Montag, 9. April 2007
Big in Japan (1)
Ich kann mich erinnern, als Kind sonntags mit Begeisterung die Sendung für Gehörlose Sehen statt hören verfolgt zu haben. Die ein oder andere Gebärde habe ich imitiert, nur um danach in schallendes Gelächter auszubrechen. Die Geste für Staatsflagge, oder das, was ich dafür hielt, ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben.

Eine Gruppe Gehörloser macht sich diesmal mit uns auf den Weg nach Tokyo (passt wie Faust auf Auge, nachdem ich die Tage davor endlich Babel gesehen habe). Ich briefe meine Crew dementsprechend. Es nütze nichts, mit den Betroffenen lauter zu sprechen - ein Impuls, dem so mancher instinktiv nachgibt - im Service Zettel und Stift bereitzuhalten und sich im Falle einer Evakuierung im Besonderen auf diese Menschen einzustellen. Über die Kollegin, die nebenbei Dolmetscherin für Gebärdensprache ist und heute zufällig mit uns arbeitet bin ich besonders froh, doch die Gehörlosen sind allesamt japanischer Nationalität. Sie klärt uns auf, dass die Gebärden nicht international verständlich sind, sondern wie andere Sprachen aus dem kulturellen Hintergrund entstanden. Im Service lerne ich die Gebärden für Wasser, für Huhn und für Rindfleisch. Nehmen wir ersteres Beispiel, so ist die Gebärde für Wasser bei uns eine Geste, als ob man sich mit der Hand das Gesicht wäscht. Im japanischen wird Wasser mit beiden Händen dargestellt. Eine hält eine imaginäre Schüssel, während die andere daraus dem Gesicht Wasser zufächelt. Vom deutschen Huhn wird mit den Fingern nur der Schnabel dargestellt, während im Japanischen das Merkmal des Kammes mit der Handkante an der Stirn symbolisiert wird, ähnlich dem Taucherzeichen für Hai.

Schließlich lerne ich noch, dass das, was ich jahrzehntelang als Übersetzung für Staatsflagge hielt, in Wirklichkeit das Zeichen für keine Ahnung ist. Man sollte nicht alles glauben, was man im Fernsehen sieht. Dann konzentriere ich mich darauf, meine japanischen Kolleginnen über diverse Gebräuche auszufragen. Ich suche ein kleines Geburtstagsgeschenk, einen Glücksbringer oder ähnliches und einen Kaeru, nur wo bekomme ich sowas? Man versichert mir, ich würde beim Tempel fündig.

Es gibt zwei Sorten von Glücksbringern: Omamori und Omikuji. Ein Omamori ist ein Bild oder ein Spruch, der als Anhänger verpackt immer bei sich zu tragen sei. Man dürfe es niemals öffnen, da das Glück sonst verloren ginge, während man das Omikuji - ein richtungsweisender Spruch - liest und danach - je nachdem ob es positiv oder negativ ausfällt - entweder bei sich trägt oder an eine Stange, einen Ast o.ä. nahe dem Tempel knotet. Ich foppe die Kolleginnen ein wenig, indem ich frage, ob sie ihr Omamori tatsächlich niemals gelesen hätten und woher sie wüssten, dass da wirklich etwas drin steckt. Sie versichern mir, Japaner seien nicht neugierig und man müsse unter allen Umständen an das im Tempel erworbene Glück glauben.

Im Japanischen hat Kaeru zwei Bedeutungen (gelernt bei Isabo). Einmal ist es der Frosch und zum anderen wiederkehren. Man steckt den kleinen Frosch in die Tasche oder die Geldbörse, damit das Geld oder verliehene Dinge wieder zurückkommen. Auf dem Rückflug faltet die Kollegin als Dekoration für mich einen Vogel - sie hat die Kunst des Origami von ihrer Großmutter gelernt - und schreibt meine Glückwünsche, die ich nächste Woche zusammen mit den Glücksbringern übergebe, in japanischen Schriftzeichen auf ein Stück Papier. Ich bin immer wieder überwältigt von der japanischen Freundlichkeit. Möglicherweise ist es auch nur ein alter Spruch, an den ich auf der Straße erinnert wurde. Eine Passantin trug ihn als Aufdruck auf ihrem T-Shirt: God helps those who help themselves. Auf diese Weise hat sie sich absolute Narrenfreiheit bei ihrer Vorgesetzten erworben, obgleich sie mir durch ihre Arbeit keinerlei Grund zur Klage lieferte. Das Glück steckt eben in den kleinen Dingen.

