht? Nun, alle Starbucks- und Schnellimbißketten sehen überall auf der Welt ziemlich gleich aus. Das nennt man Wiedererkennungswert. 'Kein Problem', denke ich 'kann ja jemanden fragen'. Denke ich. Bis mir klar wird, dass ich nicht mal weiß, in welchem Hotel ich mich so schnell umgezogen habe. Das aufkommende Gefühl der Panik bekämpfen, indem man sich auf Handlungsoptionen besinnt. Hab' ich beim Tauchen gelernt. Keine Adresse, keine Orientierung, kein Geld, keine Ahnung. Jetzt ruhig atmen und immer in Bewegung bleiben. Das ist die einzige Option, die mir einfällt.
Als ich den breit grinsenden Kollegen erkenne, bin ich ziemlich erleichtert. Und ziemlich kaputt. Genau genommen bin ich seine Vorgesetzte. 'Och, ich habe einen ausgiebigen Spaziergang gemacht, damit ich gut schlafen kann' denke ich auf seine Frage. In einer Führungsposition sollte man Fehler nicht ohne weiteres zugeben. Das reduziert Vertrauen. Hab' ich beim Tauchen gelernt. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich den Job als Tauchlehrer geschmissen habe? Nicht? Nun, der Tauchlehrerjob ist passé. Und Pfadfinder wollte ich sowieso nie werden. Mannmannmann, lost in einer rechtwinkeligen Stadt. Die Sache mit dem A380 könnte für mich zur echten Herausforderung werden.
Nach einem langen, anstrengenden Flug und einem kurzen, nicht minder anstrengenden Kleiderwechsel (remember: nach Langstreckenflügen passen nur Stretchhosen oder Umstandskleidung) stehe ich wieder in der Hotellobby. Ich bin das erste Mal in Denver im Layover. Der denvererprobte Kollege kennt sich aus und darüber hinaus noch einen Buchladen ganz in der Nähe. Auf meiner Liste steht EIN ganz bestimmtes Buch, ein Geschenk für eine Freundin. Wir schlagen den Weg Richtung Shoppingmall ein. Fünf Stunden, fünf Bücher, ein Paar Laufschuhe und zwei Wasserblasen später erreiche ich völlig erschöpft den Hoteleingang. Der Kollege sitzt davor auf dem Raucherbänkchen (nur Nichtraucherzimmer) und grinst mich an. "Wo kommst Du denn jetzt her?" Das wüsste ich auch nur zu gerne. Was ist passiert?
Während wir die Straßen entlanglaufen, entspinnt sich ein Gespräch mittleren Anforderungsgrades. Irgendwann erreichen wir den Buchladen, wo sich unsere Wege trennen. Ich versacke langsam aber sicher zwischen den Regalen 'fiction' und 'self-improvement'. Die drei Bücher, die ich während der ersten zehn Minuten meines Aufenthaltes unter den Arm klemme, liegen eine Stunde später vor mir auf dem Tisch, an dem ich lesend sitze. Zwei Stunden später schleppe ich den Stapel an die Kasse (Abteilung 'self-discipline') und zahle. Der Kassierer fragt, ob ich eine Mitgliedskarte möchte. Ich möchte lieber keine, die kostet nämlich 10$ und würde mein Schwabengen zu einem weiteren Rundgang zwingen. Nebenbei lässt er eine Bemerkung über den Titel eines meiner Bücher fallen ('how to dance forever' oh that's a wonderful title, I'd like to play tennis forever - I have a hint for you: tape it on video, haha! Wie wir von hier allerdings zum Kuhmist kamen, den sich alle von Haarausfall betroffenen Männer auf den Kopf schmieren würden falls es hülfe [sic!], kann ich nicht mehr genau nachvollziehen). Mission mehr als beendet, Rückzug empfohlen.
Auf dem Rückweg komme ich am Laden eines Markenhändlers für Sportartikel vorbei. Wollte ich nicht schon immer mal Laufschuhe? Nicht dass ich Laufen würde, aber wenn ich solche Schuhe hätte, könnte ich damit ja anfangen. Life's all about possibilities. Und ich denke noch 'Frau Klugscheisser' denke ich, 'geh' da jetzt nicht rein!' Da sitze ich schon im zweiten Stock mit einem nagelneuen Laufschuh am rechten und einem ausgelatschten Treter am linken Fuß. 'Kann ich ja wenigstens mal anprobieren' denke ich, denn das Geld reicht höchstens noch für einen Schuh. Denke ich. Die Verkäuferin schaut betreten weg als ich es zähle. Dann bringt sie den zweiten. Auf einem kann man nicht stehen. Sie lacht verunsichert über meine Ausführungen, wie ungemein häßlich ich Laufschuhe im Allgemeinen finde, und ziemlich erleichtert, als ich nach der dritten Runde auf der Treppe nach unten winkend verschwinde. Sie winkt nicht zurück. Einer ihrer Arme deutet ausgestreckt Richtung Treppe, während der andere die Puppe umklammert, die ich auf der zweiten Runde anstieß.
Die Fußgängerzone in Denver heißt 16th Street shopping mall und sieht genauso aus wie die Königsstraße in Stuttgart. Nur fährt in Stuttgart kein Bus durch. Sonst wär's ja auch keine Fußgängerzone. Denke ich noch, bevor ich unter wütendem Hupen zur Seite springe. An der dritten Kreuzung weiß ich nicht mehr genau wo ich bin bzw. ob ich hier überhaupt schon mal war. Normalerweise merke ich mir einen Laden an der Ecke oder ein Straßenschild beim Hinweg. Hab' ich beim Tauchen gelernt. Zu Beginn immer eine Besonderheit unter Wasser merken. Normalerweise halte ich aber auch keine hochtrabenden Selbstgespräche. Die Straßennamen habe ich nie zuvor gehört. In meiner Tasche befinden sich Kärtchen mit Hoteladressen von Sao Paulo, Shanghai und eine Straßenkarte von San Francisco, ein U-Bahn Plan von Tokio und ein altes Ticket von der New Yorker Subway, kein Plan von Denver, keine Hoteladresse von Denver, nichts. Ich beschließe, solange zu laufen, bis mir etwas bekannt vorkommt. An der nächsten Ecke erkenne ich ein Café und biege rechts ab.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass Schnellimbißketten und Starbucks überall auf der Welt gleich aussehen? Nicht? Nun, alle Starbucks- und Schnellimbißketten sehen überall auf der Welt ziemlich gleich aus. Das nennt man Wiedererkennungswert. 'Kein Problem', denke ich 'kann ja jemanden fragen'. Denke ich. Bis mir klar wird, dass ich nicht mal weiß, in welchem Hotel ich mich so schnell umgezogen habe. Das aufkommende Gefühl der Panik bekämpfen, indem man sich auf Handlungsoptionen besinnt. Hab' ich beim Tauchen gelernt. Keine Adresse, keine Orientierung, kein Geld, keine Ahnung. Jetzt ruhig atmen und immer in Bewegung bleiben. Das ist die einzige Option, die mir einfällt.
Als ich den breit grinsenden Kollegen erkenne, bin ich ziemlich erleichtert. Und ziemlich kaputt. Genau genommen bin ich seine Vorgesetzte. 'Och, ich habe einen ausgiebigen Spaziergang gemacht, damit ich gut schlafen kann' denke ich auf seine Frage. In einer Führungsposition sollte man Fehler nicht ohne weiteres zugeben. Das reduziert Vertrauen. Hab' ich beim Tauchen gelernt. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich den Job als Tauchlehrer geschmissen habe? Nicht? Nun, der Tauchlehrerjob ist passé. Und Pfadfinder wollte ich sowieso nie werden. Mannmannmann, lost in einer rechtwinkeligen Stadt. Die Sache mit dem A380 könnte für mich zur echten Herausforderung werden.
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Mittwoch, 11. April 2007
Big in Japan (2)
frau klugscheisser, 02:25h
Auf der Suche nach den Glücksutensilien mache ich mich morgens auf den Weg zum Tempel. Am Bahnhof wartet die erste Hürde in Form des Fahrkartenautomaten. Ich weiß, ich muss zur Station Asakusa und auf dem Weg in der U-Bahn zweimal umsteigen, was mir angesichts der japanischen Beschriftung des Bahnnetzes jedoch wenig nützt. Der Automat zeigt verschiedene Fahrpreise in arabischen Lettern an und die Regel lautet: wenn du den korrekten Fahrpreis nicht kennst, löse das billigste Ticket. Nachzahlungen sind an der nächsten Station kein Problem. Nachdem ich also das billigste Ticket erworben habe, will ich die Schranke am Eingang passieren, doch weiß ich nicht, in welchen Schlitz ich es stecken soll, zumal in englischsprachigen Nahverkehrsbroschüren eindrücklich vor dem Verlust der Fahrkarte gewarnt wird. Wenn ich sie also in irgendeine Öffnung stecke und sie nicht mehr herauskommt, habe ich verloren. Keiner der Beamten am Nachzahlschalter spricht englisch, doch ist einer so freundlich, seine Glasbehausung zu verlassen, um das Ticket der doofen Touristin in die richtige Öffnung einzuführen. Während ich auf den Zug warte, zähle ich die Stationen bis zum ersten Wechsel. Es sind genau 11. Meistens steht der Name der jeweiligen Station auch auf englisch ausgeschrieben, doch sicher ist sicher.
