Montag, 15. Januar 2007
and it burns, burns, burns
"Schdinga duans scho, de Krautwickal" dachte ich noch so bei mir - ganz in Monaco Franze Manier, bevor jener die Wohnung vom Kopfeck in Flammen setzt - und wunderte mich, wer denn wohl im Haus solch üble Gerüche erzeugte, während ich versunken in die Tubentiefen fasziniert das vierte Fundstück einer herausragenden Pianistin anhörte und noch bei Weitem nicht am Ende der Suche angelangt war. Mit Beginn der Coda - und Kenner der Sonatenhauptsatzform wissen wohl, dass diese sich, je nach Epoche, durchaus länger gestalten kann - wuchs in mir die Gewissheit, die Quelle der Geruchsbelästigung könnte aus meiner Küche stammen. Noch war ich jedoch nicht bereit, meinen Hörgenuss zu unterbrechen, bedeutet doch dies, ich müsse die ganze Sonate von vorne beginnen. Ausserdem konnte ich mich selektiv nicht mehr an eine jüngste Inbetriebnahme des heimischen Herdes erinnern. Mit den letzten verklungenen Akkorden schweifte mein Blick gen Küchentüre, die bereits umrahmt von grauen Nebelschwaden, mich schnell auf den Boden der Realität holte. Was folgte, erübrigt sich im Einzelnen zu berichten. Brennende Würstchen stinken so gottserbärmlich, dass selbst die klassikliebende Obermieterin keine weitere Sonate lang den Anruf bei der Feuerwehr hinausgezögert hätte.

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I like Chopin
Vladimir Horowitz war einer der größten Pianisten. Dennoch war mir sein Name erst spät ein Begriff. Im zarten Alter von 9 Jahren begeisterte mich vielmehr sein Zeitgenosse Arthur Rubinstein mit der Interpretation von Chopins Klavierwerken. Zu den Walzern ließ es sich herrlich im Faschingsprinzessinnenkostüm auf heimischem Wohnzimmerteppich tanzen. Zur ersten Aufnahme von Horowitz kam ich wie die Jungfrau zum Kinde. Ich besaß damals einen Radiokassettenrekorder und durchforstete das Klassikprogramm nach Werken, die ich nicht kannte. Wichtiger als der Name des Interpreten war mir damals die Vollständigkeit meiner Sammlung in Bezug auf Komponisten. Als die Kreisleriana von Schubert angekündigt wurde, drückte ich auf Aufnahme, ließ den Scriabin durchgehen, tolerierte Liszt, und wechselte die Seite noch für diverse Chopinzugaben. Unter der Plastikhaube eine liebevoll gemalte Klaviatur, innen akribisch mit Hilfe der Rundfunkzeitschrift beschriftet und schließlich vergessen, so verbrachte sie Jahre zwischen all den anderen Kassetten, bis mir klar wurde, welches Juwel ich da mitgeschnitten hatte. Nachdem Horowitz Deutschland aus geschichtlich nachvollziehbaren Gründen den Rücken kehrte, brach er 1986 sein Versprechen, nie mehr hier aufzutreten. Das Konzert in Berlin war ein legendäres und die Kassette - einmal zu oft gehört - überlebte nur, weil ich sie in den darauffolgenden Jahren statt abzuspielen nur noch zärtlich streichelte und dann in das Archiv zurücklegte. Besonders irritierte mich damals die Chopininterpretation, denn von Rubinstein war mein Ohr an ein ausgewogenes, beinahe lyrisch verzärteltes Klangkonglomerat gewöhnt. Was ich von Horowitz zu hören bekam, ähnelte eher einem, der zielgerichtet auf den Seelenabgrund zudonnert, sich kurz vor dem Fall am Rande des Wahns taumelnd fängt und sich sogleich tanzend dreht als wäre nichts gewesen.