japanische Glücksbringer

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Donnerstag, 9. November 2006
Brasil, meu Brasil brasileiro
Es gibt doch bestimmt Ortskundige, die mir Tipps für einen Kurzaufenthalt in Sao Paulo geben können. Was muss man gesehen haben und was nicht? Wo trinkt man den besten Kaffee und beobachtet die schönsten Menschen? Wo muss man abends hin und welche Lokalitäten sollte man meiden? Wer kennt einen vertrauenswürdigen Fremdenführer? Was sollte man vermeiden, um mit beiden Nieren und ohne größere Blessuren heimzukehren? Ist das Pflaster derzeit wirklich so heiß, wie in den Medien dargestellt? Was gibt es sonst noch Wissenswertes über die Stadt?

Werte Leser aus Sao Paulo [ich weiß, dass da mindestens einer mitliest]: bitte lassen Sie mich nicht im Stich. Formulieren Sie in den Kommentaren Ihr Wissen. Zum Dank erwähne ich Sie auch einmal wöchentlich in meinem Nachtgebet.

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Sonntag, 5. November 2006
Stand by your man
Der Koffer steht den ganzen Tag schon gepackt im Flur. Seit 5.00 warte ich auf einen Anruf, der bis jetzt noch nicht erfolgte. Ich habe Bereitschaftsdienst. Falls ein Kollege ausfällt, muss ich in einer Stunde am Flughafen sein. Ist nicht so, dass bis jetzt keiner angerufen hätte. Da war einer, der mit mir nach Stuttgart fahren wollte. Zumindest konnte ich so viel aus dem Kölschgebrabbel heraushören. Nein, ich würde heute nicht nach Stuttgart fahren und interessiere mich auch nicht für eine Mitfahrgelegenheit. Falsch verbunden. Ist nicht so, dass ich unbedingt zum Einsatz gerufen werden wollte. Ob der „falsch verbunden“ Trick auch beim Einsatz funktioniert? Die erste Tageshälfte schleiche ich mit Handy bewaffnet in meiner Wohnung herum. Später lasse ich es dort liegen, wo ich als letztes war, bis mir der Grund meiner Häuslichkeit wieder einfällt und ich panisch danach suche. Mal finde ich es in der Küche wieder, mal neben der Toilette.
Gegen Mittag bekomme ich Hunger. Kochen ist ausgeschlossen, denn wenn besagter Anruf kommt, kann ich davon ausgehen, dass nach meiner Rückkehr entweder alles kalt oder bereits im Verwesungsprozess ist, vorausgesetzt, ich habe die Herdplatte nicht vergessen auszuschalten. Sonst bleibt mir nur noch, die verdunstete Wassermenge pro Minute zu berechnen, um den richtigen Zeitpunkt zum Alarmieren der Feuerwehr herauszufinden.
Ich erwäge kurz, ob ich am heutigen Tanztraining teilnehmen könnte. Eine Stunde ist verdammt knapp, wenn allein schon die Fahrt eine gute halbe Stunde dauert und die Kriegsbemalung eine weitere. Stunden später bin ich soweit, jede Nummer aus meinem Telefonverzeichnis tanzen zu wollen. Ich bin völlig matschig im Kopf. Konzentration scheint ein Fremdwort.
Im Laufe des Tages habe ich alle Links in meiner Blogrolle mehrmals angeklickt (ja, das war ich), bei Youtube alle Levi’s Werbefilmchen gesehen, Wikipedia leerstudiert, eine Menge Zigaretten und drei Liter Tee konsumiert, die restlichen Chips gegessen, zweihundert Mal beim Solitär gewonnen, genauso oft verloren, noch öfter das Handy gecheckt, die parkenden Autos auf der Straße gedanklich ordentlich aneinandergereiht, die Fransen am Teppich erst gezählt, dann korrekt ausgerichtet, alle Wutzel von der Wolljacke entfernt, das schmutzige Geschirr auf der Spüle mehrmals umarrangiert und mehrere Kilometer innerhalb meiner Wohnung zurückgelegt. Der Plan, einen unglaublich lustigen Blogeintrag zu verfassen, ist aufgrund von massiver Schreibblockade schnell verworfen. Und jetzt kann mich mal alle Welt. Ich geh ins Bett. Natürlich nicht ohne mein Handy, denn morgen ist auch noch einer dieser unsäglichen Tage. Morgen um diese Zeit habe ich höchstwahrscheinlich die Grenze zum Wahnsinn überschritten. Ich hab mir sagen lassen, das tut nicht weh. Morgen weiß ich mehr.

