Freitag, 8. Dezember 2006
A touch of sense and sensibility
Man kennt diesen Begriff, er wird oft und gerne umgangssprachlich benutzt und doch finde ich keine fundierten Informationen darüber. Unter einer Künstlerseele versteht man gemeinhin gesteigertes Einfühlungsvermögen, Sensibilität, emotionales Erfassen tiefgründiger Zusammenhänge und deren Verarbeitung in Schrift, Bild oder Musik. Man spricht von Künstlerseelen im Zusammenhang mit Meisterwerken, von Menschenhand erschaffener Göttlichkeit. Man sagt Künstlerseele und meint damit innerlich zerrissene Menschen, Suchende, die psychisch labil, sich im Leben nicht zurechtfinden und ihm gegebenenfalls schließlich ein Ende setzen. Fast scheint mir der Begriff ein wenig überstrapaziert, eine Art posthume Glorifizierung, ein idealisierender Erklärungsversuch für etwas, das im Grunde jeder mehr oder weniger schon erfahren hat.

Woher kommt dieser Begriff? Stammt er aus der Epoche der Romantik? Während die Nachwelt Berühmtheiten wie etwa Vincent van Gogh, Klaus Mann, oder Kurt Cobain als Künstlerseelen darstellt, spricht man über unzählige Anonyme als Depressive, Borderliner oder Schizophrene. Eine Künstlerseele muss schon in Vorleistung gehen, um als solche bezeichnet zu werden, obwohl die Voraussetzungen beider Gruppen sich durchaus gleichen. Was aber, wenn die tiefsinnige Seele nicht mit Worten, Farben oder Klängen umzugehen gelernt hat, was wenn sie keine der gängigen Ausdrucksformen als die ihre bezeichnet? Ist sie dann des Künstlers unwürdig? Komm mir jetzt keiner mit dem oft [falsch] zitierten Beuys, wonach jeder ein Künstler sei [wahlweise Bob Ross]. Ist nicht jeder halbwegs intelligente und einfühlsame Mensch ab und zu innerlich zerrissen? Oder fördert eine an der Spitze der Bedürfnispyramide angekommene Gesellschaft, deren Sucht nach Selbstausdruck durch die narzisstische Peitsche des Machbarkeitswahnes krankhaft getrieben wird, die innere Zerrissenheit? Kurz: ist es der Mensch selbst oder die Möglichkeiten, die ihn zu einem Suchenden machen?

Sowohl äußere Einflüsse, als auch innere Voraussetzungen mögen hierbei eine Rolle spielen. Doch bezweifle ich eine eindeutige Zuordnung des Begriffes und dessen Exklusivität im Bezug auf eine Berufsgruppe. Und wer will schlussendlich Kunst definieren?

Gedankenfortspinnung in den Kommentaren, sowie aufschlußreiche Links zum Begriff (Definition, Geschichte, Wissenschaft) werden ausdrücklich erbeten.

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Dienstag, 5. Dezember 2006
Sao Paulo - my life is just one big cliché (2)
Wie bereits hier vermutet, bis jetzt keine Spur von Bildern. Eher entdecke ich wohl den von offizieller Seite beglaubigten Stammbaum des Weihnachtsmannes, der den Osterhasen als seinen Cousin verzeichnet, als Bilder von den lieben Kollegen im Post-/Mailfach.

Vom Hotel geht es im Taxi direkt durch die Stadt. Ich hätte gerne direkt in die Innenstadt geschrieben, doch Sao Paulo besitzt keine solche. Schon beim Anflug konnte ich aus dem Cockpitfenster eine gewisse Ähnlichkeit mit L.A. feststellen, zumindest was die Fläche betrifft. Überhaupt ist der Anflug eine spannende Sache. Das Flugzeug heischt wie ein quengelndes Kind mit aufdringlichen Warnsignalen nach der Aufmerksamkeit seiner Führer. Dann taucht es in die niedrige Wolkendecke ein, die den Blick auf knapp überflogene Berge verdeckt. Nur auf den Instrumenten ist die Umgebung noch erfassbar. Alles kein Problem, denn was sind schon diese lächerlichen Hügel gegen den alten Flughafen Hongkongs, wo von so manchem Fahrwerk nach der Landung Wäschestücke aus umliegenden Wohnungen entfernt werden mussten.

