Montag, 23. Juni 2008
Root Beer Rag
Die Frage, ob hier jemand das Glücksmoment nachempfinden kann, das man nach dem ersten korrekt gesprungenen 'axelturn' hat, bleibt wohl eine rhetorische.

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Samstag, 14. Juni 2008
Whatever u like


Als mich in den Neunzigern eine damalige Schülerin fragte, ob ich Hip Hop möge, wußte ich nicht mal, was das ist. Damals konnte ich auch nicht einfach bei Wikipedia nachlesen oder googeln. Dementsprechend alt fühlte ich mich auf einen Schlag, denn wenn man die angesagte Musik nicht mehr kennt, ist man alt. Heute weiß ich nicht nur was Hip Hop ist, seit kurzem versuche ich sogar, darauf zu tanzen. Keine Angst, das wird jetzt nicht wieder einer dieser langweiligen Tanzberichte, denn Hip Hop ist bekanntlich viel mehr als nur Musik.

Hip Hop ist eine Lebenseinstellung. Dazu gehören die weiten Hosen, deren Schritt auf Kniehöhe pendelt und in denen man kiloweise Kartoffeln transportieren könnte, coole Sneaker und lässige Pullover mit Kapuzen. Zu meiner Zeit - und auch diese Wendung zeigt deutlich, wie alt ich geworden bin - hießen Sneaker noch Turnschuhe und Jeans mußten eng sitzen, Pullover hatten V-Ausschnitt und drunter trug man Blusen. Einzig im Sommer trug man T-Shirts mal sehr weit mit nichts drunter, bis man von seinen pubertierenden Mitschülern erfuhr, dass der Tunneleffekt am Ärmel der Grund für die neu gewonnene Aufmerksamkeit war.

Hip Hop kommt von der Straße. Man spricht auf der Straße anders als in Schulen und Universitäten, man spricht Umgangssprache, und zwar die vor dem jeweiligen Migrationshintergrund. Gestern fiel mir zum ersten Mal auf, dass die Mehrzahl der Teilnehmer neben der deutschen auch für eine weitere Fußballmannschaft fiebert. Bis auf das Mädel aus dem Iran, die sehr anschaulich schilderte, wieso die Iranische Mannschaft ihr Fanherz nicht höher schlagen läßt:
"Ey, die sind so schlescht ey! Geht der Ball nach reschts, rennen alle nach reschts, geht der Ball nach links, rennen alle nach links. Geh' mir weg mit Iraner un' Fußball."
Eigentlich haben sie's viel besser als der Durchschnitt der Deutschen. Mit zwei Fähnchen am Auto ist man einfach flexibler. Scheidet eine Nation im Vorfeld aus, kann man immer noch für einen zweiten Verein jubeln. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Der Konflikt beginnt erst bei so brisanten Begegnungen wie Deutschland-Italien vor zwei Jahren oder einer möglichen sportlichen Begegnung Deutschland-Türkei dieser Tage. Dann wünsche ich mir, dass die Türkei gewinnt. Andernfalls kann ich meine Hip Hop Ambitionen bis auf Weiteres vergessen.

Und darum geht es ja schließlich. Für eine mögliche Integration in die Lebensart fühle ich mich etwas zu alt aber die sportliche Seite möchte ich nicht missen. Die Meisten in der Gruppe könnten altersmäßig meine Kinder sein, bemühen sich jedoch rührend, mich das nicht spüren zu lassen. Ich meine, hey, wer nie mit seinen Eltern in der Disco war, der weiß nicht, was Fremdschämen ist. Während die Jungen mit minimalistisch akzentuierten Bewegungen Abgeklärtheit signalisieren, ringen die Alten wild mäandernd um Ausdruck. "Ey, das sieht doch voll scheiße aus als Frau, wenn dauernd alles schlackert, so oben un' so. Wir machen auf cool, ham coole weite Hosen an un' machen eher so in klein", erklärt mir eine Schülerin den Unterschied zwischen normalem Hip Hop und 'Bounce'. Dann gibt es noch L.A. Style, Streetstyle und weitere Feinheiten, die ich noch nicht wirklich verstehe.

Anschauungsmaterial findet sich im Netz eine ganze Menge. Am meisten imponiert mir derzeit eine Lehrerin am New Yorker Broadway Dance Center. Viele von Luams Choreographien sind bei Youtube zu sehen.