Als ich mich im Zug setzen will, stoße ich mit dem Kopf an die herabhängenden Haltegriffe. Auf dem Hinflug meinte mein ca. 1.60 großer Kollege, er sei gerne in Japan, weil er sich da endlich mal richtig groß fühlen könne. Ich bin überrascht, wie leer der Zug ist, kennt man doch die Berichte von Bahnbeamten, die Menschentrauben zusammenquetschen, damit sich die Türen schließen können. Auf der Fahrt sehe ich einen Park mit blühenden Kirschbäumen. Selbst die Japanerin, die mir gegenüber sitzt, dreht sich um, um den Anblick zu bestaunen. In zartem rosa und weiß heben sich die Blüten gegen die triste Industrielandschaft ab. In einem Seminar sagte einst die Dozentin, wolle man sich dieser fremdartigen Kultur mit all ihren Diskrepanzen zur Neuzeit nähern, so könne man dies am Besten über die Ästhetik. So langsam begreife ich, was sie damit meinte. Kirschbäume - auch blühende - habe ich in meinem Leben viele gesehen, doch niemals in solcher Fragilität. Hier werden sie liebevoll gestutzt, getrimmt und in Form gebracht, wie man es mit allen Pflanzen macht. Man erinnere sich nur an die aufwendige Bonsaipflege und die Kunst des Ikebana.
Je näher ich meiner endgültigen Destination komme, umso bunter mischen sich ausländische Fahrgäste mit Einheimischen. Viele japanische Frauen tragen Kimonos. Es ist Samstag und die Straßen jetzt schon ziemlich voll. Japanische Trachten wie Dirndl zur Oktoberfestzeit soweit das Auge reicht. Um zum Tempel zu gelangen muss man sich durch eine enge Gasse zwängen, die von Ramschläden und Imbißbuden gesäumt wird. Selbst auf der linken Seite komme ich nur schleichend voran. Schließlich erreiche ich das Ende der Budengasse. In einem großen Trog qualmen bündelweise Räucherstäbchen. Die Menschen drumherum fächeln sich den Rauch zu oder schöpfen ihn wie Wasser mit den hohlen Händen über ihre Köpfe. Rechts und links kleine Holzkästen, aus denen sie Omikujis ziehen. Die Trommeln, in denen sich Stäbe mit den entsprechenden Nummern befinden werden pausenlos geschüttelt. Da ich wohl hier niemanden ausfindig machen werde, der mir mein Omikuji übersetzen könnte, verzichte ich lieber. Wer will schon ein schlechtes Orakel aus Nichtwissen ständig mit sich führen.
Das Omamori hingegen muss ich unbedingt haben, es soll ja ein Mitbringsel zum Geburtstag werden. Rechts und links vom Eingang werden sie jeweils verkauft. Ich weiß von der Kollegin, dass jedes Omamori eine spezielle Bedeutung hat. Als ich den Verkäufer frage, ob er englisch spricht, winkt der ganz hektisch ab. Er hat durch meine Frage ein wenig von seinem Gesicht verloren. Mit dem restlichen Teil lacht er und hofft wohl, dass ich möglichst schnell das Weite suche. Zweiter Versuch am Stand gegenüber. Ich spreche einen Umstehenden an, ob er mir die Bedeutung der ausgestellten Omamoris übersetzen könne. Kann er, wenn auch in sehr gebrochenem und schwer verständlichen Englisch. Ich traue mich nicht nachzuhaken, sondern ergehe mich stattdessen in eifrigem Kopfnicken und vielen Ahs und Ohs. Soviel ich verstanden habe, gibt es welche für langes Leben und Gesundheit, sicheres Autofahren, Abwenden von Unglück und schließlich eines für Reichtum. Es könnte allerdings auch für eine große Familie gewesen sein. Die Gestik ließ mehr Interpretationsspielraum als jegliche Gebärden meiner Gehörlosen Gäste und dieses Amulett ist somit aus dem Rennen. Langes Leben und Gesundheit ist zu teuer, deswegen entscheide ich mich für Abwenden von Unglück. Ist ja auch was.
Auf dem Rückweg streife ich versehentlich eine Person, die völlig regungslos zwischen dem Getümmel steht und die ich zunächst für eine Schaufensterpuppe hielt. Es ist ein Mönch, der um Almosen bittet. Auch vor den Stufen zum Ueno-Park steht einer. Diesmal bin ich allerdings aufmerksamer. Ich weiß nicht, ob es sich schickt, ihn zu fotografieren. Heimlich zücke ich das Handy von der Seite. Auch im Ueno-Park sind unglaublich viele Menschen. Man lagert auf großen Planen, vor denen die Schuhe feinsäuberlich abgestellt wurden. Gras hat hier keine Chance zu wachsen. Am Eingang ein Straßenmusikant, der sich anhört, als hätten es die Indiogruppen aus der Stuttgarter Fußgängerzone inzwischen bis Japan geschafft. Von irgendwo dröhnen Popsongs über Lautsprecher, die gelegentlich von offiziellen Durchsagen übertönt werden. Keinerlei Idylle, hier ist es mir zu laut und zu voll. Außerdem bin ich hundemüde. Der Rückweg ist ein Kinderspiel. Ich bin jetzt Tokyo-Underground-Experte. Bevor ich am späten Nachmittag selig in mein Bett sinke, platziere ich das Omamori auf dem Nachttisch und halte den Kaeru ein wenig in der Hand. So schnell kann mir kein Unglück mehr passieren. Zumindest möchte ich daran ganz fest glauben.
Als ich mich im Zug setzen will, stoße ich mit dem Kopf an die herabhängenden Haltegriffe. Auf dem Hinflug meinte mein ca. 1.60 großer Kollege, er sei gerne in Japan, weil er sich da endlich mal richtig groß fühlen könne. Ich bin überrascht, wie leer der Zug ist, kennt man doch die Berichte von Bahnbeamten, die Menschentrauben zusammenquetschen, damit sich die Türen schließen können. Auf der Fahrt sehe ich einen Park mit blühenden Kirschbäumen. Selbst die Japanerin, die mir gegenüber sitzt, dreht sich um, um den Anblick zu bestaunen. In zartem rosa und weiß heben sich die Blüten gegen die triste Industrielandschaft ab. In einem Seminar sagte einst die Dozentin, wolle man sich dieser fremdartigen Kultur mit all ihren Diskrepanzen zur Neuzeit nähern, so könne man dies am Besten über die Ästhetik. So langsam begreife ich, was sie damit meinte. Kirschbäume - auch blühende - habe ich in meinem Leben viele gesehen, doch niemals in solcher Fragilität. Hier werden sie liebevoll gestutzt, getrimmt und in Form gebracht, wie man es mit allen Pflanzen macht. Man erinnere sich nur an die aufwendige Bonsaipflege und die Kunst des Ikebana.
Je näher ich meiner endgültigen Destination komme, umso bunter mischen sich ausländische Fahrgäste mit Einheimischen. Viele japanische Frauen tragen Kimonos. Es ist Samstag und die Straßen jetzt schon ziemlich voll. Japanische Trachten wie Dirndl zur Oktoberfestzeit soweit das Auge reicht. Um zum Tempel zu gelangen muss man sich durch eine enge Gasse zwängen, die von Ramschläden und Imbißbuden gesäumt wird. Selbst auf der linken Seite komme ich nur schleichend voran. Schließlich erreiche ich das Ende der Budengasse. In einem großen Trog qualmen bündelweise Räucherstäbchen. Die Menschen drumherum fächeln sich den Rauch zu oder schöpfen ihn wie Wasser mit den hohlen Händen über ihre Köpfe. Rechts und links kleine Holzkästen, aus denen sie Omikujis ziehen. Die Trommeln, in denen sich Stäbe mit den entsprechenden Nummern befinden werden pausenlos geschüttelt. Da ich wohl hier niemanden ausfindig machen werde, der mir mein Omikuji übersetzen könnte, verzichte ich lieber. Wer will schon ein schlechtes Orakel aus Nichtwissen ständig mit sich führen.
Das Omamori hingegen muss ich unbedingt haben, es soll ja ein Mitbringsel zum Geburtstag werden. Rechts und links vom Eingang werden sie jeweils verkauft. Ich weiß von der Kollegin, dass jedes Omamori eine spezielle Bedeutung hat. Als ich den Verkäufer frage, ob er englisch spricht, winkt der ganz hektisch ab. Er hat durch meine Frage ein wenig von seinem Gesicht verloren. Mit dem restlichen Teil lacht er und hofft wohl, dass ich möglichst schnell das Weite suche. Zweiter Versuch am Stand gegenüber. Ich spreche einen Umstehenden an, ob er mir die Bedeutung der ausgestellten Omamoris übersetzen könne. Kann er, wenn auch in sehr gebrochenem und schwer verständlichen Englisch. Ich traue mich nicht nachzuhaken, sondern ergehe mich stattdessen in eifrigem Kopfnicken und vielen Ahs und Ohs. Soviel ich verstanden habe, gibt es welche für langes Leben und Gesundheit, sicheres Autofahren, Abwenden von Unglück und schließlich eines für Reichtum. Es könnte allerdings auch für eine große Familie gewesen sein. Die Gestik ließ mehr Interpretationsspielraum als jegliche Gebärden meiner Gehörlosen Gäste und dieses Amulett ist somit aus dem Rennen. Langes Leben und Gesundheit ist zu teuer, deswegen entscheide ich mich für Abwenden von Unglück. Ist ja auch was.
