Samstag, 6. März 2021
Warm Beer and Cold Women


So sieht's nach der Liveübertragung des Starkbieranstichs am Nockherberg aus. Eigentlich bin ich weder an Bier bzw. Feierlichkeiten zur dessen Konsummierung noch an Politik sonderlich interessiert. Aus diesem Grund ging das sogenannte Dablecka (zu Hochdeutsch: auf's Korn nehmen) am Nockherberg immer an mir vorbei. Einzig eine kurze Episode aus ersten Lebensjahren verbindet mich biographisch mit dem Ort, an dem ich die letzten beiden Nächte verbrachte.

Da ich fliegerisch gerade nicht viel zu tun habe, arbeite ich nebenher im Sicherheitsbereich. Das klingt jetzt spannender als es ist. Meine Aufgabe besteht vorwiegend darin, meine Zeit nachts neben Ü-Wagen abzusitzen, damit sie nicht unbeaufsichtigt in der Gegend rumstehen. Gelegentlich ist aber auch das spannend. Wenn beispielsweise eine Horde Jugendlicher grölend vorbeizieht und an die Wand hämmert, während ich drinnen sitzend lese, dann steigt mein Adrenalinpegel plötzlich stark an. Oder wenn sich der Schlüssel im Schloss der schweren Zugangstüre nicht drehen lässt, dann wird mir auch bei Minustemperaturen ganz warm. Meist geht so eine 12 - 14 Stunden Schicht aber quälend langsam vorbei. Müdigkeit und Kälte machen es nicht unbedingt einfacher. Vor allem wenn der Organismus gegen 3 auf Sparflamme schaltet, hilft auch keine noch so warme Heizung mehr gegen die innere Kälte.

Dieses Mal war's nicht ganz so ruhig, denn die Menschen hinter den Kulissen arbeiteten bis spät in die Nacht. Der zuständige Mitarbeiter meinte, das seien aber auch die, die sowieso nicht heimgehen wollten. Und das sind erstaunlich viele. Wie viele kann man sich erst vorstellen, wenn man den Aufwand für solch eine Sendung sieht. Eine Woche Aufbau, Proben, technische Finessen, da ist eine komplette Maschinerie am Werk. Damit dies auch in Pandemiezeiten sicher von Statten geht, wurden alle vor der Produktion und dann jeden Tag vor Ort getestet. Folglich habe ich in der vergangenen Woche drei Stäbchen in die Nase eingeführt bekommen und am Rachen kratzen gespürt. Was man halt so tut für ein wenig Abwechslung.

Vom Ereignis selbst habe ich sehr wenig mitbekommen. Ich hatte ja zu beaufsichtigen. Nur hinterher bin ich noch mehrere Male durch die leeren Räumlichkeiten gestreift, um das Licht zu löschen und auch sonst nach dem Rechten zu sehen. Wie so eine Hausmeisterin am Theater.

Als Kind träumte ich immer, nachts im Kaufhaus eingeschlossen zu werden - etwas, das ich im Kleinen schon ausprobierte. Überhaupt diese öffentlichen Räume, die man nur belebt kennt und plötzlich betritt man sie ausserhalb der Öffnungszeiten, das fühlt sich immer ein wenig wie Einweihung an. Dunkelheit und Stille, erloschene Energie, wo vor kurzem noch die Luft vibrierte. Das Echo vergangener Ereignisse in den Wänden gespeichert, deren Türen mir normalerweise verschlossen bleiben. In der Dunkelheit gehören diese Räume mir, denn dann bin ich die Einzige, die ihre Bedeutung bezeugen kann. Gleichzeitig gehöre ich jetzt dazu, weil ich hinter die Kulissen geschaut habe. Ich sehe, was von der Illusion übrig ist. Der Trick ist damit entlarvt, wird aber zur eigentlichen Magie. So war das für mich zum ersten Mal hinter einer Theaterbühne und zum ersten Mal in einem leeren Flugzeug. Der Zauber selbst wird nie vergehen, ist aber auf einem Bild - wie oben - nicht wiederzugeben. Das braucht körperliche Anwesenheit. So wird selbst eine durchfrorene und durchwachte Nacht zum lohnenden Unterfangen.

Am nächsten Morgen sinke ich seelig in mein Bett, nicht jedoch ohne noch ein paar Ausschnitte der Übertragung im Netz gesehen zu haben. Und wieder stelle ich fest, das hat nichts mit dem zu tun, was ich sah, was ich spürte. Für mich entsteht die Magie nicht auf, sondern hinter der Bühne. Indem ich mich dort aufhalte, bleibt alles lebendig. Während die Bühnenarbeiter das Zeugnis der vergangenen Nacht abbauen, träume ich von Räumen, die ich früher verbotenerweise erkundete. Heute bekomme ich dafür Stundenlohn. Vielleicht ist das dieses Erwachsensein, von dem man so viel hört.