Ich bleibe dran und berichte über bollerige Hosen Neues aus der hiesigen Szene. "Yo' Bro' have you heard the news from BMWtown?" [*fuchtelt dazu wild mit nach innen geknickten Handgelenken und jeweils zwei abgestellten Fingern in der Luft]

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Donnerstag, 29. Mai 2008
Dance! Even if you have nowhere to do it but in your own living room

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Mittwoch, 16. April 2008
Rock your body
Rock your body


Der Supraspinatus - umgangssprachlich auch Popeyemuskel genannt - ist schuld, vielmehr die Sehne da dran (wir erinnern uns). Das bedeutet auch weiterhin keine Liegestützen, bis ich wieder schmerzfrei bin. Dabei ist die Schulter nicht das einzige, was mir Kopfzerbrechen bereitet. Das hat mehr so mit Außen- und Innenwahrnehmung zu tun.

Wenn man tanzt, sieht man naturgemäß nicht alle Bewegungen ganz genau. Deswegen gibt es in Tanzstudios auch diese riesigen Spiegelwände. Jetzt ist es aber so, dass man sich im Normalfall nicht immer parallel und schon gar nicht frontal zum Spiegel bewegt. Da gibt es Drehungen, Diagonalen, Richtungsänderungen und manchmal ist der Kopf auch wo ganz anders, so dass man am besten vier Augenpaare jeweils im 90°Winkel am Kopf angebracht haben sollte, was sich wiederum als saublöd beim Tragen von Brillen, Mützen oder Langhaarfrisuren herausstellt. Da hat die Natur schon ganz gut mitgedacht. Außerdem kann man vor lauter gucken leicht die nächsten Schritte vergessen. Will man sich wirklich beurteilen, was für eine Steigerung unabdingbar ist, muss man sich das Ganze schon als Aufnahme anschauen.

Genau so eine Aufnahme der Choreographien im letzten halben Jahr habe ich gestern bekommen. Ich bin da ganz oft drauf. Meistens erste Reihe. Unschwer vorzustellen, dass ich die DVD seit 24 Stunden im Dauereinsatz vor- und rückwärts, in verschiedenen Zeitlupengeschwindigkeiten und mit variablen Bildausschnitten, wahlweise diverse meiner Körperteile vergrößert und des öfteren im Vergleich zu den Mittänzern studiere. Fazit: das, was sich während des Tanzens grazil, leicht, kraftvoll oder energetisch anfühlte, wirkt in der Aufnahme ziemlich bollerig. Und jetzt kommt's: Streifen machen nicht schlank. Im Gegenteil. Ganz schlecht sind helle Farben, insbesondere enganliegende,weiße Kleidungsstücke. Erste Reihe ist übrigens figurmäßig auch eher ungünstig, das aber nur am Rande.

Seit 24 Stunden denke ich darüber nach, wieso alle anderen, die im Gegensatz zu mir über eine fundierte tänzerische Ausbildung (sprich: jahrelanges Balletttraining) verfügen, um so viel besser wegkommen. Die haben die Technik aber ich habe den Ausdruck. Dachte ich zumindest immer. So kann man sich täuschen. In der 25. Stunde dämmert mir langsam, es muss die Mitte sein. Ich bin in der Mitte zu weich. Damit meine ich nicht den Hüftspeck, obwohl der ebenfalls reichlich vorhanden, sondern die Konzentration der Kraft in der Körpermitte, sprich Bauchmuskulatur. Dabei trainieren wir die wie blöd. Hundert sit-ups pro Training, das ist schon was. Als der Lehrer uns mit der Aussage motivieren will, jetzt käme ja der Sommer und da könnten wir unsere Bauchmuskeln zeigen, meint eine Leidensgenossin trocken: "Keine Zeit, ich bin ja immer hier beim Training." Da ist was dran, denn wer einmal seine Bauchmuskulatur trainierte, der weiß, dass man zum Aufbau lange braucht, dafür wird sie aber bei Unterbrechungen oder hohem Eiscremekonsum schnell unsichtbar.