Auf dem Rückweg streife ich versehentlich eine Person, die völlig regungslos zwischen dem Getümmel steht und die ich zunächst für eine Schaufensterpuppe hielt. Es ist ein Mönch, der um Almosen bittet. Auch vor den Stufen zum Ueno-Park steht einer. Diesmal bin ich allerdings aufmerksamer. Ich weiß nicht, ob es sich schickt, ihn zu fotografieren. Heimlich zücke ich das Handy von der Seite. Auch im Ueno-Park sind unglaublich viele Menschen. Man lagert auf großen Planen, vor denen die Schuhe feinsäuberlich abgestellt wurden. Gras hat hier keine Chance zu wachsen. Am Eingang ein Straßenmusikant, der sich anhört, als hätten es die Indiogruppen aus der Stuttgarter Fußgängerzone inzwischen bis Japan geschafft. Von irgendwo dröhnen Popsongs über Lautsprecher, die gelegentlich von offiziellen Durchsagen übertönt werden. Keinerlei Idylle, hier ist es mir zu laut und zu voll. Außerdem bin ich hundemüde. Der Rückweg ist ein Kinderspiel. Ich bin jetzt Tokyo-Underground-Experte. Bevor ich am späten Nachmittag selig in mein Bett sinke, platziere ich das Omamori auf dem Nachttisch und halte den Kaeru ein wenig in der Hand. So schnell kann mir kein Unglück mehr passieren. Zumindest möchte ich daran ganz fest glauben.
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Mittwoch, 14. März 2007
Oooh, fashion!
frau klugscheisser, 01:39h
Vergesst Vanity fair, vergesst Vogue. Shopping in New York ist out. Shanghai is the new Paris. Solche Sprüche kann ich mir erlauben, man kommt in meiner Position schließlich ganz schön rum. Zugegebenermaßen führen Sätze wie "also Sushi esse ich nur in Tokio" in nicht eingeweihten Kreisen leicht zu Verwirrung, und die gedankenlos auf den Tresen geworfene zollfreie Zigarettenschachtel kann schon mal als Porscheschlüsseläquivalent mißverstanden werden. Aber was habe ich schon von meinem Job anderes, als das Wissen, wo man welche Unnecessaires am billigsten erwerben kann, mal abgesehen davon, dass der Erwerb bestimmter Artikel illegal oder ethisch verwerflich ist?
Ein nettes kleines Kaschmirmäntelchen soll es diesmal werden. Da die chinesischen Feiertage rar und mit den Neujahrsfeiern für dieses Jahr erst mal bis auf Weiteres vorbei sind, kann ich sicher sein, dass die kleinen chinesischen Näherinnen meinem Wunsch innerhalb von 24 Stunden nachkommen. In den winzigen Buden des Stoffmarktes hängt noch immer die Winterkollektion. Designer auf der ganzen Welt bemühen sich schließlich jetzt schon um die kommende kalte Jahreszeit und alle Schnitte, alle Mode ist wiederkehrend.
Die Modelle sind ganz auf asiatische Maße ausgerichtet. Den Chinesen müssen wir Europäer wie Walrösser erscheinen. Immerhin ist so mehr Stoff zu verkaufen. Auf meinem Weg durch die engen Gänge bleibe ich an einem Büdchen hängen. Sofort habe ich die Aufmerksamkeit der Ladenbesitzerin geweckt. Ob ich den Mantel möge, der auf einem Modelltorso hängt. Noch bin ich nicht schlüssig, was ich eigentlich suche. Nein, der Mantel, den ich mir vorstelle sollte eher gerade als tailliert geschnitten und in der Taille nicht angereiht sein. Die Chinesin begreift sofort. "Same, same, but different", sie antwortet mit einer der gebräuchlichsten Phrasen, wie sich später herausstellen soll. Jawohl, genau so aber anders habe ich mir meinen zukünftigen Mantel vorgestellt. Man gibt sich hier sehr flexibel.
Wir diskutieren eine Weile über Länge, Kragen und Knöpfe. Sie legt mir dutzendweise zerfledderte Magazine und abgegriffene Darstellungen von Prototypen vor, bis wir uns einig werden. Obwohl sie - für chinesische Verhältnisse - erstaunlich gut englisch spricht, bin ich immer noch mißtrauisch. Also den Kragen habe ich mir etwas anders vorgestellt, lieber gerade als zu zackig und der Mantel sollte auf jeden Fall einen Schlitz hinten haben. Aber sonst genauso wie der, den ich gerade anprobiert habe und vielleicht auch so wie der komplett andere, den sie mir als erstes zeigte, halt irgendwas dazwischen. Himmel, das ist ja schon in heimischen Kaufhäusern schwierig, sich mit dem Personal zu verständigen, wie soll sie wissen, was ich tatsächlich möchte? Als sie meine Maße nimmt, werde ich nervös. Weit soll er werden, viel weiter als ihr Maßband gerade anzeigt, schließlich will ich darunter nicht nur ein dünnes Kleidchen tragen können. "Oh, yes, I understand", ebenfalls ein oft gehörter Satz, wenn ich mir auch nicht ganz sicher bin, ob auch der eine leere Phrase ist.
Als wir fertig sind, lasse ich mir noch einmal versichern, dass das gute Stück auch wirklich am nächsten Tag fertig ist. "Yes, maybe afternoon", versichert mir die Ladeninhaberin. Bei maybe werde ich noch nervöser als ich es sowieso schon bin. Es ist ja bekannt, dass Asiaten gerne dieses Wörtchen verwenden, um Verneinungen zu vermeiden. Erst der Preis beruhigt meine Nerven. "I give you a good prize." Ich bin mir sehr sicher, dass dieser gute Preis immer noch viel zu viel ist, für europäische Verhältnisse jedoch eine lächerliche Summe. Wir tauschen Geldscheine gegen einen Durchschlag meiner Maße und eine Visitenkarte - beides für mich unleserlich da chinesisch. Erst als ich im Taxi sitze, fällt mir ein, dass wir uns zwar über den Stoff einig waren, nicht aber über die Knöpfe. Was wäre das Leben ohne Überraschungen?
Als ich am nächsten Tag zur vereinbarten Zeit eintreffe, ist der Mantel noch nicht da. "Maybe ten minutes. Just walk around." Ich warte lieber. Die Chinesin verschwindet mit ihrem Handy im Getümmel. Auf dem kleinen Schemel sitzend beobachte ich, wie sich im Laden gegenüber ein dicker Amerikaner entblößt. Neue Hemden sollen es wohl werden. Die Van Laack Etikette läßt er sich sicher nachträglich einnähen. Überhaupt wäre das im Hinblick auf fehlende Renten ein neuer Industriezweig: handgestickte Etikette aus Altersheimproduktion. Meine Chinesin bleibt auch nach zehn Minuten noch verschwunden. Eine chinesische Familie prüft das Angebot des Ladens. Sie schauen mich mißtrauisch an. Ich konzentriere mich auf eine zerlesene Illustrierte.
Schließlich rauscht die Besitzerin mit einer Plastiktüte um die Ecke. Mein Mantel ist da. Irgendwie habe ich ihn mir anders vorgestellt aber er gefällt mir. Same but different ist er geworden. Der Gürtel ein wenig zu lang - wohl europäisch elefantösen Maßen angepasst - und die Schlaufen zu weit oben, der Schlitz etwas zu kurz und die Verarbeitung insgesamt nicht ganz sauber. Dafür sehen die zwei Reihen Knöpfe hervorragend aus und den Kragen hätte ich nicht besser beschreiben können, als er geworden ist. Ist mir doch egal, wenn die heimischen Temperaturen jetzt zu steigen beginnen. Ich trage die nächsten Wochen Kaschmir vom Feinsten. Mode betreffen ist eh alles same but different.
Ein nettes kleines Kaschmirmäntelchen soll es diesmal werden. Da die chinesischen Feiertage rar und mit den Neujahrsfeiern für dieses Jahr erst mal bis auf Weiteres vorbei sind, kann ich sicher sein, dass die kleinen chinesischen Näherinnen meinem Wunsch innerhalb von 24 Stunden nachkommen. In den winzigen Buden des Stoffmarktes hängt noch immer die Winterkollektion. Designer auf der ganzen Welt bemühen sich schließlich jetzt schon um die kommende kalte Jahreszeit und alle Schnitte, alle Mode ist wiederkehrend.
Die Modelle sind ganz auf asiatische Maße ausgerichtet. Den Chinesen müssen wir Europäer wie Walrösser erscheinen. Immerhin ist so mehr Stoff zu verkaufen. Auf meinem Weg durch die engen Gänge bleibe ich an einem Büdchen hängen. Sofort habe ich die Aufmerksamkeit der Ladenbesitzerin geweckt. Ob ich den Mantel möge, der auf einem Modelltorso hängt. Noch bin ich nicht schlüssig, was ich eigentlich suche. Nein, der Mantel, den ich mir vorstelle sollte eher gerade als tailliert geschnitten und in der Taille nicht angereiht sein. Die Chinesin begreift sofort. "Same, same, but different", sie antwortet mit einer der gebräuchlichsten Phrasen, wie sich später herausstellen soll. Jawohl, genau so aber anders habe ich mir meinen zukünftigen Mantel vorgestellt. Man gibt sich hier sehr flexibel.
