Freitag, 17. April 2020
Tageblog 17.4.2020 - Work of Art
Everyday is like a blank canvas...

Der heutige Tag wird von mir zur Abwechslung mal von hinten aufgerollt. Am Abend musste ich raus, weil ich fast den ganzen Tag im Liegen verbrachte - der Rücken halt. Auf meinem kleinen Spaziergang kam ich an einer Aussengalerie vorbei.



Sowas hatte ich zum ersten Mal in Sankt Petersburg an den Häuserwänden gesehen, die zur Eremitage führten.
Große Gemälde in schweren Rahmen hingen da entlang des Kanals. Damals wunderte ich mich, heute fand ich die Idee nett, weil sie von einem Künstler stammen, der sein Atelier im Hinterhof hat und auf dem Autodach ebenfalls ein großes Werbebild spazierenfährt.
Bei meiner Heimkehr fischte ich eine Postkarte mit einem Original aus dem Briefkasten.


Wenn wir uns wiedersehen, haben wir prickelnde Getränke vor uns stehen steht am Ende der Botschaft auf der Rückseite.

Erst dachte ich, das sei ein Weinglas, ein sogenannter Römer mit einem grünen Stiel, zumal die gedichtete Zeile darunter ebenfalls auf ein Getränk hinzuweisen schien. Doch dann fiel mir auf, dass es sich um einen Baum handeln muss. Kürzlich hatte die Künstlerin ihr Interesse für Bäume in der bildenden Kunst geäussert. Jedenfalls besitze ich jetzt eine echte Nielsen und freue mich über den Postkartengruß.

Ansonsten war der Tag sehr zäh. Ich mache mir viel Gedanken um dies und jenes. Eine große Rolle spielt darin neben körperlichen Beobachtungen mein Gefühlshaushalt. Der scheint etwas aus dem Lot zu sein oder besser gesagt im Minus. Dazu aber ein andermal mehr. Durch die Rückensituation waren alle Sport- und Bewegungspläne erst einmal gestrichen. Ich tat mich schwer mit dem Binden der Schuhe und Haltungsänderungen. Auch der Tennisball, auf dem ich mich am Boden herumrollte, brachte keine Besserung. Während ich gestern noch Muskelkater vermutete, wird die Wahrscheinlichkeit eines Hexenschusses immer größer. Ist ja nicht so, als sei ich seit langer Zeit von Schmerzen verschont gewesen. Zumindest das Körperteil ist ein anderes. Die Verspannung im Rücken ist durch die Beinsache auch schon lange latent da, den letzten Kick hat er durch die gestrige Umzugshilfe bekommen.

Und weil wir schon bei Schlimmem angelangt sind, hier ein schöner Satz von Frau Novemberregen, die auf Twitter jeden Tag fragt, was alle gemacht haben und ein bisschen Sorge wegen schlimmer Antworten hatte:...und dass es immer besser ist, das Schlimme zu benennen, als es nur zu erahnen.
In diesem Sinne lege ich mich jetzt wieder hin und hoffe auf Besserung.

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Donnerstag, 16. April 2020
Tageblog 16.4.2020 - Blue

Erinnern Sie sich noch an diesen Film von Luc Besson aus dem Jahre 1988? Ich war mindestens fünf Mal über mehrere Jahre verteilt im Kino, um ihn zu sehen. Natürlich immer in Begleitung des aktuell Angebeteten. Damals war es der schönste, atmosphärischste und lustigste Film, den ich mir in meinem hormonell durchtränkten Kopf vorstellen konnte. Nüchtern betrachtet ist die Geschichte romantisierter und frauenverachtender Kitsch. Trotzdem finde ich den Film heute wegen seiner Bilder und der Musik immer noch schön. Fasziniert hat mich vor allem die zugrundeliegende Biographie des Freitauchers Jacques Mayol, die mit sehr viel künstlerischer Freiheit und auch Unwahrheiten dargestellt wurde. Jetzt fand ich einen Film auf Arte, der dem Leben des echten Jacques nachgeht. Grosse Empfehlung meinerseits für Jacques Mayol, Dolphin Man
(Edit: ich sehe gerade, dass der Film nicht mehr in der Mediathek zur Verfügung steht. Hmpf. Hier also ein kurzer Trailer)

Sehr interessant fand ich vor allem, dass die Freitaucherei - Apnoetauchen - auf die japanische Tradition der Ama-Taucherinnen zurückgeht. Im Artikel heißt es: "Historically, women were considered fit to be ama because their higher fat content would help them endure the near-freezing temperatures of seawater that they had to dive in." Und diese Aussage freut mich besonders, wo sonst - und vor allem früher - doch oft die Männer als den Frauen körperlich überlegen bezeichnet wurden. Kommt eben immer auf den Kontext an.

Jedenfalls war dieser Jacques Mayol einerseits eine faszinierende, andererseits eine tragische Gestalt. Seine große Errungenschaft waren die Tieftauchrekorde, die man nicht für menschlich möglich hielt. Getrieben durch die Sehnsucht, sich mit dem Element zu verbinden und überzeugt, den Meeressäugern ähnlich zu sein, basierte sein ganzes Leben auf der Verwirklichung seines Traumes: sich einmal für lange Zeit wie ein Delphin im Wasser zu bewegen. In dieser Manier setzte er auch seinem Leben ein Ende, in den Tiefen des Meeres verschwindend. Die Tragik war die eines Getriebenen, der Frau und Kinder zurückließ, dann die Liebe seines Lebens sterbend im Arm haltend und fortan sein restliches Leben die innere Einsamkeit nie überwindend.