Hermeneutik ist meine Sache nicht, obwohl ich mich damit in guter Gesellschaft befinde. Während meines Studiums waren die Vorlesungen von Herrn Kaiser - nicht der von der Hamburg-Mannheimer, sondern der Reich-Ranicki der klassischen Musik - nicht nur gut besucht, weil der Mann einen Unterhaltungswert besaß, der seinesgleichen selbst unter den großen Entertainern sucht, sondern vor allem, weil die kleinen Studenten diesem Grand Seigneur ja am Ende des Semesters beweisen mussten, wie gut sie verwertbare Informationen zwischen all den kleinen Anekdoten, wie etwa, dass sich Rubinstein während Interviews gerne mit den Spargelfäden zwischen seinen Zähnen beschäftigte, herauszufiltern in der Lage waren. In der folgenden Prüfung in Musikgeschichte sollte ich anhand eines mir bis dato unbekannten Klangbeispieles - das Scherzo aus der zweiten Klaviersonate von Chopin, mich interessierten jedoch Gassenhauer, wie es diese Trauermarschsonate ist, damals nicht sonderlich - Epoche und Komponist bestimmen. Den Interpreten erkannte ich sofort, was ich meinen Prüfern nicht vorenthielt. Mit entsprechender Terminologie gewappnet beantwortete ich die folgende Frage korrekt, warum das Stück nicht von Schumann sein könne. Herrn Kaiser gab sich damit jedoch nicht zufrieden und fügte hinzu, Schumann klänge "gesünder" als Chopin, was mich wiederum an die Eurythmiker in den Musiktheoretischen Vorlesungen erinnerte, die Klangdynamik oder Rubati meist als "Wellen" bezeichneten und sich auch sonst ihr Wissen ausschließlich tanzend anzueignen schienen.

Schnell erkannte ich, dass die Welt außerhalb der Hochschulen nicht sonderlich viel mit Fachterminologie am Hut hat. So waren die Eurythmiker und Hermeneutiker in ihrer Ausdrucksweise eindeutig denen gegenüber im Vorteil, die sie gerne als verkopft bezeichnen. Der gemeine Leser widmet sich in Wort und Bild lieber Gegenüberstellungen seiner ihm eigenen neurotischen Gefühlswelt im Bezug zur Klangkunst als sich wissenschaftliche Abhandlungen einzuverleiben. Und so gesehen klingt Schumann für einen Durchschnittskonsumenten, derer viele beispielsweise in den Hochschulen zu Instrumentalakrobaten herangezüchtet, nicht aber zu Musikern ausgebildet werden, ohne tieferes Hintergrundwissen eben durchweg gesünder als Chopin. Im Folgenden dürfen Sie sich vom einen selbst ein Bild machen. Allerdings rate ich zu kritischer Haltung. Was unten verlinkt, ist Chopin, wie ihn Horowitz sah. Als Vergleichsaufnahmen biete ich Arthur Rubinstein und Martha Argerich, die schon in jungen Jahren ähnlich kraftvoll wie Horowitz spielte und somit dessen ironischen Ausspruch widerlegte, es gäbe „[...] nur drei Sorten von Pianisten: jüdische, homosexuelle und schlechte."

Zu allen drei Aufnahmen gäbe es noch viel zu sagen, hätte ich es mir damals nicht hinter die Ohren geschrieben, meinen Mund zu halten und den Adorno im Regal ganz unten zu verräumen, dort nämlich, wo er für die Balance zwischen Boden und Brettern sorgt. Nur soviel sei angemerkt: Horowitz ist nicht Klavierartist um des Effektes Willen, wie etwa heutige Dressurwunder aus Fernost und anderswo, sondern hält stets die Balance zwischen notwendig und effekthaschend. Zum herausragenden Künstler wurde er nicht durch makelloses Spiel - im Konzertmitschnitt griff er gelegentlich daneben, was ihn umso wertvoller gegenüber geschliffenen CD Aufnahmen macht - sondern durch die Fähigkeit, in der Musik eines anderen seine Persönlichkeit auszudrücken. Vielleicht ist es aber nur das Krankhafte, das Horowitz und Chopin vereint. Horowitz litt zeitlebens an Depressionen, aufgrund derer er sich immer wieder aus dem Konzertleben zurückzog. So darf der Wahn zur Freude des Hermeneutikers dort aufblühen, wo er ihn am liebsten formuliert, nämlich in der Kunst.


Chopin Polonaise As-Dur op.53, Horowitz Wien 1988?

Und im Grunde habe ich den Text drumrum nur geschrieben, weil meine Entzückung über dieses Fundstück irgendwohin musste.

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