Wir diskutieren eine Weile über Länge, Kragen und Knöpfe. Sie legt mir dutzendweise zerfledderte Magazine und abgegriffene Darstellungen von Prototypen vor, bis wir uns einig werden. Obwohl sie - für chinesische Verhältnisse - erstaunlich gut englisch spricht, bin ich immer noch mißtrauisch. Also den Kragen habe ich mir etwas anders vorgestellt, lieber gerade als zu zackig und der Mantel sollte auf jeden Fall einen Schlitz hinten haben. Aber sonst genauso wie der, den ich gerade anprobiert habe und vielleicht auch so wie der komplett andere, den sie mir als erstes zeigte, halt irgendwas dazwischen. Himmel, das ist ja schon in heimischen Kaufhäusern schwierig, sich mit dem Personal zu verständigen, wie soll sie wissen, was ich tatsächlich möchte? Als sie meine Maße nimmt, werde ich nervös. Weit soll er werden, viel weiter als ihr Maßband gerade anzeigt, schließlich will ich darunter nicht nur ein dünnes Kleidchen tragen können. "Oh, yes, I understand", ebenfalls ein oft gehörter Satz, wenn ich mir auch nicht ganz sicher bin, ob auch der eine leere Phrase ist.
Als wir fertig sind, lasse ich mir noch einmal versichern, dass das gute Stück auch wirklich am nächsten Tag fertig ist. "Yes, maybe afternoon", versichert mir die Ladeninhaberin. Bei maybe werde ich noch nervöser als ich es sowieso schon bin. Es ist ja bekannt, dass Asiaten gerne dieses Wörtchen verwenden, um Verneinungen zu vermeiden. Erst der Preis beruhigt meine Nerven. "I give you a good prize." Ich bin mir sehr sicher, dass dieser gute Preis immer noch viel zu viel ist, für europäische Verhältnisse jedoch eine lächerliche Summe. Wir tauschen Geldscheine gegen einen Durchschlag meiner Maße und eine Visitenkarte - beides für mich unleserlich da chinesisch. Erst als ich im Taxi sitze, fällt mir ein, dass wir uns zwar über den Stoff einig waren, nicht aber über die Knöpfe. Was wäre das Leben ohne Überraschungen?
Als ich am nächsten Tag zur vereinbarten Zeit eintreffe, ist der Mantel noch nicht da. "Maybe ten minutes. Just walk around." Ich warte lieber. Die Chinesin verschwindet mit ihrem Handy im Getümmel. Auf dem kleinen Schemel sitzend beobachte ich, wie sich im Laden gegenüber ein dicker Amerikaner entblößt. Neue Hemden sollen es wohl werden. Die Van Laack Etikette läßt er sich sicher nachträglich einnähen. Überhaupt wäre das im Hinblick auf fehlende Renten ein neuer Industriezweig: handgestickte Etikette aus Altersheimproduktion. Meine Chinesin bleibt auch nach zehn Minuten noch verschwunden. Eine chinesische Familie prüft das Angebot des Ladens. Sie schauen mich mißtrauisch an. Ich konzentriere mich auf eine zerlesene Illustrierte.
Schließlich rauscht die Besitzerin mit einer Plastiktüte um die Ecke. Mein Mantel ist da. Irgendwie habe ich ihn mir anders vorgestellt aber er gefällt mir. Same but different ist er geworden. Der Gürtel ein wenig zu lang - wohl europäisch elefantösen Maßen angepasst - und die Schlaufen zu weit oben, der Schlitz etwas zu kurz und die Verarbeitung insgesamt nicht ganz sauber. Dafür sehen die zwei Reihen Knöpfe hervorragend aus und den Kragen hätte ich nicht besser beschreiben können, als er geworden ist. Ist mir doch egal, wenn die heimischen Temperaturen jetzt zu steigen beginnen. Ich trage die nächsten Wochen Kaschmir vom Feinsten. Mode betreffen ist eh alles same but different.
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Dienstag, 23. Januar 2007
A touch of everyday life
frau klugscheisser, 23:39h
Wer viel unterwegs ist, braucht Konstanten. Mehr als andere, deren Konstante allein schon die Räumlichkeit ist, in der sie ihre Arbeit verrichten. So schleichen sich langsam an verschiedenen Orten diverse Verhaltensweisen ein. In Hongkong beispielsweise nehme ich bei jedem Aufenthalt die Fähre, die mich von Wanchai direkt nach Tsim Sha Tsui - die andere Seite der Stadt - bringt. Die Überfahrt dauert nur wenige Minuten. Ich habe dort kein konkretes Ziel, vielmehr ist es die Fähre an sich, die mich magisch anzieht. Nicht einmal der Aussicht halber lohnt sich die Fahrt, denn meistens umhüllt dichter Dunst die hohen Fassaden auf der jeweils anderen Seite.
Vielleicht sind es die Menschen, die mich reizen und mit denen ich während der Überfahrt indirekt in Kontakt trete, wobei das Attribut "indirekt" so gar nicht zur chinesischen Mentalität passen mag. Im dicht besiedelten China scheut man den Körperkontakt zu Fremden nicht, was mich als Europäer mit räumlich ausgeprägter Distanzzone immer wieder irritiert. Die Passagiere warten auf das Eintreffen des Schiffes vor verschlossenem Gitter. Eine kleine Frau drängt sich an mir vorbei nach vorne, obwohl die Fähre noch nicht angelegt hat. Als sich das Tor zum Einsteigen öffnet, werde ich von Passanten mehrmals gestreift. Obwohl an Deck mehr als genug Platz für die wenigen Fahrgäste existiert und es auch keine besseren Plätze gibt, haben es die Chinesen eilig, an Bord zu kommen. Beim Aussteigen ein ähnliches Bild. Alle rennen zur geschlossenen Rampe, die zum Überbrücken der Lücke zwischen Boot und Hafen heruntergelassen wird, als ob der erste Ankömmling einen Preis zu erwarten hätte. Während ich die Station passiere, drängt sich wieder eine kleine Gestalt neben mich. Ich bin neugierig was passiert, wenn ich unbeirrt auf gleicher Höhe bleibe, den von ihr gewählten Abstand beibehaltend. Natürlich geschieht nichts. Nicht einmal irritiert reagiert die Alte. Persönliche Distanz, die in Europa nur in Ausnahmesituationen (öffentliche Verkehrsmittel etc.) und mit entsprechendem Verhalten begleitet unterschritten wird, scheint hier eine Form von Luxus zu sein.
Über den Sitzbänken ist eine Lehne angebracht, die zur jeweiligen Fahrtrichtung geschwenkt werden kann. Man fährt einfach lieber vorwärts. Um mich herum wird ständig telefoniert oder sich mit dem Mobiltelefon beschäftigt. Ich habe noch nie einen Fahrgast in ein Buch versunken gesehen. Dabei erinnere ich mich bei jeder Überfahrt an eine vor langer Zeit gelesene Beschreibung aus einem Roman. Der Protagonist lebt in Hongkong und benützt häufig die alten grün-weißen Boote der Star Ferry. Und an eine weitere Passage aus dem Buch denke ich während der Überfahrt:
'You must eat the cold porridge,' he told me once. It's a Chinese expression. Cantonese, I guess [...]
The way he explained it, eating the cold porridge means working at something for so long that when you get home there is nothing left to eat but cold porridge [...] That's how you get good at something, he told me. That's how you get good at anything. You eat the cold porridge. You work at it when the others are playing. You work at it when the others are watching TV. You work at it when the others are sleeping. To become the master of something, you must eat the cold porridge, Grashopper.*
Nicht dass ich Kartoffelbrei besonders gerne mögen würde - kalt schon gleich zweimal nicht - aber diesen Vergleich mag ich sehr, weil er so einfach ist. Und weil ich genau dieses Prinzip des kalten Kartoffelbreies vor langer Zeit zu meinem gemacht habe. Ich mag in den meisten Dingen nicht besonders gut sein aber ich bin stur. Sogar in den Dingen, die mir nicht wirklich gut tun. Wenn Ausdauer ein chinesisches Attribut ist, dann bewundere ich die Chinesen dafür. Um wieviel schnelllebiger und vergänglicher ist dagegen unsere kleine westliche Welt. Manch einer probiert sich in Tai Chi oder Yoga oder das, was er als westliche Form davon kennt. Manch einer konvertiert zum Buddhismus, um endlich die langersehnte Zufriedenheit zu erlangen. Wenn die sich nicht schlagartig nach einigen Monaten der Übung einstellt, wird das Konzept meist schnell gegen ein neues oder wieder gegen die alte Couch eingetauscht. Dabei ist alles so viel einfacher und gleichzeitig um so viel schwieriger.
