Freitag, 29. September 2006
These boots are made in Hongkong
Hongkong wäre mit seinen vielen Wolkenkratzern der ideale Trainingsparcour für zukünftige Selbstmordattentäter, vorausgesetzt, man wolle mehr als nur geradeaus fliegen können.
Neben dem Verkauf von Plagiaten, ist der Beruf des Fensterputzers hier wohl krisensicher. Als der Korb vor mein Fenster im 32.Stock einschwebt, bin ich einem Herzinfarkt nahe. Nicht dass die beiden Putzer die Scheiben vom Großstadtschmutz befreien. Stattdessen wird mit einer Brotzeit über dem Abgrund pausiert. Wie viel sie von meinem Aquariendasein hinter der Scheibe wahrnehmen, kann ich nicht beurteilen. Ich will es auch nicht testen und behalte meine Kleidung während ihres Aufenthaltes lieber an. Es wird laut gesprochen und ausschweifende Bewegungen lassen die Konstruktion zusätzlich zum Wind über der Straßenschlucht schwingen. Sollte ihr Streitgespräch eskalieren, wäre ich nicht einmal in der Lage, schlichtend einzugreifen, denn die Fenster lassen sich nicht öffnen. Doch was sich für meine Ohren bedrohlich anhört, entpuppt sich bei Gelächter als normale Unterhaltung. Beide haben jeweils eine Seite der Tageszeitung mit Klebeband hinten an die gelben Schutzhelme befestigt. Ich wäre nicht überrascht, wenn sich diese Art Sonnenschutz als Trend bald auch bei uns durchsetzt. Sieht man sich manche Schuhsohlen an, haben es afrikanische Ersatzkonstruktionen aus ausgedienten Autoreifen ebenfalls bis in die westliche Modeindustrie geschafft. Nach einer Stunde heißt es Abschied nehmen. Genauso unverhofft, wie sie gekommen sind, verschwindet der Wagen langsam mit ihnen in den Feierabend. Ich schließe die Vorhänge und versuche endlich, den überfälligen Schlaf nachzuholen.

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Donnerstag, 24. August 2006
Domo arroganto
Man hat mir vertraulich geflüstert, dass das Thema Tanzen so langsam nervt. Tja bin ich versucht zu sagen, Pech für euch. Tu ich aber nicht. Stattdessen mal was über japanische Bedürfnisanstalten. Links sehen Sie ein Bild von einer typisch japanischen solchen. Ziemlich unscharf (sorry). Deswegen werde ich das Abgebildete im Folgenden mal erklären:

Die Sitzbrille ist beheizt. Temperaturregler finden sich in der Steuerungskonsole linker Hand (oder rechts bei Benutzung). Daneben findet der verwöhnte japanische Hintern zwei weitere Knöpfe für eine Popodusche und eine Bidetfunktion. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, wo da der Unterschied ist. Das Ergebnis ist immer Überschwemmung, wird der Strahl vom aufsitzenden Hintern nicht vor Grenzüberschreitung gestoppt. Schön auch die Warnhinweise auf der Innenseite des geöffneten Deckels. Da wird zum Beispiel davor gewarnt, disabled persons and children der maximalen Brillenbeheizungsstufe auszusetzen. Die können im Notfall - also bei roten Backen - ja nicht einfach so runterspringen. Ausserdem wird darauf hingewiesen, dass der Deckel zwar flexibel angebracht (nee, is klar), sich aber dennoch nicht für Kletterübungen eignet. Ja, sowas muss man den Japanern erklären, das ist nicht selbstverständlich. Schließlich imitiert man dort fleißig Amerika.

Nicht nur Toiletten, auch Decken sind im Land der aufgehenden Sonne sehr niedrig. Bekanntlich ist der Japaner nicht besonders hochgewachsen. Sehr praktisch wirkt sich diese Tatsache auf die Problematik der Bevölkerungsdichte aus. Menschen lassen sich in Gebäuden platzsparender stapeln. Mein Astral kleinwüchsiger Körper passt ohne Probleme in die kurzen Betten. Kurze Beine sind zur Abwechslung von Vorteil. Fast könnte ich mich dort wohl fühlen.

