Dienstag, 10. September 2019
Heatstroke
Die Kilometer sind bei der Fahrt durch Japan nicht das Problem. Dass man jeden davon mit einem halben Liter Schweiß bezahlt schon. Die letzten beiden Tage wurde das Radeln bei durchschnittlich 37° und einer Luftfeuchtigkeit von über 80% zum Höllenritt. Anzeichen von Überhitzung, erst rote Köpfe, dann blasse Gesichter. Bei Pfeifgeräuschen ist der Kessel bekanntlich vom Feuer zu nehmen. Also bin ich die letzten Kilometer nicht mehr selbst gefahren. Eis kann man übrigens atmen, bei der Geschwindigkeit seines Verschwindens gibt es keine andere Erklärung. Man möchte nach dem Aufenthalt in einem klimatisierten Raum nie wieder gegen die heisse Wand laufen.

Mein Popo tut übrigens nur immer kurz weh, wenn ich auf das Fahrrad steige. Das war letztes Jahr in Frankreich schon schlimmer. Und ich wehre mich immer noch, die gepolsterten Hosen zu tragen. Mach‘ ich erst freiwillig, wenn ich 80 bin und unter Inkontinenz leide. Dann sind die aber wahrscheinlich nicht hauteng und aus Polyester. Die Sattelauflage hingegen ist ihr Geld genauso wert wie die sensationelle, selbsttönende Sonnenbrille im ergonomischen Format und die wunderbar leichten, trittfesten Schuhe.

Während ich von daheim breite Reifen und Stoßdämpfer gewöhnt bin, sitze ich hier auf einem Roadbike mit schmaler Bereifung. Gefällt mir inzwischen so gut, dass ich mir ernsthaft die Anschaffung eines dritten Rades überlege, was angesichts des mangelnden Stellplatzes und Anschaffungspreises völliger Irrsinn wäre (es sei denn, man ist Blogger mit Hang zur Kilometervernichtung). Die Qualität des Leihbikes ist erstaunlich gut und der Zustand ganz hervorragend. Neben Überhitzung kämpfe ich ein bisschen mit „hot feet“, was sich anfühlt wie eingeschlafene Füße, jedoch mit einer kleinen Korrektur der Sattelstellung zu beheben ist. Für diese Information musste ich bis Japan reisen, weil der Radlschrauber meines Vertrauens bei Symptomschilderung nur mit den Schultern zuckte.

Morgen soll es übrigens regnen, was mich zum ersten Mal in meinem Leben in Zusammenhang mit Radfahren sehr freut. Die GoreTex Jacke werde ich schön im Rucksack lassen, denn nass wird man sowieso - egal ob von innen oder von aussen. Übrigens ist das ein Ausläufer des Taifuns in der Nähe von Tokyo. Bitte drücken Sie die Daumen für schlechtes Wetter aber gute Flugbedingungen, denn ich möchte nächste Woche wieder heim. Ich freue mich schon auf winterliche Temperaturen und schweißfreies Radln in der Heimat.

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Sonntag, 8. September 2019
Hit the Road



Jedes Mal wenn ich mich in einer fremden Kultur bewege, beobachte ich die Menschen um mich herum sehr sorgfältig. Ich schaue mir an, wie sie alltägliche Dinge tun, wie sie sich bewegen, miteinander umgehen und welche Gepflogenheiten sich von meiner Kultur unterscheiden. Schließlich bin ich Gast und möchte mich korrekt benehmen. Vor allem aber möchte ich niemanden unnötig vor den Kopf stoßen. Manchmal habe ich das Taschentuch schon an der Nase, wenn mir einfällt, dass man sich in Asien nicht schnäuzt, sondern die Pampe lieber in eine Nase und Mund bedeckende Maske laufen läßt.

Mal abgesehen vom Linksverkehr habe ich gleich nach unserer Ankunft die Radfahrgepflogenheiten beobachtet, konnte aber keine allgemeingültigen Regeln ableiten. Da gab es die, die einen fahrradwegähnelnden Streifen am Rand des Gehweges benutzen, jedoch in alle erdenklichen Richtungen. Und dann gibt es die, die mit dem Rad am Straßenrand fahren - ebenfalls in alle erdenklichen Richtungen. Daraus könnten sich folgende Schlussfolgerungen ableiten:
1. es gibt keine allgemeingültigen Regeln für Radfahrer
2. es gibt nicht sofort erkennbare Regeln, die sehr kompliziert sind und
3. es gibt Regeln, die aber permanent missachtet werden, vergleichbar mit München - da radeln die Leute auch kreuz und quer.