Solchen Gedanken hänge ich auf der siebenminütigen Fahrt mit der Star Ferry hinterher. Letztens hatte ich meine Karte zu Hause vergessen und war somit ohne Zahlungsmittel. Von den geliehenen Hongkong Dollar einer Kollegin konnte ich die anderthalb Aufenthaltstage mehr schlecht als recht überrunden, doch die Überfahrt habe ich mir nicht nehmen lassen. Mit 2,20 (umgerechnet etwa 20 Cent) ist ein Ticket so ziemlich das Billigste, was man in Hongkong kriegen kann, mal abgesehen von unfreiwilligem Körperkontakt. Den gibt's umsonst.
*Tony Parsons One for my baby
Vielleicht sind es die Menschen, die mich reizen und mit denen ich während der Überfahrt indirekt in Kontakt trete, wobei das Attribut "indirekt" so gar nicht zur chinesischen Mentalität passen mag. Im dicht besiedelten China scheut man den Körperkontakt zu Fremden nicht, was mich als Europäer mit räumlich ausgeprägter Distanzzone immer wieder irritiert. Die Passagiere warten auf das Eintreffen des Schiffes vor verschlossenem Gitter. Eine kleine Frau drängt sich an mir vorbei nach vorne, obwohl die Fähre noch nicht angelegt hat. Als sich das Tor zum Einsteigen öffnet, werde ich von Passanten mehrmals gestreift. Obwohl an Deck mehr als genug Platz für die wenigen Fahrgäste existiert und es auch keine besseren Plätze gibt, haben es die Chinesen eilig, an Bord zu kommen. Beim Aussteigen ein ähnliches Bild. Alle rennen zur geschlossenen Rampe, die zum Überbrücken der Lücke zwischen Boot und Hafen heruntergelassen wird, als ob der erste Ankömmling einen Preis zu erwarten hätte. Während ich die Station passiere, drängt sich wieder eine kleine Gestalt neben mich. Ich bin neugierig was passiert, wenn ich unbeirrt auf gleicher Höhe bleibe, den von ihr gewählten Abstand beibehaltend. Natürlich geschieht nichts. Nicht einmal irritiert reagiert die Alte. Persönliche Distanz, die in Europa nur in Ausnahmesituationen (öffentliche Verkehrsmittel etc.) und mit entsprechendem Verhalten begleitet unterschritten wird, scheint hier eine Form von Luxus zu sein.
Über den Sitzbänken ist eine Lehne angebracht, die zur jeweiligen Fahrtrichtung geschwenkt werden kann. Man fährt einfach lieber vorwärts. Um mich herum wird ständig telefoniert oder sich mit dem Mobiltelefon beschäftigt. Ich habe noch nie einen Fahrgast in ein Buch versunken gesehen. Dabei erinnere ich mich bei jeder Überfahrt an eine vor langer Zeit gelesene Beschreibung aus einem Roman. Der Protagonist lebt in Hongkong und benützt häufig die alten grün-weißen Boote der Star Ferry. Und an eine weitere Passage aus dem Buch denke ich während der Überfahrt:
'You must eat the cold porridge,' he told me once. It's a Chinese expression. Cantonese, I guess [...]
The way he explained it, eating the cold porridge means working at something for so long that when you get home there is nothing left to eat but cold porridge [...] That's how you get good at something, he told me. That's how you get good at anything. You eat the cold porridge. You work at it when the others are playing. You work at it when the others are watching TV. You work at it when the others are sleeping. To become the master of something, you must eat the cold porridge, Grashopper.*
Nicht dass ich Kartoffelbrei besonders gerne mögen würde - kalt schon gleich zweimal nicht - aber diesen Vergleich mag ich sehr, weil er so einfach ist. Und weil ich genau dieses Prinzip des kalten Kartoffelbreies vor langer Zeit zu meinem gemacht habe. Ich mag in den meisten Dingen nicht besonders gut sein aber ich bin stur. Sogar in den Dingen, die mir nicht wirklich gut tun. Wenn Ausdauer ein chinesisches Attribut ist, dann bewundere ich die Chinesen dafür. Um wieviel schnelllebiger und vergänglicher ist dagegen unsere kleine westliche Welt. Manch einer probiert sich in Tai Chi oder Yoga oder das, was er als westliche Form davon kennt. Manch einer konvertiert zum Buddhismus, um endlich die langersehnte Zufriedenheit zu erlangen. Wenn die sich nicht schlagartig nach einigen Monaten der Übung einstellt, wird das Konzept meist schnell gegen ein neues oder wieder gegen die alte Couch eingetauscht. Dabei ist alles so viel einfacher und gleichzeitig um so viel schwieriger.
Solchen Gedanken hänge ich auf der siebenminütigen Fahrt mit der Star Ferry hinterher. Letztens hatte ich meine Karte zu Hause vergessen und war somit ohne Zahlungsmittel. Von den geliehenen Hongkong Dollar einer Kollegin konnte ich die anderthalb Aufenthaltstage mehr schlecht als recht überrunden, doch die Überfahrt habe ich mir nicht nehmen lassen. Mit 2,20 (umgerechnet etwa 20 Cent) ist ein Ticket so ziemlich das Billigste, was man in Hongkong kriegen kann, mal abgesehen von unfreiwilligem Körperkontakt. Den gibt's umsonst.
*Tony Parsons One for my baby
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Montag, 22. Januar 2007
Everybody`s free
frau klugscheisser, 01:00h
Music: Baz Luhrman, words based on a column of Mary Schmich in the Chicago Tribune 97
Don’t feel guilty if you don’t know what you want to do with your life,
the most interesting people I know didn’t know at 22
what they wanted to do with their lives,
some of the most interesting 40 year olds I know still don’t...
Don’t feel guilty if you don’t know what you want to do with your life,
the most interesting people I know didn’t know at 22
what they wanted to do with their lives,
some of the most interesting 40 year olds I know still don’t...
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Donnerstag, 14. Dezember 2006
We wish you a merry christmas (2)
frau klugscheisser, 20:22h
Noch rechtzeitig zum Fest hier ein zweiter Geschenkevorschlag:
Passend zur Jahreszeit die original Rudi Knabl Klingeltöne. Das Geschenk für jung und alt. Lässt garantiert jedes Handy erzithern.
[Töne nur solange Vorrat reicht]
Passend zur Jahreszeit die original Rudi Knabl Klingeltöne. Das Geschenk für jung und alt. Lässt garantiert jedes Handy erzithern.
[Töne nur solange Vorrat reicht]
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Dienstag, 5. Dezember 2006
Sao Paulo - my life is just one big cliché (2)
frau klugscheisser, 15:29h
Wie bereits hier vermutet, bis jetzt keine Spur von Bildern. Eher entdecke ich wohl den von offizieller Seite beglaubigten Stammbaum des Weihnachtsmannes, der den Osterhasen als seinen Cousin verzeichnet, als Bilder von den lieben Kollegen im Post-/Mailfach.
Vom Hotel geht es im Taxi direkt durch die Stadt. Ich hätte gerne direkt in die Innenstadt geschrieben, doch Sao Paulo besitzt keine solche. Schon beim Anflug konnte ich aus dem Cockpitfenster eine gewisse Ähnlichkeit mit L.A. feststellen, zumindest was die Fläche betrifft. Überhaupt ist der Anflug eine spannende Sache. Das Flugzeug heischt wie ein quengelndes Kind mit aufdringlichen Warnsignalen nach der Aufmerksamkeit seiner Führer. Dann taucht es in die niedrige Wolkendecke ein, die den Blick auf knapp überflogene Berge verdeckt. Nur auf den Instrumenten ist die Umgebung noch erfassbar. Alles kein Problem, denn was sind schon diese lächerlichen Hügel gegen den alten Flughafen Hongkongs, wo von so manchem Fahrwerk nach der Landung Wäschestücke aus umliegenden Wohnungen entfernt werden mussten.
Auf der Schnellstraße - oder das, was sich hier so nennt - ziehen an uns ganze Viertel bestehend aus verfallenen Bretterbuden, die sogenannten Favelas, vorbei. Selbst Abenteuerlustige möchten hier nicht zwingend nachts eine Autopanne erleben. Im Stadtverkehr scheint es üblich, die kurzen Ampelphasen und den daraus resultierenden Rückstau zu umgehen, indem man zum Abbiegen die Durchfahrt der an jeder Ecke liegenden Tankstellen nutzt. Man will schließlich ans Fahrtziel gelangen. Unser Ziel ist an diesem Tag der Rodeo Drive Sao Paulos, wo wir zu Fuß an Schaufenstern der Nobelläden vorbeiflanieren. Windowshopping ist hier ein wenig umständlich, denn man muss schon den Blick auf den Boden richten, will man nicht plötzlich wie unser Stadtführer bis zur Brust in einem Loch auf dem Gehweg verschwinden. Dabei hält er nach wie vor sein Handy am Ohr und führt das Gespräch gelassen eine Etage tiefer weiter, bis wir ihm zur Hilfe eilen. Eine Freundin will ihm und uns ihre zwei Autos für den Nachmittag überlassen. Wer sich in Sao Paulo keinen Hubschrauber leisten kann, der nennt zumindest ein Auto mit Fahrer sein eigen. Wozu dieser Fahrer gut sein soll, bleibt mir allerdings den ganzen Tag verborgen, denn der kennt sich nicht besser als wir aus. So kreisen wir mehrere Male im selben Viertel, bevor wir das berühmte Café finden, in dem sich Schokolade so dickflüssig auf dem Tassenboden sammelt, dass der Löffel darin steckenbleibt. Von Kaffee haben die Brasilianer wirklich Ahnung, das muss man ihnen lassen. Vom Autofahren weniger.
