Montag, 19. September 2022
Talk to Me
Kroatisch ist die Sprache der Gewinner beim Scrabble. Wo nur wenige Vokale die Konsonantenfolgen unterbrechen, kann die Aussprache für uns Deutschsprachige zur Herausforderung werden. Andererseits scheint man auch internationale Wörter in der Schreibweise frei zu interpretieren.



So war ich jeden Morgen beim Griff nach dem Shampoo leicht irritiert. Aber auch andere Worte erinnerten mich stark an Bekanntes. Beispielsweise haben sich die Kroaten am Bayrisch bedient:



Eine kroatische Freundin wohnt mit ihrem amerikanischen Mann in Zagreb. Die kleine Tochter wächst zweisprachig auf, der Vater lernt nun die Landessprache mit Bilderbüchern. Bei den Assoziationen waren wir uns einig, denn ausser den üblichen Worten und Sätzen - man hört sie jeden Tag - konnte ich mir nur den Frosch merken: ?aba. Ausgesprochen wird er nämlich wie der berühmte Schleimhaufen aus Star Wars, Jabba the Hutt.

So leicht es ist, sich über eine nicht beherrschte Sprache lustig zu machen, so schwer ist es, sie zu erlernen. Denn Sprache - da machen wir es uns vielleicht durch das bekannte Lernsystem zu einfach - besteht aus weit mehr als nur Wörtern. Unser Denken besteht aus Bildern und Gefühlen, die wir in Worte fassen, um uns mitzuteilen. Diese Bilder sind in jeder Kultur sehr spezifisch. Ohne in die Sprachwissenschaften einsteigen zu wollen, habe ich einst ein kleines, persönliches Experiment verfolgt. Meine Spanischkenntnisse waren zu dieser Zeit sehr rudimentär, was mich aber nicht davon abhielt, während eines beruflichen Aufenthaltes im Land ein paar Gedichtbände zu erwerben. Dann begann ich, die Zeilen Wort für Wort in's Deutsche zu übersetzen. Es ergaben sich Bilder von solch' gewaltiger Dimension, die mich damals wie heute erstaunten. Die romanischen Sprachen benötigen weit weniger Worte als beispielsweise im Englischen gebraucht werden, doch die Kultur zeichnet überdimensionierte Bilder von Gefühlen des Leids und Verlustes, der Trauer und Freude. Man kennt das Stereotyp des sich im Detail verlierenden Briten im Gegensatz zum exaltierten oder zumindest extrovertierten spanischsprechenden Menschen. Wenn ich mir die Sprache mit ihren Bildern ansehe, könnte da wirklich was dran sein.

Eigentlich wollte ich was ganz anderes erzählen aber die Worte haben sich so ergeben. Das Deutsche ruckelt halt so schön vor sich hin - von Plätschern kann ja bei so viel Zusammengesetztem keine Rede sein. Da verdienen wir nämlich beim Scrabble zumindest den zweiten Platz, gleich hinter kroatisch.

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Montag, 12. September 2022
If You're Happy and You Know It (Clap Your Hands)
Das Fenster steht offen, von draussen dringen Meerluft und die Klänge einer Blaskapelle in's Zimmer - das eine kriege ich nicht ohne das andere. Insgesamt ist es aber eher langweilig hier. Schnödes blau in blau mit einem Hauch sonnendurchtränktem Grün, weshalb ich hier auch keine Fotos einstelle. Daheim in Deutschland soll das Wetter gerade nicht so fein sein, so genau weiß ich das aber nicht, weil ich es nicht nachschaue. Es interessiert mich einfach nicht. Meine hochformatigen Fotos werden liegend angezeigt, wenn ich sie bearbeite, stehen sie zwar für die Betrachtenden richtigrum, ich kann sie aber nicht mehr mit demselben Namen speichern, denn das war ja das andere, liegende Foto. Und jetzt wissen Sie, wie es mir geht, denn das ist gerade mein dringendstes Problem - abgesehen von der Blaskapelle unten auf dem Dorfplatz, die gerade Adèle ausschlachtet und von den letzten verbleibenden Touristen umjubelt wird.