Stelle man sich die Situation andersrum vor. Da kommen Leute aus einer anderen Kultur in mein Land und versuchen sich zurechtzufinden. Die Einheimischen missachten jede erdenkliche Regelung, erwarten insgeheim aber von den Touristen oder Neuansässigen, diese Regeln zu kennen und einzuhalten. Davon abgeleitet hätte jede öffentliche Handlung eines Einheimischen gewissermaßen Vorbildcharakter.

Ich bin also nicht nur vom Fahren - insbesondere vom Abbiegen - im fließenden Linksverkehr etwas überwältigt, sondern auch vom Geheimwissen der japanischen Verkehrskultur. Abgesehen davon ist es ungeheuer heiß hier. 36° mit viel Luftfeuchtigkeit laden nicht zum Verweilen an schönen Orten. Man flüchtet eher in kleine Cafés und kitschige Andenkenläden, allesamt stark klimatisiert. Oder man tritt einfach weiter in die Pedale, nutzt den Fahrtwind und endet irgendwann dort, wo Kultur im Kühlen abseits von Touristenströmen stattfindet, nämlich unter der Dusche.

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Samstag, 7. September 2019
Tokyo Inn


Noch bin ich nicht dort, zumindest aber auf dem Weg. Und der ist bekanntlich das Ziel. Für 10 Tage durch Japan radeln - wenn Sie mich vor einiger Zeit gefragt hätten, wäre das sicher nicht mein priorisiertes Ferienziel gewesen. Suchen Sie mal hier die Einträge über Japan, da finden Sie etwa drei Seiten, die mein Fremdheitsgefühl diesem Land gegenüber belegen. Gerade ist Nacht und weil ich mal wieder nicht schlafen kann, habe ich selber nachgelesen. Allerdings mag ich Radfahren - zumal neben Schwimmen aufgrund körperlicher Einschränkung derzeit die einzige schmerzlose Fortbewegungsform - und war noch nie weiter als im Umkreis von Tokyo.

Als erstes sind wir nach Osaka geflogen, von dort nach Kyoto gefahren. Wegen der Kultur. Aber die ersten anderthalb Tage geschah vieles nur im Halbschlaf. Großer Erschöpfungszustand und die Frage, wieso man sich das freiwillig antut. Das Licht brennt in den Augen und die Temperaturen sowieso. Hier ist noch immer höchster Hoch-Sommer, während daheim bereits die Janker aus dem Schrank geholt werden. Es ist immer das Gleiche: zwei Tage gemäßigte Temperaturen und man kann sich nicht mehr vorstellen, wie sich Extremwerte anfühlen. Das macht das Kofferpacken nicht einfacher. Dann aber trotz und erst recht Kultur. Fushimi Inari Schrein, kennen Sie. Doch, das sind diese orangefarbenen Torbögen, die kurz hintereinander stehen und dadurch wie ein langer Tunnel oder eine Raupe aussehen, die sich den Berg rauf und runter wälzt.



Wälzen tun sich auch die Menschen da durch - zumal Wochenende. Erinnert mich an‘s Taj Mahal. Auf Bildern scheint immer alles sehr groß, weit und leer, in Wirklichkeit sehr anders. Irgendwann ist dann die Kultur zweitrangig. Man hat Hunger, Durst und ein paar Mückenstiche - Menschliche Bedürfnisse. Immer wieder wundere ich mich in den ersten beiden Tagen, wie viel ich bereits über diese fremde Kultur weiß. Auch über die Pantoffelgepflogenheiten und wann man sie wie rum stellt. Manchmal glaube ich, das weiß ich alles nur, weil ich‘s mal hier gelesen habe. Dann fällt mir wieder ein, ich war der Autor der Beiträge. Seltsam dieses Altern und wo das Wissen hingeht, von dem man so fest glaubte, es sei ein Gut wie ein Haus, das man erwirbt und fortan besitzt.

Ich sitze also hier - es ist dunkel, heiß und unbequem - und ich frage mich, was ich hier tue, denn Fahrradfahren kann ich auch daheim. Nur halt nicht so schön oder so. Die G‘iant Räder sind übrigens nicht schlecht und die Wege noch flach. Morgen Nacht dann mehr, wenn es wieder heißt: Schlaflos im Land der aufgehenden Sonne.



Frühstück am nächsten Morgen. So startet man hier in den Tag.

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