Wir sind schon einige Stunden unterwegs, wohlgemerkt die meiste Zeit im Auto, bevor wir endlich wieder im Hotel ankommen. Gesehen haben wir neben dem Rodeo Drive, dem Fakemarkt, der Markthalle, einem Park und der Wohnung von Marcos Freundin nicht viel. Wahrscheinlich gibt es hier keine touristischen Sehenswürdigkeiten, so meine Vermutung. Immerhin war der Nachmittag durch Marco und die Kollegen recht kurzweilig. Das wichtigste Ereignis steht jedoch kurz bevor: wir gehen Essen.
Südamerika ist kein Land für Vegetarier. Selbst der Rinderwahn hält keinen davon ab, sich Fleisch einzuverleiben. Der Tisch für 14 Personen im Fogo de Chao [wie krieg ich jetzt das ~ auf das a?] ist bestellt, die Crew in den Startlöchern. The Gaucho way of preparing meat, wie auf der Webseite angekündigt, ist Programm. Kellner in folkloristischer Tracht rennen mit Fleischspießen und scharfgewetzten Messern zwischen den Tischen umher und schneiden das Fleisch dem Gast direkt auf den Teller, vorrausgesetzt das Schild daneben liegt auf der "sim por favor" lSeite.
Nach den ersten Gängen drehe ich das Schild schnell auf "nao obrigado", denn so zahlreich wie die Kellner meinen Teller passieren, komme ich mit dem Kauen nicht hinterher. Selbst als der Magen wegen Überfüllung geschlossen meldet, kann ich nur schwer widerstehen. Noch nirgends habe ich schmackhafteres Fleisch gegessen als hier. Das große Fressen neigt sich dem Ende zu und ich hänge erschöpft im Stuhl. Zwischen zwei Bäuerchen beobachte ich argwöhnisch, ob nicht doch einem der Kellner mal versehentlich das Messer ausrutscht und in des Gastes Tenderloin steckenbleibt. Die meisten Gäste des Etablissements essen nicht nur Fleisch, sie tragen es auch in großen Mengen um die Hüften.
Es wäre ein Leichtes, sich schwer vom Essen in sein Bett sinken zu lassen, doch meine Kollegen haben bereits den nächsten Programmpunkt geplant. Man will sich in die Schwulenszene Sao Paulos begeben und ich darf mir selbstverständlich die zahlreichen, und wie ich hörte, unvergleichlich schönen Männer nicht entgehen lassen. Unerreichbar für mich aber jetzt sind die Augen mit Essen dran. Wieder besteigen wir ein Taxi, Marco erklärt dem Fahrer kurz unser Ziel und wir sind on the road again. Homosexualität ist in einem erzkatholischen Land wie Brasilien so verpöhnt, wie in Baden-Württemberg am Weltspartag Geld auszugeben. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Suche nach einer geeigneten Lokalität. Der Taxifahrer ist katholisch ratlos, nachdem wir im entsprechenden Viertel nicht fündig werden. Es ist Montag und zudem noch vor 1.00 Uhr. Nach einer halben Stunde Kreisfahrt schlage ich vor, die schönen Männer auf eine andere Gelegenheit zu verschieben und lieber in der Hotelbar einen Absacker zu trinken. Wieder einmal haben wir viel Zeit in einem Taxi zugebracht. Überhaupt bin ich noch nie so viel und lange Auto gefahren wie in Sao Paulo. Aufgrund der dortigen Verkehrssituation sollte der Heilige Paulus neben Matten- und Korbflechtern unbedingt Automechaniker und Straßenbauer in sein Schutzprogramm aufnehmen. Vielleicht fällt die Stadt aber eher in den Zuständigkeitsbereich des Apostels Paulus, der bekanntlich ständig unterwegs war. So genau kenne ich mich da nicht aus. Den Weg zum Hotel habe ich aber bis jetzt immer gefunden.
Vom Hotel geht es im Taxi direkt durch die Stadt. Ich hätte gerne direkt in die Innenstadt geschrieben, doch Sao Paulo besitzt keine solche. Schon beim Anflug konnte ich aus dem Cockpitfenster eine gewisse Ähnlichkeit mit L.A. feststellen, zumindest was die Fläche betrifft. Überhaupt ist der Anflug eine spannende Sache. Das Flugzeug heischt wie ein quengelndes Kind mit aufdringlichen Warnsignalen nach der Aufmerksamkeit seiner Führer. Dann taucht es in die niedrige Wolkendecke ein, die den Blick auf knapp überflogene Berge verdeckt. Nur auf den Instrumenten ist die Umgebung noch erfassbar. Alles kein Problem, denn was sind schon diese lächerlichen Hügel gegen den alten Flughafen Hongkongs, wo von so manchem Fahrwerk nach der Landung Wäschestücke aus umliegenden Wohnungen entfernt werden mussten.
Auf der Schnellstraße - oder das, was sich hier so nennt - ziehen an uns ganze Viertel bestehend aus verfallenen Bretterbuden, die sogenannten Favelas, vorbei. Selbst Abenteuerlustige möchten hier nicht zwingend nachts eine Autopanne erleben. Im Stadtverkehr scheint es üblich, die kurzen Ampelphasen und den daraus resultierenden Rückstau zu umgehen, indem man zum Abbiegen die Durchfahrt der an jeder Ecke liegenden Tankstellen nutzt. Man will schließlich ans Fahrtziel gelangen. Unser Ziel ist an diesem Tag der Rodeo Drive Sao Paulos, wo wir zu Fuß an Schaufenstern der Nobelläden vorbeiflanieren. Windowshopping ist hier ein wenig umständlich, denn man muss schon den Blick auf den Boden richten, will man nicht plötzlich wie unser Stadtführer bis zur Brust in einem Loch auf dem Gehweg verschwinden. Dabei hält er nach wie vor sein Handy am Ohr und führt das Gespräch gelassen eine Etage tiefer weiter, bis wir ihm zur Hilfe eilen. Eine Freundin will ihm und uns ihre zwei Autos für den Nachmittag überlassen. Wer sich in Sao Paulo keinen Hubschrauber leisten kann, der nennt zumindest ein Auto mit Fahrer sein eigen. Wozu dieser Fahrer gut sein soll, bleibt mir allerdings den ganzen Tag verborgen, denn der kennt sich nicht besser als wir aus. So kreisen wir mehrere Male im selben Viertel, bevor wir das berühmte Café finden, in dem sich Schokolade so dickflüssig auf dem Tassenboden sammelt, dass der Löffel darin steckenbleibt. Von Kaffee haben die Brasilianer wirklich Ahnung, das muss man ihnen lassen. Vom Autofahren weniger.
Wir sind schon einige Stunden unterwegs, wohlgemerkt die meiste Zeit im Auto, bevor wir endlich wieder im Hotel ankommen. Gesehen haben wir neben dem Rodeo Drive, dem Fakemarkt, der Markthalle, einem Park und der Wohnung von Marcos Freundin nicht viel. Wahrscheinlich gibt es hier keine touristischen Sehenswürdigkeiten, so meine Vermutung. Immerhin war der Nachmittag durch Marco und die Kollegen recht kurzweilig. Das wichtigste Ereignis steht jedoch kurz bevor: wir gehen Essen.
Südamerika ist kein Land für Vegetarier. Selbst der Rinderwahn hält keinen davon ab, sich Fleisch einzuverleiben. Der Tisch für 14 Personen im Fogo de Chao [wie krieg ich jetzt das ~ auf das a?] ist bestellt, die Crew in den Startlöchern. The Gaucho way of preparing meat, wie auf der Webseite angekündigt, ist Programm. Kellner in folkloristischer Tracht rennen mit Fleischspießen und scharfgewetzten Messern zwischen den Tischen umher und schneiden das Fleisch dem Gast direkt auf den Teller, vorrausgesetzt das Schild daneben liegt auf der "sim por favor" lSeite.
Nach den ersten Gängen drehe ich das Schild schnell auf "nao obrigado", denn so zahlreich wie die Kellner meinen Teller passieren, komme ich mit dem Kauen nicht hinterher. Selbst als der Magen wegen Überfüllung geschlossen meldet, kann ich nur schwer widerstehen. Noch nirgends habe ich schmackhafteres Fleisch gegessen als hier. Das große Fressen neigt sich dem Ende zu und ich hänge erschöpft im Stuhl. Zwischen zwei Bäuerchen beobachte ich argwöhnisch, ob nicht doch einem der Kellner mal versehentlich das Messer ausrutscht und in des Gastes Tenderloin steckenbleibt. Die meisten Gäste des Etablissements essen nicht nur Fleisch, sie tragen es auch in großen Mengen um die Hüften.