na gut, eins geht schon

Meine Begleitung sagt, es gäbe hier am Meer keine Stechmücken, weil hier ständig Wind wehe. Seltsamerweise surren eine oder zwei von den Tierchen ständig nachts um meine Ohren. Ich bin auch die, die komplett zerstochene Beine hat. Die Begleitung fühlt sich nur ein wenig im Schlaf gestört und klatscht gelegentlich nachts in die Hände. Dann denke ich, es geht ihr auch gut. Und so vergehen die Tage und Nächte hier am Meer viel zu schnell. Gestern haben wir eine Wanderung zur höchsten Erhebung der Insel gemacht. Auf dem Weg trafen wir einen semi-professionellen Steinschleuderer, der örtliche Wettbewerbe organisiert. Er fragte, ob ich auch mal probieren wolle, ich fragte, wie lange er bereits trainiere. Auf seine Antwort "sein ganzes Leben" erwiderte ich nur, dann sei ich bereits zu spät dran.



Liebe Omi, das Essen ist gut, das Wetter schön und leider müssen wir bald wieder abreisen. Solche Postkartentexte schreibt man nicht mehr, weil man keine Postkarten mehr schickt. Die letzten schickte ich von Florenz, die kamen nie an. Jetzt schicke ich sie immer von Deutschland aus ab, damit das mit der Zustellung klappt. Wie die Rezipienten wohl schauen würden, wenn ich solche Texte per Messenger verschickte. Oder Bilder vom Essen statt von der Landschaft. Das Essen ist übrigens nicht immer gut, dafür aber teuer. Obige Ausnahme bestätigt leider die Regel.



Mehrsprachigkeit hat auch ihre Tücken. Heute habe ich ein französischsprachiges Pärchen auf unser Boot eingeladen. Das war schön, weil man bei Wind und Wellen nicht so viel versteht, dafür aber meistens mit falscher Grammatik dennoch verstanden wird. Oder mit falschen Wörtern. Die Übersetzung von Spanisch oder Englisch funktioniert in's Französische nur sehr eingeschränkt, so meine heutige Erkenntnis. Die Mitfahrenden sind aber äusserst bemüht uns zu verstehen. Der Rest klappt dann später mit Alkohol.



Kroatinnen und Kroaten sprechen übrigens eher deutsch als englisch, sind im Allgemeinen aber durchaus bemüht, auch alles andere zu verstehen. So habe ich einiges über die lokalen Gepflogenheiten gelernt. Beispielsweise werden Pfandflaschen nur vom Großmarkt an der Hauptstraße zurückgenommen. Dort wirft man sie allerdings in großen Säcken hinter's Gebäude, statt sie in irgendeiner Form zu recyclen. Ich bringe sie brav zurück, ziehe einen Bon und lege den auf einen Papierkorb an der Straße. Irgendwer sammelt die Bons wie alle anderen leeren Plastikflaschen und freut sich drüber. Ich höre manchmal jemanden auf dem Dorfplatz nachts klatschen. Ob das den Flaschen oder den Moskitos gilt, weiß ich nicht. Jedenfalls scheinen die Leute hier glücklich zu sein.

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Donnerstag, 9. Juni 2022
I have to Admit it's Getting Better
Die Nase läuft, der Husten hat mich ungefähr dreimal täglich fest im Griff und zusätzlich kann ich nur sehr schlecht schlafen, bin aber tagsüber dauermüde. So fühlt sich das also nach Corona an. Ich muss zugeben, noch weiß ich nicht, wann ich wieder voll einsatzfähig sein werde, denn bereits Kleinigkeiten lassen mich sehr erschöpft sein. Treppensteigen, kurze Strecken mit dem Rad fahren, alles ist sehr viel anstrengender als es noch vor der Infektion war. Obwohl ich mir eine gute Kondition antrainiert habe, scheint gerade alles für die Genesung aufgebraucht zu sein. Auch das Denken ist manchmal noch recht breiig. Ein Glück, dass ich im Privaten nur für mich entscheiden muss.