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Freitag, 13. Oktober 2006
Only one to a customer
In einem Serviceberuf kommt man unweigerlich mit einer Vielzahl an Menschen in Berührung. Wer das nicht ab kann, ist sicherlich fehl am Platz. Eine steigende Anzahl an Personal, das sich um Kunden reizend bemüht, steht denen gegenüber, die mit Unfreundlichkeit einen schwer erarbeiteten guten Ruf mit einer einzigen Bemerkung zunichte machen.
Ich mag meine Passagiere, ehrlich. Diese Liebe scheint allerdings einseitig zu sein. Immer wieder begegne ich Menschen, in deren Köpfen ein Dauerecho des ewigen Themas Servicewüste zu hallen scheint. Alle im Folgenden geschilderten Situationen sind keine Einzelfälle, sondern wiederkehrende Phänomene.

1. Ich laufe mit einem riesigen und schweren Packen Zeitungen durch den Gang. Ein Gast streckt mir sein Jacket entgegen.
Können Sie das bitte aufhängen?

Aber sicher. Sobald ich den Zeitungsstapel verteilt habe, komme ich zu Ihnen und hänge das Jacket auf.

Scheiß Service!


2. Während des Einsteigevorganges möchte ein Passagier, dass ich seinen Mantel in die Garderobe hänge. Ich hänge den Mantel auf und will zurück in die Küche. Dies wird von eben jenem Passagier verhindert, der frontal mit zwei Koffern vor mir steht und keinen Millimeter weicht. Ich spreche ihn an Darf ich bitte vorbei? Anstatt nach hinten auszuweichen, zwängt er sich umständlich an mir vorbei. Dabei rammt er mir seinen Koffer ins Schienbein, entschuldigt sich aber nicht.

3. Das Flugzeug rollt. Wir sind angeschnallt. Ein Gast klingelt. Normalerweise dürfte ich jetzt nicht mehr aufstehen, da bei einem Unfall die Versicherung nicht zahlen würde, tu es aber dennoch.
Would you please give me a blanket?

Yes Sir, I´ll bring you one after takeoff.

But this will be another ten minutes.

I´m sorry Sir, we are not allowed to walk around when the plane moves.

But I´m cold NOW!

Der Gast bekommt seine Decke sofort nach Takeoff. Auf seinem Tisch liegt demonstrativ ein Fieberthermometer.

4. Während des Einsteigevorganges stellt ein Gast eine Frage. Ich antworte. Der Gast läuft weiter. Noch bevor ich meinen Satz beendet habe, ist der Gast bereits in die Kabine verschwunden.

5. Es ist Winter.
Können Sie meinen Mantel aufhängen?

Es tut mir leid, die Garderobe ist schon voll.

Das tun Sie doch absichtlich.



The customer is always right

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Dienstag, 10. Oktober 2006
Immer weiter, immer weiter
Kaum angekommen, schon wieder los. Aufgesperrtes Koffermaul verschlingt Stoff. Blusen sehen nach der Ankunft genauso zerknittert aus wie ich. Zusammenlegen war noch nie meine Stärke.
Hotel bedeutet allergiegeprüfte Kissen, knautschresistent. Der Kopf mit Schwung auftreffend, prallt wie ein Flummi daran ab.
Angetackerte Bettdecken. Gefahr von Zehenbruch beim Versuch, die Enden im Liegen zu lockern.
Earl Grey ist nicht gleich Earl Grey. Davon können Brittafilterfetischisten ein Lied singen. Chlor im Wasser lässt jedes Heißgetränk wie gegorenes Evian schmecken. Muss wohl wegen Edelschimmel in der Leitung sein. Erinnert an unbeschwerte Adoleszenzsommer im Freibad. Gesund ist was anderes.
Ich fühle mich beobachtet. Abertausend Mikroben starren aus Teppichschlingen. Man ist nie allein.
Der Fernseher spricht in Zungen. Drei von dreissig Programmen sind verstehbar, der Inhalt nicht nachvollziehbar. Mir wäre lieber, ich wäre der Sprache ebenfalls nicht mächtig.