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Sonntag, 28. Februar 2021
One Night In Bangkok
... and the world's your oyster.
Wissen Sie eigentlich, wie lange ich warten musste, bis ich endlich diese Liedzeile als Überschrift benutzen kann? Und dann ist alles ganz anders als erwartet. Natürlich war ich schon einmal vor vielen Jahren in Bangkok. Damals sogar für fünf Nächte mit einem Zwischenstopp in Saigon. Damals, das war die Zeit, als man die Hotels noch verlassen durfte. Dieses Mal war mein Aufenthalt allerdings nur einige Stunden lang und auf das Zimmer begrenzt. Sie sehen, ich scheue keine Mühen, um Ihnen ein bisschen Reisefeeling in den heimischen Lockdown zu vermitteln.



Von den Passagieren erfahre ich, dass man in Thailand 14 Tage Zimmerquarantäne hinter sich bringen muss, um dann vier Tage den beruflichen Zweck seines Aufenthalts zu absolvieren. Es sei denn, man möchte sowieso drei Monate im Land oder nach Bali reisen, dann lohnen sich zwei Wochen Eingesperrtsein im Vergleich zu monatelangem Lockdown light. Die Beweggründe für die Reise sind offenbar vielfältig.

Wir werden direkt nach der Einreise von Bussen abgeholt und zum flughafennahen Hotel gebracht. Auf dem Weg zum Zimmer wird gefühlt 10x meine Körpertemperatur gemessen. Die blauen Überzieher an den Schuhen verliere ich auf dem Flur. Vor den Zimmertüren stehen Stühle, auf denen bestellte Speisen abgestellt werden. Im Zimmer ist der Boden mit PVC überzogen, die Stühle mit Hussen. Erstaunlicherweise steckt die Fernbedienung des Fernsehers nicht wie sonst üblich in einer Plastikhülle. Mir ist das alles egal, denn in etwa 12 Stunden werde ich wieder abgeholt. Dazwischen darf ich mein Quartier nicht verlassen. Sollte ich es dennoch tun, kann ich die Türe nicht mehr öffnen und muss für den neuen Schlüssel eine hohe Strafsumme bezahlen.
Die Aussicht auf sommerliche 30 Grad am Pool machen das kurze Intermezzo erträglich. Allerdings schauen meine Augen nur zwei Stunden vom Bett aus dem Fenster bevor sie endgültig zu fallen. Als ich sie wieder öffne, ist es bereits dunkel. Nach einer Dusche schlüpfe ich in meine Kleidung und die Schuhüberzieher, nehme meine Koffer und verlasse das Zimmer. Die FFP2 Maske werde ich jetzt bis zur Ankunft daheim mit kurzen Trinkunterbrechungen 17 Stunden getragen haben. Trotz aller Mühen bin ich froh, wieder einmal unterwegs gewesen zu sein. Nur die Müdigkeit, die noch Tage danach in den Knochen steckt, die habe ich nicht vermisst.

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Mittwoch, 24. Februar 2021
You Can't Hurry Love
Was bisher geschah (wo ich doch so lange nichts geschrieben habe)

Über ein Jahr ist die OP her. Das Gelenk schmerzte lange, viel zu lange. Die Orthopäden arbeiteten im Ausschlussverfahren - was man halt in 10 Minuten Behandlungszeit so ausschließen kann. Der Operateur hat erst Mal seine Schuld an allem ausgeschlossen. Im Grunde hatte er aber über die Ursache meiner anhaltenden Schmerzen genauso wenig Ahnung wie der Anfang des Jahres noch behandelnde Physio. Ich solle halt weniger belasten. Also ging ich's mit der Nachrehagymnastik langsam an, nutzte aber die genehmigten Stunden innerhalb des Gültigkeitszeitraumes. Da war schon Corona und alles andere zu. Ich freute mich über die Abwechslung im Rehastudio und beim Physio. Die Tabletten waren auch nicht ohne.

Im Sommer radelte ich mit einem Bekannten regelmäßig zur Morgengymnastik in den Park. Bestimmte Übungen - vor allem die mit Beine Anheben im Liegen, die Bauchmuskeln machen sollen - gingen nicht. Ich war einfallsreich und absolvierte was eben ging. Liegestütz, Bankstütz, Seelenstütz und mehr. Die Bewegung tat seelisch so gut wie die Begegnung. Irgendwas musste ich in der Zeit ja tun, in der ich nicht arbeitete und auch sonst niemanden traf. Wir waren nicht die Einzigen, die es zum Sport nach draußen zog. Einmal probierte ich sogar eine kurze Joggingeinheit. Im Nachhinein betrachtet keine so gute Idee.