Wie ich also so langsam vor mich hintriele, muss ich an Owen Meany denken - die Romanfigur von Irving - und wie seine Langsamkeit und seine geringe Körpergröße von einem generellen Nachteil für einen einzigen aber durchaus sehr entscheidenden Moment zu einem Vorteil werden. Die Begebenheit ist Fiktion, die Botschaft ist aber doch in den Alltag übertragbar. Vielleicht werde ich zur Heldin, weil ich einen einzigen Moment zögere anstatt entschlossen zu handeln. Vielleicht fällt mir aber auch nur ein Handgepäckstück auf den Kopf, weil ich nicht schnell genug zur Seite springe. Vielleicht wird das Flugzeug, in dem ich meinen Dienst hätte antreten sollen, unauffindbar vom Radar verschwinden. Vielleicht habe ich aber im neu zugeteilten Dienst einfach nur einen motzigen Kollegen weniger mitzuschleifen. Man weiß es nicht, denn Parallelwelten gibt es nur für gewaschene Einzelsocken, nicht aber für Desillusionierte. Ich bleibe dabei: die beste aller Welten ist die, in der ich lebe. Ob mit oder ohne Corona. Und manchmal treffe ich Menschen, mit denen ich mir eine bessere Welt ausdenke und wir fangen an, ein bisschen hier und da nachzujustieren. Am Ende des Tages sind es nämlich nicht die Umstände, sondern die Begegnungen, die für mich das Leben schön machen. Danach halte ich es auch mit mir wieder für eine Weile gut aus.

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Samstag, 22. Januar 2022
Having a Blast
Es gab mal ein Blog für Betrunkene , in dem ich dareinst beitrug. Heute bin ich auch aus Gründen angeschickert. Das Ausdrücken in diesem Zustand ist aber nicht mehr so dringend. Schon schön, dieses Älterwerden?

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Sonntag, 12. Juli 2020
Dawning


Meine innere und äussere Recherche ergab: ich bin vollkommen normal. Das mag überraschend klingen, da meine Lebensweise, Biographie und die ein oder andere Art zu reagieren nicht dem entsprechen, was hinlänglich als Norm bezeichnet wird. Was ich damit meine, ist die Tatsache, dass mein Zustand der Traurigkeit, der Ratlosigkeit und der Suche eine Folge von allgemeiner Ratlosigkeit, von Isolation und gesellschaftlichen Einschränkungen ist. Weit klügere Menschen als ich haben die Konsequenz stetiger Individualisierung und Virtualisierung und die damit einhergehende innere Verwüstung bereits durchdacht. Mir fehlte die Verknüpfung zum Gefühl. Man nennt es übrigens Erfahrung, dieses Zuordnen von Wissen zu Gefühlen. Wer Erlerntes nur theoretisch abspeichert, sammelt Wissen, wer das Wissen mit Emotionen verknüpft, sammelt Erfahrung. Schließlich ermöglicht Erleben auch Empathie.

Was mir also konkret fehlt, ist das Gefühl von sozialer Zugehörigkeit. Ich fühle mich, als flöge ich durch luftleeren Raum. Gelegentlich überfällt mich Panik. Diese Attacken werden durch Verlustangst ausgelöst. Noch vor zwei Wochen schrieb ich das:

Alles wiederholt sich. Jeder Tag eine einzige Wiederholung dessen, was gestern, vorgestern oder vor Jahren war. Ich spüre, wie ich mir unmerklich entgleite. Da ist kein Kampfgeist mehr, keine Energie, mich gegen das zu stellen, was ich nicht ändern kann. Festhalten möchte ich mich, doch mein Griff geht in's Leere. Die Rituale werden zur leeren Hülle.