Ein Telefon, das mich aus süßen Träumen plärrt. Morgenappell vom Band. Fünf Minuten später die Anfrage vom Rezeptionisten, ob ich lebe. Pfumpf. Mehr geht an der Zahnbürste nicht vorbei. Zahnpasta auf dem Hörer,dem Nachttisch, dem Lampenschirm.
Die Kleider am Leib, die andere Hälfte im Koffer. Erster Kontrollgang ergebnislos. Alles eingepackt. Die Türe will sich schließen. Zweiter Kontrollgang. Nur zur Sicherheit. Nichts vergessen. Die Türe noch nicht im Schloß. Dritter Kontrollgang. Zugeständnis an die Zwangsneurose.

Ankommen bedeutet bleiben. Ich bleibe nicht, komme nie irgendwo an.

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Samstag, 19. August 2006
Don´t let me be misunderstood
Die Tütenfrage hat man mir beantwortet. Alles muss sorgfältig verpackt sein, um den Anschein von Sauberkeit und Hygiene zu wahren. Nicht einmal von amerikanischen Sauberkeitsfanatikern ist japanische Mysophobie zu toppen. In Tüten abgepackte Scheiße verhindert zumindest die Berührung mit selbiger [sic]. Trotz aller Widersprüche beginne ich, die Japaner zu mögen. Sie wissen, wie sehr uns ihr Verhalten befremdet und sind durchaus in der Lage, über sich zu lachen. Ich erinnere mich gerne an eine japanische Kollegin, mit der ich einst arbeitete. Hinter jeder für Passagiere nicht einsichtigen Ecke riefen wir uns Suntory Whiskey! zu, um sofort in hysterisches Gelächter auszubrechen. Zuvor hatte ich sie gefragt, was denn der Regisseur Bill Murray alias Bob Harris langatmig geschildert hat, das die Übersetzerin auf die Worte more passionate reduzierte. Im Übrigen sind Japaner sehr wohl in der Lage ein R auszusprechen. Lip my stockings, eine Plattitüde der Drehbuchautorin. Allerdings habe auch ich meine liebe Not, gewisse Worte zu verstehen. Ein gepresst deklariertes To-Ma-To bedeutet, der Gast möchte gerne Tomatensaft. Damit ist der Fundus an deutlich Gesprochenem auch schon erschöpft. Eine klare Unterscheidung zwischen Ko-hi (coffee) und Ko-cha (tea) dringt kaum noch durch das Flughintergrundrauschen bis an mein Ohr. Nachfragen ist nicht, denn gutes Servicepersonal weiß, was der Japaner wünscht. Zudem gilt die Faustregel: stelle nie eine Frage, die den Asiaten zur Negierung zwingt. Er wird niemals ablehnen. Also halte ich beide Kannen in die Luft. Dabei bilde ich zwischen meinen Augenbrauen ein sichtbares Fragezeichen und warte geduldig, bis man mit Fingern auf das gewünschte Getränk zeigt. Nach jedem Japanflug spüre ich einen Zuwachs an Gesichts- und Armmuskulatur.

Manchmal sieht sich ein Japaner gezwungen, dem Europäer Ablehnung zu signalisieren. Hierzu nickt er mit dem Kopf und wedelt mit der Hand vor seinem Gesicht herum. Zuvor hat er nur langsam genickt, was soviel wie nein danke bedeutet. Es liegt mir nichts ferner, als einen Japaner zum Gesichtsverlust zu nötigen, doch leider weiß ich nicht, was entschuldigung, ich bin blond auf japanisch heißt. Im Grunde wollen sie gerne blond sein, meine japanischen Kolleginnen. Dabei ist ihr Haar beneidenswert stark und schwarz glänzend. Ich habe ihnen zu erklären versucht, dass Blondsein einer inneren Haltung bedarf, doch bezweifle ich, mich verständlich ausgedrückt zu haben. Die Message kommt sehr oft anders an, als ihre Intention ursprünglich war. Davon können die männlichen Leser sicher ein Lied singen. Mir war diese Form Mißverständlichkeit bisher fremd. Erst heute habe ich mal wieder eine Kollegin fälschlicherweise angeraunzt, weil ich glaubte, sie würde meine Arbeitsanweisung mißachten. Das passiert ab und zu. Was ihnen nicht passt, wird einfach ignoriert oder umgedeutet, bis es passt. Dabei hat sie nur ihrer Kollegin erklärt, was ich auf europäisch formulierte. Gelebte Hierarchie, selbst innerhalb einer Gruppe Gleichgestellter. Man unterscheidet zwischen europäischen und japanischen Kollegen. Obwohl ich ihre Vorgesetzte bin, zählt letztlich die Aussage der dienstältesten Japanerin. Mit der muss ich mich gut stellen, um gehört zu werden. Anstrengender Arbeitsalltag. Und auch spannend.