Auf der Schnellstraße - oder das, was sich hier so nennt - ziehen an uns ganze Viertel bestehend aus verfallenen Bretterbuden, die sogenannten Favelas, vorbei. Selbst Abenteuerlustige möchten hier nicht zwingend nachts eine Autopanne erleben. Im Stadtverkehr scheint es üblich, die kurzen Ampelphasen und den daraus resultierenden Rückstau zu umgehen, indem man zum Abbiegen die Durchfahrt der an jeder Ecke liegenden Tankstellen nutzt. Man will schließlich ans Fahrtziel gelangen. Unser Ziel ist an diesem Tag der Rodeo Drive Sao Paulos, wo wir zu Fuß an Schaufenstern der Nobelläden vorbeiflanieren. Windowshopping ist hier ein wenig umständlich, denn man muss schon den Blick auf den Boden richten, will man nicht plötzlich wie unser Stadtführer bis zur Brust in einem Loch auf dem Gehweg verschwinden. Dabei hält er nach wie vor sein Handy am Ohr und führt das Gespräch gelassen eine Etage tiefer weiter, bis wir ihm zur Hilfe eilen. Eine Freundin will ihm und uns ihre zwei Autos für den Nachmittag überlassen. Wer sich in Sao Paulo keinen Hubschrauber leisten kann, der nennt zumindest ein Auto mit Fahrer sein eigen. Wozu dieser Fahrer gut sein soll, bleibt mir allerdings den ganzen Tag verborgen, denn der kennt sich nicht besser als wir aus. So kreisen wir mehrere Male im selben Viertel, bevor wir das berühmte Café finden, in dem sich Schokolade so dickflüssig auf dem Tassenboden sammelt, dass der Löffel darin steckenbleibt. Von Kaffee haben die Brasilianer wirklich Ahnung, das muss man ihnen lassen. Vom Autofahren weniger.

Wir sind schon einige Stunden unterwegs, wohlgemerkt die meiste Zeit im Auto, bevor wir endlich wieder im Hotel ankommen. Gesehen haben wir neben dem Rodeo Drive, dem Fakemarkt, der Markthalle, einem Park und der Wohnung von Marcos Freundin nicht viel. Wahrscheinlich gibt es hier keine touristischen Sehenswürdigkeiten, so meine Vermutung. Immerhin war der Nachmittag durch Marco und die Kollegen recht kurzweilig. Das wichtigste Ereignis steht jedoch kurz bevor: wir gehen Essen.

Südamerika ist kein Land für Vegetarier. Selbst der Rinderwahn hält keinen davon ab, sich Fleisch einzuverleiben. Der Tisch für 14 Personen im Fogo de Chao [wie krieg ich jetzt das ~ auf das a?] ist bestellt, die Crew in den Startlöchern. The Gaucho way of preparing meat, wie auf der Webseite angekündigt, ist Programm. Kellner in folkloristischer Tracht rennen mit Fleischspießen und scharfgewetzten Messern zwischen den Tischen umher und schneiden das Fleisch dem Gast direkt auf den Teller, vorrausgesetzt das Schild daneben liegt auf der "sim por favor" lSeite.

Nach den ersten Gängen drehe ich das Schild schnell auf "nao obrigado", denn so zahlreich wie die Kellner meinen Teller passieren, komme ich mit dem Kauen nicht hinterher. Selbst als der Magen wegen Überfüllung geschlossen meldet, kann ich nur schwer widerstehen. Noch nirgends habe ich schmackhafteres Fleisch gegessen als hier. Das große Fressen neigt sich dem Ende zu und ich hänge erschöpft im Stuhl. Zwischen zwei Bäuerchen beobachte ich argwöhnisch, ob nicht doch einem der Kellner mal versehentlich das Messer ausrutscht und in des Gastes Tenderloin steckenbleibt. Die meisten Gäste des Etablissements essen nicht nur Fleisch, sie tragen es auch in großen Mengen um die Hüften.