Insgesamt erlebe ich das, was Viele erst im letzten Lebensabschnitt kennenlernen, wenn die Erwerbstätigkeit und familiäre Aufgaben wegfallen, wenn große Lebensziele nicht mehr zu erwarten und sie völlig auf sich selbst zurückgeworfen sind, wenn Ablenkungs- oder Verdrängungsmechanismen nicht mehr greifen. Diese Mechanismen griffen übrigens noch nie besonders gut bei mir, weil ich sie für gewöhnlich zu schnell enttarne. Wiederholung ist an sich nichts Schlechtes, ihre Schönheit liegt darin, dass wir jedes Mal besser werden können. Wenn aber nach Abzug von allem Sinnstiftenden nichts mehr bleibt als sich wiederholende Tätigkeiten wie aufstehen, waschen, essen, schlafen, nützen auch die schönen Sprüche nicht. Dann macht über kurz oder lang auch das Aufstehen, waschen, essen und schlafen keinen Sinn mehr. Im Grunde wiederholt sich Lebendes nicht. Der Kreislauf vom Wachsen und Vergehen ist nur mikroskopisch wahrnehmbar. Vieles, wie das Älterwerden beispielsweise, wird erst in der Retrospektive erkennbar. Anderes reißt uns mit einem Knall aus der gewohnten Eintönigkeit. Es geht also darum, die mit Veränderung einhergehende Unsicherheit - im Umkehrschluss den Verlust einer Sicherheitsillusion - auszuhalten und anzunehmen.

Soweit ist alles wie immer. Seit Virus unseren Alltag auf den Kopf stellt, funktioniert aber nichts mehr wie früher. Während die Einen noch an altbewährten Strategien festhalten, zerfällt bei Anderen die letzte Säule ihres Daseins: das Netz reziproker Beziehungen.

Ich habe lange darüber nachgedacht, was mir besonders fehlt. Aufgrund meiner beruflichen Funktion bin ich in engem Austausch mit Passagieren und Kollegen. Das sind oft nur belanglose Gespräche, die so jedoch nie in einem Supermarkt stattfinden würden, ohne dass mich seltsame Blicke träfen. Das ist eine Form von Fürsorge für Fremde, die auf der Straße als übergriffig deklariert würde. Das ist das füreinander Einstehen im Kollegenteam, wie es sonst nur in einer Notlage erlebbar wäre. Die Frage, wieso uns das Virus nicht solidarisiert, ist schnell beantwortet: erstens ist die Bedrohung nicht sichtbar und zweitens unterbindet sie menschliche Nähe. Während sich Menschen bei anderen Bedrohungen instinktiv zusammenrotten, ist genau das jetzt die Gefahr. Kurz, das Virus stellt den Überlebensinstinkt einmal auf den Kopf. Wir können bei räumlicher Nähe nicht überleben, ohne menschliche Nähe werden wir aber seelisch sterben.

Eigentlich ist es nämlich die seelische Nähe, die unser Überleben instinktiv sichert. Sich öffnen und verletzbar machen geht oft nur noch in engen Zweierbeziehungen oder in familiärer Konstellation. Eine tiefe zwischenmenschliche Beziehung setzt eine tiefe, ehrliche Beziehung zu sich selbst voraus. Wer seine dunklen Seiten fürchtet, wird sie vor sich verstecken und sie im Gegenüber auch nicht sehen wollen. An Stelle von berührenden Begegnungen wuchs über die Jahre gefilterte Selbstdarstellung. So füttern wir uns gegenseitig mit Zucker statt Brot und wundern uns, dass wir trotzdem hungrig bleiben. Ich bewundere Leute, die über ihre Schwächen reden und über ihre tägliche Anstrengung, Leute, die sich für ihre Ehrlichkeit nicht schämen. Räumliche Nähe kann über vieles hinwegtäuschen - ihr jetziges Fehlen offenbart die eigentliche Sehnsucht nach tiefer Verbindung umso stärker.