Ich ertappe mich, wie sich meine Gestik und Intonation anpasst. Geneigte Körperhaltung zu langgezogenen Ahs verwandeln mich in eine schlechte Imitation. Gerne würde ich den Gästen das Glas wie gelernt mit beiden Händen reichen, doch eine brauche ich, um mich wegen der Turbulenzen festzuhalten. So trage ich zu ihrer Erheiterung bei. Im Sitz lässt sich gut lachen, während ich stehend um Balance ringe und gleichzeitig die Flüssigkeit in ihrem vorbestimmten Behältnis zu halten versuche. Schwerkraft wird relativ. Noch nie habe ich mich so leicht gefühlt wie bei unvermuteten Luftlöchern. So könnten selbst Pirouetten gelingen, mit denen ich sonst meine Schwierigkeiten habe. Ausprobieren will ich es dennoch nicht. Selbst als Europäer sollte man gelegentlich sein Gesicht wahren. Bald bin ich wieder zuhause, dann darf ich nach Herzenslust hüpfen und rotieren. Auf festem Boden und ohne Kleckerrisiko.

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Montag, 7. August 2006
Walk like an Egyptian
Cairo, ein gefährliches Pflaster. Bei sonnigen 37° und erfrischendem Poolwasser wird die Haut schnell rot. Ägyptisches dolce far niente. Gefährliche zwei Tage lang. Die Stadt ist lebhafter. In jedem Taxifahrer steckt ein heimlicher Formel Eins Gewinner. Lücken können nicht klein genug sein, als dass Durchkommen nicht wenigstens versucht wird. Seitliches Autoblech wird nicht geschont. Solange die Hupe funktioniert ist alles in Ordnung. Der Ägypter hupt statt zu blinken. Endlich entdeckt, woher die typisch ägyptische Fußstellung kommt. Auf einer Stoßstange stehend passen Füße nur hintereinander. Ride like an Egyptian.



Unter Sternenhimmel ausgeleuchtete Steinhaufen. Gefährlich beeindruckend. Für die Ewigkeit erschaffen. Doch hat man nicht mit den durchgeknallten Taliban der Neuzeit gerechnet. Ich bin froh, die Pyramiden gesehen zu haben, bevor sie zu Staub zerfallen. Das World Trade Center habe ich damals um einige Tage verpasst. Ausnahmsweise Katzencontent. Die Sphinx ist nicht so groß wie angenommen. Und ganz zahm. Aber was will man von einer Katze mit Schutzhelm und ohne Nase schon erwarten. Massengräber drumherum. 30jährige Schinderei bleibt nicht ohne Folgen. Wenigstens wurden die Reste nicht gleich mitverwertet. Bei der Sound- and Lightshow werde ich gefährlich sentimental. Jeden Tag eine andere Sprache, in unserem Fall französische Untertitel. Lyrische Laute. Ich verstehe nicht alles, gucke lieber. Einige verirrte Franzosen zwischen leeren Reihen. Man fährt lieber an die Côte d´Azur.