Mit Bodyripples habe ich sie immer gekriegt, die kleinen, dünnen Ballettmäuse. Die sind einfach zu stakselig jung für sowas. Breakdance war ja der Hiphop der Achziger, und während die Eltern noch zu Rosi Mittermaier und Christian Neureuthers Tele-Skigymnastik hopsten, übte die Jugend, sich unter Anleitung von Eisi Gulp auf den Boden werfend abzurollen. Damals verstauchte ich mir das Handgelenk, weshalb ich meine Körperwellen auf die Vertikale beschränkte. Heute kann ich rollen wie ein Weltmeister. Bei nächster Gelegenheit gibt's dann ein Video in der Tube, auf dem man eine schwarz gekleidete Frau mittleren Alters hinten links ihren Speck auf und ab rollen sieht, während drumherum Schwäne zu den neuesten Klängen von Madonna sterben. Nur in den Schultern wirkt sie ein wenig steif.

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Mittwoch, 19. März 2008
Dance ballerina, dance
ballerina

"Excuse me, I guess you belong to this group, right? So what kind of group are you?"

Die Frage hätte ich mir eigentlich sparen können. Das sieht ein Blinder mit dem Krückstock, dass das nicht der Sprockhöveler Kegelclub sein kann. Die jungen Mädchen drahtig grazil, die Männer robust muskulös. Ich spreche mit der Chefin des Vereins.

"This is the Georgian National ballet company and I am the director. If there's any problem please tell me."

"Are you... something like... äh... primaballerina?"

"Yes and I am the artistic director of the ballet."


Ich spreche nicht mit irgendeiner Ballerina, ich spreche mit einer der größten international bekannten Primaballerinen unserer Zeit, mit Nina Ananiashvili (Asche auf mein Haupt). Ein Passagier äußerte Bedenken bezüglich der Flugsicherheit in Korrelation zu dieser doch sehr ausgelassenen Truppe. Auch er weiß nicht, mit wem er es zu tun hat. Nach diesem Gespräch wird mir ziemlich klar, womit ich es die nächsten Stunden zu tun haben werde: bis zur Selbstzerstörung hart arbeitende Künstler, die außerhalb von Ballettsaal und Bühne ihren Emotionen gerne freien Lauf lassen. Es wird laut gelacht, geredet, herumgelaufen. Auf drei Sitzen stapeln sich zeitweise bis zu fünf Personen. Zum ersten Mal in meiner Karriere schaffe ich den engen Gang ohne Berührung zu passieren, obwohl dort zwei Damen nebeneinander stehen. Kein Wunder, die sind ja so dürr.

Nach sechs Wochen auf Tournee freuen sich die Mitglieder des Balletts auf Zuhause. Frau Ananiashvili bietet uns Karten für eine Vorstellung an, doch leider fliegen wir gleich wieder retour. Das kann meine Kollegen allerdings nicht versöhnen. Während sie im Service tapfer lächelnd ihre Wagen um die Hindernisse manövrieren, spielt die Truppe etwas, das an die Reise nach Jerusalem erinnert. Zwischendurch ermahne ich sie, zu ihren Plätzen zurückzukehren. Die Ordnung dauert jedoch nie länger als 5 Minuten, dann steht die Hälfte wieder im Gang. Erst als die Chefin ein Machtwort spricht, kehrt Ruhe ein. Ihre Autorität ist 10 Minuten stärker als meine.

Beim Aussteigen bedanken sie sich artig. Unweigerlich muss ich jedem Einzelnen auf den Hintern gucken. Was bei den Herren noch nachvollziehbar, ist bei den Damen reine Ungläubigkeit ob ihrer beneidenswert kleinen Jeansgrößen.
"You poor Darlings! They were all over the place", bemerkt die Kollegin einer amerikanischen Fluggesellschaft, die ebenfalls als Passagier mit uns zum nächsten Einsatz fliegt. Ich verteidige "meine Truppe" frenetisch gegen solche Bemerkungen anderer Passagiere und Kollegen, kämpfe verbal um Empathie, doch mehr als ein verständnisloses Kopfschütteln haben meine Kollegen für die Kompanie am Ende des Fluges nicht übrig. Und insgeheim hätte ich Frau Ananiashvili gerne um ein Paar abgetanzte, handsignierte Spitzenschuhe angebettelt. Dann aber bin ich Serviceprofi genug, es nicht zu tun.

Am Abend springe ich selbst wieder im Viereck durch die Gegend. Bunnyjumps nennen wir das, was wir da üben (beide Beine in der Luft nach vorne und hinten in Attitude, Arme entgegengesetzt ebenfalls in Attitude, wie heißen die im Fachjargon?) weil es aussieht wie ein Hasenhaken. Pünktlich zu Ostern gibt's zudem die politisch korrekten Accessoires.