Wo es weh tat, konnte ich genauso gut lokalisieren, wie beschreiben, was den Schmerz auslöste. Ich hatte über die Wochen recherchiert, zahllose Videos im Netz gesehen und viel über Anatomie gelesen. Nur mit den lateinischen Bezeichnungen haperte es zwischendurch. Mit möglichen Diagnosen war ich zögerlich, denn ich wollte der Fachkraft nicht vorgreifen. Der Operateur zuckte nur mit den Schultern. Das sei alles untypisch. Tabletten waren das Resultat meiner Frage nach Lösungswegen. Ich nahm seinen Zweifel an meinen Schilderungen und Vermutungen wahr. Dabei verbringe ich doch meine gesamte Zeit in diesem Körper, wer könnte mich besser spüren als ich selbst? Spätestens da war mir klar, dass ich auf mich allein gestellt war. Vielleicht doch noch ein Medizinstudium?

Im beginnenden Herbst immer noch Schmerzen. Ich konnte das Bein nicht mal zum Sockenanziehen heben, geschweige denn mich zum Schuhe zubinden mit gestreckten Knien hinunterbeugen - letzteres in der Durchschnittsbevölkerung nicht unüblich, für mich hingegen ein Beweis für meine starke körperliche Einschränkung. Nach reiflicher Überlegung und tiefer Traurigkeit über diesen Zustand fasste ich den Entschluss: jetzt aber mal ausgiebig schonen. Sollte das nicht helfen, war zumindest Selbstheilung ausgeschlossen. Ausschlussverfahren kann ich auch. Die Pandemie kam mir entgegen.

Die Erkenntnis, dass Rumliegen allein nicht weiterhelfen würde, weder beim körperlichen noch beim seelischen Heilungsprozess war im Dezember nicht Überraschend. Insgeheim ahnte ich es schon im Frühjahr. Selbst in Ruhe schmerzte das Körperareal. Muskeln konnten inzwischen keine mehr verhärtet sein, denn die waren praktischerweise alle abgebaut. Dafür hatte ich an Körperfülle zugelegt. Wenigstens konnte ich nun Überanstrengung ausschließen. Herr Ortho hat das im Januar auch gleich eingesehen als er meinte, man könne da nach einem Jahr nicht mehr behaupten, das ginge von alleine weg. Meine Frage nach bildgebender Diagnostik unterbrach er mit einer abweisenden Handbewegung. Röntgen zeige nicht das entzündete Gewebe, Ultraschall käme nicht so tief und MRT ginge wegen des Metalls jetzt auch nicht mehr. Was er denn verschreiben solle, fragte er, das Übliche - sprich Physio und Tabletten - bringe ja keine Besserung. Als ich mich ohne Alternative zu gehen weigerte, verschrieb er mir dann doch genau das. Ausserdem bekam ich die Bewilligung für ein Magnetbild.

Auf dem Bild war, wie vorhergesehen, an der schmerzenden Stelle ein Fleck, der sich Signalauslöschung nennt. Seitlich davon entzündete Schleimbeutel, auf denen Herr Ortho ungläubig herumdrückte. Nein, das tat - im Vergleich zum eigentlichen Problemfeld - wirklich nicht weh, selbst wenn es laut Bildgebung so sein müsste. Auf dem Rücken liegend bewegte er das Gelenk ein bisschen hin und her, dann war wieder Schluss. Ohne Ergebnis, dafür mit der Adresse für eine neue Physiopraxis in der Hand verließ ich das Behandlungszimmer.

Der neue Physio bewegte das Gelenk gründlich für zwanzig Minuten in alle Richtungen mit der Erkenntnis, dass das so nicht normal sei. In mir breitete sich gleichzeitig Erleichterung und Verzweiflung aus. Einerseits die erste Bestätigung meines untrüglichen Körpergefühls, andererseits die drohende Möglichkeit einer erneuten Operation. Die ganze Anstrengung, Einschränkung, Entbehrung, alles umsonst. Die Ursache der Tränen mischte sich mit allgemeiner Verzweiflung über die Gesamtsituation. Dann spürte ich meine Wut aufsteigen. Diese blöden Ratschläge, der Ruf nach Geduld. Natürlich hätte ich gerne an ein Wunder geglaubt, doch vermutlich nicht fest genug.

Eine einfache orthopädische Untersuchung sei das gewesen, meinte er, wieso das nicht vom Arzt gemacht worden sei. Ich hatte für Herrn Physio keine plausible Antwort. Gleichzeitig schätzt er Herrn Ortho als sehr guten Fachmann ein. Am Telefon übermittelte er ihm wohl die gewonnenen Erkenntnisse. Möglicherweise muss ich nun doch nicht Medizin studieren. Wie es aber weitergeht, erfahre ich erst nächste Woche. Dazwischen liegen ein paar Tage Arbeit und Tränen. Meine Reserven sind aufgebraucht, mein Wille schwach und ich habe Angst. Schalten Sie also nächste Woche wieder ein, wenn es heißt: wir wissen auch nicht woran es liegt aber beehren sie uns recht bald wieder.

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