Abendessen auf der Nilterasse des Grand Hyatt. Zwischen ägyptischen Segeln kreuzen schwimmende Ghettoblaster. Ägypten ist die Wiege des Jodelns. Hohes Indiandergeheul als Ausdruck von Lebensfreude. Die wird von geschundenen Pferden offenbar nicht geteilt. Traurig sehen sie aus, wie sie Touristen durch die Gegend kutschieren. So mancher Reiter wiegt mehr als das Tier selbst. Eifrige Verkäufer schielen verstohlen auf dicke Brieftaschen. Die Beine werden flink beim Anblick einer Gruppe Ausländer. Ansonsten scheint der Zeitbegriff eher großzügig gehandhabt. Man ist in Afrika. Wenn man eines hier im Überfluss hat, dann ist das Zeit. Tipp für einen Restaurantbesuch: ist ein längerer Aufenthalt geplant, sofort drei Getränke bestellen und sich die Warterei aus mitgebrachten Wasserflaschen verkürzen. Danach jeweils eine Bestellung pro Kellnerbesuch. Die Rechnung am Besten schon vor der eigentlichen Bestellung ordern. Getränke immer ohne Eis, nicht nur wegen der Risiken für Magen und Darm, sondern weil es bis zum Eintreffen ohnehin geschmolzen ist. Auf Salat ganz verzichten. Montezuma war wohl doch Ägypter.

In der Hotellobby verschleierte Frauen. Nicht alle Jungs heissen Mohammed oder Ali. Ein kleines Kind hört auf den Namen Adolf. Die Mutter hebt ihn auf den Arm. Er schreit. Noch nirgends habe ich mehr schreiende Kinder gehört als hier. Auch nicht so viel dicke. Im Flugzeug setzt sich der Lärmpegel fort. Gestillt wird unter der Burka. Tücher und Decken schützen vor fremden Blicken. Eine alte Frau fliegt mit uns heim. Zahnlos strahlt sie mir bei jeder Frage entgegen. Ansonsten keine Reaktion. Ich zeige ihr die Flaschen. Sie nickt. Später wird sie nach Amerika weiterfliegen. An meinem Arm geht sie zum Ausgang. Der Grenzbeamte will an der Fliegertüre ihren Pass sehen. Sie strahlt ihn zahnlos an. Ich suche einen Übersetzer. Dann kramt sie in ihrer blauen Plastiktüte, aus der zwischen Chipstüten und Wasserflaschen eine edle Handtasche zum Vorschein kommt. An meinem Arm geht sie langsam die Treppe zum Bus hinunter, setzt sich auf einen Platz, den ich ihr freimache und drückt meine Hand. Sukharia sagt sie. Danke. Innerlich wünsche ich meinen Kollegen viel Spaß beim Ausfüllen der Einreiseformulare für die USA.

Erst als ich wieder in München bin, wird mir langsam klar, wie privilegiert ich mit meinem Job bin. So ein Aufenthalt versöhnt mit keifenden Rückenlehnenkämpfern und regredierten Schlipsträgern. No risk, no fun. Vielleicht demnächst doch Beirut?

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Mittwoch, 2. August 2006
Keine Zeit
Seit einer Woche läuft meine Rufbereitschaft. Bis jetzt hatte ich Glück, weil man mich nur einmal mit einer 2 Tagestour behelligte. Meine neue Spaßbeschäftigung beansprucht fast jeden Tag in der Woche. Dienstag und Donnerstag ist mein Sambahüftschwunggott dran, Mittwoch und Freitag bis Sonntag der Knackarschitalovortänzer. Nur montags laufen keine interessanten Kurse. Anfragen von Freunden für ein geselliges Abendbier werden entsprechend eingeteilt. Nur die Firma hat keinerlei Verständnis für meine Leidenschaft. Jetzt wollen die mich allen Ernstes morgen nach Kairo schicken. An einem DONNERSTAG! Mein Einwand, ich müsse da meine Beine mehr modern-jazz-fusion-technisch als serviceorientiert durch die Gegend schwingen, stieß auf taube Ohren. Ich können ja ein paarmal öfter als sonst vor dem Getränkewagen in die Knie gehen, das trainiere auch. Erst dachte ich noch schön, dann biste am Freitag wieder daheim und kannst wenigstens am Wochenende schmachten tanzen. Pustekuchen, ich hab das große Los gezogen. Drei Tage im dreckigen, stinkigen Kairo. Diesmal Donnerstag kein göttlicher Hüftschwung und Freitag bis Sonntag Kaftane statt Knackarsch vor der Nase. Ich hab vielleicht einen Hals!