Jedenfalls haben wir eine Menge Spaß und dürfen ganz nebenbei soviel Schokohasen essen, wie wir wollen. Nur die Jeans, die kaufen wir dann nicht mehr in der Kinderabteilung.

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Dienstag, 20. November 2007
It's not unusual
Empfehlung für einsame Abende:

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Dienstag, 26. Juni 2007
Hungry eyes
Figurerhaltende Maßnahme nennt man das, wenn ich trotz gewisser Abneigungen seit Kurzem Ballettstunden nehme. Nicht dass ich gegen Ballett an und für sich was hätte. Professionell getanzt sieht es doch sehr apart aus. Was mein Musikerherz jedoch arg schmerzt, ist die Verunglimpfung der Stücke zu den Übungen an der Stange. Da wird Schumann ohne dynamische Nuancen oder gar Ritardandi durchgehechelt, und der alte Chopin würde sich ganz ungrazil im Grabe drehen, könnte er hören, was aus seinen Stücken gemacht wurde. Ballettübungsmusik ist sozusagen die Vorstufe zum Klingelton.

Was man dann üblicherweise in Anfängerkursen vor und hinter sich zu sehen bekommt, erinnert mehr an Hendl vom Wienerwald als an sterbende Schwäne, womit wir auch schon beim Hauptproblem wären: ich muss ständig ans Essen denken. Nach Verzehr eines Salatblattes - man braucht vor dem Training schließlich eine feste Grundlage im Magen und hinterher essen geht gar nicht - hänge ich an der Stange. Meine Konzentration mühevoll vom knurrenden Magen auf meine Beinmuskulatur gelenkt, ruft die Lehrerin Fondue!. Spätestens bei frappé zähle ich Kalorien wie diese Computerprogramme an Fitnessstudiogeräten und bei sauté (saté?) habe ich bereits fünf Kilo zugenommen. Man kennt das ja, Schokolade setzt sich sogar beim bloßen Ansehen magisch auf Hüften ab. Nicht auszudenken, wie eine einzige Ballettstunde meiner Figur schadet.

Ballettglossar für Nixblicker

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Donnerstag, 21. Juni 2007
Never stop moving
oder aussergewöhnliche Situationen erfordern aussergewöhnliche Maßnahmen.

Schon wieder ein Kurzaufenthalt in New York. Nach dem Jeansdesaster nicht mehr unbedingt meine Lieblingsstadt. Aber was soll man machen. Statt in sentimentale Lethargie zu verfallen, will ich diesmal Luigi besuchen. Keine Ahnung ob er ein Auto besitzt, in Fachkreisen ist er jedenfalls mindestens so berühmt wie sein kaffeeschlürfender Namensvetter.

Die Morgensonne macht sich bereit, den Asphalt aufzuheizen, als ich meinen Weg nach Norden einschlage. Man hat mich gewarnt: bleib im Sommer nicht zu lange stehen, sonst sinkst Du ein. Ich überquere die Straßen, die den Broadway kreuzen, biege links in die Fünfundfünfzigste und stehe schließlich vor dem Gebäude der Alvin Ailey Dance Company. In einer Fernsehreportage habe ich gesehen, dass man von draußen in den Tanzsaal schauen kann. Leider sind die Fenster verblendet und ich sehe nur durch einen kleinen Spalt zwei Tänzer auf das kommende Training wartend auf dem Boden sitzen. Andere streben aus allen Himmelsrichtungen dem Gebäude entgegen. Sie sind durch ihre Haltung leicht zu identifizieren. Muss schwer sein, mit einem Stock im Hintern zu leben.

Noch bin ich zu früh für das Studio Maestro, also setze ich mich am Lincolnsquare auf einen der zahlreichen Stühle und genieße den Anblick der Met. Ein Stadtstreicher leistet mir Gesellschaft. Vielleicht weil ich derzeit wie Müll aussehe. Ich gehe weiter, vorbei an Läden und Restaurants, bis ich die 68te erreiche. Hausnummern gibt es hier wohl nicht, mein Gefühl sagt mir aber, dass ich rechts abbiegen muss, und ich habe richtig geraten. Die Türe des Studios ist geschlossen. Als eine Dame herauskommt, schlüpfe ich durch den Eingang. Stufen führen hinunter zum Empfang. An den Wänden Fotos von Tänzern. Ich spreche kurz mit der Empfangsdame. Die Luigileute seien noch nicht da aber ich könne mich schon mal umziehen.

