Donnerstag, 8. August 2019
Trauma my ass!
Kaputte Krieger via Augen geradeaus



Es war etwa um 2005 rum, da hatte ich plötzlich Flugangst. Bei Start oder Landung über Wasser bekam ich schwitzige Handflächen, erstarrte innerlich und konnte mich nicht mehr auf meine eigentliche Aufgabe - der mentalen Vorbereitung auf eine mögliche Evakuierung - konzentrieren. Ganz schön scheiße in meinem Job. Ich erinnere mich, dass ich als Passagier in einem kleinen Flugzeug fast ausgetickt bin, weil man mich nicht am Notausgang sitzen lassen wollte. Und ich weiß noch, wie mein Umfeld mit Unverständnis darauf reagierte und ich folglich alles daran setzte, meinen Zustand so weit wie möglich zu verheimlichen. Damals begriff ich nicht was mit mir los war, zumal ich bis dato ein Mensch war, der vor wenigen Dingen Angst hatte. Im Gegenteil, ich suchte das Risiko, liebte wilde Fahrgeschäfte auf dem Volksfest, war Höhlentaucherin und vermied auch sonst keine potentiell gefährlichen Situationen. Ich wusste nicht, dass mein Zustand einen Namen hatte, sonst hätte ich den googeln können. In diversen Fallbeschreibungen, deren Symptome meinen ähnelten, stand immer gleichzeitig was von "lebensbedrohlichen Ereignissen". Ein PTSD (post-traumatic stress disorder, deutsch: post-traumatisches Belastungssyndrom= PTBS) kannte ich nur in Zusammenhang mit Kriegsveteranen, Geiselnahmen oder sonstigen Gewaltopfern. Ich war sicher, das trifft auf mich nicht zu.

Irgendwann begriff ich, dass ich damit ebenfalls gemeint war. Ich litt unter sogenannten Flashbacks, Alpträumen, gesteigerten Erregungszuständen und Aussetzern. All das konnte ich jedoch geschickt überspielen. Meine Seele hat sich dann einen anderen, deutlicheren Weg gesucht, um sich Gehör zu verschaffen. Ich bekam Angst vor dem Fliegen. ICH! Nee, oder? Ich war doch die Unerschrockene, die Starke, die sich immer selbst hilft. Der Weg von der Einsicht zur Genesung war lang und steinig. Und beschissen. Was war geschehen? Abgesehen von Gewalterfahrungen in meiner Kindheit hatte ich in der Zeit einen Tauchunfall, der mich fast das Leben gekostet hätte. Das war der Auslöser. Es folgten Monate mir unerklärlichen Seelenleids. Ich verlor das Interesse an sozialen Kontakten, grub mich ein und wachte fast jede Nacht schweißgebadet auf, rauchte wie Schlot, fühlte mich aber sonst eher mau. Nicht richtig depressiv, eher so mittelschlecht. Ich brauchte starke Auslöser für Emotionalität und flüchtete in Affären und Sex. Damit konnte ich wenigstens die miese Allgemeinstimmung erklären. Die Erkenntnis, dass es am härtesten die Starken und Rationalen trifft, bringt mich heute dazu, es aufzuschreiben. Die können das Erlebte und die Folgen nämlich sehr lange leugnen, wegerklären oder sich schlichtweg davon ablenken. So auch ich. Bis es eben nicht mehr ging und ich mich krank melden musste.

Also suchte ich mir eine Therapeutin, mit der ich das Geschehene aufarbeitete. Nicht rational, sondern emotional. Mehrere Monate intensives Abtragen der Schutzschichten begleitet von lang anhaltenden Weinkrämpfen waren mein Alltag. Eine Folge von starkem Stresserleben ist der Schutzmechanismus der Seele, die damit verbundenen Emotionen abzuspalten. Erst wenn die Erinnerung abgerufen und dabei die zugehörigen Gefühle nochmals im geschützten Raum erlebt werden, kann der Mensch wieder ganz werden. Die unterdrückten Gefühle sind mächtig und auch nach vielen Jahren manchmal noch überwältigend. Sowas löst sich nicht mit einmal drüber weinen auf. Da muss man immer wieder dran, bis die emotionalen Wellen seichter werden. Manche behaupten, es wäre nie ganz heilbar. Meine Erfahrung ist, dass ich seichtere Wellen besser bewältigen kann als die Brecher, die mich schutzlos umhauen. Letztlich geht es genau darum, es in erlebbare Häppchen zu portionieren, damit ich bei einem Anflug nicht sofort in vegetative Starre verfalle oder mir mit Süchten drüber weg helfen muss. Nervosität in bestimmten Situationen, gelegentliche Alpträume oder leicht dysfunktionales Verhalten, inzwischen kann ich damit umgehen.

Vor ein paar Jahren absolvierte ich eine Ausbildung zur Krisenhelferin, die mich dazu befähigt, andere nach einem potentiell traumatisierenden Erlebnis zu unterstützen. Ich habe gelernt, dass sich traumatisierend nicht generalisieren lässt und Erleben sehr individuell abläuft. Was einer als Lappalie abtut, kann einen anderen umhauen. Dabei möchte ich nochmals betonen, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, sich ein Gefühl von Überwältigung einzugestehen. Es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen PTSD und emotionaler Schwäche. Die vermeindlich Starken leiden nur länger. Zudem gibt es Studien, die besagen, dass soziale Unterstützung bei der Verarbeitung von Erlebtem förderlich sein kann. Vietnam Veteranen, die in ein intaktes soziales Umfeld zurückkehrten, litten weniger unter PTSD, Abhängigkeiten oder anderen Folgen und waren schneller rehabilitiert.

Ein starkes Interesse an diesem Thema kann bereits Indikator für etwas sein, was da im Innersten schmort. Suchen Sie sich jemanden zum Reden. Es muss nicht gleich die Fachkraft sein, sollte aber professionell behandelt werden, wenn die Symptome den Alltag bereits stark einschränken. Was ebenfalls für einen Therapeuten spricht, ist die Tatsache, dass man dem auch zum hundertsten Mal dieselbe Geschichte erzählen kann, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Der kriegt dafür schließlich Geld. Ein Garant für Heilung ist Bezahlung nicht, wohl aber die Bereitschaft, sich mit seiner eigenen Vergangenheit, insbesondere den dunklen Ecken auseinanderzusetzen und dort hinzusehen, wo's richtig weh tut. Irgendwann tut's dann nicht mehr so weh. Das verspreche ich.

Anm.: Wenn Sie etwas tun möchten, dann verlinken Sie diesen Erfahrungsbericht für mehr Reichweite. Nicht weil ich eitel bin, sondern weil es viele gibt, denen damit möglicherweise geholfen werden kann.

Noch mehr Anm.: ich bin keine Expertin. Das ist nur ein Erfahrungsbericht. Es gibt aber Anlaufstellen, die helfen können:

PTSD Hilfe in München
Krisendienst München
Überregionaler Krisendienst

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