Als nächstes hab ich mir mal auf der Karte angeschaut, wie weit Kairo von Beirut entfernt ist. Liegt in ziemlich sicherer Entfernung bezüglich verirrter Kurzstreckenraketen. Hätte auch schlimmer kommen können. Tel Aviv zum Beispiel ist derzeit ein nicht sonderlich beliebtes Ziel beim Kabinenpersonal. Ja, wir fliegen da noch hin, zwar nicht mehr mit Übernachtung aber wir landen dort. Würde mich nicht wundern, wenn Beirut bald wieder im Streckenplan auftaucht. Krisengebiete werden nämlich so lange angeflogen, bis der Luftraum von offizieller Seite für den zivilen Flugverkehr dicht gemacht wird. Wir bekommen Informationsmaterial zum korrekten Verhalten bei Erdbeben, zur korrekten Titulierung von kirchlichen und politischen Repräsentanten, das Faltblatt für korrektes Überqueren eines Minenfeldes und der Titulierung eines Heckenschützen ist mir jedoch noch nicht untergekommen. Da besteht eindeutig Handlungsbedarf. Tut mir leid, wenn das alles nicht sonderlich witzig ist. Mir ist ehrlich gesagt auch nicht nach Lachen zumute. Klar könnte es mich jeden Tag treffen. Deswegen muss ich aber die Gefahr noch lange nicht herausfordern. Die Zeiten, in denen ich dreispurige Straßen mit geschlossenen Augen und nur nach Gehör überquert habe, nachts um halb drei im Central Park unbedingt spazieren gehen musste und mir nichts spannenderes häte vorstellen können, als in einen Banküberfall zu geraten, sind längst vorbei. Deswegen brauche ich jetzt auch keine Einsatzleitung, die das für mich übernimmt. Dies alles wurde mir jetzt erst wieder so richtig bewußt, obwohl Kairo nicht zu den Krisengebieten zählt. Was eine potentielle Gefahr betrifft sind wir hier ganz schön verwöhnt.

Jetzt aber Schluss mit trüben Gedanken. Wenn ich ehrlich bin, ist es doch so: sollte mir etwas zustoßen, wäre das Schlimmste für mich, dass ich es möglicherweise nicht mehr bloggen könnte.

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Donnerstag, 27. Juli 2006
Listen to that!
If you wanna know more about flying in general and in special, go to the site of my colleague betty:

Betty in the sky with diamonds a suitcase

I enjoyed listening to her stories and she really is talkative.

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Donnerstag, 13. Juli 2006
Born to be a strife
Bis vor einer Woche trug ich eine Markierung am rechten Oberarm. Genau genommen war das ein blauer Fleck in Form eines rechtwinkligen Dreiecks. Ich nannte es liebevoll "mein Pythagorastatoo". Keine Ahnung, wo ich mir das geholt habe, auf jeden Fall war es die Folge eines recht heftigen Zusammenpralls mit fester Materie, denn es behielt seine dunkle Färbung etwa vier Wochen bei. Zur Klage gegen einen Kollegen wegen Körperverletzung war das Veilchen ungeeignet, weil mir das keiner glauben würde. Meine Kollegen sind nämlich allesamt sehr harmoniesüchtig und kaum einer neigt zu körperlicher Gewalt. Wenn wir - wie jedes Jahr - auf einer Flugzeugattrappe unsere Evakuierungsfertigkeiten unter Beweis stellen, kommt dieses Harmoniebedürfnis besonders stark zum Vorschein. Nehmen wir mal an, ein Flugbegleiter muss die Passagiere zu einem anderen benutzbaren Ausgang umleiten, da am eigenen die Rutsche, über die das Flugzeug normalerweise bequem verlassen werden kann, defekt ist, weil zuvor eine stöckelbeschuhte Dame mit Wonne in selbige hineinsprang, dann werden den nächsten Passagieren folgende Worte lautstark entgegengeschleudert: "AUSGANG GESPERRT, ANDEREN AUSGANG BENUTZEN!"
Bei den meisten Kollegen hört sich das jedoch ein wenig anders an: "Dieser Ausgang ist leider nicht benutzbar, darf ich Sie bitten, sich zu einem anderen Ausgang zu begeben?" Dabei wird dem Passagier die Handinnenfläche nicht etwa mit ausgestrecktem Arm präsentiert, sondern die Hand in Schulterhöhe lasziv nach hinten geknickt, was eher einem lässigen Hitlergruß denn einem Stopsignal gleicht. Übersieht der Passagier in der Aufregung dieses Signal und überhört aufgrund des Lärmes die wohlformulierten Worte, wird er nach Absprung an der Türe in den Genuß von ungefähr 5m freien Falles kommen. Der Kollege aber widmet sich frei nach dem Motto "Reisende soll man nicht aufhalten" bereits wieder seiner Hauptaufgabe, der Evakuierung weiterer Reisender. Nachdem Menschen in Panik wie Lemminge reagieren, hat schätzungsweise der zwanzigste Passagier wiederum die Chance auf einen bequemen Ausstieg über die sich inzwischen vor der Türe stapelnden Körper der Mitreisenden. An diesem kleinen Beispiel ist unschwer zu erkennen, dass der Servicegedanke bei uns oberste Priorität genießt.