Ich weiß nicht, ob Luigi selbst in der Unterrichtsstunde anwesend sein wird. Immerhin muss er mindestens 80 Jahre alt sein. Seine Geschichte liest sich beeindruckend. Als junger Tänzer hatte er einen Unfall. Die Ärzte sagten ihm, er würde nie mehr gehen können. Mit unglaublicher Willenskraft entwickelte er daraufhin seine eigene Technik, die es ihm ermöglichte, zwei Jahre später wieder zu tanzen. Von Gene Kelly entdeckt, wirkte er in zahlreichen Film- und Theaterproduktionen mit und scharte langsam eine kleine Tänzergemeinde um sich, die sich seine Technik zu eigen machte. Das Besondere an seiner Methode ist die geringe Verletzungsgefahr. Luigi arbeitet mit dem Körper, nicht gegen ihn. Zahlreiche Berühmtheiten hat er trainiert. In Fachkreisen gilt er als der Vater des modernen Jazztanzes, sozusagen der Graham des Jazz.

Als ich aus der Umkleide komme, spricht mich die Dame an, die mir die Türe aufhielt. Paula heisse sie und Luigi komme sicher bald. Kurz darauf steigt ein alter Mann die Treppen herunter. Er sieht genauso aus wie auf den Fotos. Nacheinander treffen zwei junge Japanerinnen, eine alte Italienerin, eine noch ältere Amerikanerin, eine etwa gleichaltrige Newyorkerin und schließlich eine Dame ein, die offensichtlich unter den Folgen eines Schlaganfalles leidet. Neben haufenweisen Küsschen zieht Luigi mühevoll seine Tanzschuhe an. Langsam kommen mir Zweifel, ob ich hier fälschlicherweise beim Seniorenturnen gelandet bin. Doch spätestens als sich alle im Trainigssaal versammelt haben und die Musik beginnt, sind alle meine Zweifel behoben.

Luigi möchte, dass ihn alle gut sehen können, auch 'the girl from Germany' in der letzten Reihe. Zunächst kopiere ich die Bewegungen bei dem Profitänzer gleich hinter Luigi, was sich als Fehler herausstellt. Nur wo Luigi draufsteht, ist auch Luigi drin. Was soll ich sagen, dieser Mann, der gefühlte Stunden brauchte, um seine Schuhe zu binden, mutiert vor meinen Augen zum Energiebündel. Was ist sein Geheimnis? Er kommt ohne exaltierte Bewegungen aus. Jeder Schritt ist so voller Spannung gekonnt plaziert, dass ich vor Bewunderung im Boden versinken möchte. Selbst die Dame mit dem Schlaganfall hat mittels dieser besonderen Technik mehr Ausdruck als jeder andere.

Nach dem Warmup erklingt Frank Sinatra mit 'night and day'. Spontan fühlen sich mindestens zwei Schüler zum Mitsingen bemüßigt. Eine der Stimmen ist meine. Ich kann nichts dagegen tun, es passiert einfach ohne dass ich es initiiere. Dazwischen erläutert Luigi die relativ simple Schrittkombination. Wir werden zum Tanzen in Gruppen aufgeteilt und ich bin in der ersten. Kein Luigi, kein Profitänzer, dem ich auf die knackigen Arschbacken starren kann. Mir entfährt ein leises 'Ohgottohgott'. Irgendwie hample ich durch die Choreographie und schäme mich ein wenig währenddessen. Luigi unterbricht und fragt, ob 'the girl from Germany' auch Spaß habe. Ich nicke, wobei ich mir ohne Brille nicht sicher bin, ob er mich ansieht. Tatsächlich schaut er die Dame neben mir an. Lautstark erklären die restlichen Damen, dass es sich bei 'the girl from Germany' um mich handelt und die andere eine bekannte Standup-comedian aus New York sei. Dann erzählt er eine Geschichte, in der er eine junge Dame in Germany begrüßte und jene sich leider den Kopf an einer Mauer anstieß, weil sie sich hektisch umsah. Alle lachen außer mir. Man fragt mich, ob ich die Geschichte 'bekommen' hätte, doch für eine Erklärung ist jetzt keine Zeit.

