Montag, 17. Juli 2006
Lost in Transition
Jeder zweite an mich gerichtete Satz endet mit my dear. Der Vorhang, der die Kabine von der Küche trennt, bewegt sich permanent. Sie fordert Beilagen mit mir unbekannten Bezeichnungen ein, ordnet unzählige Schälchen an und rückt Stäbchen zurecht. Zwischendurch erklärt sie, was wie zu sein hat. Einprägen kann ich mir ihre Worte, doch der tiefere Sinn bleibt mir verborgen. So bleibe ich eben my dear. Man kennt die japanische Liebe zum Detail aus lehrreichen Berichten oder gar Beobachtungen, bemüht sich, der Andersartigkeit gerecht zu werden und erntet doch Gelächter, bei dem Versuch, das Glas ehrfurchtsvoll abzustellen. Nein, das sei dann doch ein wenig übertrieben. Sie mag westliche Gerichte, weil die so herrlich einfach sind.

Am Freitag war sie in Paris, wollte die Tuilerien besichtigen, doch irgend so ein Nationalfeiertag hat ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann redet sie mit der Landsmännin, bei der ich nach jedem Satz nachhaken muss. Englische Worte klingen aus ihrem Mund vollkommen unbekannt. Später der Versuch, mit Hilfe einer Hotline eine Internetverbindung herzustellen. Ich befinde mich auf einem fremden Planeten. Minnie Mouse beschreibt Schritt für Schritt den Weg nach Disneyland. Dabei behauptet die Dame am anderen Ende der Leitung steif und fest, sie spräche von meinem Betriebssystem. Ich gebe auf, nicht ohne mich vorher für ihre Bemühungen zu bedanken.

Später im Andenkenladen zwischen all dem Tand erinnere ich mich an das japanische Handy mit angehängtem Miniaturcharivari. We like these things because we are sweet erklärt sie und grinst verschmitzt. My dear ist verunsichert ob dieser subversiven Humorkeule. Instinktiv nehme ich die letzte der vier versprochenen Postkarten mit beiden Händen entgegen. Wahrscheinlich habe ich mich soeben erneut zum Kasperl gemacht. Vor dem Hotel ertönt zur vollen Stunde Lohengrins Brautchor im Glockenspiel, vermischt mit ostinat großen Terzen einer Polizeisirene. In anderen Ländern heulen Sirenen in Quarten oder gar glissandiartiger Chromatik. Hier ist alles sweet-possierlich, selbst die sprechenden Fußgängerampeln. Die erworbene Postkarte trage ich in einer Papiertüte mit aufgeklebter Schleife heim. Überhaupt alles wird hier gerne einzeln verpackt. Gummibärchen in Isolationshaft. Hauptsache es raschelt. Geräusche, die ich nicht verstehe. Langsam lullt mich der Klang von plätscherndem Wasser in den Schlaf. Ausnahmsweise kommt er nicht aus dem Lautsprecher neben dem Bett, sondern aus dem Badezimmer. So gewohnt reell, dass ich es beinahe überhöre.

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Ankunft
Und Ethon wartet bereits, um von der Leber meiner Sehnsucht zu fressen. Die Rache für das gestohlene Feuer meiner Träume dauert an. Der innere Herakles muss noch viele Kämpfe führen, bis er die Klippen des Kaukasus erreicht. Den Linos einst im Zorn erschlagen, hinter sich der Scheideweg, dem Wahnsinn knapp entronnen, geht er immer weiter. Fünf Jahre machen das Dutzend voll. Gefangen im Nessoshemd der Leidenschaft verbrennt er und wird unsterblich. Das Spiel der Götter ist ein grausames.

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