Dass uns die Zwangspause zum Umdenken oder gar zu persönlicher Entwicklung anregen würde, die uns einander näher bringt, wird wohl Wunschdenken bleiben. So verstecken wir uns noch mehr hinter verschlossenen Türen, obwohl wir nach menschlichen Begegnungen dürsten. Die Parties, das Aufbegehren gegen Vorsichtsmaßnahmen sind ein verzweifeltes Festhalten an Bekanntem. Noch wird sich gegen die Botschaft gesträubt, dass eine Veränderung in der inneren Einstellung des Einzelnen beginnt und nach draussen rebelliert. Es ist auch viel einfacher, Fehlverhalten beim Nächsten anzuprangern als bei sich selbst. Noch funktioniert der Mechanismus der kognitiven Dissonanz hervorragend. Möglicherweise sind die düsteren Filme eines einzelnen Überlebenden in einer verwüsteten Umgebung nicht Utopie, sondern einzig mögliche Konsequenz. Denn so lange noch irgendetwas funktioniert, machen wir weiter mit der inneren wie äusseren Zerstörung.

Was mich rettet, sind die wenigen Gelegenheiten, bei denen ich mich von anderen emotional berühren lasse oder sie berühre, sind die Begegnungen ohne Seelenmaske, bei denen sich zwei Menschen vorurteilslos zuhören, ohne Scham in die gemeinsamen Abgründe schauen oder sich an der Existenz des Gegenüber erfreuen. Ich hoffe sehr, es wird immer mehr Menschen geben, die ähnlich empfinden. Denn nur so wird alles erträglicher.

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Dienstag, 5. November 2019
Walk Away
Es ist alles ein bisschen vertrackt. Ich bin müde, sehr müde und kann gleichzeitig nicht schlafen, weil alles in meinem Kopf sehr schnell läuft. Termine koordinieren, abgleichen, recherchieren, entscheiden, neu sortieren. Früher hätte ich ungeachtet der Tageszeit einfach die Schuhe angezogen und wäre losgelaufen - ohne Ziel, ohne Richtung, einfach laufen, wohin die Füße tragen. Heute tragen die Füße aber nicht mehr richtig. Manchmal knicke ich weg, wenn ich zu schnell aufstehe, meistens sind Schritte mit kurzen, scharfen Stichen verbunden, die ich gerne vermeiden möchte, indem ich das Bein anders belaste. Das geht schon eine ganze Weile so, und ich frage mich, wie lange es wohl dauert, bis ich wieder mein altes Gangbild haben werde. Der federnde Schritt, schwungvoll, rund und unbeschwert, der mir eigen war, ich vermisse diese Bewegung so sehr. Mein Körper ist seit einem halben Jahr verkrampft auf Schmerzvermeidung programmiert.

Ich laufe vorsichtig, langsam, ziemlich schwerfällig insgesamt. Manchmal denke ich, das bilde ich mir alles nur ein und zwinge mich, beim Gehen nicht mit dem Körper von einer Seite auf die andere zu schwingen. Dann durchzuckt mich einer dieser elektrisierenden Nervenimpulse. Er erinnert mich daran, dass der Geist eben nicht immer Herr über die Materie ist. Man sagt, das Alter bringe Weisheit, und vielleicht ist diese Weisheit eine direkte Folge von körperlichen Schmerzen. Ich lerne zu akzeptieren, umzulenken und mich zu arrangieren. Als ob ich mich in jeder Phase meines Lebens neu erfinden müsse, neu definieren und anders weitermachen. Hauptsache weiter.

Einer sagte mal, das Leben verlaufe nicht in Phasen und wieso ich das alles so scharf abtrennen müsse. Bei mir gab es immer schon tiefe Einschnitte. Ein Berufswechsel, ein Wohnortwechsel, ein vorher und ein danach. Ich kann das nicht mit sanften Übergängen. Auch so eine Lektion, die angeblich mit dem Älterwerden kommen soll. Vielleicht kommt das aber nur für die, die sich durch den vorgegebenen Alltag mit geringstmöglicher Störung treiben lassen. Möglichst keine Katastrophen und das bisschen Unzufriedenheit wird einfach wegrationalisiert. Das funktioniert bei mir nicht. Ich brauche Abwechslung, Bewegung, im Kopf wie im Körper, laufe dabei schon mal gegen Wände, weil ich Unmögliches als solches nur schwer akzeptiere. Für die einen ist Weisheit sowas wie Abfinden mit dem Unumgänglichen, für die anderen bedeutet es, die eigenen Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Ich stehe noch irgendwo dazwischen.