Später in der Umkleide wird mir erklärt, die Dame hätte sich aufgrund Luigis Ophthalmologie (das Wort ist wirklich gefallen, es bedeutet Schielen und ja, ich musste es auch nachschlagen) den Kopf gestoßen. Wie gut, dass vor allen Wänden in Tanzstudios sicherheitshalber Stangen angebracht sind. Ich verabschiede mich von Luigi und schlage energiegeladen meinen Weg zur 42ten ein, wo ich noch sehr billig eine Jeans erstehe, bevor ich am Abend 'night and day' summend den Rückflug antrete.
Alles in allem ein wirklich schöner Tag, der in diesem Moment nachwirkt.

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Mittwoch, 28. März 2007
Dance like this
Dancing is not about how many pirouettes you can make or how high you can lift your legs but expressing your emotions in a movement.
Nunzio


Ein Tsunami von Glückshormonen schwappt durch meine Blutbahnen. Es funktioniert jedes Mal, egal wie müde, ausgelaugt, energielos oder deprimiert ich vorher war. Wenn ich vom Training komme, macht meine Seele Flick-Flacks und in meinem Bauch hüpfen die Neurotransmitter von Synapse zu Synapse. Einen nicht unwesentlichen Anteil an der Wirkung hat dabei Nunzio. Seine Art zu unterrichten ist einmalig. Man spürt, dass er liebt, was er tut. In jeder Sekunde der anderthalb Stunden - meistens werden es fast zwei - ist er aufmerksam und gibt 150%. Egal wieviele Schüler in der Stunde anwesend sind - und es werden laufend mehr - schafft er es, jeden einzelnen zu korrigieren und zu motivieren. Er vermittelt den Teilnehmern das Gefühl, wahrgenommen zu werden und wichtig zu sein.

Die Zusammensetzung der Gruppen ist bunt. Es kommen Dicke und Dünne, Junge und Alte, Menschen mit und ohne Vorkenntnisse in Ballett oder ähnlichen Disziplinen. Jeder wird akzeptiert. Die Atmosphäre innerhalb der Gruppen ist freundlich und wohlwollend. Kein Konkurrieren, keine bösen Blicke und kein Jahrmarkt der Eitelkeiten - dafür sorgt er durch seine ihm eigene Art. Es wird weder vor den anderen getadelt, noch gelobt, keine Gruppen von schlechteren und besseren Tänzern gebildet, kurzum es wird nicht beurteilt. Während des halben Jahres, das ich nun regelmäßig trainiere, habe ich Schüler über sich selbst hinauswachsen sehen, von denen ich zunächst glaubte, sie könnten nicht stolperfrei einen Fuß vor den anderen setzen.

Er sagt, er lerne von uns. Anfangs bezweifelte ich diese Aussage, doch mit der Zeit habe auch ich viel von den anderen gelernt. Inzwischen kann ich - man höre und staune - an guten Tagen eine ganze Diagonale saubere Pirouetten drehen. An schlechten geht nur eine Drehung, die ich stehe. Aber auch darauf bin ich mächtig stolz, denn nach dem anfänglichen Pirouettendesaster
nicht aufgegeben zu haben, sondern trotzdem Spaß zu empfinden, das braucht schon eine ganze Menge. Ich kann inzwischen Liegestützen (sogar die gaaaanz langsamen) und seit die Zerrung am rechten Oberschenken abgeheilt ist auch wieder Spagat seit- und vorwärts. Im letzten halben Jahr habe ich mindestens 5 Kilo dauerhaft ohne Diät abgenommen - genau weiß ich es nicht, weil meine Waage der Wohnung verwiesen wurde - und bin in der Lage, die restlichen Speckröllchen einigermaßen kontrolliert durch Choreographien zu schwingen. Außerdem wird meine Memorierfähigkeit und die Umsetzung von Bewegungsabläufen immer schneller. Wenn das mal insgesamt keine Erfolgsmeldung ist.