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Donnerstag, 20. Juli 2006
Nachtrag Kocherlball


Morgens um 5.00 aufstehen ist nicht schwer, vorrausgesetzt man muss nicht. Ich bin bereits gegen 3.00 wach und nutze die kühle Nachtluft zum Bügeln. Auf dem Weg zum Englischen Garten nur einige verlorene Gestalten, manche in Trachten, manche nur grundlos blau. Das Streetlife Festival hat auf der Ludwigstraße seine Spuren hinterlassen, Pappbecher, Flaschenscherben, verdaute Essensreste überall um den Geschwister-Scholl-Brunnen. Meine Begleiterin findet zufällig vier langstielige Rosen für den Balkon, wie sie sagt. Zuerst bin ich mißtrauisch, ob das nicht piekst. Um den Chinesischen Turm bereits eine große Menschenansammlung. Ich stelle mich in die Schlange für den Kaffeeautomaten. Ein alkoholisierter Jüngling in Lederhose fällt mir fast in den Auschnitt. Das ist ja mal eine sehr schöne Dekoration kommentiert er die Rosen. Und nach einer Weile kontemplativen Starrens zwischen meine Brüste sehr schön...Wissen Sie, lallt er weiter normalerweise steh ich ja auf Männer aber das hier (deutet auf die Rosen) ist sehr schön. Ich bin erleichtert und gleichzeitig irritiert. Ist das am Ende nur ein billiger Anmachtrick?

Als die Musik losgeht [Ampertaler Kirtamusi, Bolzwanger Geigenmusi klingt innerborische Grenzen überschreitend, so cross over the Chiemsee] ziehen die Tanzpaare an uns vorbei. Viele in Trachten, oft jedoch nur eine stadtangepasste Fusionvariante der Originale. Wir trinken erst mal in Ruhe Kaffee. Später ist kaum noch Durchkommen zur Tanzfläche. Diese Veranstaltung scheint schon lange kein Geheimtipp mehr zu sein, weswegen sich Menschentrauben dicht um und auf der Tanzfläche scharen. Diesmal verzichte ich auf Tanzen, nicht ohne eine kleine Wehmutsträne zu vergießen. Um 7.00 gelangen erste Sonnenstrahlen über die hohen Baumwipfel und wärmen die Nachtschwärmer. Es ist sakrisch kalt, wenn der Kreislauf noch schwächelt. Und gegen 8.00 fahre ich heim, um vor Dienstbeginn noch zwei Stunden Schlaf zu bekommen.

Nächstes Jahr gerne wieder. Dann aber unangekündigt. Kommt eh keiner in meinem Bekanntenkreis so früh aus dem Bett. Ihr Waschlappen, Schwächlinge, Faulpelze und Ausredenfinder Ihr! [Mal sehen, wer sich angesprochen fühlt]

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Dienstag, 18. Juli 2006
Woman from Tokyo
Apropos Feiertage: der Fitness-/Wellnessclub ist heute geschlossen, da gestern Tag des Meeres war und der Pool erst heute gereinigt werden kann. Ich verschlafe lausiges Wetter, tief hängende Wolken und Dauerregen. Am Abend dann auf Nahrungssuche. Restaurants stellen Plastikabbildungen ihrer Gerichte in Schaukästen vor dem Eingang aus, auf die Ausländer mit Fingern deuten können. Vor den Suppenküchen stehen Stühle für Wartende. Man trägt seinen Namen in eine Liste am Eingang und hofft auf das Sprachtalent der Angestellten. Speisekarten in japanischen Lettern erschweren die Auswahl. Sushi allerorten. Am Bahnhof ein Förderband für Fischsnacks (Sushitrail), die Dönerbuden Japans. Ernährung gestaltet sich schwierig, wenn man auf Schalengetier allergisch reagiert. Noch schwieriger wirds, will man seinen Prinzipien treu bleiben und sich der hierzulande gefangenen Meereslebewesen gänzlich enthalten. Japan ist das Guantanamo des Fischfanges.