Ich mag ja Menschen, die ihre Träume mit Begeisterung und Leidenschaft verfolgen, die keine Grenzen akzeptieren und sie dadurch verschieben. Und ich mag das Meer. Als ich noch tauchte, habe ich diesen unglaublich niedrigen Ruhepuls und die meditative Stille in der Tiefe sehr genossen, wie in einem alten Beitrag beschrieben. Was mir inzwischen fremd anmutet, ist diese Besessenheit, mit der Leben und Gesundheit für einen übergeordneten Zweck riskiert wird. Ich kenne dieses Gefühl, alles auf eine Karte zu setzen, koste es was es wolle. Möglicherweise bin ich aber jetzt zu alt oder psychisch zu heil, um noch einmal so erleben zu wollen.

***

Ansonsten sind die Tage zäh. Ich muss mich seit kurzem innerlich sehr aufraffen, um nicht in dieses Blue Hole zu versinken. Zu viele Gedanken kreisen da in meinem Kopf. Das Gefühl der Nutzlosigkeit bringt mich dazu, auf Seiten für ehrenamtliche Tätigkeiten zu stöbern und mir neue Beschäftigungen auszudenken. Heute half ich bei einem Umzug im Haus. Kisten kann man auch mit Abstand schleppen. Dafür schmerzt jetzt der untere Rücken. Vermutlich brauchte ich einen triftigen Grund, um morgen einfach liegenzubleiben.

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Freitag, 10. April 2020
Tageblog 10.4.2020 - Musik-Gedenken
Zum heutigen Karfreitag passt eine meiner Lieblingsaufnahmen aus Bachs Matthäuspassion, gesungen von Julia Hamari. Karl Richter dirigierte das Münchner Bachorchester und Otto Büchner spielt Violine. Die letzteren beiden sind bereits verstorben, wie auch sonst viele große Künstler aus dieser Zeit.



Es gibt eine Dokumentation über Karl Richter aus dem Jahre 2005 "Karl Richter in München - Zeitzeugen erinnern sich (1951-1981)", die in Teilen auf YT zu sehen ist. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich alt werde, denn mit dem Älterwerden entsteht automatisch auch eine gewisse Nostalgie um die Vergangenheit. Jedenfalls waren die damaligen Aufführungen von einer solchen Kraft, die ich heute kaum noch erlebe. Ja, gelegentlich gibt es diese denkwürdigen Momente noch. Eine Aufführung der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle mit dem Sacre von Strawinsky, ein Instrumentalsolist hier oder da, insgesamt sind die Aufnahmen aber sehr spährlich gesät. Vielleicht liegt es an der allgemeinen Spezialisierung. Während jungen Musikern früher noch Rundumwissen beigebracht wurde, zählen heute nur noch die absolvierten Übungsstunden am Instrument. Das sind keine guten Voraussetzungen für intelligente Darbietungen klassischer Musik. Natürlich ändert sich der Hörgeschmack mit den Jahren, doch die alte, notierte Musik sollte doch zumindest werkgetreu wiedergegeben werden. Wenn Beethoven irgendwo ein bestimmtes Zeichen schrieb, wird das von verantwortungsvollen Interpreten auch hörbar gemacht. Die anderen spielen halt so, dass ihre Darbietung beim Publikum einen Eindruck hinterlässt.

Würden wir Kompositionen mit Bildern vergleichen, sähen wir den Unterschied zwischen einer Kopie und dem Original deutlicher. So aber gewöhnt sich das Ohr an den Mist, der halt in Dauerschleife läuft und hält es für das Werk des Komponisten, wo in Wirklichkeit nicht Beethoven, sondern Lang Lang oder Levitt abgebildet ist. Ich möchte die Errungenschaften der Künstler damit nicht schmälern, sondern einzig an die Konsumierenden appellieren, etwas genauer hinzusehen, und natürlich an das Verantwortungsbewusstsein der Musikschaffenden. Denn wie soll ein Laie zwischen Kunst und Kitsch unterscheiden können, wenn er den Maßstab, das Original nicht gesehen hat?

Sagen wir mal so: wenn ich mir eine Aufnahme von einem Interpreten anhöre, der den Markt jedes Jahr mit zig Produktionen überschwemmt oder einer recht selbstdarstellerisch agiert, liegt die Folgerung sehr nahe, dass es sich hierbei nicht gerade um authentische Aufnahmen handelt. Karajan war übrigens auch so einer, während sich beispielsweise Celibidache sehr kritisch zur Tonaufnahme verhielt. Wirklich hören kann man es durch Interpretationsvergleiche desselben Stückes. Manchmal findet da ein Stück einfach den Zugang zum Herzen und berührt etwas, das im Innersten mitschwingt. So eine Aufnahme ist oben zu hören. So denke ich an die vielen Künstler der aussterbenden Generation, die meine Hörästhetik prägten und bin dankbar und gleichzeitig wehmütig. So viele Namen, die bereits verstorben sind und solche, die aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr spielen. Manchmal lohnt es sich, nach diesen Kleinoden zu suchen.

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