Kommen wir zurück zu meinem blauen Fleck. Das Pythagorastatoo ist verschwunden, dafür nenne ich seit drei Tagen ein Veilchen auf dem Oberschenkel mein Eigen. Zu Beginn meiner fliegerischen Tätigkeit hatte ich öfter blaue Flecken, da sich mein Körper zunächst an die Enge gewöhnen musste. Inzwischen habe ich einige Fligerjährchen auf dem Buckel und weiß mich durchaus ohne körperliche Blessuren im Flugzeug zu bewegen. Diese Fertigkeit will natürlich geübt sein. Man hat sich das wie einen Hürdenlauf vorzustellen, bei dem die Hürden zu Beginn aus Armlehnen, später dann aus in den Gang ragende menschlichen Körperteilen, Gegenständen wie Decken oder Taschenriemen, ab und zu auch Koffer, Kopfhörerkabel oder andere Reiseutensilien bestehen. Nun gilt es, möglichst schnell und ohne Feindkontakt das Flugzeug von vorne bis hinten zu durchqueren. Während der Anfänger erste Erfolge in kleinem Fluggerät erzielt, beginnt die Herausforderung im Großraumflieger bei Dunkelheit. Hier können etwaige Hindernisse nur erahnt werden. Mit der Zeit entwickelt der geübte Flugbegleiter unsichtbare Sensoren am ganzen Körper, die wie Nachtsichtgeräte funktionieren. Gelingt diese Aufgabe, ist die nächste Schwierigkeitsstufe, dabei ein großes Tablett mit allerlei Getränken ohne verschütten vor sich zu balancieren. Wahre Meisterschaft hat der erreicht, der sich ohne Verletzungen während des Einsteigevorganges in Gegenrichtung zum Passagierstrom bewegen kann. Ich selbst bin des Öfteren gezwungen, diese Übung zu absolvieren. Dabei entgehen mir weder die hilflosen Blicke derer, die sich mit meinem Vorhaben direkt konfrontiert sehen und die versuchen, ihr überdimensionales Handgepäck vor mir in Sicherheit zu bringen, noch die ungläubig staundenden Blicke der schadlos Passierten. Zerrissene Feinstrümpfe sind bei solchen Aktionen keine Seltenheit, haben aber erhebliche Abzüge in der B Note zur Folge. Sehr stolz bin ich auf die Beherrschung der Königsdisziplin: das Passieren eines im Gang stehenden fettleibigen Passagieres, ohne ihn dabei zu berühren.

So meisterlich ich mich innerhalb der Kabine zu bewegen fähig bin, so unbedacht rotiere ich durch die kleine Küche. Die Zeit arbeitet meist gegen mich. Türen von Wägen werden nicht ordentlich geschlossen, weswegen sich diese gelegentlich selbständig wieder öffnen. Nun unterscheide ich mich in mancher Hinsicht von meinen Kollegen. Meine Assimilation in eine Welt des sanften Gleichklanges scheiterte bisher kläglich. Während andere auf den Schwingen der Harmonie dahingleiten, schwingen bei mir geöffnete Wagentüren durch einen kräftigen Tritt in ihre vorgesehene Position. In speziellem Fall ersetzte eine einfache Körperdrehung mit ungewollter Begegnung zwischen Türkante und Oberschenkel den Tritt, was einen heftigen Schmerz in Kombination mit lautstarkem Fluchen zur Folge hatte. Ich glaube, mein Körper ist einfach noch nicht bereit für ein Leben in Harmonie.

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