Bleibt nur noch Supermarkt. Die wichtigste Information ist die über nächtliche Öffnungszeiten. Das Angebot ist reichhaltig: Sushi abgepackt, Onigiri mit Fischpaste abgepackt, Meeresfrüchtesalat abgepackt. Fischchips und getrockneter Tang gesalzen auf zwei Regalmetern. Übrig bleibt nur Instantsuppe mit Schrimps. Die kann man notfalls absammeln, bevor man heisses Wasser hinzufügt. Gegessen wird mit Stäbchen, auch die Flüssigkeit. Man muss alles nur schnell genug vom Becher zum Mund befördern. Ein ausdauerndes Völkchen. Reissnacks schmecken ganz ordentlich, bis ich den ersten getrockneten Fisch aus der Packung angle. jetzt liegt er neben mir auf dem Tisch und sieht mich traurig an. Wer schon bei Bambi zögert, kann Nemo erst recht nicht verspeisen. Ich beschließe, ihn feierlich in der Toilette beizusetzen. Leise Plätscherklänge aus dem Lautsprecher im Badezimmer. Beim Spülen erwische ich den falschen Knopf. Zwei- dreimal springt er lustig auf der kleinen Fontäne nach oben, bis er schließlich ins Nirwana der Kanalisation gezogen wird. Der Zimmerspringbrunnen hat eine Pfütze auf dem Boden vor der Toilette hinterlassen. Griesgrämig wische ich sie mit Origamitoilettenpapier auf. Japaner falten zwanghaft jede Art von Papier, das ihnen in die Finger gerät, auch Klopapier. Das Zimmermädchen hätte ihre Aufgabe innerhalb von Minuten erledigt, wären da nicht Kleenex und Co. Ich verstehe sie einfach nicht, die Japaner, so sehr ich mich auch bemühe. Während ein Origamifetisch noch belustigt, stößt das Gebahren der Geschäftsmänner nach Feierabend eher ab. Biergeruch zieht mit einer Gruppe Anzugträger an mir vorbei. Ich treffe sie wieder vor einem Zeitschriftenregal mit Hentailektüre, dem ich mich neugierig nähere. Ihre Blicke lassen mich umkehren. Dabei wollte ich mich über die neuesten Szenetrends informieren. Schnürpäckchen sind inzwischen ein alter Hut, genau wie Gips (bessere Musik hier, man muss sich aber einloggen). Was letztlich angesagt ist, entzieht sich für heute meiner Neugier.

Im Fernsehen übertriebene Fröhlichkeit vor knalliger Kulisse. Keiner würde normalerweise so laut sprechen, noch viel weniger so ungeniert über Plattitüden lachen. Paralleluniversum zum Alltag, vielleicht die Sehnsucht eines Volkes nach Ungezwungenheit, die man sich genau so vorstellt. Oder Abhärtungsprogramm. Einen Japaner bringt so schnell nichts aus der Fassung, kein Erdbeben und kein Autounfall. Auf dem Weg zum Hotel ein verunglückter Viehtransporter. Überall liegt zermatschtes Schweinefleisch auf der Fahrbahn, blutende Tiere, zerfetzte Körper. Dahinter wartet die aufgestaute Autokolonne geduldig bis zum Eintreffen des Räumungstrupps. Keiner hupt, keiner gafft. Wir passieren die Stelle reibungsfrei auf der Gegenfahrbahn. Heute ein Auffahrunfall auf meinem Weg. Ein Lastwagen der Stadtreinigung quetscht sich in den Kofferraum eines Personenwagens. Man steigt aus, ruft die Polizei und versammelt sich schweigend um die Fahrzeugreste. Alles weitere überlässt man dem Polizisten, der in Windeseile mit Signalterzgeheul auf dem Motorrad eintrifft. Ein Oh hier, ein Ah dort, sonst nichts. Kein Gezeter, keine Beschimpfungen. Auch sonst benutzt man gerne langgezogene Ohs und Ahs. Sie entschlüpfen regelmäßig den Mündern der Zuhörenden. Erstaunlich aufdringlich wirkt hingegen das abgehackt herausgepresste hai, das Zustimmung bedeutet. Für mein Gefühl mag sich der Habitus dieses Wortes so gar nicht in das restliche Verhalten einfügen. Was gerne mit jaja [leck mich am Arsch] kommentiert wird, dürfte schwierig ins Japanische zu übersetzen sein. Haihai bedeutet jedenfalls was anderes.