Oft genug möchte ich einfach weglaufen; vor mir selbst oder vor der Situation. Und manchmal träume ich dann, dass ich renne. Im Traum laufe ich ohne Erschöpfung und ohne Schmerzen. Ich laufe mit dem Gefühl, niemals mehr anhalten zu müssen, nicht zum Luftholen und nicht zum Schlafen. Einfach weiterlaufen, bis etwas Schönes meine Aufmerksamkeit fängt. Dann bleibe ich stehen, um es zu betrachten. Ich könnte natürlich jederzeit weiterlaufen, es ist aber schöner zu bleiben. Ich glaube, das ist dann wieder eine dieser Phasen, eine selbstgewählte. Fast kommt es mir vor, als müsse man zur Weisheit erst gezwungen werden. Fürwahr kein besonders begehrenswertes Konzept.

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Freitag, 20. September 2019
Say My Name, Say My Name

Eine Kultur versteht man erst, wenn man die Sprache kennt. Das hat mal jemand behauptet, der klüger ist als ich. Es sind nicht die Schriftzeichen gemeint - wobei die natürlich auch zum Lesen notwendig sind - sondern die Bilder, die Umschreibungen und die Art der Formulierung. So sind die Japaner in einer Sprache mit vielen indirekten Formulierungen unterwegs - man will ja niemanden auf den Schlips treten - während wir Deutschmuttersprechenden im Ausland mit englischen Formulierungen oft sehr hart und direkt unangenehm auffallen. Aussprache ist da noch ein ganz anderes Kapitel. Übrigens können die Japaner - im Gegensatz zur landläufigen Meinung - sehr wohl ein R aussprechen, sie tun es nur vielleicht nicht an der vorgesehenen Stelle. So ergeben sich Verhörer ganz ungewöhnlicher Natur.

Beispielsweise lernte ich das neue Wort undulated. Verstanden habe ich aber immer underrated. Bei Fragen bezüglich Steigungsgrade der vor uns liegenden Etappe produzierte mein Kopf demnach für underrated terrain der Wirklichkeit nicht entsprechende Bilder. Unterbewertete Hügel waren im Endeffekt nicht so schlimm wie angenommen. Schlimm war dafür der Gegenwind an der Küste. Ja, beim Radfahren kommt der Wind immer von vorne, es gibt aber Steigerungsgrade, beispielsweise in langen, geradlinigen Tunneln, die dann einem Windkanal gleichen. Abgesehen davon verstand ich den Tourguide einigermaßen gut.

Ganz anders als Informationsaustausch funktioniert Humor in Japan. Ich hatte den Eindruck, die Japaner verstehen keine Ironie, sondern nehmen jede Aussage für bare Münze. Nachdem ich mehrfach meine Abneigung gegen das grüne Fahrrad erwähnte, wollte der Mechaniker allen Ernstes blaue Farbe besorgen. Auch mit den Namen ist das so eine Sache. Während ich schon unsere europäischen Namen verwechsle, liegen mir die japanischen sehr quer im Gedächtnis. Tatsuro durfte von uns mit Tats abgekürzt werden, obwohl die Japaner an sich Namen lieber verlängern, indem ein -san angehängt wird. Dieses -san bedeutet so viel wie ehrwürdige/r, wird aber nicht in der direkten Ansprache verwendet. Ich fand's sehr schick und sprach fortan von Tatsan, was wiederum wie der Name eines bekannten Dschungelkönigs klang. Doch so sah Tats bei Weitem nicht aus, eher wie ein Spargelkönig. Andere sprachen von engl.Touch oder Toots, jeder wusste aber instinktiv, wer gemeint war.