Es wäre ein Leichtes, sich schwer vom Essen in sein Bett sinken zu lassen, doch meine Kollegen haben bereits den nächsten Programmpunkt geplant. Man will sich in die Schwulenszene Sao Paulos begeben und ich darf mir selbstverständlich die zahlreichen, und wie ich hörte, unvergleichlich schönen Männer nicht entgehen lassen. Unerreichbar für mich aber jetzt sind die Augen mit Essen dran. Wieder besteigen wir ein Taxi, Marco erklärt dem Fahrer kurz unser Ziel und wir sind on the road again. Homosexualität ist in einem erzkatholischen Land wie Brasilien so verpöhnt, wie in Baden-Württemberg am Weltspartag Geld auszugeben. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Suche nach einer geeigneten Lokalität. Der Taxifahrer ist katholisch ratlos, nachdem wir im entsprechenden Viertel nicht fündig werden. Es ist Montag und zudem noch vor 1.00 Uhr. Nach einer halben Stunde Kreisfahrt schlage ich vor, die schönen Männer auf eine andere Gelegenheit zu verschieben und lieber in der Hotelbar einen Absacker zu trinken. Wieder einmal haben wir viel Zeit in einem Taxi zugebracht. Überhaupt bin ich noch nie so viel und lange Auto gefahren wie in Sao Paulo. Aufgrund der dortigen Verkehrssituation sollte der Heilige Paulus neben Matten- und Korbflechtern unbedingt Automechaniker und Straßenbauer in sein Schutzprogramm aufnehmen. Vielleicht fällt die Stadt aber eher in den Zuständigkeitsbereich des Apostels Paulus, der bekanntlich ständig unterwegs war. So genau kenne ich mich da nicht aus. Den Weg zum Hotel habe ich aber bis jetzt immer gefunden.

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Sonntag, 3. Dezember 2006
Wenn du schmollst und traurig bist
Wenn sich deine Pupillen in der Dunkelheit verengen, weil du in einen kleinen Lichtstrahl blickst.
Wenn du auf Fahrtwind hoffst und dein Boot vom Gegenwind in die falsche Richtung geschoben wird.
Wenn deine Ohren vom Motorenlärm taub sind und du die leisen Stimmen nicht mehr hörst.
Wenn deine Hände statt an das rettende Tau ins Leere greifen.
Wenn die Strudel im Kopf nach unten ziehen und du vom Strampeln müde geworden bist.
Wenn du den Duft des Lebens nicht mehr wahrnimmst, weil deine Nase tief in der Scheiße steckt.
Wenn du den Mund offnest, um nach Hilfe zu rufen und deine Stimme versagt.
Wenn du die Steinschleuder nicht mehr findest, die die einzige Chance gegen Goliath bedeutet.
Wenn auf dem Weg keine Abzweigung mehr eine Wahlmöglichkeit lässt.

Was ist dann? Ich weiß es nicht. Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst. Ich kann dir keine neuen Wege eröffnen, noch die Steine aufsammeln. Ich kann dich nicht zwingen, deine Augen auf die guten Dinge zu richten. Ich kann dir keine Hoffnung geben. Ich kann die Reise nicht für dich antreten. Alles was ich kann, ist dir sagen, dass es immer weitergeht, jedoch nicht wie, nicht ob gut oder schlecht. Das ist die Grausamkeit des Lebens, dass jeder von uns sich dieser Zufälligkeit alleine stellen muss. Nur denke daran, welcher Stolz dich erfüllt, wenn du es ganz alleine geschafft hast. Jeden einzelnen Tag. Immer und immer wieder.

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