Die Gruppen sind nach Können in Grundkurs, Mittelstufe und Fortgeschrittene aufgeteilt, wobei Mittelstufe in etwa das bedeutet, was in anderen Laienkursen eher als fortgeschritten proklamiert wird. Seit Dezember nehme ich an allen Stufen teil, da sie sich wunderbar über die Woche verteilen. Stimmt gar nicht, der Fortgeschrittenenkurs ist noch zu schwer für mich, weswegen ich eine Zwischenstufe (intermediate/advanced) in einer anderen Schule belege aber lange dürfte es nicht mehr dauern. Im Grunde ist mir egal, welche Stufe gerade läuft. Das Aufwärmtraining ist überall ähnlich und selbst im Grundkurs kann ich immer was lernen. Die Glückshormone machen einfach so süchtig, dass ich sie fünf Tage die Woche brauche, vorausgesetzt ich bin nicht irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs. Immerhin braucht es dazu nur einen einzigen Mann, den ich mir mit knapp 30 anderen Frauen (und dem ein oder anderen männlichen Schüler) ganz ohne Eifersüchteleien teile. Soll noch einer behaupten, dass das nicht außergewöhnlich sei.

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Dienstag, 3. Oktober 2006
You are beautiful (when you dance)
Es ist nicht verwunderlich, dass mich das Thema Schlankheitswahn derzeit beschäftigt, obwohl ich doch behaupte, im Allgemeinen mit mir auf dem Wege der Besserung zu sein. Seit ich wieder tanze, werde ich automatisch mit meinem Aussehen konfrontiert. Einige Aussagen, auf die ich hierzu in letzter Zeit stieß und die mich nicht unberührt ließen, stammen aus dem professionellen Bereich:

Wir mussten ins Klassenzimmer über eine Waage gehen. Ich war immer die Schwerste und Größte. Deswegen durfte ich nie Pas de Deux tanzen.
Ehem. Schülerin der Folkwangschule Essen

ich bin wegen den brüsten weg vom balett. die haben angefangen zu wachsen und eine primaballerina mit großen brüsten gibts nicht.
Ehem. Schülerin einer russischen Ballettschule, der in der Pubertät eine Hormonbehandlung nahegelegt wurde

...mir passt kaum noch was. Warum das so ist, habe ich dann erst so richtig beim anprobieren begriffen. Größe 34. Shit! Und in Ballettmaßstäben betrachtet bin ich bei weitem noch recht wohl genährt.

Lesenswerte Artikel der Autorin und ehemaligen Tänzerin Maja Langsdorff über Eßstörungen und "nur Muskeln, Haut und Knochen" (im unteren Teil der Seite).

Ja, ich kenne die Argumente. Ballett muss leicht aussehen, den männlichen Tänzern ist nicht zuzumuten, eine schwere Partnerin zu stemmen etc.
Und trotzdem gibt es sie, die "normalgewichtigen" weiblichen Tänzerinnen. Ein Beispiel ist die 1943 geborene amerikanische Modern Tänzerin Judith Jamison. Es gibt noch unzählige andere Beispiele.

Zum ersten Mal kam ich mit 17 Jahren in Berührung mit klassischem Ballett. Ich ging zum Steptanzunterricht in eine Ballettschule. Damals glaubte ich, mein Körper sei nicht tanzkompatibel - zu dick, zu große Brüste, zu großer Hintern. Vor unserer fand die Stunde der Erwachsenen statt. Eine sehr begabte Tänzerin hinterließ bei mir einen bleibenden Eindruck. Nicht nur tanzte sie unglaublich ausdrucksstark, sie war anscheinend schon in jungen Jahren mit einem unverwüstlichen Selbstbewusstsein gesegnet. Ihr Äusseres war alles andere als balletttauglich, was sie letztlich auch an einer professionellen Karriere hinderte, nicht aber am Tanzen. Ihr Hüft- und Brustumfang war in etwa das dreifache von meinem bei einer geschätzten Körpergröße von 1.50m. Als zierlich wäre sie sicherlich nicht zu beschreiben gewesen. Dennoch blieb sie als Vorbild all die Jahre in meinem Gedächtnis haften, wenn mir mein Spiegelbild in Trikot und engen Hosen mißfiel.

In letzter Zeit habe ich viele Dünne tanzen sehen, deren Bewegungen stakselig wirken. Ich habe Dicke gesehen, die beim Tanzen mehr auszudrücken im Stande sind, als eine ganze Ballettkompanie. Ich habe auch das Gegenteil gesehen: Dicke, die kein Körpergefühl zu haben scheinen und Dünne, die sich wunderbar bewegen. Und wieder komme ich zu dem Schluß, dass Körpergewicht kein maßgebliches Kriterium für Ausdrucksfähigkeit zu sein scheint, ja nicht einmal für Beweglichkeit. Was uns behindert, sind die vorgefertigten Meinungen in unseren eigenen Köpfen, ob selbst produziert oder übernommen.

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