Falls jemand unter den Damen ausgefallenes Schuhwerk sucht, wird hier bestimmt fündig. Alle weiblichen Hotelangestellten tragen Minnie Mouse Schuhe in weiß. Überhaupt trägt man hohe Schuhe gerne eine halbe Nummer zu groß, was den schlurfenden Gang zusätzlich fördert. Früher entglitt mir gelegentlich ein Schmunzeln, wenn ich Japanerinnen auf der Straße stöckeln oder gar eilig laufen sah. Auf Nachfrage erklärte man mir, dies habe mit Unterwürfigkeit zu tun. Servicepersonal schickt sich an, die Wünsche des Kunden schnell zu erledigen und markiert einen eiligeren Schritt. Natürlich können Japaner auch richtig rennen, hat man ja erst bei der WM gesehen. Im Grunde schämen sich die Japanerinnen für ihren Schlumpfschritt. Man möchte gerne westlich angepasst sein. Und im Imitieren sind sie perfekt. Es spielen mehr Japaner in europäischen Orchestern denn je. Während meines Studiums traf ich immer wieder japanische Studenten, die kein Wort deutsch sprachen, dafür aber umso schneller die Klangbeispiele ihrer Lehrer umsetzten. Menschliche Aufnahmegeräte mit integrierter Dolby Surround Funktion. Solisten sind allerdings rar. Man bleibt lieber im Kollektiv.

Ich merke, ich komme ins Plaudern. Genug für heute, auch wenn ich noch vieles zu bestaunen hätte...

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Montag, 17. Juli 2006
Lost in Transition
Jeder zweite an mich gerichtete Satz endet mit my dear. Der Vorhang, der die Kabine von der Küche trennt, bewegt sich permanent. Sie fordert Beilagen mit mir unbekannten Bezeichnungen ein, ordnet unzählige Schälchen an und rückt Stäbchen zurecht. Zwischendurch erklärt sie, was wie zu sein hat. Einprägen kann ich mir ihre Worte, doch der tiefere Sinn bleibt mir verborgen. So bleibe ich eben my dear. Man kennt die japanische Liebe zum Detail aus lehrreichen Berichten oder gar Beobachtungen, bemüht sich, der Andersartigkeit gerecht zu werden und erntet doch Gelächter, bei dem Versuch, das Glas ehrfurchtsvoll abzustellen. Nein, das sei dann doch ein wenig übertrieben. Sie mag westliche Gerichte, weil die so herrlich einfach sind.

Am Freitag war sie in Paris, wollte die Tuilerien besichtigen, doch irgend so ein Nationalfeiertag hat ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann redet sie mit der Landsmännin, bei der ich nach jedem Satz nachhaken muss. Englische Worte klingen aus ihrem Mund vollkommen unbekannt. Später der Versuch, mit Hilfe einer Hotline eine Internetverbindung herzustellen. Ich befinde mich auf einem fremden Planeten. Minnie Mouse beschreibt Schritt für Schritt den Weg nach Disneyland. Dabei behauptet die Dame am anderen Ende der Leitung steif und fest, sie spräche von meinem Betriebssystem. Ich gebe auf, nicht ohne mich vorher für ihre Bemühungen zu bedanken.

Später im Andenkenladen zwischen all dem Tand erinnere ich mich an das japanische Handy mit angehängtem Miniaturcharivari. We like these things because we are sweet erklärt sie und grinst verschmitzt. My dear ist verunsichert ob dieser subversiven Humorkeule. Instinktiv nehme ich die letzte der vier versprochenen Postkarten mit beiden Händen entgegen. Wahrscheinlich habe ich mich soeben erneut zum Kasperl gemacht. Vor dem Hotel ertönt zur vollen Stunde Lohengrins Brautchor im Glockenspiel, vermischt mit ostinat großen Terzen einer Polizeisirene. In anderen Ländern heulen Sirenen in Quarten oder gar glissandiartiger Chromatik. Hier ist alles sweet-possierlich, selbst die sprechenden Fußgängerampeln. Die erworbene Postkarte trage ich in einer Papiertüte mit aufgeklebter Schleife heim. Überhaupt alles wird hier gerne einzeln verpackt. Gummibärchen in Isolationshaft. Hauptsache es raschelt. Geräusche, die ich nicht verstehe. Langsam lullt mich der Klang von plätscherndem Wasser in den Schlaf. Ausnahmsweise kommt er nicht aus dem Lautsprecher neben dem Bett, sondern aus dem Badezimmer. So gewohnt reell, dass ich es beinahe überhöre.

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