Montag, 9. Juli 2007
Never had a dream come true
Die Sonne geht hier mitten in der Wüste schnell unter, als ob es zwischen unerbittlichem Brennen und kühler Nacht nichts gäbe. Während der kurzen Zeitspanne der Dämmerung beginnt alles Leben aufzuatmen. Eigentlich habe ich mir vorgenommen, mir bei einem Glas Wein auf der Hotelterrasse dieses unvergleichlich schöne Erlebnis des Tages noch einmal in Erinnerung zu rufen. Beinahe wäre ich unbemerkt in die Tiefe geglitten, da höre ich die Stimme von Jan neben mir.

Jan, ein etwa 60 jähriger polnischer Landsmann, ist in seinem Konversationsdrang mindestens genauso unerbittlich wie die Sonne. Seine Ausführungen sind wortreich, wobei die eine Hälfte seiner Erzählungen aus umständlicher Umschreibung des Gemeinten besteht und die andere Hälfte aus Belanglosigkeiten. Meistens kann ich mich nicht entscheiden, auf welche Hälfte ich mich konzentrieren soll. Seit zweieinhalb Tagen bin ich vor ihm auf der Flucht. Direkte Konfrontationen lassen sich schwer vermeiden, da sich die Aufenthaltsmöglichkeiten außerhalb der Hotelanlage auf Wasser und Sand dezimieren. Folglich beschränke ich mich auf knappe Zustimmung, um ihn nicht unnötig zu ermutigen, stets hoffend, er möge irgendwann die diversen Zaunpfähle winken sehen.

Diesmal hat er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Ob ich eine Minute Zeit hätte, fragt er. Ohne meine Antwort abzuwarten zieht er einen DinA 4 Spiralblock aus seiner Plastiktüte und beginnt mir einen selbstverfassten Text vorzulesen. Der Aufsatz eines Siebtklässlers mit dem Titel 'Mein schönstes Ferienerlebnis' wäre im Vergleich zu dem, was ich zu hören bekomme, bachmannpreisverdächtig. Meine Hand sucht auf der Tischplatte verzweifelt die rechte Maustaste zum Schließen, tippt aber ins Leere. Am Ende schwanke ich zwischen wilden Flüchen und Durchhalteparolen in meinem Kopf hin und her. Ich bin eben 'kulturell', wie Jan stets zu sagen pflegt. Kul-turrr-ääl sagt er, was er offenbar mit 'kultiviert' verwechselt und im Grunde 'höflich' meint.

Unter interkultureller Kommunikation verstehe ich trotzdem was anderes. Ob ich mein Glas so schnell leere, um endlich gehen zu können oder weil ich seine Ausführungen nur betrunken ertrage, weiß ich nicht genau. Bevor ich mich zum Abendessen verabschiede - selbstverständlich nicht ohne mich vorher zu versichern, dass mein Gegenüber bereits gespeist hat - kündigt Jan sein nächstes Projekt an: In den kommenden Tagen wird er alles filmen, was nicht bei drei... sich bewegt. Instinktiv erstarre ich zur Salzsäule und ahne, dass dieser Urlaub unerschöpfliches Potential auf dem Weg zur Meisterschaft in Camouflage mit sich bringt. Die natürliche Unsichtbarkeit, die im Leben einer Frau um die 40 eintritt, ist nämlich bei überkommunikativen 60 jährigen Polen im all inclusive Urlaub wirkungslos.



Dabei will ich nichts weiter als in Ruhe vor mich hinträumen. Dieses heutige Erlebnis noch einmal in Gedanken durchleben, das ich mir zwar so sehr gewünscht aber insgeheim nicht zu erhoffen wagte. Es ist bereits dunkel, als ich mich mit meinem Tauchpartner auf den Weg zum nahegelegenen Berberzelt mache. Auch er bleibt von Jan nicht verschont, daran ist er aber selbst schuld. Mirko begegnet seinen Mitmenschen noch 'kultureller' als ich es je könnte. Mit stoischer Miene erträgt er selbst mein Ankleideritual und die begleitenden Schimpftiraden vor jedem Tauchgang.

Der Halbtrockenanzug ist aber auch zu störrisch. Zur allgemeinen Belustigung aller arabischen Jungs der Basis ziehe ich zunächst alte Feinstrumpfhosen über meinen Bikini, damit ich besser hineinrutsche. Eng soll er ja sitzen, der Anzug, damit daraus unter Wasser nicht ein Durchlauferhitzer wird. Trotzdem könnte er etwas weiter sein. Vielleicht hätte ich ihn vor dem Urlaub sicherheitshalber noch mal anprobieren sollen. Selbst der Tütentrick versagt beim Anziehen. Stattdessen reißt die vor dem Hineinschlüpfen über die Hand gestülpte Tüte beim Herausziehen. Einzig ein in Ärmel und Beine geführter Schlauch mit fließendem Wasser erleichtert das Anziehen ein wenig. Allerdings fließt das Wasser nicht mehr ab, sondern sammelt sich im Anzug. Im Grunde ein gutes Zeichen für Dichtigkeit, würden meine Extremitäten nicht nach kurzer Zeit taub.