Es wäre ein Leichtes, sich schwer vom Essen in sein Bett sinken zu lassen, doch meine Kollegen haben bereits den nächsten Programmpunkt geplant. Man will sich in die Schwulenszene Sao Paulos begeben und ich darf mir selbstverständlich die zahlreichen, und wie ich hörte, unvergleichlich schönen Männer nicht entgehen lassen. Unerreichbar für mich aber jetzt sind die Augen mit Essen dran. Wieder besteigen wir ein Taxi, Marco erklärt dem Fahrer kurz unser Ziel und wir sind on the road again. Homosexualität ist in einem erzkatholischen Land wie Brasilien so verpöhnt, wie in Baden-Württemberg am Weltspartag Geld auszugeben. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Suche nach einer geeigneten Lokalität. Der Taxifahrer ist katholisch ratlos, nachdem wir im entsprechenden Viertel nicht fündig werden. Es ist Montag und zudem noch vor 1.00 Uhr. Nach einer halben Stunde Kreisfahrt schlage ich vor, die schönen Männer auf eine andere Gelegenheit zu verschieben und lieber in der Hotelbar einen Absacker zu trinken. Wieder einmal haben wir viel Zeit in einem Taxi zugebracht. Überhaupt bin ich noch nie so viel und lange Auto gefahren wie in Sao Paulo. Aufgrund der dortigen Verkehrssituation sollte der Heilige Paulus neben Matten- und Korbflechtern unbedingt Automechaniker und Straßenbauer in sein Schutzprogramm aufnehmen. Vielleicht fällt die Stadt aber eher in den Zuständigkeitsbereich des Apostels Paulus, der bekanntlich ständig unterwegs war. So genau kenne ich mich da nicht aus. Den Weg zum Hotel habe ich aber bis jetzt immer gefunden.
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Donnerstag, 16. November 2006
Sao Paulo - my life is just one big cliché (1)
frau klugscheisser, 19:58h
"Wenn du was über uns bloggst, dann wollen wir das aber lesen", sagen die Kollegen. Warum ich meinen Mund nicht halten konnte, ist schnell erklärt. Noch bevor das Zimmer verwüstet ist, will ich die Aussicht für die Serie A room with a view mit dem Handy knipsen. Leider ist der Akku leer und ich komme nicht um eine Erklärung herum, als ich Nico vom Nebenzimmer darum bitte. Seine Aussicht dürfte nicht viel von der meinen abweichen.
Den zwei häufigsten Lügen des Flugpersonals, die da lauten Ich ruf dich mal an und Ich lege dir die Bilder ins Postfach, baue ich vor, indem ich ihnen erst die URL zum Beitrag verrate, nachdem ich die Bilder auch wirklich erhalten habe. Möglicherweise finden sie sie auch alleine. Nico und Michael sind nämlich zwei schlaue Kerlchen, mit denen ich, aller Warnungen zum Trotz, noch am Ankunftsabend in die Skybar ziehe. Es bleibt auch nicht bei einem Caipirinha, doch die Enthüllungsgeschichten werden mit zunehmendem Alkoholgenuss interessanter. Spätestens nach dem dritten hätte ich ihnen sowieso von meinem Blog erzählt. Dass ich die URL nicht bereits vor Erhalt der Bilder verrate, liegt nur an den konservativen Öffnungszeiten besagter Bar. Um 3.00 machen die nämlich schon dicht. Unglaublich, das in einer Weltstadt wie Sao Paulo.
Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen: "Welches Arschloch hat eigentlich auf die Frage, wann wir uns am nächsten Tag treffen, 10 Uhr gerufen?" Das Arschloch war ich. Der Rohrzucker scheint über Nacht in meinem Kopf angekommen zu sein. Dementsprechend schwer fällt mir jede Bewegung. Meine einzige Hoffnung ist, dass es den Kollegen ähnlich ergeht. Nur mit Marcos Tatendrang - Michaels Bekannter und seines Zeichen Brasilianer - habe ich nicht gerechnet. Gestern noch in der Bar, heute schon in der Lobby wartend, um uns die Stadt zu zeigen. Was dem Bayer sein Bier, ist dem Brasilianer sein Caipi. Keine Spuren von Müdigkeit oder gar Restalkohol sind an ihm erkennbar.
Ich beobachte ihn immer wieder aus dem Augenwinkel, nicht nur, weil ich an seiner guten Laune zweifle, sondern vor allem, weil ich vom Körperkult in Brasilien weiß. Man geht dort zum Chirurgen wie hierzulande zur Wursttheke. Dreihundert Gramm Fett absaugen bitte und ja, es darf auch ein bisserl mehr sein. Gelegentlich schaue ich ihn direkt an, weil ich hoffe, ihn so besser zu verstehen. Deutsch mit portugiesischer Phonetik klingt zwar apart aber manchmal etwas undeutlich. Liegt vielleicht auch an meinen Ohren. Wenn ich beispielsweise nach dem Flug an meiner Uniform lausche, kann ich ganz deutlich das Rauschen der Triebwerke hören.
Ein wenig verwundert betrachten mich die drei, als ich gedankenverloren meine Handschuhe aus der Jackentasche ziehe. Der brasilianische Frühling ist immerhin 22° mild. Ich stopfe sie in die Umhängetasche neben den Stadtplan von San Francisco. Der Inhalt meiner Taschen überrascht mich oft selbst. Im Falle einer Klimakatastrophe oder einer Entführung nach San Francisco bin ich jedenfalls gewappnet. Wir steigen in das Taxi und fahren los. Noch ahne ich nicht, wieviel Zeit man hier in Autos verbringen kann, denn abgesehen von der Großflächigkeit dieser Stadt, halten sich viele Brasilianer gerne gleichzeitig zur selben Zeit am selben Ort innerhalb ihrer Fahrzeuge auf. Für mich nicht weiter schlimm, denn ich unterhalte mich gut. Nur schaue ich nächstes Mal dabei etwas öfter aus dem Fenster.
[Fortsetzung folgt]
Den zwei häufigsten Lügen des Flugpersonals, die da lauten Ich ruf dich mal an und Ich lege dir die Bilder ins Postfach, baue ich vor, indem ich ihnen erst die URL zum Beitrag verrate, nachdem ich die Bilder auch wirklich erhalten habe. Möglicherweise finden sie sie auch alleine. Nico und Michael sind nämlich zwei schlaue Kerlchen, mit denen ich, aller Warnungen zum Trotz, noch am Ankunftsabend in die Skybar ziehe. Es bleibt auch nicht bei einem Caipirinha, doch die Enthüllungsgeschichten werden mit zunehmendem Alkoholgenuss interessanter. Spätestens nach dem dritten hätte ich ihnen sowieso von meinem Blog erzählt. Dass ich die URL nicht bereits vor Erhalt der Bilder verrate, liegt nur an den konservativen Öffnungszeiten besagter Bar. Um 3.00 machen die nämlich schon dicht. Unglaublich, das in einer Weltstadt wie Sao Paulo.
Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen: "Welches Arschloch hat eigentlich auf die Frage, wann wir uns am nächsten Tag treffen, 10 Uhr gerufen?" Das Arschloch war ich. Der Rohrzucker scheint über Nacht in meinem Kopf angekommen zu sein. Dementsprechend schwer fällt mir jede Bewegung. Meine einzige Hoffnung ist, dass es den Kollegen ähnlich ergeht. Nur mit Marcos Tatendrang - Michaels Bekannter und seines Zeichen Brasilianer - habe ich nicht gerechnet. Gestern noch in der Bar, heute schon in der Lobby wartend, um uns die Stadt zu zeigen. Was dem Bayer sein Bier, ist dem Brasilianer sein Caipi. Keine Spuren von Müdigkeit oder gar Restalkohol sind an ihm erkennbar.
Ich beobachte ihn immer wieder aus dem Augenwinkel, nicht nur, weil ich an seiner guten Laune zweifle, sondern vor allem, weil ich vom Körperkult in Brasilien weiß. Man geht dort zum Chirurgen wie hierzulande zur Wursttheke. Dreihundert Gramm Fett absaugen bitte und ja, es darf auch ein bisserl mehr sein. Gelegentlich schaue ich ihn direkt an, weil ich hoffe, ihn so besser zu verstehen. Deutsch mit portugiesischer Phonetik klingt zwar apart aber manchmal etwas undeutlich. Liegt vielleicht auch an meinen Ohren. Wenn ich beispielsweise nach dem Flug an meiner Uniform lausche, kann ich ganz deutlich das Rauschen der Triebwerke hören.
Ein wenig verwundert betrachten mich die drei, als ich gedankenverloren meine Handschuhe aus der Jackentasche ziehe. Der brasilianische Frühling ist immerhin 22° mild. Ich stopfe sie in die Umhängetasche neben den Stadtplan von San Francisco. Der Inhalt meiner Taschen überrascht mich oft selbst. Im Falle einer Klimakatastrophe oder einer Entführung nach San Francisco bin ich jedenfalls gewappnet. Wir steigen in das Taxi und fahren los. Noch ahne ich nicht, wieviel Zeit man hier in Autos verbringen kann, denn abgesehen von der Großflächigkeit dieser Stadt, halten sich viele Brasilianer gerne gleichzeitig zur selben Zeit am selben Ort innerhalb ihrer Fahrzeuge auf. Für mich nicht weiter schlimm, denn ich unterhalte mich gut. Nur schaue ich nächstes Mal dabei etwas öfter aus dem Fenster.
[Fortsetzung folgt]
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Donnerstag, 2. November 2006
Journey to the past
frau klugscheisser, 02:41h
Unbedingt lesen:
Zweimal Auschwitz und zurück von bomec.
Und wenn der nochmal sowas schreibt, mach ich hier dicht oder verlinke nur noch.