Dann gab es da noch einen Taijisan, der in den ersten Tage von mir mit jigong angesprochen wurde - halt irgendwas mit Kampfkunst. Mayuko fuhr das Begleitfahrzeug mit Mechanikzubehör und Gepäck. Meinen englischsprachigen Mitreisenden erklärte ich, sie sollen sich einfach My Joghurt merken, was manche Situation am Frühstückstisch auch nicht gerade erleichterte. Sie war es, die uns allen unsere Namen zum Abschied in japanisch auf ein kleines Blatt Papier malte. Eine sehr schöne Geste, wie ich finde, bin mir aber nicht sicher, ob ich fortan in japanischen Kreisen nicht Ninja oder amazon oder sogar asshole genannt werde. Ich kann's jedenfalls nicht lesen. Und irgendwie finde ich das da oben auch enttäuschend kurz. Sieht aus wie PT, der Domain Abkürzung für Portugal oder der Abkürzung für part time für Halbtagstrottel. Namen sind in meinen Augen auf japanisch so unterbewertet wie manche Landschaft, ob nun sanft hügelig oder holperig ausgesprochen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.

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Dienstag, 20. August 2019
Feelings


Fragen Sie mal jemanden, was er fühlt, wenn das Gefühlspendel nicht in die ein oder andere Richtung ausschlägt. Die Person wird's nicht auf Anhieb wissen und nach ein wenig Bedenkzeit den Zustand als ruhig oder ausgeglichen beschreiben. Wenn die Gefühlsskala aber auf Maximum steht kann sie's sofort benennen. Im Grunde sind Gefühle also meist gesteigerte Erregungszustände. Angst, Wut, Trauer, Hass aber auch positive Gefühle wie Verliebtheit, Glück, Fröhlichkeit, alles zählt da drunter. Selbst Langeweile und Unzufriedenheit sind nichts anderes als Erregungszustände. Und die wollen wir gerne vermeiden, weil Erregungszustände anstrengend und auf Dauer sogar schädlich sein können. Das Vermeiden haben wir seit unserer Kindheit gelernt. Wir sind Meister in Vermeidungstaktiken wie die Ablenkungsindustrie und vor allem die Häufigkeit von Suchtverhalten zeigen. Wer sich davon ablenkt, hat aber die Gefühle deswegen nicht ausgeschalten, er hat sie nur in eine dunkle Ecke gedrückt. Da warten sie, bis sie uns in einem unaufmerksamen Moment hinterrücks überfallen. Manchmal erscheinen sie nicht als die ursprünglichen, sondern in abgewandelter Form. Wut ist so ein Beispiel. Meistens entsteht Wut aus Unterdrückung und war ursprünglich Verletztheit oder Angst.

Es gibt sehr viele wütende Menschen da draussen. Die projezieren diese Wut fast immer auf andere. Dabei sind sie im Grunde auf sich selbst wütend. Sie fragen sich sicher, wo dieser Beitrag hinführen soll. Wutbürger? Ausländerhass? Nein, dazu bin ich viel zu unpolitisch. Ich beobachte nur - fast immer erst mal mich selbst. Viele meiner Vermeidungsstrategien - rauchen, essen und noch paar andere, selbstzerstörerische - entstanden aus unterdrückter Traurigkeit oder Langeweile. Ich brauche ein Überdruckventil, wenn ich keinen Schaden nehmen will. Oder ich mache das, was eigentlich die ursprünglichste Strategie ist. Ich fühle. Gefühle haben nämlich nur einen Sinn: sie sind zum Fühlen da. Und noch viel erstaunlicher ist die Tatsache, dass sie relativ schnell vergehen, vorausgesetzt ich lade sie gedanklich nicht mit Bedeutung auf.

Klingt ein bisschen kompliziert, doch mit etwas Übung gelingt mir das ganz gut. Dann warte ich die paar Minuten ab anstatt zu essen, Nagelhaut zu kauen oder mich sonstwie abzulenken. Ein bisschen disziplinieren muss ich mich aber schon, weil mein Kopf natürlich immer was draus machen will. Ich kann aber bewußt entscheiden, die Frage nach dem Ursprung meiner Gefühle sein zu lassen. Viele Erregungszustände entstehen nämlich nur aus sehr trivialen Gründen: Schlafmangel, hormonelles Ungleichgewicht oder einfach ein kurzer Anstieg des Adrenalinspiegels. Da muss ich nicht drüber grübeln, das ist einfach so. Ich kann dem also Bedeutung beimessen oder es einfach wahrnehmen. Also meine Gefühle fühlen. Denn zu fühlen heisst gleichzeitig auch, lebendig zu sein.