Überhaupt eine saublöde Bezeichnung 'halbtrocken', klingt wie 'ein bisschen schwanger'. Andere tragen lässig Shorties oder Tropenanzüge, maximal 7 mm Naßanzug. Ich hingegen friere schnell, weshalb ich selbst wunde Fingerknöchel mit Begleitschmerzen vom Hochziehen in Kauf nehme. Fließendes Süßwasser inmitten der Wüste zum Anziehen eines gefrierpunktresistenten Kleidungsstückes zu verwenden, zeugt von unglaublicher Dekadenz. Andererseits stamme ich aus der Generation, die sich mit Jeans bekleidet in die Badewanne legte. Auch das sollte man heutzutage lieber für sich behalten.

Unter Wasser verstehen wir uns dafür hervorragend, sozusagen wortlos. Ich hatte Glück mit meinem Tauchpartner - oder er mit mir. Die meisten Taucher treffen schon vorab paarweise bei der Basis ein. Einzeltaucher sind rar. Die Alternative wäre Jan gewesen, der, obwohl er unter Wasser nicht sprechen kann, dennoch einen immensen Luftverbrauch hat. Mirko und ich variieren nur unwesentlich, was ausschlaggebend für die zeitliche Länge des jeweiligen Tauchganges ist. Bis zum Ende des Urlaubes werden wir uns die Folgen polnisch verletzter Eitelkeit anhören müssen, weil wir beide am ersten Tag zu dritt das Atmen unter Wasser aus lauter Boshaftigkeit verweigerten.

Wir liegen auf einem alten Teppich am Strand und starren in den nächtlichen Himmel. Trotz Vollmond sind unendlich viele Sterne zu sehen. Nach einem Zug an der Wasserpfeife übergebe ich wortlos und lehne mich zurück. Während die erste Sternschnuppe fällt, überlege ich mir einen Wunsch, bis mir wieder einfällt, wie wenig Auswirkung Sternschnuppenwünsche in meinem bisherigen Leben zeigten. Der einzige Wunsch, den ich für diesen Urlaub hatte, ging gänzlich ohne vorherig verglühten Planetenabfall in Erfüllung. Ich bin mit Delfinen getaucht.

Gehört habe ich ihr Pfeifen und die Klickergeräusche unter Wasser oft. Als ich Mirko mit einer Geste frage ob er sie ebenfalls hört, ernte ich nur verständnislose Blicke. Erst als ich auf einen Delfin aufgeregt deute, der aus dem grenzenlosen Blau in der Ferne auftaucht, wird ihm klar was ich meine. Der Meeressäuger kommt uns schnell entgegen, im Schlepptau eine Gang von etwa sieben Artgenossen. Sie schwimmen an uns vorbei und verschwinden genauso schnell, wie sie aufgetaucht sind. Ich unterdrücke einen Schrei der Entzückung, während ich meinen Tauchpartner am Arm packe. Die Delfingruppe kommt zurück. In einiger Entfernung stellen sie sich im Wasser senkrecht auf. Wir erstarren beide, nur um keine falsche Bewegung zu machen und wagen es kaum zu atmen. Nach einer Weile umkreisen sie uns wieder. Langsam wird mir klar, dass sie uns imitieren, wie wir starr in der Tiefe hängen. Wie ein einziger Körper bewegt sich die Gruppe zur Oberfläche und wieder zurück zu uns. Manchmal löst sich ein Einzelner aus der Formation, nähert sich uns und dreht wieder ab.

Obwohl die Zeit stillzustehen scheint, ist das Treffen nach wenigen Minuten vorbei. Zu uninteressant sind die beiden erstarrten Taucher da drunten und zu laut die große Gruppe sich nähernder Taucher, die mit ihren Rasseln die Unterwasserwelt stärker beschallt, als ein defektes Auspuffrohr den mittleren Ring. Allmählich verschmelzen die Umrisse der Delfine mit dem unendlichen Blau des Wassers. Nur langsam erwache ich aus meiner Extase, blicke prüfend auf den Luftstand und setze den Tauchgang fort. Nach dem Auftauchen wird mir schnell klar, dass jetzt nicht mehr viel kommen kann, um das zu überbieten. Ich habe alles gesehen, was es dort unten zu sehen gibt.

Auf dem Teppich unter dem Sternenhimmel spüre ich einen schier unbezwinbaren Drang, dieses Erlebnis mit der Person zu teilen, die ebenfalls anwesend war. Doch schnell wird mir klar, dass es Dinge gibt, die man nicht teilen, nicht mitteilen kann. Selbst wenn Mirko ein Mann großer Worte wäre, denn manchmal genügen Worte nicht, um das zu beschreiben, was im Innersten nachhallt. Nach einigen ungelenken Versuchen starre ich stumm in den nächtlichen Himmel. Drei Sternschnuppen später brechen wir auf in Richtung Hotel.

Die Einzelreisende aus Garmisch, die ich auf dem Rückflug treffe, bringt es auf den Punkt. Ja, das Wetter in Deutschland sei verdammt schlecht aber hey, ich sei mit Delfinen getaucht, das sollte für den Rest des Jahres genügen. Schließlich solle man nicht unmäßig sein. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, wieso sie mich plötzlich Jana nennt.

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