Zweimal Auschwitz und zurück von bomec.
Und wenn der nochmal sowas schreibt, mach ich hier dicht oder verlinke nur noch.
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Mittwoch, 25. Oktober 2006
Why don't you stop me when I talk about Shanghai
frau klugscheisser, 15:10h
Zwanzig Minuten stehe ich an der Straße, bevor eines der vorbeifahrenden Taxis anhält, und es fahren nicht wenige vorbei. Entweder bin ich zu doof oder die Chinesen haben einen Trick, ein Geheimzeichen, das ich nicht kenne. Immerhin scheinen mir schon die Schriftzeichen sehr rätselhaft und geheim auszusehen. Ich dachte, die seien nur gedruckt erhältlich, bis ich mit eigenen Augen einen Hotelangestellten mein Fahrtziel mit Kugelschreiber zu Strichhaufen auf Papier verwandeln sah. Unter Schreibschrift verstehe ich ja im Allgemeinen was anderes, etwas weiches, fließendes und nicht kopulierende Strichmännchen [Chinese Letters are the new Rorschachtest]. Kein Wunder, dass die Bevölkerung Chinas explodiert. Während ich also am Straßenrand stehe und über das Geheimnis der Taxibeschaffung nachdenke, beobachte ich herannahende Eingeborene, die mit Leichtigkeit jedes freie Taxi zum Halten bringen. Sie laufen ein Stück in die Straße, wedeln mit ausgestrecktem Arm oder übernehmen einen herannahenden Wagen von aussteigenden Fahrgästen. Will ich diese Vorgehensweise imitieren, werde ich sofort mit zwei Problemen konfrontiert. Zum einen scheint es immer eine Person zu geben, die ein Taxi bereits vor mir erspähte und schneller am Wagen ist, als ich es bin, und zum anderen muss man suizidal veranlagt sein, um die schützende Erhebung - genannt Bürgersteig - zu verlassen. Dabei sieht das bei den Chinesen so lässig aus. Keiner rennt, sobald sich ein Taxi nähert, keiner streitet sich mit anderen um ein freies Gefährt. Ich werde also den Teufel tun und meinen Schritt beschleunigen. Sobald man in China den Gehweg verlässt, begibt man sich in Sphären, in denen das Darwin´sche Gesetz vom Überleben des Stärkeren gilt. Gegen Autos hat ein Passant meist wenig Chancen. Eine weitere Tatsache ist für das Überleben auf freier Straße wichtig zu wissen. Es gibt nämlich in China zwei Gruppen von Verkehrsteilnehmern, für die Ampelsignale nicht gelten: Fahrräder und Taxis. Sobald die Fußgängerampel auf grün schaltet, glaubt der Europäer irrtümlich an freie Wege. In China kann ein Blick zur Seite wenn nicht gar Leben retten, so doch zumindest einen Herzinfarkt verhindern. Auch Zebrastreifen sind in China nicht viel mehr als ein nettes Straßengraffiti im Streifendesign. Straßenverkehr ist in China generell chaotisch. Es wird viel gehupt und die Spuren gewechselt, vorausgesetzt der Verkehr hat sich nicht wie üblich in eine zähe Masse verwandelt. Nur die Portugiesen fahren chaotischer, wobei jene nur glauben, ihr Fahrzeug zu beherrschen.
In der schützenden Blechhülle eines ergatterten Taxis lasse ich die letzte halbe Stunde Revue passieren. Nach den ersten Fehlschlägen setzte ich mich erst mal auf die Stufen eines Gebäudes, um eine Zigarette zu rauchen, wurde von drei Bettlern um Geld gebeten und von einigen Straßenhändlern auf ihre Waren aufmerksam gemacht. Das Land scheint von gefälschten Produkten zu existieren. Mich interessieren die nachgemachten Handtaschen und Uhren nicht. Wer sich echte nicht leisten kann, manifestiert in meinen Augen nur seine ganze Ärmlichkeit mit dem Tragen von nachgeahmten Markenprodukten. Ausserdem haben sogenannte Fakeartikel erhebliche Nachteile. Sportfunktionsbekleidung etwa funktioniert nicht wie gewünscht. Dennoch rennen Einkäufer der westlichen Hemisphäre den Marktschreiern sprichwörtlich die Buden ein und zahlen für chinesische Verhältnisse überzogene Preise. Es gibt auch originäre Produkte, wie zum Beispiel Pashminaschals, für die man nicht mehr als umgerechnet einen Euro zahlt. Nach vier Schals habe ich aufgegeben, denn was nützt ein warmer Hals, wenn die Füße kalt sind. Überhaupt nervt mich dieses ewige Feilschen. Ich will ein Produkt mit einem realen Preis ausgezeichnet sehen, über den ich dann abwägen kann und nicht ständig das Gefühl haben, das hätte ich billiger bekommen können. So was kann mir den Schlaf rauben. Zum Glück gibt es Taxameter für den Fahrpreis. Um die Fünf-Euro-Marke zu sprengen, muss man schon die Stadtgrenze hinter sich lassen. Oder für Stunden in einem der unsäglichen Staus stehen. Heute geht alles glatt, soweit ich das von der Hinterbank beurteilen kann, denn ich vermeide den Blick nach vorne. Der Beifahrersitz ist, wie gesagt, nichts für Menschen mit schwachen Nerven. Interessant finde ich, dass der Fahrer hinter einer Plastikummantelung sitzt. Man fürchtet nicht die reale Bedrohung von draußen, sondern die durch den Fahrgast. Dass die Chinesen gerne um sich spucken, keine Taschentücher verwenden und auch sonst körperlichen Vorgängen freien Lauf lassen, weiß jedes Kind. Auch dass dieses Verhalten zum guten Ton gehört. In Zeiten von SARS und Grippeviren leuchtet mir diese hypothetische Vorsichtsmaßnahme ein.
Ich zahle und steige vor dem Hotel aus. Das Taxi ist innerhalb von Sekunden bereits wieder im Einsatz. Wie sie das machen, die Chinesen, ist mir zwar immer noch ein Rätsel, interessiert mich aber erst wieder brennend, wenn ich dort im nächsten Platzregen ohne Schirm am Straßenrand stehe. Und eine gute Nachricht aus China habe ich auch noch zu vermelden: der umgefallene Sack Reis steht wieder.
In der schützenden Blechhülle eines ergatterten Taxis lasse ich die letzte halbe Stunde Revue passieren. Nach den ersten Fehlschlägen setzte ich mich erst mal auf die Stufen eines Gebäudes, um eine Zigarette zu rauchen, wurde von drei Bettlern um Geld gebeten und von einigen Straßenhändlern auf ihre Waren aufmerksam gemacht. Das Land scheint von gefälschten Produkten zu existieren. Mich interessieren die nachgemachten Handtaschen und Uhren nicht. Wer sich echte nicht leisten kann, manifestiert in meinen Augen nur seine ganze Ärmlichkeit mit dem Tragen von nachgeahmten Markenprodukten. Ausserdem haben sogenannte Fakeartikel erhebliche Nachteile. Sportfunktionsbekleidung etwa funktioniert nicht wie gewünscht. Dennoch rennen Einkäufer der westlichen Hemisphäre den Marktschreiern sprichwörtlich die Buden ein und zahlen für chinesische Verhältnisse überzogene Preise. Es gibt auch originäre Produkte, wie zum Beispiel Pashminaschals, für die man nicht mehr als umgerechnet einen Euro zahlt. Nach vier Schals habe ich aufgegeben, denn was nützt ein warmer Hals, wenn die Füße kalt sind. Überhaupt nervt mich dieses ewige Feilschen. Ich will ein Produkt mit einem realen Preis ausgezeichnet sehen, über den ich dann abwägen kann und nicht ständig das Gefühl haben, das hätte ich billiger bekommen können. So was kann mir den Schlaf rauben. Zum Glück gibt es Taxameter für den Fahrpreis. Um die Fünf-Euro-Marke zu sprengen, muss man schon die Stadtgrenze hinter sich lassen. Oder für Stunden in einem der unsäglichen Staus stehen. Heute geht alles glatt, soweit ich das von der Hinterbank beurteilen kann, denn ich vermeide den Blick nach vorne. Der Beifahrersitz ist, wie gesagt, nichts für Menschen mit schwachen Nerven. Interessant finde ich, dass der Fahrer hinter einer Plastikummantelung sitzt. Man fürchtet nicht die reale Bedrohung von draußen, sondern die durch den Fahrgast. Dass die Chinesen gerne um sich spucken, keine Taschentücher verwenden und auch sonst körperlichen Vorgängen freien Lauf lassen, weiß jedes Kind. Auch dass dieses Verhalten zum guten Ton gehört. In Zeiten von SARS und Grippeviren leuchtet mir diese hypothetische Vorsichtsmaßnahme ein.
Ich zahle und steige vor dem Hotel aus. Das Taxi ist innerhalb von Sekunden bereits wieder im Einsatz. Wie sie das machen, die Chinesen, ist mir zwar immer noch ein Rätsel, interessiert mich aber erst wieder brennend, wenn ich dort im nächsten Platzregen ohne Schirm am Straßenrand stehe. Und eine gute Nachricht aus China habe ich auch noch zu vermelden: der umgefallene Sack Reis steht wieder.
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