Na schön, das war jetzt ein bisschen abgehoben. Ich fahre allerdings damit ganz gut. Und heute stieß ich auf das obige Motto. Das ist aus einer Sammlung von Kärtchen für jeden Tag, die spiritual AF heißt und die nicht so spirituell sind, wie der Name prophezeit. Gefunden in einem Scherzartikelladen in Vancouver auf der Suche nach einem Abschiedsgeschenk für eine Kollegin. Fand ich nach kurzer Überlegung dann doch nicht so passend. Also bekam sie eine Tasse mit Vancouver-Motiv, über die sie sich sehr gefreut hat. Und ich freue mich jetzt an den Kärtchen.

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Mittwoch, 7. August 2019
When I met you (in the summer)


Manchmal erlebst du magische Momente. Das Licht stimmt, die Kamera ist fokussiert, die Hintergrundmusik nicht zu laut und der eigene Bauch fühlt sich gut an. Da kommt ein Mensch um die Ecke. Mit einem Satz hat er deine ganze Aufmerksamkeit. Eigentlich reicht auch nur ein Wort. Etwas, das in dir schwingt, das Erinnerungen weckt, ein Bild zaubert. Als ob du einen Finger in die Spannung bohren könntest, so dicht wird die Atmosphäre. Plötzlich ist das Sehnen greifbar. Du fasst es an, bist elektrisiert. Und ganz unbemerkt hat es sich personifiziert.

Du wunderst dich. Deine Geschichte hat dich gelehrt, was du glaubst von dir zu wissen. Du kannst nicht aus deiner Haut. Mit dieser Situation bist du überfordert. Da ist etwas komplett neu. Etwas Unbekanntes bringt dich im vertrauten Raum zum Taumeln.Wenn du es zulässt, reißt es dich in unbekannte Gewässer. Und du bist dir nicht sicher, ob du das willst. Überhaupt brauchst du den Boden der Konventionen unter den Füßen, damit du nach außen sein kannst, was du einmal festgelegt hast. Unangenehm fühlt es sich an, weil du nicht weißt, wie du darauf reagieren sollst. Weil du es nicht einfach wegleugnen kannst, stolperst du weiter. Du hoffst auf Umstände, rationalisierst und träumst gleichzeitig ein bisschen von dem, was sein könnte.

Alles kommt anders, denn Leben passiert, während wir Pläne schmieden. Leben hat keine Ponyhöfe und Kindergeburtstage sowieso nur für Menschen mit Nachwuchs. Das gilt übrigens auch für Parkplätze. Die sind selten frei. Deswegen parkst du deinen Kopf noch lange nicht unter Verbotsschildern, sondern suchst brav die Lücke am Straßenrand. So lange rangieren, bis es passt. Dann ist der Lack ab. Du steigst aus und prüfst den Schaden, befühlst die Dellen. Unversehrt liegt lange zurück. Vielleicht warst du es nie wirklich, jedenfalls kannst du dich nicht daran erinnern. Aber du hast dich immer wieder ausgebeult und aufpoliert.

Entweder du akzeptierst die konventionelle Grenze oder lehnst dich ganz weit hinüber ins Neuland. Du hast die Illusion von Sicherheit längst entblößt, hältst Dich aber gerne daran fest. Fixe Ideen sind handlicher als Erkenntnisse. Geduld gehört nicht zu deinen besten Eigenschafen, Binsenweisheiten machen dich aggressiv. Handlung als Übersprung. Und so wartest du und rauchst. Bis alles vorbei ist oder von vorne beginnt.

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Freitag, 26. Juli 2019
Cruel Summer
Auf der Suche nach einem den Temperaturen angepassten Titel klassischen Verhörer entdeckt: Ich singe seit 36 Jahren It's a cool, cool summer ohne mich darüber zu wundern. Muss man auch erst mal hinkriegen.
Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass es damals kein Internet gab, in dem man mal schnell die Texte googelte.

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