Donnerstag, 4. Januar 2007
C'est la voix d'un chagrin tout neuf
Aus, Basta, genug, endgültig. Ich reiche die Scheidung ein. Keine Minute will ich mehr mit mir verbringen, geschweige denn zusammen wohnen. Den Meistertitel in der Disziplin Bedauern meines bemitleidenswürdigen Selbstes hätte ich über die letzten Wochen mühelos gehalten. Umso trauriger, dass damit kein Blumentopf zu gewinnen ist und ein Anlaß mehr, mich schlecht zu fühlen. Das einzige, was ich wirklich gut kann, ist nicht mal eine Auszeichnung wert. Dabei bedarf es keiner Anstrengung, um in der nächsten Sekunde in Tränen auszubrechen. Gründe schießen wie Unkraut aus dem Boden. Man muss nur einmal richtig in Fahrt kommen. Die entsprechende Abzweigung im Gedankenlabyrinth und schon wird aus jedem Sonnentag ein verhangener par excellence. Schnell die letzten Kränkungen memoriert und das Perpetuum mobile beginnt sich zu drehen. Eins, zwei, drei, die reinste Lust ist so ein watzlawick'scher Selbstläufer.

Die Hölle, das sind natürlich die anderen. Immer. Wer sich anständig bemitleiden will, dem steht der Sinn nicht nach Reflektion. Wenn da keine anderen sind, fein. Man glaubt sich mutterseelenallein in dieser bösen, kalten Welt. Neues Futter für neue Tränen. Die dunkle Jahreszeit tut das ihre. Und Weihnachten, welch ein Quell unerschöpflicher Trauer. Eine verlorene Kindheit will ordentlich beweint sein. Hochsaison des Verlangens nach Geborgenheit, wie man sie an gewöhnlichen Tagen in der romantischen Liebe feiert. Unstillbare Lust auf Heimat. Ein Grund mehr, sich ohne Sicherheitsleine in Gefühlstäler fallenzulassen. Je härter der Aufprall, umso besser. Seht her, ich hab's getan und bin, oh Wunder, verletzt. Da springt es sich gleich doppelt so schön.

Mit fortschreitender Zeit verliert das Spiel seinen Reiz. Umso schneller, je weniger applaudierendes Publikum die Hölle anheizt. Ohne Encore! kein zweiter Vorhang. Mit faulen Tomaten lässt sich nur aus Abstand gut werfen. Um diesen zu gewinnen, muss man schon von der Stelle, auf der man seit Wochen von einem Bein auf's andere oder gar auf die eigenen Zehen tritt. Heraus aus dem Rampenlicht des eigenen Selbst. Und siehe da, schrumpft der rote Riese Ego zu einem weißen Zwerg. Zurück bleibt nur die Ahnung eines Schattens, eine unwesentliche Divergenz gemessen an Unendlichkeit. Ein Schluckauf in der Chronik eines langen Lebens. Wohl dem, der stets ordentlich kaut.

Selbstmitleid lässt sich durchaus genießen, sobald als selbst gewählt enttarnt, leider nur noch halb so gut. Meine hohen Ansprüche sind doch alles, was mir bleibt sagte einst einer mit zwinkerndem Auge und von mir sofort unterschrieben. Dann doch lieber eine neue Variante. Oder etwa - man wagt es kaum zu denken - die Weichen anders stellen? Eine Auszeit, ein Urlaub von sich selbst. Heute Abend habe ich meine Koffer gepackt. Wohin die Reise geht, ist noch ungewiß.

... link (14 Kommentare)   ... comment